Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 17. Dezember 2018

Am Meer ist es wärmer 2018: Die Top 3 (Literatur)





Ich breche mit Traditionen und möchte zum Jahresende erstmals eine Top 3 von Titeln veröffentlichen, die mir besonders gut gefallen haben. Denn anders als das für mich schwache Filmjahr 2018, hatte die Literatur einiges zu bieten. Für eine Top 5 hätte es auch noch gereicht, nein, es wäre nur gerecht gewesen, aber ein wenig schwieriger wollte ich mir die Entscheidung schon machen.

Dass meine Wahl so asiatisch angehaucht ist, mag den ein oder anderen Leser von "Am Meer ist es wärmer" nicht wundern, mein Blog legt immerhin den Schwerpunkt auf asiatische Literatur. Allerdings gab es hier eine sehr knappe Entscheidung zwischen "Die Maske" von Fuminori Nakamura und "Der Abgrund" von Dennis Lehane. Beide Werke haben mich durch ihre Spannung und Unberechenbarkeit ans Buch gefesselt. Am Ende fiel die Wahl auf Fuminori Nakamura, der bereits zuvor mit "Der Dieb" einen außergewöhnlich rauen, spannenden und schonungslosen Roman verfasst hat, der mich auch noch eine ganze weile nach dem lesen der letzten Seite beschäftigen sollte.

Anhand meines Titelbildes kann man meine Top 3 schon vorher sehen, was ich bewusst so gewählt habe. Jeden dieser Titel kann man sich als Fan anspruchsvoller Werke bedenkenlos zulegen. Wer aber etwas mehr Zeit hat und meine kurze Begründung zu jedem Titel mal lesen möchte, der hat natürlich nun die Gelegenheit dazu!

Qualifiziert waren Bücher, die 2018 als Erstveröffentlichung in Deutschland erschienen sind.



Die Reihenfolge ist nach dem Erscheinungsdatum der Rezensionen sortiert. Die jeweiligen Links verweisen ausschließlich auf Einträge, die auf "Am Meer ist es wärmer" veröffentlicht wurden, ihr verlasst nicht den Blog und werdet somit nicht auf externe Websites weitergeleitet.



Haruki Murakami - Die Ermordung des Commendatore (Gesamtwerk)



Autor: Haruki Murakami
Verlag: DuMont Buchverlag
Rezensionen: Teil 1Teil 2


Mein Jahr startete dieses Jahr mit Haruki Murakamis Zweiteiler "Die Ermordung des Commendatore".  Auch wenn Murakami ungewöhnlich viele kontroverse Themen in beiden Bänden anschneidet, so bleibt auch seine typische Lockerheit nicht auf der Strecke. Etwas, was Murakami bei seinen letzten beiden Romanen "1Q84" und "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" etwas verloren gegangen ist. Der Japaner bezeichnete seinen neuen Zweiteiler selbst als "Eine seltsame Geschichte". Und unrecht hatte er damit nicht. In "Die Ermordung des Commendatore" geschehen am laufenden Bande seltsame Dinge. Ebenfalls wieder etwas, was mich an frühere Werke des Autors erinnerte und ich sehr zu schätzen weiß. Die Geschichte am Ende richtig einordnen zu können hat mich einige Zeit gekostet, aber noch einmal durch Murakamis engen und unheimlichen Kaninchenbau zu marschieren war mir eine Freude. Nicht nur für Freunde der japanischen Literatur ein Muss, auch die Surrealisten werden hier auf ihre Kosten kommen.



Fuminori Nakamura - Die Maske




Autor: Fuminori Nakamura
Verlag: Diogenes
Rezension: Link


Fuminori Nakamura hat meinen Geschmack getroffen. Seine Geschichten sind pessimistisch und nicht gerade die beste Medizin, eine traurige Person aufzuheitern. Aber wenn dieser Pessimismus mit einem fantastischen Schreibstil kombiniert wird, dann entsteht etwas großartiges daraus. Stilistisch orientiert sich der Japaner an große Schriftsteller wie Dostojewski, hat es aber geschafft, seinen eigenen Stil zu etablieren. "Die Maske" ist ein geniales Verwirrspiel, das viel mehr an ein Theaterstück erinnert und wirklich erst dann beendet ist, wenn der letzte Vorhang fällt. Ein Roman, den man nach dem kryptischen Prolog nicht mehr aus der Hand legen wird. Man kann nur hoffen, dass beide Romane von Nakamura erfolgreich genug waren, um noch weiteren Werken des Autors den Weg in die deutsche Übersetzung zu ebnen.




Cixin Liu - Weltenzerstörer




Autor: Cixin Liu
Verlag: Heyne
Rezension: Link

Eine Entscheidung, die mir ebenfalls nicht leicht gefallen ist. Denn bei meiner Wahl trat Cixin Liu gegen sich selbst an. Einmal mit "Der dunkle Wald", Teil 2 seiner Trisolaris-Trilogie und einmal mit "Weltenzerstörer", einer kompakten Novelle aus der Anthologie "Die wandernde Erde", die der Heyne Verlag vor dem erscheinen der Anthologie im Januar 2019 als Einzelband veröffentlicht hat. Obwohl Chinas Science-Fiction Autor Nr. 1 mit "Der dunkle Wald" eine herausragende Fortsetzung geschrieben hat, so ist es aber am Ende "Weltenzerstörer" gewesen,  die Novelle, die mich noch etwas mehr begeistert hat und mich nach dem lesen noch lange nachdenklich zurückgelassen hat. Hinter der vergleichsweise kurzen Geschichte (im Vergleich zu "Die drei Sonnen" oder "Der dunkle Wald") steckt eine nahezu unberechenbare Wucht. Was als gewöhnliche Science-Fiction Geschichte beginnt, endet in einem epischen wie melancholischen Showdown, der das Ende der Menschheit besiegeln könnte. Eine Geschichte, die mich zutiefst begeistert und aufgewühlt hat und ich mich erneut vor Cixin Lius Gedankenwelt verneigen musste. Bedenkt man dabei noch, dass es sich hier um ein Frühwerk des Autors handelt, so kann man die Qualität dieser Novelle gar nicht hoch genug einschätzen.

Montag, 10. Dezember 2018

Rezension: Erhebung (Stephen King)






USA 2018

Erhebung
Originaltitel: Elevation
Autor: Stephen King
Verlag: Heyne
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
Genre: Novelle, Fantasy, Mystery


Stephen King bezeichnet seine Story "Erhebung" eindeutig als eine Novelle. Wie könnte es auch anders sein. Mit rund 150 Seiten ein Leichtgewicht. Auch wenn es hier nicht wenige Autoren gibt, die ihre ganze Karriere zwischen 150-200 Seiten pro Roman schreiben und diesen auch so vermarkten. Bei Stephen King ist diese Seitenanzahl beinahe schon vom Format Kurzgeschichte anzusiedeln. Die Verlage, die "Erhebung" publizieren, publizieren diese Novelle jedoch als Roman. Wieso die Verlage diesen Weg gehen, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, einen Roman wesentlich attraktiver vermarkten zu können. Denn, noch immer haben Kurzgeschichten oder die etwas längeren Novellen ein etwas schweres Standing unter westlichen Lesern.

Aber ob Erhebung nun eine Novelle oder ein Roman ist spielt keine Rolle. Was Stephen King bewiesen hat, er ist auch in kürzerer Prosa mal wieder erstaunlich gut. "Mal wieder" sage ich dabei aus gutem Grunde: King ist für mich besonders stark, wenn er es etwas kürzer angeht. Erhebung reiht sich für mich nahtlos in diese Kategorie ein. Bei unter 200 Seiten schafft es King, ohne sich dabei neu zu erfinden, eine Geschichte mit einem besonderen Konzept zu präsentieren. Diese Geschichte besitzt eigentlich auch alle Essenzen, die Kings großen Romanen anhaftet. Unglaublich aber wahr, so besitzt die Geschichte einen Anfang, ein Mittelteil und ein Ende. Jedoch kommt King hier wesentlich schneller zu Punkt. Ich bin mir dabei sogar sicher, wenn er gewollt hätte, hätte er dieses Konzept auch auf über 500 Seiten ausweiten können, doch dies war bei dieser Novelle überhaupt nicht nötig. Die Geschichte des übergewichtigen Webdesigner Scott Carrey, der aus unerklärlichen Gründen täglich Gewicht verliert (und kurioserweise mit schwerer Kleidung genau so viel wiegt wie ohne) ist kompakt geschrieben, wirkt aber auf keiner Seite abgemagert. Und wer auch die kürzeren Werke von King in seiner Laufbahn als Schriftsteller verfolgt hat, der merkt, dies ist eine seiner ganz großen Stärken.

In Erhebung führt uns der Autor zurück in seine fiktionale Stadt Castle Rock in Maine. Castle Rock war schon immer ein zentraler Punkt für King-Schauplätze und ist in all den Jahren auch ein beliebter Ort für die Werke anderer Schriftsteller und Filmemacher geworden. Wir haben es hier mit einer amerikanischen Kleinstadt zu tun, die nicht ganz 2000 Einwohner zählt. In dieser Stadt lebt Scott Carrey, der bei seinem Freund Bob Ellis, ein ehemaliger Arzt der vor einiger Zeit in Rente gegangen ist, Rat aufsuchen will. Mit seinen fast 2 Metern und einem üppigen Bauchansatz wiegt Scott mehr als er sollte. Seit einiger Zeit purzeln die Pfunde jedoch, täglich, ohne, dass Scott seine Ernährung umgestellt hat. Doch etwas seltsames geschieht. Etwas, was Scott nicht seinem behandelndem Arzt erzählen kann, da er sich vor den Konsequenzen fürchtet. Er vertraut sich Bob Ellis an, bei dem er hofft, von dem Rentner einen ärztlichen Rat zu erhalten. Doch genau wie Scott selbst steht Bob vor einem Rätsel. Die Waagen beider Männer zeigen das gleiche Gewicht mit und ohne Bekleidung an. Neben den körperlichen Veränderungen hat Scott noch mit einer Scheidung zu kämpfen, einen großen Job, den er an Land gezogen hat und muss sich zusätzlich noch mit seinen lesbischen Nachbarinnen auseinandersetzen, deren Hund immer sein Geschäft auf Scotts Grundstück verrichtet.

Wer den blanken Horror hier sucht, der sollte direkt sein Unterfangen entweder umlenken oder es bleiben lassen. Viel mehr kehrt King hier zurück zu seinen Ursprüngen. Erhebung ist eine ruhige Geschichte, die zwar das Übernatürliche als Kernthema besitzt, aber die gesellschaftlichen Aspekte wie aber auch die Gesellschaftskritik noch wesentlich mehr in den Vordergrund stellt. Obwohl nicht als Anti-Trump-Geschichte gedacht, so sind gewisse Seitenhiebe an die derzeitige amerikanische Gesellschaft unverkennbar. Das wichtigste ist jedoch,  King driftet glücklicherweise nicht in irgendwelche gesellschaftlichen Klischees ab, die derzeit beliebt sind. Auch will King dem Leser seine politische Sicht nicht aufzwingen. Die subtile Kritik entfaltet sich dadurch wesentlich natürlicher und ungezwungen.



Fazit

"Erhebung", ob nun eine Novelle oder ein Roman, es ist eine Story, die unglaublich gut funktioniert. Mit Scott Carrey präsentiert uns Stephen King eine sympathische Figur aus dem Alltag, die genau so unwissend ist wie wir selbst. Die mysteriösen Ereignisse sind wieder einmal nur Teil einer größeren Sache. Die Abstriche zu einem großen King-Roman fallen überraschend gering aus. Es imponiert mir daher in großen Maßen, wie der Altmeister es nach all den Dekaden noch immer schafft, relevant zu bleiben, mit der Zeit zu gehen, sich treu zu bleiben und bei all dem sich nicht sich und seine Karriere selbst parodieren muss. Wer nach einer langen King-Abstinenz mal wieder was von ihm lesen möchte, der wird mit "Erhebung" und der Rückkehr nach Castle Rock kaum einen passenderen Zugang finden.