Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 6. Dezember 2011

Winterschlaf am Meer


Ein unglaubliches lästiges Jahr neigt sich dem Ende. Die Glühweinsaison und Weihnachtsmärkte sind längst geöffnet. Und auch an meiner eigenen Aktivität auf meinen Blogs merke ich, der Winter ist da und der Winterschlaf kaum aufzuhalten.

Da ich mich derzeit noch einem für mich anderen, wichtigem Projekt widmen will, muss ich auf Kosten Dessen leider auch meine Blogs ein wenig vernachlässigen. Ich komme kaum zum lesen. Nicht einmal die Magie der Filme kann mich derzeit mitreißen. Um Am Meer ist es wärmer jedoch nicht mit irgendwelchem Schund zu füllen möchte ich mich lieber komplett, und das bis Januar, zum Winterschlaf wappnen.

Ich hoffe aber noch ein paar Reviews nachlegen zu können. Am Ende des Jahres gibt es dann auch noch einen kleinen Rückblick auf 2011. Ein paar persönliche Highlights gab es trotz allem auch in diesem Jahr.

Die Handvoll Leute die meinen Blog verfolgt hat, und die ahnungslosen die einfach über Google zu mir gefunden haben: Euch Allen wünsche ich ein frohes Fest und einen angenehmen Start ins neue Jahr.
Und dann wird mein bescheidener Blog auch schon 1 Jahr alt.

Wer übrigens so gar nicht weiß mit welcher Lektüre er seinen persönlichen Winterschlaf überbrücken soll, hier noch eine kleine Empfehlung:

"Die Herren von Winterfell" (A Game of Thrones). George R.R. Martins Bestseller Epos ist nicht unbedingt ein Leichtgewicht vom Umfang her, liest sich jedoch ganz danach. Wer mutig genug ist in die Dark Fantasy Welt einzutauchen wird mit einer Lektüre belohnt werden die einen nicht mehr loslässt.

Die deutsche Fassung der ebenso preisgekrönten TV Serie ist wöchentlich auf TNT Serie zu sehen. Volljährige Zuschauer sollten einen Blick wagen.



Mit diesem Tipp möchte ich mich dann auch nun vorerst von euch verabschieden. Bis dahin, noch einen schönen Nikolaus, gehabt Euch wohl.

Freitag, 11. November 2011

Rezension: Hear the Wind Sing (Haruki Murakami)



Spoiler Warnung


Die Murakami Rezensionen 4


Die Trilogie der Ratte 1
Hear the Wind Sing


Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Kaze no uta o kike
Erscheinungsjahr: 1979 (Japan), 1987 (englische Übersetzung)
Verlag: Kodansha (English Library)
Übersetzung: Alfred Birnbaum
Genre: Slice of Life




I never saw the girl with four fingers on her left hand again. When I returned to the town that winter, she'd quit the record store and moved out of her apartment. Disappeared, leaving not a trace in the tides of men or the river of time.
When I'm back in town in summer, I always walk the same streets she walked, sit down on the stone steps of the warehouse, and gaze out to sea, all by myself. And just when I feel like crying, I never can.
That's how it goes.


Die Legende von Derek Heartfield.

Viele einsame Junggesellen fragen sich wahrscheinlich, wenn sie Murakami lesen, was muss dieser Mann schon alles mit den Frauen durchgemacht haben? Nur jemand der wahrlich die Leiden der Liebe kennengelernt hat wäre wohl in der Verfassung solch melancholische Texte über gescheiterte und vergangene Beziehungen zu schreiben. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Haruki Murakami heiratete bereits in jungen Jahren eine Kommilitonin. Im alter von 30 Jahren veröffentlichte er mit Hear the Wind Sing sein Debüt. Zu diesem Zeitpunkt war Murakami jedoch schon knapp 10 Jahre mit seiner Yoko verheiratet. Gemeinsam eröffneten sie die Jazz Bar Peters Cat. Nun, auch wenn er all diese Geschichten mit den mysteriösen Frauen nie wirklich erlebt hat, so bleibt Murakami jedoch ein Meister darin über die grausame Welt der Liebe zu schreiben.

Alles hat einen Anfang. Jede Karriere. Doch ob Schauspieler, Musiker oder Schriftsteller, ihre Anfänge geben sie nicht so gerne preis. Bruce Willis spielte zum Beispiel in seiner ersten Rolle einen Bösewicht in der Serie Miami Vice. Bei Murakami war das gar nicht so anders. Aufmerksam wurde man auf ihn erst durch Naokos Lächeln (Norwegian Wood). In Japan machte ihn diese Geschichte, die autobiografische Züge enthielt, zu einem absoluten Star. Aber bereits mit Wilde Schafsjagd wurde Murakami bereits im Westen bekannt. Die wenigsten wussten jedoch, und das gilt bis Heute so, das Wilde Schafsjagd der Abschluss einer Trilogie ist. Die Trilogie der Ratte. Diese Trilogie folgt einem namenlosen Ich Erzähler und einem Kommilitonen, Ratte. Die Trilogie kann unter anderem dem Coming of Age Genre zugeordnet werden. In Hear the Wind Sing erzählt der 30 jährige Erzähler eine Geschichte aus seiner Studentenzeit. zu diesem Zeitpunkt war er gerade mal 21 Jahre alt. Die Trilogie besteht, wie ich bereits ausführlich erwähnte, aus den Romanen "Hear the Wind Sing", "Pinball, 1973" und "Wilde Schafsjagd". Der letzte Roman "Tanz mit dem Schafsmann" schließt die Geschichte zwar endgültig ab, wird aber nicht mehr zur Trilogie der Ratte gezählt.

Hear the Wind Sing ist in allen Belangen ein wichtiges Buch. Murakami schrieb die Geschichte über vier Monate lang. Das Märchen ist eindeutig bekannt was ihn dazu bewegte diese Geschichte zu schreiben. Es war ein beeindruckender Schlag des amerikanischen Baseballspielers Dave Hilton. Murakami realisierte danach das er unbedingt ein Buch schreiben muss. Eine kuriose Inspiration. Auch war Murakami für ein Debüt schon recht alt (natürlich ist Dreißig längst kein Alter). Hear the Wind Sing beinhaltet auf 130 Seiten all das, was wir an Murakamis Stil so schätzen. Er entwirft unbekannte Sehnsüchte. Skurrile Situationen, gute Musik und Frauen sind auch dabei. Und gleichzeitig stellt der Roman auch noch eine Geburt dar. Boku (ein Thema worüber Jay Rubin bereits in Murakami und die Melodie des Lebens schreibt). Murakami entwirft einen namenlosen Ich Erzähler. Ein Stilmittel auf welches er eigentlich in keinem Roman bisher verzichtet hat. Eigentlich. In After Dark und 1Q84 finden wir Boku nämlich nicht (vermisst ihr ihn?). Boku taucht mal als namenloser Hobby Detektiv auf, mal als namenloser Lehrer der eine Reise zur Selbstfindung auf eine griechische Insel macht und auch mal als 15 jähriger Kafka Tamura. Wer Murakamis Werk bereits vorher verfolgt hat wird sich sofort heimisch fühlen.

Die für Murakamis Verhältnisse sehr kompakte Geschichte wurde damals im angesehenen Gunzo Magazin veröffentlicht. Damals noch unter dem Titel "Happy Birthday, and White Christmas". Hear the Wind Sing gewann den Gunzo Literatur Preis. Zudem wurde der Roman für den renommierten Akutagawa Preis nominiert (einen Preis den Murakami nie erhalten hat). Eine weitere Nominierung konnte er für den Noma Literary Newcomer's Prize verzeichnen. Doch bleiben wir kurz bei dem Akutagawa Preis. Ein Grund wieso Murakami nie diesen angesehenen Preis erhalten hat finden wir bereits in Hear the Wind Sing. Erstmals kann ich sagen das diese Geschichte sich extrem nach amerikanischer Literatur gelesen hat. Von Bier über die Beach Boys bis hin zu Coca Cola wird alles mögliche beschrieben was im Westen beliebt und gefragt zur damaligen Zeit war. Murakami ist inspiriert von der westlichen Literatur. Stellt der Akutagawa Preis doch aber das komplette Gegenteil dar. Hier hat die eher traditionelle japanische Literatur eine Chance.

Hear the Wind Sing dürfte etliche Fragen klären die man sich in Wilde Schafsjagd und Tanz mit dem Schafsmann gestellt hat. Wir lernen den Erzähler nun genau kennen. Genau so wie er eine Freundschaft zu der eigensinnigen Ratte aufbaut. Wie sie gemeinsam ihre Semesterferien an einer verschlafenen Küste verbringen und täglich in ihrer Stammbar bei J's literweise Bier vernichten. Der Erzähler berichtet über Ereignisse die ihm im Sommer 1970 widerfahren sind. Alles in einem Zeitraum von 19 Tagen. Er berichtet über seine Schulzeit, die Frauen mit denen er geschlafen hat und die Musik die er hört. Das er fasziniert ist von einem Autor Namens Derek Heartfield. Ein missverstandener, amerikanischer Autor der sich im Jahr 1938 vom Empire State Building stürzte (in der rechten Hand hielt er ein Portrait von Hitler, in der linken Hand hielt er einen Regenschirm). Mal erzählt unser namenloser Freund auch einfach über Gott und die Welt. Oder wie er eine Frau mit nur Vier Fingern an einer Hand kennengelernt hat. Unfassbar! Vier Finger. Eines Morgens wachte er verkatert in ihrer Wohnung auf. Zum Sex kam es nicht. Leider aber hat die gute einen solch üblen Kater das sie sich kaum an etwas erinnern kann. Die Frau mit den Vier Fingern ist die erste von Murakamis skurrilen und mysteriösen Frauen die wir treffen. Der Erzähler beschreibt sie als nicht hübsch, aber auch nicht hässlich. Sie ist bei weitem keine Schönheit. Doch ihr sonderbarer Charakter zieht ihn an. Wie Murakami selbst in seiner Jugend arbeitet sie in einem Plattenladen. Sie ist anfänglich nicht besonders nett. Allerdings baut sie immer weiter ein Vertrauen zu unserem Ich Erzähler auf, der, ohne das er es bemerkt, immer wieder in seltsame Situationen gerät.

Die surrealen Elemente halten sich in Hear the Wind Sing noch zurück. Es gibt einen seltsamen Anruf eines betrunkenen Radiomoderators. Fand ich sehr unterhaltsam diesen Dialog. Und solche Passagen gibt es immer wieder in Hear the Wind Sing zu lesen. Es kommt vor das einfach über die Melancholie des Lebens gesprochen wird. Murakami erschafft sich in der Geschichte ein kleines Utopia. Einen kleinen Garten Eden. Der beschriebene Ort im Buch scheint magisch zu sein. Das schwärmen des Erzählers über den Sommer löste unglaubliches Fernweh in mir aus. Es ist die Geschichte einer Person die langsam erwachsen wird, es aber eigentlich gar nicht will. Das Buch ist eine jener Geschichten worüber Schriftsteller Leif Randt am Haruki Murakami Abend im japanischen Kulturinstitut Köln gesprochen hat. Er sprach darüber das Murakami die großen Geschichten schreibe, während er selbst momentan über die kleineren Dinge schreibe. Aber genau diese kleinen Dinge sind es worum es in Hear the Wind geht. Ich bin noch immer sehr beeindruckt wie gut dieses Debüt geschrieben ist. Es ist eigentlich eine Schande das Murakami kein Interesse daran hat die Geschichte auch außerhalb Japans zu publizieren. Dabei liest man die Freude die er beim Schreiben hatte in so vielen Dialogen heraus.

Ein weiteres Phänomen stellt für mich der Autor Derek Heartfield dar. Bis zum Ende der Geschichte hielt ich Heartfield tatsächlich für eine Person die einst gelebt hat. Die Wahrheit ist aber das der Schriftsteller Heartfield eine fiktionale Figur ist. Geschaffen von Murakami. Ich suchte also wie verrückt nach der Geschichte über die Brunnen auf dem Mars (eine Kurzgeschichte von Derek Heartfield dessen Inhalt Murakami in Hear the Wind sing zusammenfasst). Über den jungen Mann der die Brunnen durchquerte und viele Dimensionen hinter sich lies. Ich war wahnsinnig begeistert von dieser Geschichte. Nun weiß ich das auch die Geschichte über die Brunnen auf dem Mars von Murakami persönlich stammt. Mit Derek Heartfield hat sich Haruki Murakami ein Alter Ego geschaffen. Eine Person zu der er aufschauen kann. Am Ende berichtet er das er sogar einst sein Grab in Ohio besucht hat. Alles deutet darauf hin das Heartfield wirklich existiert hat. Doch sucht man nach seinen Werken bei Amazon oder gibt seinen Namen in Google ein wird man schnell bemerken das es sich hier um eine ausgedachte Person handelt. Einen Autor namens Derek Heartfield hat es nie gegeben. Schon gar nicht stürzte er sich vom Empire State Building.

Das Ende von Hear the Wind Sing liest mich wie immer mit einem gewissen Wehmut zurück. Immer muss man am Ende von etwas Abschied nehmen. Seine Charaktere nehmen Abschied von einem Ort oder von Freunden. Der Leser nimmt Abschied von der Geschichte. Er lässt uns mit einer bereits von mir erwähnten Sehnsucht zurück. Auf gerade mal 130 Seite gelingt Murakami nicht nur ein grandioses Debüt, sondern er schafft es auch seine Magie auf uns zu übertragen. So manch etablierter Schriftsteller könnte hier sogar noch etwas lernen. In Murakamis Bibliographie nimmt Hear the Wind Sing einen überraschend wichtigen Platz ein. Es ist der Beginn einer Leidenschaft. Hier nahm alles seinen Anfang. Ich bin daher dementsprechend dankbar das ich dieses tolle Debüt nun endlich lesen konnte.



Wertung: 5 von 5 Dante (Ausgezeichnet)


Informationen zum Buch:

Lange Zeit waren sowohl Hear the Wind Sing als auch Pinball, 1973 vergriffen. Im Jahre 2010 veröffentlichte Kodansha in Japan eine Neuaflage im kleinen A6 Format. Beide Romane sind nun wieder in englischer Sprache erhältlich. Im Internet findet man die beiden Bücher auch noch im PDF Format. Da diese Ausgaben allerdings nicht lizenziert sind kann ich dafür auch keine Links bereitstellen.

Wer dennoch Interesse hat, beide Romane werden sehr häufig auf eBay angeboten. Natürlich komplett neu. Der Preis liegt bei 15 bis 20 Euro.

Direkt bestellen kann man die Bücher auch bei einer tollen japanischen Buchhandlung in Düsseldorf: Takagi 
Books (Auf Anfrage. Online Bestellung und Selbstabholung möglich).


Brook Benton: Rainy Night in Georgia

Donnerstag, 10. November 2011

150 Jahre Freundschaft zwischen Deutschland und Japan: Der große Haruki Murakami Abend


Haruki Murakami bleibt ein aktuelles Thema auf meinem Blog. So ist er auch in diesem Beitrag präsent. Doch war es diesmal nicht Murakami selbst der mich am Abend des 08 November faszinierte. Es waren seine Fans.

Das Literaturhaus Köln veranstaltete zu Ehren der deutsch japanischen Freundschaft (immerhin wurden vor genau 150 Jahren die ersten Handelsverträge zwischen Deutschland und Japan geschlossen) einen ganz besonderen Abend. Dieser fand im japanischen Kulturinstitut Köln statt. Hier passte einfach alles. Nicht nur eine langjährige Freundschaft wurde gefeiert, auch eine Ausstellung über das japanische Buchdesign der Gegenwart konnte bestaunt werden (was ich überraschenderweise sehr interessant fand. Fängt die Kunst der japanischen Literatur hier schon bei der Gestaltung des Covers und der Buchbindung an). Hauptthema an diesem Abend war jedoch Haruki Murakami. Das Thema: Wieso ist Haruki Murakami eigentlich so unglaublich erfolgreich im Westen? Was macht dieses Phänomen aus? Eine Frage die eigentlich schwerer zu beantworten ist als es den Anschein macht. Vielleicht ist sie sogar unmöglich zu beantworten.

Der gemütliche Saal war längst vor dem 08 November ausverkauft. Tickets konnte man sich nur im Literaturhaus Köln reservieren. Wer dann nicht das Glück hatte seinen Namen auf der Gästeliste zu finden, musste den Abend wohl leider vor geschlossenen Türen verbringen. Ein Glück, denn ich stand auf der Gästeliste des DuMont Verlages. Die immerhin diesen Abend mit organisiert haben. Viele Gäste kamen wohl aber auch noch in der Hoffnung, den großen Meister selbst an diesem Abend anzutreffen. Weit gefehlt. Murakamis Besuch in Berlin im letzten Jahr sollte etwas ganz besonderes darstellen. Gilt Murakami, wie so viele andere Schriftsteller, eher als Scheu was die Öffentlichkeit angeht (auch wenn sich dies in den letzten etwas Jahre geändert hat). Glück für diejenigen, die letztes Jahr in Berlin waren.

So fühlte sich die Veranstaltung etwas an wie der Spielfilm "I'm not there" von "Todd Haynes". Eine filmisch Biographie über Bob Dylan, ohne Bob Dylan. Und genau so war das dann auch im japanischen Kulturinstitut in Köln. Ein Abend über Haruki Murakami, ohne Haruki Murakami. Anzumerken wäre jedoch noch das Murakami selbst schon einmal im Institut anwesend war. Genau so wie Schriftsteller Kenzaburo Oe.
Allerdings gab es keinen Grund zur Enttäuschung. Die geladenen Gäste waren dafür ebenfalls mehr als vielversprechend.

Geleitet wurde die Diskussion einfach großartig von Hubert Winkels. Der Literaturkritiker aus Düsseldorf ist ein großer Bewunderer der japanischen Literatur und natürlich ein Fan von Murakamis Werk. Dazu gesellt haben sich Schriftsteller Leif Randt (welcher eine menge Lob für seinen aktuellen Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" einheimste), die Japanologin Lisette Gebhardt und, ein Gast worauf ich mich ganz besonders gefreut habe, Japanologin und Übersetzerin Ursula Gräfe. Ursula Gräfe hat nicht nur einen Großteil von Murakamis Werk ins deutsche übersetzt, ihr Name findet sich auch noch in zahlreichen anderen deutschen Publikationen japanischer Literatur. Den krönenden Abschluss machte Schauspieler Joachim Krol, dessen markante Stimme perfekt zu Murakamis Text passt. So stellte der Abend also eine Mischung aus Diskussion und Lesung dar, der abgerundet wurde durch ein kleines Konzert das Jazzpianistin Aki Takase.

Was an diesem Abend so besprochen wurde möchte ich zusammenfassen und kommentieren. Für alle die, die es nicht geschafft haben persönlich anwesend zu sein.

Eröffnung


Direktor Professor Kazuaki Tezuka eröffnet den Abend. Mit schwacher Stimme und extrem gebrochenem Deutsch wünscht er allen Anwesenden einen schönen Abend. Anschließend betritt eine der Veranstalterinnen des Literaturhaus Köln die Bühne und gibt ungefähr das gleiche wie Professor Tezuka wieder. Sie bittet die Gäste des Abends auf die Bühne.


Diskussion


Hubert Winkels stellt die Gäste vor. Japanologin Lisette Gebhardt gibt bekannt sie werde an diesem Abend nicht die Rolle der Sigrid Löffler einnehmen, sich aber Murakami kritisch gegenüber stellen und sich nicht zurückhalten. Gelächter unter den Gästen. Etwas zurückhaltender stellt sich der sympathische Leif Randt und die ebenfalls sehr sympathische Ursula Gräfe vor. Hubert Winkels kann sich einen Schmunzler auf Frau Gebhardts Anmerkung nicht verkneifen.


Professor Doktor Lisette Gebhardt, die mit ihrer Aussage über Sigrid Löffler ziemlich ins Fettnäpchen getreten ist, ist als Fachvertreterin an der Goethe Universität Frankfurt tätig. Der erste Eindruck kann trüben, doch mir kam sie ein wenig besserwisserisch rüber. Rechthaberisch. An ihrer Kompetenz will ich nicht zweifeln, allerdings kam sie mir doch neben Leif Randt und Ursula Gräfe etwas abgehoben vor. Das liegt nicht daran das sie an sich Murakamis Werk kritisch gegenübersteht, sondern daran das ihre Argumente teilweise sehr belanglos waren. Aber dies ist jedoch meine persönliche Meinung. Warum die nicht so prall ist, verrate ich im nächsten Teil.

Diskussion


Hubert Winkels stellt die Frage wie man den Erfolg von Haruki Murakami, besonders im Westen, erklären kann. Lisette Gebhardt sagt, Murakami sei der erste japanische Autor bei dem die Verlage erfolgreiches Marketing angewandt haben um auch Verkäufe außerhalb Japans zu erzielen. Ein Raunen ist im Publikum zu hören. Hubert Winkels fragt zurück: Aber irgendwo muss ja dann doch Literatur im Spiel gewesen sein, denn ganz ohne ist so viel Erfolg nicht möglich. Lisette Gebhardt schweigt. Einmal mehr ein Lachen im Publikum. Ursula Gräfe ist am Zug. Sie erzählt das Murakami für sie der westöstlichste Autor ist den sie kennt. Ein Autor der geschickt westliche und östliche Stilelemente miteinander vermischt, dabei aber nicht seine japanische Herkunft vergisst. Desweiteren wurde darauf eingegangen wie schwierig es ist die japanischen Texte ins deutsche zu übertragen.


Mein Kommentar soll natürlich nicht dazu gedacht sein über Frau Gebhardt zu lästern. Ich gebe alles so wieder wie es sich zugetragen hat. Ihre Meinung erntete zwar keine Buh Rufe, dafür aber ein wenig Hohn. Kein Wunder. Keiner der Besucher machte sich auf den Weg ins japanische Kulturinstitut um sich eine kritische Rede über Haruki Murakami anzuhören. Auch kam es mir so vor, als wolle sie auf Gedeih und Verderb etwas finden, was Murakami an diesem Abend schlecht dastehen ließ. Dazu haute sie auch noch den "Bata Kusai" Klassiker raus (eine abfällige Bemerkung für einen Japaner, der von etwas westlichem begeistert ist. ungefähre Übersetzung: Jemand der nach Butter stinkt). Alles ein alter Hut! Und immer wieder kann ich nur sagen, wenn man versucht Murakami und Oe miteinander zu vergleichen: Murakami ist ein Schriftsteller nach dem zweiten Weltkrieg. Oe fing zu Japans düstersten Momenten an zu schreiben. Zwei völlig unterschiedliche Generationen. Doch Murakami ist nicht weniger japanisch als Oe. Lediglich ist das Werk von Haruki Murakami weiter verbreitet als das des Nobelpreisträgers Kenzaburo Oe. Murakami ist in allen Belangen ein japanischer Autor.

Eine weiterer Punkt war die Übersetzung. Hubert Winkels verwechselte etwas und sagte das Ursula Gräfe "Gefährliche Geliebte" neu übersetzt hätte. Das war natürlich eine Fehlinformation (vielleicht gewollt?). Sowohl "Gefährliche Geliebte" als auch "Mister Aufziehvogel" liegen in Deutschland weiterhin "nur" in einer Übersetzung aus dem Englischen vor. Also basierend auf den Übersetzungen von Philip Gabriel und Jay Rubin. Ursula Gräfe sah das aber gar nicht so dramatisch wie es unter Fans immer dargestellt wird. Besonders die deutsche Übersetzung von "Mister Aufziehvogel" gefalle ihr. Da wäre noch so ein amerikanischer Touch in den deutschen Worten. Auf eine Frage von mir im letzten Jahr, oder besser gesagt eine Aussage, schrieb sie auf meinen Kommentar das sie die Übersetzungen von Jay Rubin sogar gerne lese. Lediglich Alfred Birnbaum sei ihr etwas zu pikant. Hoffe ich habe ihn nun nicht mit Philip Gabriel verwechselt.

Eine Neuübersetzung scheint jedoch auch nicht in Sicht zu sein. Das ist natürlich auch mit Kostengründen verbunden. Vermutlich würde es sich für den Verlag nicht einmal lohnen.

Die Diskussion ging weiter. Auf einen richtigen Nenner kam man bei dem Thema jedoch nicht. Man war sich aber sehr einig das Murakami wohl der wichtigste noch lebende, japanische Autor ist. Weiter ging es anschließend mit zwei Lesungen von Schauspieler Joachim Krol. Dieser las drei unterschiedliche Parts aus den ersten zwei Bänden von 1Q84 vor. Krol selbst merkte noch an das er Murakami sehr gerne lese.
Etwas zu kurz kam leider Leif Randt. Dieser fühlte sich glaube ich etwas unbehaglich in der Rolle eines "deutsche Murakamis". Auch er las noch etwas aus seinem hervorragendem neuen Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" vor. Am Bücherstand vom Literaturhaus Köln war der Roman an diesem Abend auch recht schnell vergriffen. Interessant war allerdings die Geschichte wie Leif Randt vor einigen Jahren Murakamis Werk kennengelernt hat. Er hatte Liebeskummer, und immer wieder kam er mit dem Roman "Naokos Lächeln" in Kontakt. Er las ihn, und war am Ende sogar eher weniger begeistert. Doch im laufe der Jahre lernte er das Werk von Murakami schätzen. Er machte aber auch klar das sein Stil etwas völlig eigenständiges ist. Was ich wirklich gut fand. "Während Murakami die ganz großen Geschichten erzählt, schreibe ich eher über die kleinen Dinge". So lautete ungefähr sein Zitat. Eine sehr bodenständige Bescheidenheit.

Natürlich waren knapp 2 Stunden sehr knapp bemessen. Aber was wäre eine angemessene Zeit um über Murakamis Werk zu diskutieren? Etwa 2 Tage? 2 Wochen? Wahrscheinlich hätten die Murakami Anhänger an diesem Abend auch noch die Nacht durchgemacht. Natürlich wurde noch einiges mehr bei der Diskussion besprochen. Doch grob zusammengefasst waren das einige wichtige Punkte die ich hier wiedergegeben habe.

Und wie kann ein Abend schöner enden als mit einigen Gläsern Wein und Reisbällchen? Man wurde vorzüglich bewertet. Und das auch noch alles auf Kosten des Hauses. Der Abend endete mit einem kleinen Konzert der Jazzpianistin Aki Takase. Diese spielte, so erfuhr man an diesem Abend, damals in Haruki Murakamis Jazzbar "Peters Cat". Ich habe den Abend bis zum Ende ausgekostet und fühlte mich sehr wohl. Die Reise von Dortmund nach Köln lohnte sich. Um die Atmosphäre perfekt wiederzugeben hätte man natürlich selbst anwesend sein müssen. Ich hoffe sehr das dies nicht der letzte solcher Abende war. Vielleicht ja dann wieder hier im viel zu vernachlässigtem NRW.

Mein Dank geht daher noch einmal an alle Veranstalter und alle anwesenden Gäste. Selbstverständlich ist damit auch Frau Lisette Gebhardt gemeint.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Rezension: Schoßgebete (Charlotte Roche)



Deutschland
Autorin: Charlotte Roche
Erscheinungsjahr: 2011 (Piper Verlag)
Genre: Slice of Life

"Jedenfalls bleibe ich bei meinem Mann, bis ich sterbe, würde es aber gerne, bevor ich sterbe, hinkriegen, dass ich nicht heimlich, sondern erlaubt, ganz legal, wie früher bei den Hippies, mit einem anderen Mann schlafen darf. Oder auch: mit dem einen oder anderen Mann! Ich möchte das gerne tun, mit so wenig schlechtem Gewissen wie möglich. Ich stelle mir vor, dass das schlechte Gewissen, beim heimlich Machen, alles versaut. Das will ich nicht. Ich möchte gerne frei sein dabei und, während ich endlich mal einen anderen Schwanz in mir habe, die ganze Zeit denken: Ich darf das. Ich habe den coolsten Mann der Welt, er hat es mir erlaubt."

Von der ehemaligen VIVA Moderatorin zur Kultautorin. Der Werdegang der Charlotte Elisabeth Grace Roche kann nur als Phänomen der aktuellen Popkultur bezeichnet werden. Genau so ihr Debüt, Feuchtgebiete. Feuchtgebiete ist nämlich ein Phänomen der deutschen Literatur. Auch wenn jeder es verleumdet oder angewidert nach der dem lesen der Lektüre ist, fast jeder hat es gelesen. Gebt es ruhig zu. Ein Millionen-Bestseller, der auch knapp 3 Jahre nach seiner Erscheinung immer noch gelesen wird und sich einfach hervorragend verkauft. Roche traf und zerstörte mit ihrer Satire die Scham der Bewohner der Bundesrepublik und alle wollten sich am liebsten wieder unter ihren Bettdecken in ihren heiligen, privaten Schlafzimmern verkriechen. Und eigentlich wollte ich mir all das gar nicht antun. Bis ein Freund mir irgendwie das Hörbuch schmackhaft machte. Auf mich wartete eine Zugfahrt von Dortmund nach Bonn. Ich gab dem ganzen eine Chance. "Feuchtgebiete: Gelesen von Charlotte Roche". Andere könnten genervt von ihrer emotionslosen Stimme sein, mich begeisterte die Gleichgültigkeit in ihren gesprochenen Worten jedoch. Als ob sie dort über tatsächlich alltägliche Dinge spricht. Einfach fantastisch (vielleicht habe ich auch nur einen verschrobenen Geschmack). Roche's Stimme wiegte mich sogar in den Schlaf. Denn jede Nacht, in meiner Kölner Unterkunft, bevor es wieder zurück nach Bonn ging, hörte ich immer noch ein Kapitel im Bett. Nun, vielleicht weniger interessant, aber dies ist meine persönliche Geschichte wie ich zu diesem außergewöhnlichem Buch kam.

Obwohl es viele Momente gab in Feuchtgebiete, die ich, selbst für meine Verhältnisse, ziemlich pikant fand, war ich sehr begeistert. Es war pure Unterhaltung für mich. Daher war ich auch im Gegensatz zu vielen anderen sehr angetan davon, als ich hörte ein Nachfolger würde erscheinen (erfuhr ich erst kurz vor der Veröffentlichung des neuen Buches). Schoßgebete würde es heißen. Klingt ja fast wie Feuchtgebiete. Darin ist sie gut, in absurden Wortkreationen. Und wie es nicht anders zu erwarten war, Schoßgebete erreichte schon vor der eigentlichen Erscheinung Platz 1 der Amazon Bücher und Belletristik Charts. Da muss eine enorme Summe im Spiel gewesen sein. Sowohl für die Autorin als auch für den Verlag. Nahm sich bei Feuchtgebiete noch der DuMont Verlag Roche an, tat dies nun der renommierte Piper Verlag. Dieser ist nun nicht unbedingt bekannt dafür das er solche Werke publiziert. Aber wer will sich schon Millionen entgehen lassen? Mit 16,99 Euro für eine Broschur hat man dann gleich noch die Hardcover kosten gespart. Dazu gab es noch eine Rekord Startauflage von 500,000 Exemplaren. Und ich bin mir sehr sicher, der Piper Verlag wird diese längst losgeworden sein, denn Schoßgebete hat es sich bereits unter den Spiegel Bestsellern gemütlich gemacht.

So viel zum Hintergrund. Was kann Schoßgebete denn nun? Oder besser gesagt, was kann Schoßgebete nicht? Also, entgegen meiner Erwartungen ist das Buch längst nicht so kontrovers wie Feuchtgebiete. Es gleicht viel mehr einer Therapiesitzung beim Psychiater. In Treatment im Buchformat. Charlotte Roche versprach nicht zu viel als sie in einem Interview meinte das Buch sei ihr persönlicher Seelenstriptease. Es sei ihr persönlichstes Werk. Biografische Elemente soll es erhalten. Und ich war hin und her gerissen am Ende. Soll ich Schoßgebete nun gut finden? Oder es doch lieber in die Ecke werfen? Vielleicht wäre ein Mix aus beidem ganz gut. Wobei Möglichkeit Zwei wäre nicht so toll, denn das große Taschenbuch war ja ziemlich teuer.
Auf eine Art war ich wieder einmal begeistert von Roche's fantasievollem Schreibstil. Mal ernst, mal lustig, mal süß. Auf der anderen Seite habe ich manchmal gedacht, ich könnte selbst eine Therapie gebrauchen wenn ich noch ein paar Zeilen mehr lese. Viele Teile im Buch sind ziemlich anstrengend. Und nur sehr selten habe ich die fiktive Elizabeth vor mir gehabt, als viel mehr die Autorin selbst. Stets habe ich mich gefragt was nun reine Fiktion ist, und was tatsächlich in ihrem Leben passierte.

Ein Geheimnis ist es nun nicht, denn die meisten dürften es wissen. Bei einem Autounfall sind Roche's 3 Brüder ums Leben gekommen. Das war auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Ihre Mutter ist gefahren. Sie und die Freundin ihres ältesten Bruders überlebten. Sicher ist, ihre Mutter überlebte und ihre 3 Brüder bei dem Unfall starben. Roche versucht auf ihre Weise, mit dem Thema abzuschließen. Und auch abzurechnen. Mit der Bild Zeitung zum Beispiel. Doch an dieser Stelle, so brillant sie das ganze auch verfasst hat (ihre Vorstellung das ihre verstorbenen Brüder immer noch Leben und nun ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit in einem belgischen Wald leben), fragte ich mich: Möchte ich das wirklich wissen? Möchte ich solch einen tiefen Einblick in das Leben der Charlotte Roche bekommen? Und viel wichtiger: Hat sie denn überhaupt keine Hemmungen, all das von sich zu erzählen?  Die Geschichte wurde von Seite zu Seite finsterer und depressiver. Enthielt bereits Feuchtgebiete autobiografische Elemente, hat Roche es diesmal nicht ganz geschafft, diese auch wirklich leicht dem Leser zugänglich zu machen.

Schoßgebete handelt von einer hoffnungslosen Frau in ihren Dreißigern. Sie erzählt aus drei Tagen ihres Lebens (Dienstag bis Donnerstag). Sie sieht kein Sinn mehr in ihrem Leben und lebt nur noch für ihre Tochter Liza und ihren Mann Georg (der Schorsch). Der einzige Ausweg scheint der Freitod. Besser gesagt, sie rechnet sogar fest damit, bald zu sterben. In ihrer Phantasie stirbt ihre kleine Tochter und ihr Mann tagtäglich. Elizabeth ist keine Frau, die noch einmal schlechte Nachrichten in ihrem Leben hören will. Nie wieder will sie Leid und Schmerz ertragen müssen. Daher ändert sie auch im Jahr mehrmals ihr Testament. Sie will sich so gerne ändern, das Leben wieder genießen, aber es gelingt ihr einfach nicht. Jahre der Therapie bei ihrer Psychiaterin Frau Drescher erleichtern ihr das Leben jedoch etwas. Lediglich der Sex, und die Gedanken an Sex, gestalten ihr Leben noch einigermaßen unterhaltsam und lenken sie von den trostlosen Gedanken ab. Wenn man dies so liest, ist Elizabeth das komplette Gegenteil ihres Teenager Gegenstücks aus Feuchtgebiete. Allerdings ist es auch möglich, dass die kleine Helen Memel aus Feuchtgebiete nun erwachsen geworden ist. Die jugendliche Naivität ist abgelegt. Doch egal von welcher Protagonistin ich spreche, ob Helen Memel oder Elizabeth Kiehl, hinter all diesen Masken steckt die echte Charlotte Roche. Und diese gewehrt uns einen tiefen Einblick in ihr Leben. Meiner Meinung nach schon wieder einen zu tiefen Einblick. Man fragt sich des öfteren, welche Charlotte Roche die Echte ist. Die im Fernsehen lächelnd und charmant Interviews gibt, dem Bundespräsidenten Sex anbietet, oder die Charlotte Roche aus ihren Romanen. Eine zutiefst depressive Frau, dem Tod gefährlich nahe. Vermutlich ist sie sogar niemand von all diesen Charakteren.

Der sehr experimentelle Schreibstil hat mir wieder einmal sehr gut gefallen. Es gibt erneut zahlreiche Wortkreationen, die mir wahrlich ein Lächeln auf die Lippen zauberten. So provokant wie der Vorgänger ist Schoßgebete jedoch nicht.
Ein bisschen wird sich vielleicht jeder selbst in dem Roman wiederfinden. Zwar ist alles in Schoßgebete ein wenig überzogen, doch Roche dürfte das Familienleben in Deutschland ganz gut beschrieben haben. Sie will all das besser machen, was ihre Mutter in ihrer Kindheit falsch gemacht hat. Elizabeth will sogar so weit gehen, das ihre Tochter durch all die Vorschriften eine gewisse Abneigung gegen sie entwickeln wird. Getrunken wird nur Mineralwasser, eingekauft nur Bioprodukte, und nie, niemals McDonalds. Kein Minibisschen. Dann wünsche ich mal Guten Appetit.

Ich könnte ein kleines Buch im A6 Format füllen nur um Schoßgebete zu besprechen. Was ich mir alles vornahm zu schreiben hat es zu knapp 80% gar nicht in meine aktuelle Rezension geschafft. Ich wiederum kann mich immer noch nicht entscheiden ob ich nun enttäuscht sein soll oder doch irgendwie begeistert. 

Aber genug geschrieben. Als Fazit kann ich nun aber schreiben, Schoßgebete hat mir gefallen, es fehlte mir jedoch auch das gewisse "Etwas". Als eine Beichte, ein Geständnis einer sündigen Frau funktioniert Schoßgebete jedoch erstaunlich gut. Roche's misanthropische Gedanken können einen manchmal zwar ziemlich beanspruchen, doch man kann es auch als besonderen Stil sehen. Inwieweit dieses Geständnis auf knapp 300 Seiten nun fiktiv ist, und was wirklich der Wahrheit entspricht, dies wird die Autorin wohl immer für sich behalten. Als Leser geht mich das jedoch alles nichts an. Zumindest kommt man, nachdem man den Roman gelesen hat, auf folgende Erkenntnis: Monogamie ist ein Mythos, eine Partnerschaft basiert lediglich darauf, das der eine auf den jeweils anderen scharf ist und Anglizismen sind Fucking Awesome.

Dienstag, 11. Oktober 2011

(Amazon) Rezension: 1Q84 Buch 1 und 2



Hinweis: Um 1Q84 etwas im Gespräch zu halten, da Morgen (den 12 Oktober 2011)  ja offiziell der dritte Band im Handel erscheint, möchte ich meine Amazon Rezension zu den ersten beiden Bänden präsentieren. Diese ersetzt natürlich nicht meine sonstigen, ausführlichen Besprechungen. Eine ausführliche Besprechung wird es geben wenn ich auch noch den dritten Band gelesen habe. Dann wird es eine Rezension zu dem Gesamtwerk geben.

Japan 2009, 2010
1Q84 (Ichi Kew Hachi Yon)
Autor: Haruki Murakami
Deutscher Verlag: DuMont (Hardcover)
Übersetzung: Ursula Gräfe


Amazon Rezension vom 16 November 2010 (bearbeitet am 11.10.2011)

Haruki Murakami: Wieso sein Können und seine Werke unverzichtbar für die moderne Gesellschaft sind.

Da bürgt uns Japans Bestsellerautor Nummer 1 in seinem neuen, großen Roman, 1Q84 ja so einiges auf.

- Eine fanatische Sekte
- Perceiver
- Receiver
- Mother
- Daughter
- Little People
- Zwei Monde
- Zwei Erzählstränge
- Eine Parallelwelt

Aber all das gewichtet am Ende der ersten zwei Bände schon gar nicht mehr. Vergessen wir die komplexe Handlung und die ganzen Anglizismen. Der Kern dieser Geschichte liegt einmal mehr ganz woanders. Wie so oft bei Murakami. Im Hauptfokus stehen nämlich nicht all diese wichtigen Begriffe. Nein. Auch nicht die düstere Thematik über eine fanatische Sekte und Missbrauch an Frauen dominiert in diesem Roman. Nein. Es ist die Geschichte zweier einsamer Menschen in einer trostlosen Gesellschaft. Es ist die Geschichte von Aomame und Tengo die ein gemeinsames Schlüsselerlebnis aus ihrer Kindheit in der Grundschule teilen und sich bereits über zwanzig Jahren suchen. Sie beide bereuen es längst, nicht früher den jeweils anderen gesucht zu haben. Nun sind beide bereits dreißig Jahre alt und haben sich immer noch nicht gefunden. Und wäre das nicht schon traurig genug für die beiden, scheint nun die Welt auch allmählich ihren Verstand zu verlieren.

Natürlich will ich niemandem verraten was es mit der geheimnisvollen Zeitebene 1Q84 auf sich hat. Gesagt sei jedoch das es in diesem Roman so viel zu erkunden und zu rätseln gibt wie in kaum einem anderen Murakami zuvor. Wie immer schreibt er fernab der üblichen Erzählkunst. Wie schon bei Kafka am Strand erzählt er aus zwei Perspektiven. Die Geschichte beginnt mit der Auftragsmörderin Aomame. Danach wechselt die Erzählung zu dem angehenden Schriftsteller Tengo. An dieser Struktur hält Murakami in beiden Bänden fest und lässt sie nicht ein einziges Mal los. Aomame ist dabei kein typischer Charakter aus der verträumten Welt Murakamis. Sie ist geheimnisvoll und kühl. Ihr Schicksal lernen wir erst kennen wenn wir uns weiter durch die Geschichte lesen. Tengo jedoch ist ein typischer Charakter aus Murakamis verträumten Welt. Tengo ist dreißig und Single. Irgendwo hat er sich auf der großen Bühne dieser Welt verlaufen und jagt nun verpassten Chancen und Träumen hinterher. Erst viel später wird klar das Aomames und Tengos Schicksal miteinander verknüpft sind.

Dabei beginnt 1Q84 komplett anders als es wohl jeder Leser von Haruki Murakami erwartet hätte. Der Part mit Aomame wird zunehmend düsterer. Murakami widmet sich gesellschaftskritischen Themen wie Gewalt gegenüber Frauen. Und natürlich darf auch der Krieg in der Mandschurei, den Murakami bereits in anderen Werken erwähnte, in 1Q84 nicht fehlen. Dazu kommt dieses Mal auch noch eine Sekte. Auch diese Thematik dürfte bekannt vorkommen wenn man Murakamis Band Nach dem Beben und seinen Zeitzeugenbericht Untergrundkrieg gelesen hat. Die von Murakami beschriebene Sekte und ihr Anführer aus 1Q84 weisen unglaubliche Parallelen zur Omu Shinrikyo, auch bekannt als Aum Sekte, auf. Eine in Japan gegründete Sekte die einen Terrorakt in der Tokioter U-Bahn verübte. Es scheint als versuche Murakami erneut die Menschen vor einer unbekannten Bedrohung zu warnen. Das sich im Untergrund jederzeit eine fremde Macht erheben kann. Diese brutale Realität verpackt Murakami in eine surreale wie phantastische Geschichte.

Die deutsche Edition von DuMont enthält die ersten zwei Bücher von 1Q84. Der dritte Band selbst ist erst im April diesen Jahres in Japan erschienen. Obwohl das erste Buch unglaublich kurzweilig ist, fragt sich der geneigte Murakami Leser jedoch sehr wahrscheinlich ob sich sein neues Werk nicht doch irgendwie seltsam liest. Kühl und sogar etwas unpersönlich vielleicht. Dies könnte zum einen daran liegen das er nun komplett auf den "Ich Erzähler" verzichtet. Dies tat er bereits teilweise in Kafka am Strand. In After Dark verzichtete er auf den "Ich Erzähler" und schrieb dafür aus der Sicht der Leser (ein sogenannter "Wir Erzähler"). Ziemlich interessant, kam aber leider bei vielen Lesern nicht gut an. Nun verwendet Murakami einen gängigeren, westlichen, Erzählstil. Es ist dieses Mal keiner von Murakamis Helden der die Geschichte in 1Q84 erzählt. Es ist Haruki Murakami selbst, der uns hier sein ganz persönliches Märchen vorliest. Für Leser die noch nie ein Werk des Japaners gelesen haben dürfte sich der Stil also nicht so fremd anfühlen wie für Veteranen. Für jemanden der bereits etliche Erzählungen und Romane von ihm gelesen hat, dürfte dies eine ziemlich schwere Umstellung sein. Man fühlt sich so, als würde man nicht recht mit der ungewohnten Geschichte warm werden. Trotzdem blättern sich die Seiten wie von selbst um. Natürlich kann man Murakamis frühere Werke nicht einfach verdrängen. Doch ich kann versprechen das man auch von 1Q84 gleichermaßen fasziniert sein kann wenn man sich nur darauf einlässt. Und ich spreche da aus Erfahrung. Mir erging es am Anfang genau so. Bereits im zweiten Buch gibt es auch wieder vertraute Murakami Momente. Dazu gehören natürlich gute Musik und viele Skurrilitäten. Die Hommage an George Orwells Klassiker 1984 ist dabei unverkennbar. Die Gemeinsamkeiten fallen aber ziemlich spärlich aus. Gibt es dann mal Verweise auf Orwells Roman, hat Murakami sie jedoch perfekt gewählt.

Erneut beweist Murakami, besonders im zweiten Buch, wie begnadet er ist. Man kann 1Q84 als ein modernes Märchen bezeichnen. Vielleicht sogar als eine Liebesgeschichte. Die Story mag einem verwirrend und sogar unwirklich vorkommen, aber spätestens am Ende des zweiten Buches wird man die Botschaft verstanden haben. Haruki Murakami widmet sich auch mit 1Q84 wieder einer bestimmen Generation. Der modernen Generation aus dem Jahr 2010. Es spielt dabei absolut keine Rolle in welchem Jahr Murakamis Geschichte spielt. Ob 1984 oder 2010, sein neues Werk richtet sich an eine einsame Generation die ihre Zukunft völlig aus den Augen verloren hat. Murakami ist die Person die mit ihren Texten Trost und Hoffnung spendet. Und das obwohl seine Geschichte wahrlich dystopisch erscheint. Er spricht die Sprache unserer Gesellschaft und erreicht alle Leute die nach ähnlichen Dingen suchen wie Murakamis Protagonisten. Wir haben selbst zu entscheiden wofür die Zwei Monde in unserem Leben stehen. Er rüttelt uns wach und lässt uns in Erinnerungen aus unserer Schulzeit schwelgen, egal wie man sie durchlebt hat. Und er macht uns auch klar das die Little People uns überall auflauern könnten.

Am Ende des zweiten Buches lässt man uns mit einem gemeinen Cliffhanger zurück. Ob sich Aomame und Tengo jemals finden werden bleibt fraglich. Was Murakami in diesem Werk hinterlässt sind viele Rätsel und Fragen. Rätsel und Fragen womit ich mich jedoch gerne befasse. So reiht sich auch 1Q84 problemlos in die makellose Bibliografie von Haruki Murakami ein.

Auch wenn sich dieser Roman etwas anders gelesen hat als viele seiner Vorgänger, bin ich immer noch absolut begeistert. Daher gibt es auch 5 von 5 möglichen Sternen. Hoffen wir das er bald endlich den verdienten Nobelpreis für Literatur erhalten wird. Haruki Murakami liefert hier den vielleicht wichtigsten Beitrag der Literatur 2010 ab (Anmerkung: Auch 2011 hat er ihn nicht erhalten ;D).

Sonntag, 9. Oktober 2011

Phänomen des Monats (September, nachträglich): Das eBook

Da ich krank im Bett lag, habe ich natürlich das wichtigste vergessen, das Phänomen des Monats.
Der Titel dürfte klar machen was im September meine Aufmerksamkeit gewonnen hat. Und man kann mir noch so viele Gegenargumente nennen (wie das ein eBook in Australien wesentlich günstiger ist als ein echtes Buch), das eBook bleibt für mich unbedeutend. Ich gehe nicht so weit und sage nutzlos.

Das eBook an sich (welches immer mehr an Popularität gewinnt) ist eine perfekte Gelegenheit für noch junge Verlage und deren Autoren. Schnell kann man geschriebene Werke der Öffentlichkeit präsentieren und umsonst oder für einen kleinen Betrag anbieten. Eine sehr kostengünstige Variante.
Doch wenn ich dann gleich 20 Euro für einen bekannten Titel eines erfolgreichen Autors bezahle, muss ich mich leider fragen: Was rechtfertigt diesen Preis? Der Aufwand wird es wohl kaum sein da es sich um ein digitales Medium handelt. Man kann davon ausgehen das Lizenzkosten den Preis ausmachen. Die Preise sind nämlich meistens identisch mit den Buchhandelspreisen.

Aber was mich dann doch am meisten wunder ist, wie kann man eine Datei nur einem echten Buch vorziehen? Ich gehe gerne mit dem Trend. Das eBook hingegen stellt für mich persönlich einen verlorenen Trend dar. Ich brauche weder eBooks noch einen dazugehörigen eBook Reader (welcher meistens um die 100 Euro kostet). Das klassische Buch ist ein Medium welches einfach nicht ersetzt werden kann. Und die Mehrheit wird der klassischen Variante auch zukünftig treu bleiben. Für mein Geld möchte ich gerne etwas in den Händen halten. Bei einem eBook wird dies leider nie der Fall sein.

 

Das Meer im neuen Gewandt



Bei der Wahl eines neuen Design für eine Website oder einen Blog kann man mindestens genau so viel falsch machen wie bei der Wahl eines schönen Cosplay das auch zu der jeweiligen Person passt. Änderungen sollten dezent und nicht penetrant wirken.

Ich habe mich zumindest mal für einen neuen Hintergrund entschieden. Was sich noch geändert hat ist die Platzierung der erstellten Seiten. Diese finden sich nun ganz unten auf dem Blog wieder. Dort sind die jeweiligen Kategorien recht gut aufgehoben und alles bleibt übersichtlich. Zusätzlich kam noch eine neue Rubrik hinzu: Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film.

In diesem Archiv findet ihr nun alle Rezensionen zu Büchern und Filmen die ich bisher veröffentlicht habe. Das war es dann auch schon mit den Änderungen. Damit bleibe ich so schlicht wie auch weiterhin. Und gemütlich ist es hier glaube ich immer noch. Aber zieht euch eine Jacke an wenn ihr meinen Blog besucht. Am Meer ist es um diese Jahreszeit etwas frischer.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Nobelpreis für Literatur geht an Schweden: Tomas Tranströmer

 

Die Entscheidung in Stockholm ist endlich gefallen. Nachdem die Jury unstimmig war und die Entscheidung vertagt wurde, viel Heute, den 06 Oktober, endlich die Entscheidung. Und nach einer gefühlten Ewigkeit (um genau zu sein mehr als 30 Jahre) geht der begehrteste und höchst dotierte Literaturpreis wieder an einen Schweden. Ausgezeichnet wurde der bereits achtzigjährige Lyriker Tomas Tranströmer (Auf dem Bild Oben rechts abgebildet).

Als Begründung für die Entscheidung gab die Jury folgendes Zitat mit:

„Weil er uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen weist“

 Damit steht der Nachfolger von Mario Vargas Llosa also fest. Doch im Gegensatz zu dem Peruaner, den im letzten Jahr niemand auf der Rechnung hatte, stand Tranströmer weit oben. Damit setzte er sich gegen hoch gehandelte Favoriten wie dem Syrisch Libanesischen Lyriker Adonis, dem Japaner Haruki Murakami und, man mag es kaum glauben, dem amerikanischen Volk Singer Bob Dylan durch.
Als größter Konkurrent galt jedoch Adonis. Die Chancen waren in diesem Jahr also sehr hoch das der Preis an einen Lyriker geht.

Ich persönlich drückte wie im Jahr zuvor auch wieder Haruki Murakami die Daumen (der mit seiner Literatur für mich weiterhin den größten Beitrag an die moderne Gesellschaft abliefert). Gratulation aber an Tomas Tranströmer. Man kann davon aufgehen das sein größtenteils in Deutschland vergriffenes Werk schon bald wieder neu aufgelegt wird.

Freitag, 23. September 2011

1Live Klubbing mit Charlotte Roche und Michael Weins


Michael Weins Nummer 2.

Die Sendung 1Live Klubbing bietet Lesungen für Jedermann. Jeder Zuhörer von 1Live wird in den Genuss der Lesungen von Charlotte Roche und Michael Weins kommen. Dies sollte auch über dem Webradio möglich sein.

Beide Autoren lesen dabei aus ihren aktuellen Werken vor. Charlotte Roche liest aus Schoßgebete, Michael Weins aus Lazyboy.

Ich selbst habe die Sendung auf 1Live noch nie verfolgt. Dies wird sich am heutigen Freitag jedoch ändern.
Die Termine zu den Lesungen findet ihr auf meinem Blog und natürlich direkt auf der Homepage von 1Live Klubbing.


Michael Weins liest in 1LIVE Klubbing 
heute (Freitag, der 23 September 2011), von 23:00 bis 00:00 Uhr

Charlotte Roche liest bei 1LIVE Eine Nacht in Aachen 
Freitag, 7. Oktober von 21:00 bis 23:00 Uhr

Homepage: 1Live Klubbing


Euch allen noch eine angenehme Nacht.

Sonntag, 18. September 2011

Typewriting- Erase your Head: Event: Salvo|schreibt mit dem Aufziehvogel

Typewriting- Erase your Head: Event: Salvo|schreibt mit dem Aufziehvogel: Auf Salvo schreibt findet man nicht nur tolle Kurzgeschichten, nein, er beweist auf seinem Blog auch einen unwahrscheinlich guten Musikg...

Surrealisten unter sich: Haruki Murakami inspiriert David Mitchell und Michael Weins


Ich war jahrelang auf der Suche nach Geschichten die sich so lesen wie die von Haruki Murakami. Teilweise fand ich sie in der japanischen Literatur an sich wieder. Sehr begeistert haben mich aus diesem Bereich Taichi Yamada und Yoko Ogawa. Auch Hiromi Kawakamis Roman Am Meer ist es wärmer  (ein einfach wunderbarer Titel der sich komplett von dem japanischen Originaltitel unterscheidet) hat mir sehr gut gefallen. Ich liebe offene Enden und Fragen nach der Existenz. Es ist ein Thema das mich zu meinne eigenen Erzählungen sehr inspiriert hat.

Jedoch habe ich mich immer gefragt ob es wohl auch europäische Schriftsteller gibt die inspiriert von Haruki Murakami und der japanischen Literatur sind. Ich bin aber nicht so gut informiert das ich die Fähigkeit besitze solche Perlen aus dem Wasser zu fischen. Daher gilt all mein Dank der Klappentexterin. Ohne ihre Empfehlungen würde ich weder David Mitchell, noch Michael Weins kennen.

 Der Brite und der Deutsche gesellen sich also zu dem Japaner. Und als Ausgangspunkt steht ein Roman:


Eines der bekanntesten Werke von Haruki Murakami inspirierte beide Autoren zu ihren Romanen. Mister Aufziehvogel (nicht ich) prägte sowohl Mitchells Number 9 Dream wie aber auch Weins neuster Roman Lazboy. Während Number 9 Dream eine direkte Hommage an Murakami Werke wie Naokos Lächeln und Mister Aufziehvogel ist, so hält sich Autor Michael Weins zurück seine Inspirationsquelle zu Lazyboy zu nennen. Die Parallelen zu Mister Aufziehvogel sind unverkennbar. Obwohl ich von Weins Vorgänger Delfinarium bisher nur eine Leseprobe verköstigt habe steht aber für mich eines fest: Weins muss mindestens einen Murakami gelesen habe. Solche Zufälle (bezogen auf den Stil) kann es kaum geben. Ein Ich-Erzähler im mittleren Alter sucht verzweifelt seinen Platz in der Gesellschaft und reitet sich, ohne das er es bemerkt, in eine völlig seltsame Geschichte rein. Er trifft geheimnisvolle Frauen und begegnet dem Übernatürlichem. In Lazyboy freundet sich sein gleichnamiger Protagonist sogar mit einem dreizehnjährigem Mädchen an. Der Aufziehvogel lässt grüßen.

Beide Autoren befassen sich mit einem ähnlichen Thema. Die Suche nach der Existenz, der Weg aus der Bedeutungslosigkeit, Einsamkeit, Liebe und die bekannte hauchdünne Grenze zwischen Traum und Realität.

Das solch ein unkonventioneller Stil auch Erfolg haben kann beweist David Mitchell. Mit einer Bibliographie von gerade einmal fünf Romanen zählt der Japanliebhaber mittlerweile zu den erfolgreichsten britischen Autoren der Gegenwart. Sein Roman Der Wolkenatlas (2004) wird aktuell für das Kino adaptiert und soll im Oktober 2012 die Säle Lichtspielhäuser füllen (und mit einem Budget von rund 100 Millionen Dollar nicht gerade ein Schnäppchen).

Bis zum Start von 1Q84 im Oktober möchte ich noch mindestens eines dieser beiden Romane lesen. Die Wahl wird wohl auf den nicht ganz so üppigen Lazyboy fallen.

Wer auf einer ähnlichen Suche ist wie ich, der wird bei den beiden Europäern wohl an der richtigen Adresse sein.


Number9Dream (David Mitchell)
Publikation: 2001 (Sceptre, Großbritannien), 2011 (Rowohlt, Deutschland)

Inhalt (Rowohlt):
Ein junger Mann kommt nach Tokio, um seinen Vater zu suchen, und landet stattdessen in einer berauschend verwirrenden virtuellen Realität, in einem Irrgarten voll rätselhafter Zeichen, wovon eines ein Song von John Lennon mit dem Titel «Number 9 Dream» ist … «Eine wahnsinnige Mischung aus Thriller, Tragödie, Fantasy und Videospiel sowie ein beun­ruhi­­gendes Panorama des modernen Tokio.

Lazyboy (Michael Weins)
Publikation: 2011 (Mairisch, Deutschland)

Inhalt (Mairisch)
Heiner Boie, genannt Lazyboy, geht durch Türen. Doch im Gegensatz zu anderen Leuten bringen sie ihn manchmal nicht in den angrenzenden Raum, sondern ganz woanders hin: Mal an ihm wohlbekannte Orte, mal an Plätze, die er nie zuvor gesehen hat. Zwar kann er das Ganze nicht kontrollieren und fühlt sich eher als Anti-Superheld, findet aber Gefallen an seinen Fähigkeiten.

Bis er bei einem Türensprung die 13-jährige Daphne kennenlernt, die das alles gar nicht beeindruckt: Sie hat in ihrem Keller selbst so eine Tür, die nicht das macht, was sie soll. Lazyboy geht hindurch - aber diesmal kommt er an einen Ort, wo er noch nie war. Und dort geht die Geschichte erst los.

Michael Weins erzählt in Lazyboy mit melancholischem Witz von einem, der erst spät bei sich ankommt - und der dazu eines Wunders bedarf, an das er selbst nicht glauben kann.

Montag, 12. September 2011

Donnerstag, 8. September 2011

Takeshi Kitano Special: Violent Cop




Japan 1989
Originaltitel: Sono otoko, kyobo ni tsuki
Regie: Takeshi Kitano
Darsteller: Takeshi Kitano, Mariko Kawakami, Makoto Ashikawa, Shiro Sano, Sei Hiraizumi
Laufzeit: Circa 103 Minuten
Genre: Unterweltdrama
FSK: 18 (ungeschnitten)

Montag, 5. September 2011

Encore: Noch eine Zugabe für den Aufziehvogel


Eine Rubrik wird sich von Am Meer ist es wärmer verabschieden. Verabschieden werden sich die Kurzgeschichten. Die passen einfach nicht hier her. Längst überfällig, habe ich endlich einen Blog gegründet wo ich diese präsentieren kann. Ich glaube viele Leser werden vermutlich abgeschreckt werden wenn sie solch brutal lange Texte zu sehen bekommen sobald sie meinen Blog aufrufen. Wer also wirklich Interesse am lesen von Kurzgeschichten hat, der kann das fortan auf Typewriting tun.

Nun hoste ich drei Blogs wovon zwei wahrscheinlich von kaum jemanden gelesen werden, und dennoch fühle ich eine entspannte Zufriedenheit. Das hatte ich schon Jahre vor. Es ist so simpel wie einfach. Einen Blog für die eigenen Geschichten entwerfen. Und zumindest an diesen Geschichten mangelt es mir nicht. Was hat sich doch da in den letzten Jahren angesammelt. All das brauchbare möchte ich veröffentlichen. Also werden es circa fünf Geschichten auf meinen neuen Blog schaffen.

Wie dem auch sei. Keine Kurzgeschichten mehr auf Am Meer ist es wärmer. Lediglich die drei bereits veröffentlichten werden bleiben. Ich möchte mich weiterhin auf Rezensionen, News und Das Phänomen des Monats konzentrieren. Sayonara, meine Kurzgeschichten.

Euch auch weiterhin viel Spaß beim stöbern.

Blog: Typewriting- Erase your Head

Freitag, 2. September 2011

Verfilmung: Alles, was wir geben mussten



Großbritannien 2010
Vorlage: Kazuo Ishiguro
Originaltitel: Never let me go
Regie: Mark Romanek nach einem Drehbuch von Alex Garland
Darsteller: Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley
Laufzeit: Circa 105 Minuten
Genre: Moderne Science-Fiction, Arthouse, Drama
Verleih: 20th Century Fox (Cine Project)
Freigabe: FSK 12

Trailer:



Erst kürzlich habe ich Kazuo Ishiguros Roman ausgelesen und habe mich natürlich dementsprechend auf den Film gefreut. "Ich hatte irgendwie ein gutes Gefühl", kann ich nun sagen. Obwohl ich ein wenig enttäuscht von Tran Anh Hung's Verfilmung zu Norwegian Wood war und ich mir eine weitere Literaturverfilmung vorerst ersparen wollte, reizte mich das ganze Projekt zu Alles, was wir geben mussten schon sehr. Zumal ich hörte das Regisseur Mark Romanek der Verfilmung viele eigene Ideen hinzugefügt hätte.

Wie aus dem Nichts schaffte es die Adaption zu Kazuo Ishiguros Roman im letzten Jahr in einige Kinos. Dabei wurde das Arthouse-Drama weder großartig beworben noch wurde es in bekannten Lichtspielhäusern ins Programm aufgenommen. Mit einem Budget von über 15 Millionen Dollar spielte der Film am Box Office jedoch gerade einmal etwas über 9 Millionen ein (von einem Gewinn spricht das Studio wenn ein Film mindestens das doppelte an Produktionskosten am Box Office wieder eingespielt hat). Mit der Heimkino Auswertung kommt der Film nun auf knapp 11 Millionen Dollar und kann daher als kommerzieller Flopp angesehen werden. Und das trotz all der wohlwollenden Resonanz. Woran scheiterte es also? Die Skeptiker kann ich jedoch schon einmal beruhigen. Es liegt weder an Romaneks Interpretation, noch an Garlands Drehbuch und schon gar nicht an die wirklich hervorragenden Schauspieler. Es wird wohl letztendlich die mangelnde Werbung gewesen sein. Zumal ich viel mehr glaube, schaut man sich die Trailer an, dass der Film völlig falsch beworben wurde. Würde ich völlig unwissend sein und den Trailer begutachten, dann würde ich wohl denken das wir es hier mit einem Liebesdrama zu tun haben. Mit viel Kitsch und Tränen. Aber natürlich ist Alles, was wir geben mussten etwas ganz anderes. Obwohl die Verfilmung viel falsch macht bin ich dennoch sehr begeistert. Und wieso das so ist möchte ich im folgenden Text auch erläutern.

Genau wie auch der Roman ist der Film in drei Teile aufgebaut. Die Kindheit auf dem Internat Hailsham, die Zeit in der Wohngemeinschaft bei den Cottages und der letzte Teil, Vollendung. Doch bereits hier gibt es Unterschiede zum Roman. Nicht nur ist Kathy H. in der Verfilmung einige Jahre jünger, erstmals bekommen wir auch Daten zu sehen in welcher Zeitspanne die Geschichte spielt.
Schon bei der Eröffnungssequenz sieht man es der Interpretation von Romanek und Garland an das sie der Vorlage so gerecht wie nur möglich werden wollten. Die Geschichte wird kompakter gestaltet, Kenner des Romans werden sich aber dennoch schnell zurecht finden. Die Macher ergänzen ihre Version dabei immer wieder mit ein paar Details die nicht im Buch erwähnt wurden. Darunter auch die Armbänder und die Scanner die jeden Spender identifizieren. Auch gibt es einiges an neuem Hintergrundwissen welches die Geschichte bereichert (aber auch etwas von Ishigiuros Verschwiegenheit bezüglich jener Details stiehlt).

Die meisten Abstriche musste man in den ersten zwei Teilen hinnehmen. Auch wenn das Setting sorgfältig ausgewählt wurde, Romanek einfach tolle Szenen einfängt, so fehlen mir leider sämtliche Bezüge zu den Charakteren. Besonders leiden musste darunter eigentlich die Freundschaft der drei Freunde. Dazu fehlte mir auch ein wenig die Verbindung zum Titelsong und Namensgeber (der Originalausgabe) Never let me go. Dieser klingt in vollendeter Form absolut super (gesungen von Jane Monheit), wie auch der gesamte, traurige Soundtrack von Rachel Portman, wurde aber für den Film meiner Meinung nach vollkommen verheizt. Im Roman ist der Song ein Schlüsselelement. Praktisch unverzichtbar für die Geschichte. Im Film bekommt er diese Aufmerksamkeit nicht. Ehrlich gesagt ist er sogar nur zweimal zu hören und wird auch kaum weiter erwähnt. Nichteinmal im Abspann wird Never let me go gespielt. Die recht kurze Laufzeit von gerade mal 100 Minuten (Netto) tut dann ihr übliches. Kaum auszudenken was die Produzenten hier erreicht hätten, hätten sie sich für 30 Minuten mehr Laufzeit entschieden.

Auf der anderen Seite muss man aber auch Romanek als Regisseur loben. Er hat nicht nur eine absolut melancholische Atmosphäre geschaffen, man bemerkt an seiner Arbeit auch das er wirklich von Kazuo Ishiguros Vorlage fasziniert war. Seine Liebe zum Detail ist erstaunlich. Und abgerundet wird dies auch durch die jungen Schauspieler. Ob es nun die Jungschauspieler aus dem ersten Teil sind, oder die erfahrenen im späteren Verlauf der Geschichte, sie alle haben mich sehr überzeugt. Carey Mulligan spielt ihre Rolle als Kathy H. absolut überzeugend. Ich mag ihre Interpretation sogar mehr als die Originalversion aus dem Roman. Auch Andrew Garfield (von dem ich an sich einiges halte) hält sich sehr genau an die Vorlage und bringt den leicht schusseligen Tommy brillant rüber. Genau wie der Song im Film untergegangen ist, so musste auch die Rolle der Ruth irgendwie leiden. So wirkt Keira Knightley tatsächlich etwas fehl am Platz. Sie bemüht sich wirklich und sie hat mir auch wirklich gefallen, die Rolle an sich musste im Film jedoch auf so einiges verzichten (besonders was die Erklärungen die ihre Handlungen aus der Vergangenheit rechtfertigen). Umso trauriger und bizarrer war ihr Ende welches sie in der Verfilmung fand. Und da es sich so komplett vom Roman unterschied kann ich auch jetzt schon sagen das es kein versöhnliches Ende mit Ruth gab. Noch immer spuken mir die Bilder von ihrer letzten Spende im Kopf herum. Schon lange hat mich eine Szene nicht mehr so mental mitgenommen das ich noch Tage danach nicht mehr die Bilder aus meinem Kopf bekam.

Im Großen und Ganzen umfasst der Film tatsächlich alle wichtigen Elemente aus dem Roman. An dieser Stelle mussten ja besonders die Adaptionen zu den Harry Potter Romane leiden. Dort fehlten ja teilweise komplette Abschnitte oder sogar auch Charaktere die gar nicht in die Filme eingeführt wurden.
Mit diesen Problemen hat Alles, was wir geben mussten nicht zu kämpfen. Allerdings ist es der Mangel an wichtigen Details die in der Verfilmung fehlen. Und das muss selbstverständlich bestraft werden. Denn all das war zu vermeiden. Ich erwarte nun nicht das alles peinlich genau umgesetzt wird, im Gegenteil, ich mag die Freiheiten sogar die sich der Film nimmt. Aber zum Verständnis gehören einfach gewisse Details aus dem Roman die einfach Pflicht waren in die Verfilmung aufgenommen zu werden. So kann ich mir vorstellen das die Nichtkenner des Romans sich auch teilweise im Bezug auf die Handlung verloren vorkommen werden. Denn so wirklich schlüssig wird die Geschichte eigentlich nicht. Man hat zwar das beste aus den 100 Minuten gemacht, für einen solchen Roman reicht diese Spieldauer allerdings nicht.

Trotz all dieser barschen Kritik konnte ich mich aber dennoch mit dem Film versöhnlich stimmen. Es ist ein melancholisches Arthouse-Drama, wunderschön gefilmt. Es gibt überzeugende Darsteller und eine sehr befremdliche Geschichte die einen über den ganzen Film packt. Dazu kommt noch ein sehr verträumter Soundtrack der all die verschiedenen Abschnitte im Film nahezu perfekt untermalt. Und  genau darin punktet Alles, was wir geben mussten. Zusammengerechnet unterliegen die Contras damit den Pros. Aber jeder der Ishiguros Roman gelesen hat wird sich auch bei dieser Adaption über das verschenkte Potential beschweren. Und ich kann es niemandem verübeln wenn er dies dann auch wirklich tut.

Fazit:

Alles, was wir geben mussten macht zwar immer noch viel falsch, aber dafür auch umso mehr richtig als so manch andere Verfilmungen bekannter Bestseller. Eine tolle Regie, ein überzeugendes Drehbuch gepaart mit klasse Darstellern, Liebe zum Detail und ein herausragender Soundtrack machen die Verfilmung des dystopischen Romans von Kazuo Ishiguro zu einem sehenswerten Geheimtipp. Besonders die letzte Szene stimmte mich in eine solch melancholische Stimmung das ich auch nach dem Abspann noch völlig mitgerissen von den gezeigten Bildern war.  

Alles, was wir geben mussten ist ein trauriges Drama. Ein Happy End ist Lichtjahre entfernt. Oder liegt vielleicht genau dieser Punkt im Auge des jeweiligen Betrachters? Ist vielleicht die Vollendung die Erlösung und stellt somit das Happy End dar? Ist nur der Tod die einzig plausible Erlösung für Kathy und ihre Freunde? Wie auch immer. Darüber kann man nun philosophieren wenn man mag. Wer nun Lust auf den Film bekommen hat sollte aber vielleicht dennoch vorher den Roman lesen. Beide Werke ergänzen sich. Und man bekommt am Ende einen ziemlich genauen Einblick in diese Zukunft die hoffentlich auf immer nur Fiktion bleiben wird. Und obwohl ich so viele kleine Details im Film vermisst habe, das Team um Romanek hat eine wundervolle Arbeit abgeliefert.

Wertung
8 von 10 Punkte


Anhang:

Donnerstag, 1. September 2011

Kannibalismus unter Fischen: Fishbowl Wonderland: Kapitel 2.2

Kannibalismus unter Fischen: Fishbowl Wonderland: Kapitel 2.2: Fortsetzung: Kapitel 2 Fishbowl Wonderland Von was für eine Freundin Kitamura hier wohl sprach? Ich hatte absolut keine Ahnung das ich...

Eine Gruselgeschichte: Kirschblüten im Winter Teil 3 (Finale)


Teil 3: Dream On


3.

Ich befinde mich auf einem riesigen Feld. Wo bin ich? Es ist nicht der übliche Platz an dem ich mich sonst immer befand. Kein Kirschblütenbaum. Kein Schnee. Kein Hügel. Ich befinde mich auf einer riesigen Ebene. Und so weit ich schauen kann ist lediglich das Haus geblieben. Der Boden unter mir fühlt sich an wie.... Acker? Er ist völlig ruiniert. Ohne den Schnee wirkt nun alles noch finsterer. Der Himmel schaut irgendwie gelblich aus. Als ob sich die Wolken mit giftigen Chemikalien vollgesogen hätten. Ich fühle mich wieder so allein und hilflos. Eine bereits betrübliche Landschaft musste nun einer weichen die noch viel monotoner und einsamer ist. Ich realisiere erstmals das ich Träume. Oder habe ich die nächste Grenze überschritten? Bin ich in einer alternativen Realität gelandet? Ich darf mir darüber keine Gedanken machen. Nicht in diesem Moment. Ich muss mich erst einmal ordnen.

Tatsächlich ist nur die Hütte in Sichtweise. Diese sieht jedoch komplett anders aus als in allen anderen Träumen zuvor. Von weitem sieht es aus als seien die Wände blutrot bestrichen. Eine Farbe die aussieht wie frisches Blut. Ich wage es dennoch mich der Hütte zu nähern. Doch ich bewege mich als hätte ich Kiloschwere Gewichte an meinen Beinen befestigt. Ich bemerke jedoch keine Erschöpfung. Ein Indikator dafür das ich immer noch träume. Plötzlich sehe ich jedoch das sich in der Ferne etwas tut. Die Tür geht auf. Und obwohl ich dem Haus noch längst nicht nahe gekommen bin erblicken meine Augen eine junge Frau. Unheimlich steht sie da und hält die Tür der Hütte auf. Als ob sie mich längst erwarte. Nun beginnt sie zu winken. Sie winkt mich zu sich herüber. Es ist ein freundliches winken das aber kaum bedrohlicher wirken könnte. Es mag widersprüchlich klingen, ja, aber etwas unheilvolles schwingt in ihrer Armbewegung mit. Doch aus dieser Entfernung kann ich die Frau nicht erkennen. Ihr Gesicht, nein, ihre ganze Gestalt ist nicht zu identifizieren. Und dazu kommt es mir vor als würde ich mich immer langsamer fortbewegen. Ich erkenne das die Person vor die Tür wieder ihr Heim betritt und die Tür hinter sich schließt.

Langsamen Schrittes habe ich endlich die Hütte erreicht. Wurde es vielleicht wirklich mit Blut bestrichen? Ich möchte es ehrlich gesagt auch nicht so genau wissen. Die Tür jedoch hat sich verändert. Hat sich das Haus bis auf seinen Anstrich optisch kaum verändert, so musste jedoch etwas vertrauliches weichen. Die große Eisentür wurde anscheinend durch eine Holztür ähnlicher Größe ersetzt. Eine rostige Klinke ist mein letztes Hindernis. Ich schließe im vollen Bewusstsein meines Verstandes meine Augen, strecke meinen rechten Arm aus, forme mit meiner Hand eine Greifbewegung und drücke diese Klinke herunter.

Noch mit geschlossenen Augen bewegen sich meine Beine vorwärts, treten in die muffige Hütten ein und ohne das ich sehe was vor mir liegt rutsche ich auf einer klebrigen Masse aus. Ich lege mich furchtbar aufs Maul. Ich pralle mit meinem Kinn auf den Holzboden und spüre den Schmerz der gerade meinen Körper durchfährt. Schnell öffne ich die Augen um meine Umgebung zu begutachten. Es ist die Küche. Ein Geruch von vergammeltem Fleisch und Blut steigt mir in die Nase. Was zur Hölle.... Blut? Der ganze Boden ist voll damit. Und als ob jemand einen Eintopf kocht wurde die ganze Sauerei auf dem Boden noch mit Eingeweiden geschmückt. Ein Würgereiz überkommt mich und ich kann mich nicht mehr halten. Ich muss erbrechen. Der Gestank ist unerträglich. Was kann hier nur vorgefallen sein?
Fest steht nur das ich schnellstens aus diesem Raum raus muss. Nein! Ich muss diese Hütte verlassen. Dies ist längst kein Traum mehr. Ich bin in der Hölle gelandet. Und sie ist fürchterlicher und realer als Dante sie je beschreiben konnte.

Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura
che la diritta via smarrita

Doch dort wo einst die Tür war, befindet sich nur noch eine Wand aus Beton. Ich muss mich ins nächste Zimmer begeben. Aber ich muss mich vorsichtig fortbewegen, ich könnte erneut auf dem Gekröse ausrutschen.

Ich flüchte zur nächsten, geschlossenen Tür, die ebenfalls aus Holz besteht. Es muss der Eingang zum Wohnzimmer sein. Hastig greife ich erneut zu einer Türklinke und trete in den Raum ein. Wie erwartet. Es ist das urige Wohnzimmer mit dem einsamen Radio auf dem kleinen, runden Tisch. Aber etwas ist anders. Hier ist es viel zu finster. Erneut überrascht mich ein modriger Geruch.

Und er riss... Eingeweide... und musste erbrechen...

Was...? Das Radio! Ich erschrecke mich fürchterlich. Wer tut mir nur so etwas an? Ich will hier raus!

Willkommen zurück auf eine letzte, verfickte Runde Night Drive mit Sally. An all die Schwanzlutscher da draußen die gerne eine Leiche in ihrem Waschbecken zerlegen; hier ein allerletzter Song für diese Nacht: Dream On, in der Interpretation von Kelly Sweet.
Bleibt immer schön Indie. Und habt eine Gute Nacht.

Ein Klatschen ertönt aus der hintersten Ecke. Es muss die Frau sein die mir zugewunken hat. Ich sehe das sich eine schmächtige Person aufrichtet und in der Dunkelheit langsam auf mich zukommt.

>>Du hast aber lange gebraucht. Hör mal, sie spielen unseren Song<<, flüstert mir ihre liebliche Stimme zu. Eine Stimme so warm und zart das ihr Gesang vermutlich Eis zum schmilzen bringen könnte. Vielleicht war es ihre Stimme wodurch der ganze Schnee draußen geschmolzen ist.

Mit einer geschickten Handbewegung greift sie nach etwas was sich über ihren Kopf befindet. "Klick". Und schon ist der Raum beleuchtet. Und nun sehe ich endlich wer vor mir steht. Nun erkenne ich sie. Und erneut könnte ich erbrechen.

<<Großer Gott. Irina. Wie ist das möglich?<<

Ich blicke in ihr makellos hübsches Gesicht. Ihre schulterlangen dunklen Haare sehen etwas zerzaust aus, doch die etwas wildere Frisur steht ihr gut. Sie ist elegant gekleidet. Eine hellblaue Bluse, ein weißes Top und ein enger Rock. Als ob sie zu einem wichtigen Termin erscheinen müsse. Ihre rosafarbenen Lippen werden von einem heiteren Lächeln umspielt. Es überkommt mich eine Sehnsucht die mir Tränen in die Augen jagt. Eine unerfüllte Sehnsucht sie endlich wieder in meine Arme zu schließen. Irina steht vor mir. Und genau ihre Anwesenheit ist der endgültige Beweis das auch dieses Szenario immer noch ein Traum ist. Denn tote können einem letztendlich doch nur in Träumen begegnen.

Irina bewegt sich sanften Schrittes dem Radio zu und stellt es leiser. Man könnte ihre Bewegungen auch mit einem Gleiten vergleichen.

<<Wie lange ist das nun her? Ich glaube wir haben uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Wie geht es dir? Hast du etwa Angst?>>

Nun steht sie direkt vor mir. Ich kann ihr in die Augen schauen. Diese bildhübschen, braunen Augen. Ich muss mich beherrschen. Ich schlucke. Muss meine nächsten Worte mit Bedacht wählen.

<<Das ist nicht möglich, Irina. Du bist nichts weiter als eine Illusion. Ich habe aufgehört mit Illusionen zu sprechen.>>

Bei diesen Worten kommen mir die Tränen. Irina ist vor einem Jahr verschwunden. Und langsam komme ich dahinter.... Erst als die Polizei ihre Leiche fand, ich Gewissheit hatte das sie nie zurückkehren wird, begannen diese fürchterlichen Träume.Habe ich etwa versucht diese Ereignisse zu verdrängen?
Wir wollten uns verloben. Ich habe sie nur einmal aus den Augen gelassen. Sie war eingeladen auf der Geburtstagsfeier einer Freundin. Doch sie kehrte einfach nicht Heim. All die Suche war vergeblich. Sie war vom Erdboden verschluckt worden. Eine andere Erklärung gab es nicht. Doch im Juni besuchte mich die Polizei.

Irina streicht mir über meine rechte Wange. Ihre wärme ist spürbar. Es ist als würde sie aus Fleisch und Blut bestehen.

<<Na los. Verlassen wir diese düstere Hütte. Da draußen ist ein herrlich schöner Garten. Spazieren wir etwas. Dann können wir uns etwas ausgiebiger unterhalten.>>

Mit einer Handbewegung weist sie zu einer weiteren Tür am Ende des Raums. War die auch in meinen letzten Exkursionen in dieser Hütte da? Moment, dort wo die Tür ist saß doch beim letzten mal noch der alte Mann mit dem seltsamen Gesicht in seinem Schaukelstuhl.

Sie berührt sanft meine Schulter. Als wollte sie mich aus einem Tagtraum aufwecken. Noch immer läuft Dream on leise im Hintergrund.
Sie greift meine Recht Hand und als ob sie einer alten Dame über die Straße hilft führt sie mich. So ähnlich muss sich Dante gefühlt haben als ihn Vergil durch die Höllenkreise geführt hat. Noch immer völlig verdutzt folge ich ihr.
An der Tür angekommen, schiebt Irina die morsche, aber stabile Holztür mit ihrer noch freien Hand auf. Je weiter die Tür aufgeht umso mehr grelle Sonnenstrahlen fallen in die düstere Hütte. Zum ersten mal wird diese finstere Welt mit Licht erfüllt.
Meine Augen sind geblendet von dem Licht und es fällt mir schwer meine Umgebung optisch wahrzunehmen. Mit jedem Schritt wird die Sicht jedoch klarer. Die ganze Anspannung, der ganze Horror fällt von meiner Seele. Das ist nicht Eden, das Purgatorium oder der Himmel. Es ist eine andere Dimension. Eine Dimension fernab eines Traumes. Es muss eine weitere Grenze sein die ich überschritten habe. Vor mir baut sich ein harmonischer Garten auf der sich weit erstreckt und wo am Ende ein Pavillon im chinesischen Stil auf einen wartet. Irina führt mich über einen Weg der bebaut mit Marmorfliesen ist. Und soweit das Auge reicht, als ob sie uns beschützen wollen, stehen Links und Rechts von uns blühende Kirschblüten Bäume. Mit jedem milden Windhauch werden rosafarbene Kirschblüten zu uns geweht. Es ist ein Anblick der mit Worten nicht zu beschreiben ist.

Meine Gedanken sammeln sich wieder während mich eine schweigende Irina über den Marmorweg führt. Es war Mitte Juni als eines Nachmittags zwei Leute der Kriminalpolizei vor meiner Tür standen. Sie überbrachten mir die Mitteilung das ein anonymer Hinweis auf den Verbleib von Irina eingegangen sei. Dieser Hinweis stelle sich als 100% Korrekt raus. Der Anruf konnte nicht zurückverfolgt werden. Jedoch gehe man davon aus das der Täter selbst diesen Hinweis aufgegeben hat. Die Beschreibung war so präzise genau das kein Außenstehender der nicht persönlich dabei war (was in gleichzeitig zu einem Mittäter machen würde) solch eine Angabe abgeben könnte. Die beiden Beamten erklärten mir den Sachverhalt ganz genau. Irina wurde ermordet. Nein... es war kein Mord. Sie wurde regelrecht geschlachtet. Beinah all ihre Körperteile wurden abgetrennt. Jedes einzelne Körperteil wurde sorgsam vergraben. Ihre Organe und Eingeweide wurden an einem anderen Ort aufbewahrt. Welch kranker Bastard ist zu so etwas fähig? So verständnisvoll es mir die Beamten auch erklärten, ich musste mich übergeben. Als ich mich übergab, erbrach ich wohl auch all meine Erinnerungen an diesen Tag von vor zwei Monaten. Meine Erinnerung was praktisch gelöscht. Nur jetzt, in den Tiefen meines Unterbewusstseins, erlange ich die Erinnerung wieder. Irina wurde ermordet. Das hier muss ihre Werk sein.

Ihre Hand drückt fest zu. Erneut reißt sie mich aus meinen Gedanken. Wir haben den gemütlichen Pavillon erreicht. Von dort aus hat man einen perfekten Ausblick auf den ganzen Garten. Die finstere Hütte ist nur noch von weit weg aus zu sehen.

Irina deutet mir mit einer Handbewegung das ich mich auf einen der bequemen Sessel setzen soll. Ich befolge ihre Anweisung und setze mich. Sie tut es mir gleich. Im Wind wehen ihre Haare. Verdecken teilweise ihr Gesicht. Doch ich entdecke erneut ein Lächeln auf ihren Lippen. Ja, ihre vollen Lippen sind ganz deutlich zu erkennen. Es ist völlig ruhig. Lediglich der Wind ist zu hören.

<<Sag, möchtest du Musik hören? Das vorhin war doch unser Lieblingssong. Erinnerst du dich noch?>>

Mit einem Kopfschütteln verneine ich. Ich möchte keine Musik hören. Ich möchte nichts hören was die absolute Reinheit dieser Szenerie ruinieren könnte. Der Wind spielt bereits seine eigene Melodie.

<<Ja, ich erinnere mich.... aber so oft haben wir den doch gar nicht gehört. Bitte, erzähl mir warum wir hier sind. Wo bin ich? Ist das ein Traum? Oder vielleicht doch eine alternative Realität? Oder bist du es die mich all diese Träume heimsuchte>>, sage ich zu ihr und klang dabei ein wenig hilflos. Doch sie begann zu kichern. Es war ein süßes kichern. Als ob sie damit nur meine Hilflosigkeit bestätigte.

<<Du scheinst mir ein bisschen unbeholfen, Schatz. Kannst du dich denn nicht einfach freuen mich wiederzusehen?>>

<<Schon... aber du bist nicht echt. Das ist unmöglich. Bin ich etwa auch... tot?>>

Erneut kichert sie. Erstmals erblicke ich genau ihren Hals. Er wird von einer riesigen Narbe umspielt. Diese Narbe zieht sich vom Hals bis rund um ihren Nacken. Welch ein Anblick. Als ob der Kopf wieder angenäht wurde.

<<Wenn du denkst das diese Welt hier ein Traum ist, nun, dann bestätigt das sehr wohl meine Anwesenheit. Wenn sich diese Welt nach deinem Befinden verändert, könnte sie, labil wie du momentan bist, schon gleich wieder zusammenfallen. Glaubst du denn, hinter diesem Pavillon befindet sich noch eine weitere Welt?>>

Ich muss über ihre Worte nachdenken. Doch ich komme einfach nicht auf des Rätsels Lösung. Ich möchte mit Irina einfach nur zusammen sein. Aber viel zu viele Fragen lassen mir keine Ruhe. Ich brauche zuerst antworten.

<<Erkläre mir, was hat es mit dieser Welt hier auf sich? Was hat der riesige Kirschblütenbaum zu bedeuten? Wen sollen die alte Frau und ihr Ehemann im Schaukelstuhl darstellen? Wieso quälen mich diese Alpträume so sehr?>>

Irina scheint jedoch aufgeklärt zu sein. Meine Fragen scheinen sie nicht zu wundern.

<<Schatz... deine Erinnerungen sind doch mehr in Mitleidenschaft gezogen worden als ich annahm. All diese Leute und Schauplätze dienen doch nur dazu dir deine Erinnerungen wiederzubringen. Aber ich dachte der Baum alleine würde schon eine große Hilfe sein.>>

Ich schaue sie verwirrt an. Ihre Stimme. Genau so mädchenhaft wie ich sie in Erinnerung hatte. Doch was sie da gerade sagte, all das ergibt für mich keinen Sinn.

<<Hm... wie soll ich es dir erklären. Unter diesem Kirschblütenbaum haben wir damals, kitschig wie wir waren, unsere Liebe besiegelt. Und es war der gleiche Kirschblütenbaum an dem du mich begraben hast. Viel mehr waren es meine Einzelteile. Sorgfältig hast du sie alle vergraben. Du hast mich ausgenommen bis nichts mehr von mir übrig blieb. Und das was übrig blieb konnte man kaum noch einen Menschen zuordnen. Na, macht es Klick, Schatz?>>

Ein warmes lächeln geht von ihr aus. Ihre Worte treffen mich jedoch wie Betonklötze. Das ist nicht wahr. Eine Verleumdung. Ein Hirngespinst welches mir mein Traum vorgaukelt.

<<Rede doch keinen Unsinn. Was sagst du da, Irina?>>, stammle ich diese gerade ausgesprochenen Worte ein wenig pathetisch dahin.

<<Nein. Es ist die Wahrheit. Ich habe dich nie belogen. Ich habe dich nie mit jemand anderen betrogen. Und ich war so ehrlich zu dir wie es eine Frau zu ihrem Freund nur sein konnte. Ich wollte mich nicht verloben mit dir, geschweige heiraten. Wir sind viel zu jung. Da, schau... in dieser Hütte dort ist es geschehen. Hast mich erschlagen und anschließend auseinandergenommen. Und danach hast du einen Ausflug gemacht. Zu diesem kleinen Hügel. Dort wo der Kirschblütenbaum steht. Hast Löcher gebuddelt und jeden Knochen deiner Freundin begraben. In deinem Wahn hast du der Polizei dann Monate später einen anonymen Hinweis gegeben. Zumindest scheint dich dein Verstand nun so weit gebracht zu haben das du dieses Schicksal akzeptierst, es zulässt.>>

Bulllshit! Diese Schlampe da vor mir ist nicht Irina. Es ist eine Hexe. Sie lügt. Wieso sollte ich Irina ermorden und auf bestialische Art zerstückeln und ihre Einzelteile vergraben?

<<Lüge! Ich habe dich geliebt Irina. Du weißt das ich so etwas wahnsinniges nicht tun würde. Was sollte der Grund sein? Weil du die Verlobung abgelehnt hast? Soll das der Grund sein? Kennst du mich nach 5 Jahren denn so schlecht? Nenne mir einen Grund. Einen plausiblen Grund der diese Tat rechtfertigt.>>

<<Es gibt keine Gründe<<, sagt sie ganz gelassen und schaut verträumt in die Ferne.
<<Wie kann dir eine Tote denn irgendwelche Gründe oder Motive für deine Tat nennen? Und du scheinst es ja auch nicht mehr zu wissen. Streitest es ab. Vielleicht hat dir einmal etwas nicht gepasst. Hast zu lange Enttäuschungen oder Wut in dich hineingefressen. Ja, ein einziges mal hat es dir nicht gepasst eine weitere Enttäuschung hinnehmen zu müssen. Danach hast du dann die Kontrolle verloren. Es muss nicht immer für alles eine Erklärung geben. Deine dämonischen Albträume sind lediglich auf dein Unterbewusstsein zurückzuführen. Und nein, es ist bestimmt nicht die Schuld die dich Heimsucht. Das du mich ermordet hast, hast du längst verdrängt. Diese finstere Welt hier... sie spiegelt lediglich deinen wahren Charakter wieder. Nun wirst du fortan immer und immer wieder diese Qualen erleiden müssen.>>

Unweigerlich muss ich wie wild anfangen zu lachen. Ich erschrecke mich. Es ist ein wahnsinniges Lachen. Ich lache wie jemand der seinen Verstand verloren hat. Allerdings ist es so das ich mich dabei beobachte wie diese Person, dieses fremde Ich, dort im Sessel sitzend, so geisteskrank lacht. Vor seiner Freundin die er über alles liebte. Und die sich nun in ihren Worten bestätigt fühlt. Kirschblüten im Winter. Die verfolgen mich doch schon länger. Was rede ich da... sie verfolgen mich bereits mein ganzes Leben.

Mein Ich auf dem Sessel entspannt sich wieder. Sieht nachdenklich aus.

<<Everytime I look in the mirror. All these Lines on my face getting clearer...>> summt es vor sich hin.
<<...The past is gone. It went by, like dust to dawn. Isn‘t that the way everybody‘s got their dues in life to pay>>, komplettiert sie das gesumme. <<Bereust du es wie alles gekommen ist? Auch wenn du vielleicht nicht "Du" in diesem Moment warst. Du kannst es nicht rückgängig machen. Dream on until your dreams come true..Schau, das alles ist nur ein Trugbild.>>

Mit ihrem rechten Arm zeigt sie zur Hütte. Ich finde wieder zu mir selbst und nehme nun eine grässliche Kälte wahr. Die Haut blättert ab von ihrem Arm. Sie bröckelt immer weiter. Der Himmel färbt sich blutrot. Die Kirschblütenbäume verwittern und der ganze Schauplatz verwandelt sich in einen grausigen Ort. Aus jeder Ecke ist ein qualvolles Stöhnen zu hören. Es gibt kein zurück mehr. Die Person die einst Irina war zerfällt nun immer mehr in ihre Einzelteile. Ich schaue mir das Spektakel an wie auch alles andere hier in seine Einzelteile zerfällt. Mein Blick fällt auf die Hütte. Fünf Wesen, bis an die Zähne mit Beilen und Tranchiermesser bewaffnet durchschreiten die morsche Holztür und kommen auf mich zu. Nun muss ich mich vermutlich vor diesem Höllengericht verantworten. Doch wovor muss ich mich verantworten? Ich bin mir doch gar keiner Schuld bewusst. Sollte es wirklich stimmen was Irina zu mir sagte? Habe ich sie ermordet? Aber wann hat sich das alles abgespielt? Und wie bin ich so einfach mit all diesen Gräueltaten davongekommen? Jedoch muss ich an mein wahnsinniges Lachen zurück denken. Vermutlich habe ich ja wirklich den Verstand verloren. Die Geschichte ergibt doch gar keinen Sinn. Jetzt fürchte ich mich schon vor mir selbst.

Die fünf Henker, oder Schlächter, was immer sie auch darstellen sollen, haben den nun völlig verwitterten Pavillon erreicht. Ich blicke in ihre furchteinflößenden, unmenschlichen Fratzen. Klammere mich an meinem Sessel. Wie ein kleiner Junge der beim Zahnarzt sitzt und Angst hat wenn der Bohrer sich den beschädigten Zähnen nähert. Ihre Geräusche jagen mir eine höllische Angst ein. Gleich wird es vorbei sein. Jeweils zwei von ihnen packen einen Arm von mir. So kräftig das es sich anfühlt als würden sie mir die die beiden Gliedmaßen herausreißen. Ein dritter stellt sich hinter mir, packt meine Haare und zieht meinen Kopf nach hinten. Dabei streichelt er mit seinen Krallen meine Kehle. Die anderen beiden schärfen ein letztes mal ihre Klingen. Ich atme panisch. Komme nicht mit mir ins Reine. Eine Geschichte ohne Auflösung. Traum oder nicht Traum? Wie konnte es nur so weit kommen. Ein letzter Blick in Richtung Hütte. Langsam beginnen die Henker an mir herum zu sägen und hacken. Ich spüre die Tortur. Es sind schmerzen die nicht von dieser Welt sind. Noch einmal öffnet jemand diese verdammte Tür. Es ist die alte Frau. Mit ihrer riesigen Brille, als wäre es ein Fernglas, blickt sie noch einmal in meine Richtung. Sie winkt mir zu. Sie lacht freundlich und winkt mir zu. Als würde eine Oma ihrem kleinen Enkel, der völlig verängstigt auf dem Behandlungsstuhl des Zahnarztes sitzt, die Hand halten. Alles wird gut, sagt sie immer wieder. Doch nichts wird gut. Ich werde zerfleischt. Tranchiert. Und die Hölle hat diesen wunderschönen Garten in einen Ort der Verzweiflung verwandelt. Ja, um die Kirschblütenbäume tut es mir echt leid. Es sind ehrlich gesagt die Bäume die mir am meisten leid tun.

Ich wünsche mir so sehr einfach aufzuwachen. Wir alle hatten doch schon einmal solche Alpträume. Ein so schlimmer Alptraum wo dem träumenden ein Mord vorgeworfen wird. Wo er sich in einer Lage ohne Auswegs befindet. Der träumende hält alles für die Realität. Doch je absurder es wird, desto klarer wird die Situation für ihn. Und irgendwann wacht man auf.
Aber ich wache nicht mehr auf. Nein. Ich nehme sogar jeden Schmerz wahr. Hilfe! Bitte, irgendwer. Erlöst mich aus dieser Qual. Doch von irgendwo weit her höre ich lediglich eine Stimme. Eine engelsgleiche Stimme die immer wieder Dream On sagt. Es ist viel mehr ein Gesang. Beinahe tröstlich. Irina? Es tut mir leid. Vielleicht wirst du mir irgendwann verzeihen können. Allerdings scheint Versöhnung für mich kein Thema mehr zu sein. Lebe Wohl, Reailität.


Epilog:

Willkommen zurück zum Nightdrive hier auf Indie 19.87. Die heutige Nacht ist unglaublich mild. Irgendwie weht der Wind ein Hauch Melancholie durch die vier Himmelsrichtungen. Ich fühle mich als wäre ich aus einem langen, traurigen Traum erwacht. Kann mich nicht entscheiden ob ich Trauer oder Sehnsucht empfinden soll.
Keine Bange. Ihr befindet euch nicht auf Philosophie 19.87. Hier geht es immer noch um Musik. Es wird mal wieder Zeit für einen Wunsch. Und dieser Song passt einfach perfekt zu meiner Stimmung. Irina wünscht sich Dream On in der Interpretation von Kelly Sweet. Es ist wahrlich ein schönes Cover. Aerosmith können sich wirklich glücklich schätzen. Irina wollte mit dem Song eine ganz spezielle Person grüßen. Aber bevor ich sie nach einem Namen fragen konnte hatte sie leider schon aufgelegt. Ich hoffe bei dir ist alles in Ordnung Irina? Deine Stimme war echt der Hammer.
Dann Schlaf mal gut, du geheimnisvolle Lady. Die Nacht ist nämlich wie immer nur einen Riff vom nächsten Morgen entfernt.


Ende