Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 3. Mai 2012

Takeshi Kitano Special: Das Meer war ruhig



Japan 1991
Originaltitel: Ano natsu, ichiban shizukana umi
Regie: Takeshi Kitano
Darsteller: Kurodo "Claude" Maki, Hiroko Ohshima, Sabu Kawahara, Susumu Terajima
Musik: Joe Hisaishi
Laufzeit: 96 Minuten (Mit Abspann)
Genre: Arthouse, Slice of Life
Label: Capelight
FSK: 12


Trailer:




In vielen Aspekten stellt Das Meer war ruhig einen von Kitanos wichtigsten Filmen dar. Sein dritter Spielfilm war nicht nur der filmische Werdegang in eine komplett andere Richtung (kein Unterweltdrama, keine Yakuza, keine Gewalt), es war auch das Debüt des schweigsamen Protagonisten (im japanischen Kino sehr gängig, teilweise spielt Kitano selbst oft solche Charaltere) in Kitanos Filmografie. Doch mit diesem Film begann auch eine ganz wichtige, und einzigartige Zusammenarbeit. Fortan komponierte Studio Ghibli Komponist Joe Hisaishi den Soundtrack zu Kitanos Filme. Eine Zusammenarbeit, die über 10 Jahre bestehen sollte. Und der Titelsong Silent Love ist in Das Meer war ruhig Programm. Selten passiert in einem Film so wenig, und hinterlässt anschließend solch eine absorbierende Wirkung auf den Zuschauer wie dieses seltsam exotische Werk. Es ist Kitanos ganz große Liebeserklärung an das Arthouse-Kino. Seltsam befremdlich, und doch unendlich schön. Es ist definitiv einer seiner besten.

Der Inhalt von Das Meer war ruhig ist schnell zusammengefasst. Die Dialoge im Film selbst kann man abzählen. Denn ein Tauber Protagonist (grandios gespielt von Kurodo Maki) zusammen mit seiner genau so tauben Freundin spielen die Hauptrollen. Shigeru ist Müllmann. Man kann nicht behaupten, dass er wirklich viel Spaß an seiner Tätigkeit hat, und dazu gerät oft mit seinem Kollegen aneinander weil er so langsam arbeitet. Auf einer Schicht findet Shigeru neben einigen Müllbeuteln ein demoliertes Surfbrett. Er findet Interesse daran und nimmt es mit. Daheim versucht er es so gut wie möglich zu reparieren. Fortan wird das Surfen immer mehr zu Shigerus Lebensinhalt.

Erst einmal muss gesagt werden, im Gegensatz zu Kitanos vorherigen Werk Boiling Point, wo es um Baseball ging, ist Das Meer war ruhig kein typischer Film übers Surfen. Der Sport kommt dabei sogar erstaunlich kurz. Und das, obwohl mit Kurodo Maki ein Hauptdarsteller dabei ist, der in Japan ein bekannter Surfer ist.
Stattdessen konzentriert sich Kitano viel mehr auf die gezeigten Bilder. Die ruhigen Szenen in denen man einfach das Meer rauschen hört und die Charaktere vor sich hin schweigen. Ja, es ist ein Film der kaum Höhepunkte bietet. Und doch lässt er einen nicht los. Es ist vor allem die unglaublich süße Liebesgeschichte der beiden Protagonisten. Shigeru ist teilweise ungeschickt und auch etwas unbeholfen, doch das gleicht seine Freundin Takako mit ihrer Fürsorge zu ihm wieder aus. Sie passen unglaublich gut zueinander. Sind unzertrennlich. Kitano bietet einen sehr unspektakulären Einblick in das alltägliche Leben zweier junger Menschen. Es ist die Monotonie des Alltags und die Magie des Meeres, die diesen Film zu etwas ganz außergewöhnlichem machen. Allein mit Worten kann man das kaum beschreiben. Es ist Kitanos ganz eigene Art, Geschichten zu erzählen. Und genau wie Schriftsteller Haruki Murakami es schafft, über einen Raubüberfall bei McDonald's zu erzählen, schafft es nur Takeshi Kitano, über einen tauben Müllmann zu erzählen, der ein altes Surfbrett findet und anschließend diesen Sport für sich entdeckt. Das gewöhnliche wird zum Außergewöhnlichem.

Der Film wird in einer exzellenten Qualität und im Originalton auf DVD von Capelight präsentiert. Exklusiv lag er erstmals dem limitierten Mediabook von Kitanos neustem Gangsterfilm Outrage bei. Geplant hatte Capelight jedoch eine Dokumentation über die Yakuza (Young Yakuza), und keinen weiteren Kitano Film. Allerdings erlaubte man bei Office Kitano dem Label nicht, solch eine authentische Dokumentation dem Film Outrage als Bonus DVD zu spendieren. Stattdessen packte man im starken Kontrast zum blutigen wie bleihaltigen Outrage das Meer war ruhig dem Mediabook bei. Eine weise Entscheidung. Bei der Übersetzung des Titels richtete man sich wesentlich mehr an den Originaltitel, als den Internationalen Titel A Scene at the Sea zu wählen. Das Meer war ruhig entspricht zum Teil dem Originaltitel, der übersetzt so viel wie In diesem Sommer, war das Meer besonders ruhig, lauten würde.

Wir begleiten die Protagonisten durch einen für sie einzigartigen Sommer. Ein Sommer, der so perfekt ist, dass er eigentlich nur mit einem Drama enden kann. Und am Ende gelingt Kitano dann genau dieser Twist. Denn über das ziemlich melancholische Ende kann man viel diskutieren. Kitano befürchtete immer, die westlichen Zuschauer könnten den Schluss falsch interpretieren. Allerdings war dies bei mir nicht der Fall. Ich sehe das Ende als recht eindeutig an und bin froh, dass Kitano sich nicht dazu entschied, irgendwelche Szenen für die Internationale Fassung zu kürzen oder zu verändern. Dies ist ziemlich oft bei asiatischen Filmen der Fall.

Schauspielerisch brauche ich gar nicht viel erwähnen da mir Kurodo Maki als schweigsamer Protagonist ziemlich gefallen hat. Es ist einer der Filme, in dem sich Takeshi Kitano nicht selbst die Ehre gibt, als Schauspieler aufzutreten. Zu sehen ist tatsächlich auch noch Kitanos Stammschauspieler Susumu Terajima in eine seiner ersten Rollen. Im Film Blessing Bell von Hiroyuki "Sabu" Tanaka wird auch er, gut 10 Jahre später, einmal einen so schweigsamen Protagonisten spielen. Das Hauptaugenmerk liegt in Das Meer war ruhig jedoch einmal nicht auf die Schauspieler. Es ist der Soundtrack. Joe Hisaishi sollte mit seinem musikalischen Beitrag Kitanos Filme unvergesslich machen. Erstmals bewies er dieses Können in Das Meer war ruhig. Songs wie Silent Love oder dem Island Song klingen traumhaft. Hisaishi beweist, dass er ein absoluter Meister in dem ist, was er tut. Es sind unvergessliche Songs. Hisaishi ist weniger ein Komponist als viel mehr ein Maler. Ohne penetrant zu wirken, untermalt er die Szenen des Films mit einem ruhigen, sehr einfühlsamen Soundtrack. Es ist ziemlich schade, dass diese Zusammenarbeit nach Dolls ein Ende fand.


Fazit:


Takeshi Kitano geht erstmals ruhige Wege in Das Meer war ruhig. Es ist, ganz bestimmt, kein Film für das Breite Publikum. Es ist ein ziemlich spezieller Film, vielleicht sogar einzigartig. Von der Machart und vom Stil beweist Kitano in seinem gerade mal dritten Spielfilm, dass er einmal zu den herausragendsten Filmemachern Japans (und vielleicht auch weltweit) gehören wird. Vom Stil her ähnelt Das Meer war ruhig sogar Dolls. Kenner des Films werden also wissen, dass man dafür Geduld und auch ein gewisses Verständnis für die japanische Filmkunst braucht. Um Das Meer war ruhig zu mögen, muss man aber kein Fan des Surf-Sports sein. Wie bereits geschrieben, nimmt dieser Aspekt einen unglaublich kleinen Teil ein. Man muss sich dafür auf einen sehr exotischen Film einlassen können. Man wird mit überzeugenden Schauspielern, einem traumhaften Soundtrack und ein für den Verlauf des Filmes unglaublich überraschend und traurigem Ende belohnt. Und ja, selbst Kitanos geniale Situationskomik ist in diesem Werk zu finden. Ein Fan kann sich da kaum mehr wünschen. Ich habe bereits so viele Filme gesehen, und Das Meer war ruhig hat noch einmal bewiesen, dass ich immer noch überrascht werden kann. Ein großartiger Film.


Das nächste Kitano Special: Sonatine.

Wertung

9 von 10 Punkte

Dienstag, 1. Mai 2012

Review: Hotarubi no Mori e



Japan 2011
Originaltitel: Hotarubi no Mori e
Nach einem Manga von Yuki Midorikawa
Regie: Takahiro Omori
Produktion: Aniplex, Brains Base
Synchronsprecher: Kouki Uchiyama, Ayane Sakura
Laufzeit: 45 Minuten
Genre: Coming of Age, Romantik

Trailer:



Manga und Anime haben sich verändert. In der Zeit wo leicht bekleidete Damen und wenig Tiefgang immer mehr den Thron einnehmen, gerät die ehemalige Kunst und Kreativität vergangener Werke dafür immer weiter in die Vergessenheit. Einzigartige Werke wie Mushishi oder Mononoke erscheinen, verglichen mit dem Heutigen Trend, wie eine wehmütige Erinnerung. Visionäre wie Hideako Anno (Evangelion) und Hayao Miyazaki (Studio Ghibli Gründer) werden in einigen Jahren wohl das zum Inventar eines Museums gehören. Zumindest ihre Namen werden solche Hallen einmal schmücken. Und Satoshi Kon (Perfect Blue), muss sich den weniger qualitativen Trend der japanischen Zeichenkunst bereits vom Himmel aus anschauen.
Auch ich entfremde mich immer weiter dieser Kunst, bin selten mal auf einem aktuellen Stand. Nicht, weil ich älter werde und das alles nun unglaublich kindisch finde, nein, es ist tatsächlich die mangelhafte Qualität, die aktuelle Titel aufweisen. Abnutzungserscheinungen. Zu den letzten großen Highlights, die ich in den letzten Monaten gesehen habe, gehören gerade einmal Evangelion: You can (not) advance, Das Verschwinden der Haruhi Suzumiya und Ponyo. Eine desaströse Bilanz. Die Perlen finden sich längst nicht mehr wie Sand am Meer (wobei ihr euch ja gerade am Meer befindet, und mein Blog viele Perlen beherbergt, die ihr euch näher anschauen solltet). Doch ein weiterer Titel schlich sich ganz heimlich in diese Liste ein. Er gewann spielend meine Gunst, und ist mit einer kompakten Laufzeit von gerade einmal 45 Minuten ein echter Leckerbissen. Hotarubi no Mori e (übersetzt heißt das so viel wie "Zum Hain der leuchtenden Glühwürmchen". man verzeihe mir diese sehr freie Übersetzung, es gibt leider keinen offiziellen westlichen Titel) ist ein ganz besonderes Juwel. Es ist eine fantastische Coming of Age Geschichte. Eine Geschichte übers Erwachsen werden. Und in diesem Kurzfilm steckt dann auch tatsächlich die Philosophie, die aktuelle Werke so sehr vermissen lassen. Die Perfektion konnte Hotarubi no Mori e zwar durch die kurze Lauflänge nicht erreichen, dafür kann ich aber garantieren, verschwendet ist diese Zeit nicht. Es ist ein wirklich melancholisches Werk, dass die Zuschauer am Ende vermutlich mit einer gewissen Sehnsucht zurücklassen wird.

Die Geschichte spielt in unserer Zeit. Erzählt wird sie von der Protagonistin Hotaru. Diese berichtet, wie sie sich im Grundschulalter einst in einem Wald verirrte. Gerüchten zufolge sollen dort Geister hausen. Voller Neugier wollte Hotaru dies selbst herausfinden. Doch statt Geister fand sie nur unendliches Grün. Voller Verzweifelung suchte die kleine Hotaru nach dem richtigen Weg. Als sie sich ihren Tränen hingeben musste, taucht plötzlich ein mysteriöser, maskierter junger Mann auf. Dieser erzählt, dass kein Mensch mehr aus diesem Wald hinausfindet, hat man sich erst einmal verlaufen. Er bietet Hotaru dennoch an, sie aus diesem Wald zu führen. Mit einer Bedingung. Sie darf ihn nicht berühren. Sollte dies passieren, würde der mit einem Fluch belegte Junge sich in Rauch auflösen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten dies zu akzeptieren, freundet sich Hotaru mit dem geheimnisvollen Jungen an. Er stellt sich ihr als Gin vor. Als Gin Hotaru sicher aus dem Wald wieder auf den rechten Pfad führte, schwört die kleine dem einsamen Geist, ihn fortan täglich zu besuchen. Und das jeden Sommer, so lange sie ihre Ferien bei ihrem Onkel verbringt. Die Jahre vergingen, doch Gin alterte nicht. Hotaru reifte jedoch zu einer jungen Frau heran. Bald würde sie mit Gin vom Alter her gleich auf sein. Und obwohl eine Beziehung für die beiden unmöglich ist, entwickeln sie immer mehr Gefühle füreinander. Gibt es Hoffnung für die beiden? Oder wird Gin sich tatsächlich in Rauch auflösen sobald ihn ein Mensch berührt? Gin selbst scheint sich aber nichts sehnlicher zu wünschen, als Hotaru in seine Arme zu schließen. Auch wenn er dafür mit seiner Existenz als Preis bezahlen muss.

Der Film wird sehr ruhig erzählt. Die Zeichnungen sind flüssig und detailliert. Die sorgfältig gezeichneten Hintergründe erwecken Fernweh. Das perfekte Zusammenspiel der beiden Synchronsprecher verleihen den Dialogen eine sehr hohe Authentizität. Aber das kann man an sich von japanischen Sprechern erwarten. Die beiden jungen Seiyuu aus Hotarubi no Mori e schaffen es aber fast komplett ohne weitere Unterstützung, die Zuschauer für sich zu gewinnen. Regisseur Takahiro Omori beweist hier ein sehr gutes Händchen was die Inszenierung angeht. Der Kurzfilm zeugt von einer sehr hohen Qualität. Alles wirkt einfach bestens geplant. Auch Laufzeit wird keine verschwendet. Die Geschichte geht sofort los. Man wird in eine geheimnisvolle Welt gezogen. Hotaru dient dabei für den Zuschauer als Verbindung zwischen der realen Welt, und diesem geheimnisvollen Wald, der eigentlich nicht wirklich von dieser Welt ist. Er wird bewohnt von mystischen Wesen. Geister und Fabelwesen. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Gin. Der scheint jedoch nichts von alledem zu sein. Er redet und sieht aus wie ein Mensch. Doch wieso lastet dann dieser Fluch auf ihn? Wieso altert er nicht? Obwohl der Film nur eine Schulstunde lang ist, nimmt man sich die Zeit, alles zu erklären. Die Entwicklung der beiden Charaktere ist unglaublich detailliert. Bei so einer knappen Lauflänge kann so etwas schnell in die Hose gehen.

Adaptiert wurde die Geschichte von der Mangaka Yuki Midorikawa. Leider kenne ich den Manga nicht, und weiß nicht, wie originalgetreu man das Werk nun umgesetzt hat. Vielleicht ist das auch ganz gut so, dass ich es nicht weiß. Allerdings handelt es sich bei Hotarubi no Mori e um einen Oneshot (vergleichbar mit einer Kurzgeschichte in der Welt der Manga). Daher kann man sich wohl sicher sein, dass man sich bei der Umsetzung wohl viel Mühe gab, um dem Original gerecht zu werden.
Vom Stil her wurde ich dabei oft an Takeshi Kitanos Dolls erinnert. Die Ruhe, der Wald, die Protagonisten. Ein Junge und ein Mädchen, beide verliebt ineinander verliebt, die einen idyllischen Wald durchschreiten. Und dann auch noch dieses verträumte Sommerfest, bei dem die Geister des Waldes sich als Menschen verkleiden. All das, bekommt man in ähnlicher Weise auch in Dolls geboten. Dieses sehr erfreuliche Deja Vu machte die Geschichte zu einem noch unterhaltsameren Vergnügen für mich.

Der Soundtrack profitiert sehr von den Geräuschen der Natur. Die Laute der Zikaden sind sehr entspannend. Auch ein sehr schönes Musikstück (Natsu wo Mite ita) mit Gesang von Shizuru Otaka gibt es am Ende zu hören. Rundum ein sehr gelungenes Paket, was hier geboten wird. Lediglich ist es das Ende selbst, welches leider nicht ganz so überzeugen kann. Es wurde zwar schön in Szene gesetzt, allerdings nahm man sich für die wichtigen Elemente kaum Zeit. Was sehr schade ist, da der Film diese Aufgabe bis zum Finale so gut meistert. Es ist, in der Tat, lediglich ein kleiner Wermutstropfen. Ich hätte mir aber dennoch ein wenig mehr Details gewünscht.


Fazit:


Für alle, die Genug von den immer gleichen Manga und Anime Szenarios haben, und einer wirklich melancholischen Coming of Age Geschichte nicht abgeneigt sind, werden in Hotarubi no Mori e eine wahre Perle finden. Solche Geschichten erzählen die Japaner nur noch selten. Umso erfreulicher ist es, wenn man solch ein Highlight mal findet. Fans von Mushishi und dem von mir bereits angesprochenen Dolls von Takeshi Kitano  könnten hier ebenfalls fündig werden, wenn sie nach einem Werk dieser Art suchen. Und auch die Romantiker werden bedient werden. Ohne das der Film dabei jemals kitschig wird.
Von so etwas würde ich in Zukunft gerne mehr sehen. Ich werde auch weiterhin auf der Suche nach Titeln wie Hotarubi no Mori e sein. Schwer zu finden sind sie. Aber, es gibt sie noch. Wer also mal wieder auf der Suche nach etwas anspruchsvollem ist, der wird hier fündig werden. Ein wirklich fantastisches Kunstwerk mit wunderschönen Zeichnungen, authentischen Synchronsprechern und einem exzellenten Soundtrack. Alles verpackt in einer Geschichte, die komplett auf Kitsch und gängige Anime Klischees verzichtet. Eine klare Empfehlung.


Wertung

8 von 10 Punkte