Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film
Dienstag, 12. November 2013
Am Meer ist es wärmer jetzt auf Bloglovin
Ich halte von aktuellen Trends nicht wirklich viel, Bloglovin scheint jedoch recht praktisch zu sein. Blogspot selbst ist nicht wirklich eine ideale Plattform dafür, interessante Blogs zu finden, da alles sehr unübersichtlich aufgebaut ist, und keine wirkliche Verknüpfung untereinander stattfindet (ich diese Möglichkeit auch fast nie genutzt habe, über Blogspot andere Blogs zu finden).
Die einfache Verknüpfung mit Bloglovin funktioniert nach dem Prinzip von Twitter und könnte sich noch als durchaus praktisch erweisen. Wer dort angemeldet ist muss nur auf das Widget, welches sich über dem Twitter-Vögelchen befindet, klicken, und schon kann er Am Meer ist es wärmer hinzufügen. Fortan wird man über sämtliche neue Beiträge des hinzugefügten Blogs ohne penetrante Werbung des Eigentümers über sein Bloglovin Profil informiert.
Murakami in Shorts: Die unheimliche Bilbiothek und Samsa in Love (Rezensionen)
Wer tatsächlich nun erwartet hat, Japans Bestsellerautor in diesem Beitrag in Shorts vorzufinden, war entweder zu gutgläubig oder hat etwas zu hart in den Karneval reingefeiert. Oder aber hat noch nie eine seiner Kurzgeschichten gelesen! Das wäre aber eine Sünde, denn "Kurz" kann Murakami eigentlich genau so gut wie "Lang". Haruki Murakamis Anthologien von Kurzgeschichten und phantastischen Erzählungen sind Kult und stehen teilweise seinen großen Romane wie aktuell 1Q84 in nichts nach. Einfach, weil er die Fähigkeit besitzt, etwas, wofür er 1500 Seiten braucht, auch in 50 ausdrücken kann.
Am 10. Januar 2014 erscheint Haruki Murakamis neuer Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki auf Deutsch beim DuMont Verlag. Mit den Rezensionen zu den beiden Kurzgeschichten Die unheimliche Bilbiothek und der brandneuen Veröffentlichung Samsa in Love kann man sich schon einmal auf den neuen Roman einstimmen. Viel Spaß beim lesen (natürlich beim lesen der Kurzgeschichten)!
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Die Murakami Rezensionen 6
Japan 2005
Die unheimliche Bibliothek
Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Fushigi Na Toshokan
Erscheinungsjahr: 2005 (Kodansha, Japan), 2013 in deutscher Übersetzung bei DuMont
Illustrationen: Maki Sasaki (japanische Ausgabe), Kat Menschik (deutsche Ausgabe)
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Grusel, Magic Realism
"Der Schafsmann hat seine Schafsmannwelt. Ich habe meine Welt. Und du hast deine. Nicht wahr?
>>Da magst du recht haben.<<
Man kann also sagen, dass ich in der Schafsmannwelt nicht existiere, was aber nicht heißen muss, dass ich überhaupt nicht existiere.
>>Das heißt<<, sagte ich, >>dass die verschiedenen Welten sich hier treffen. Deine Welt, meine Welt und die vom Schafsmann. Es gibt Orte, an denen sie sich überschneiden. So ist es doch, oder?<<
Das Mädchen nickte zweimal kurz."
Haruki Murakami und Kat Menschick funktioniert. Bereits zwei ausgewählte Kurzgeschichten (Schlaf und die Bäckereiüberfälle) brachte der DuMont Verlag als schicke Hardcover-Sammelbände in die Buchhandlungen, die allesamt bezaubernde wie surreale Zeichnungen der Berliner Illustratorin Kat Menschick zu Murakamis genau so bezaubernden und surrealen Geschichten beinhalteten. Beide Ausgaben wurden meines Wissens sogar bereits in Japan veröffentlicht.
Sowohl Schlaf als auch die Bäckereiüberfälle erschienen jedoch schon in deutscher Übersetzung in der Anthologie Der Elefant verschwindet. Mit der unheimlichen Bibliothek zauberte man aber nun eine im Westen noch recht unbekannte Kurzgeschichte Murakamis aus dem Hut, zu der Kat Menschicks Zeichnungen besser als je zuvor passen dürften.
Protagonist der kleinen Gruselgeschichte ist ein namenloser Jugendlicher. Nichtsahnend mit seiner beinahe noch kindlichen Unschuld, betritt der Junge die Stadtbibliothek um sich nach Bücher über "Steuereintreibung im Osmanischen Reich" zu erkundigen. Die knurrige Angestellte weist den Jungen in den Keller der Bibliothek, wo man ihm Antwort auf seine Frage geben würde. Da der Junge Stammgast in der Bibliothek ist, kam es ihm seltsam vor, dass es anscheinend noch ein Untergeschoss geben soll. Ungläubig steigt er die Treppen hinab und findet eine Tür vor, die in einen kleinen Raum führt. Beherbergt wird dieser Raum von einem schaurigen Bibliothekar, der genau die Bücher auf Lager zu haben scheint, die der Junge sucht. Schüchtern und verängstigt lässt der Junge sich darauf ein, die Bücher im Keller der Bibliothek zu lesen. Was der Junge noch nicht weiß, er darf den Keller nicht eher verlassen, bis er alle drei Bücher auswendig gelernt hat, und sie dem alten Bibliothekar anschließend vorträgt. Der Alte hat den Teenager reingelegt. Aus der unheimlichen Bibliothek scheint es kein Entkommen zu geben.
Als ein wenig kafkaesk, kann man diese Kurzgeschichte bezeichnen. Inklusive dem namenlosen Protagonist, sind alle Charaktere dieser Geschichte skurril. Ein Wiedersehen gibt es obendrein mit dem Schafsmann. Der wird, wie es scheint, von dem Alten als Sklave (eher als Prügelknabe) gehalten. Tief unten in der Bibliothek, backt dieser für alle neuen Insassen frische Donuts. Wer also schon immer mal von einem kleinen gedrungenen Mann in einem Schafkostüm bedient werden wollte, der wird in Murakamis Bibliothek wohl genau richtig sein. Ob die Geschichte aber tatsächlich zum Schafsmann-Kanon gehört (Wilde Schafsjagd, Tanz mit dem Schafsmann), wird bei der unheimlichen Bibliothek nicht ganz klar.
Der typische Murakami-Stil fehlt in dieser Geschichte natürlich nicht. Es gibt herrlich schräge, kryptische Dialoge und sogar einen Ausflug ins Osmanische Reich. Murakami ist ein begnadeter Erzähler und auch wenn die Kurzgeschichte nicht viel Spielraum für eine komplexe Story bietet, so schöpft der Japaner wieder all sein Potential aus, alles so surreal und geheimnisvoll wie möglich zu gestalten. Leider ist es mir aufgrund der eben nicht komplexen Story möglich, näher auf die einzelnen Details, wie die schrägen Charaktere zum Beispiel, einzugehen. All das würde den Spaß daran nehmen, die Kurzgeschichte selbst zu lesen.
Worauf ich aber sehr wohl eingehen kann, und auch hier möchte ich nichts vorab posten, sind die Zeichnungen von Kat Menschik. Die teilweise sehr bizarren Illustrationen passen einfach perfekt zu der Geschichte. Jedes einzelne Bild ist ein kleines Kunstwerk. Die Illustratorin saugt die Geschichte förmlich in ihre Zeichnungen ein. Das hat mir sehr gut gefallen. Sollte man das Buch ungelesen noch im Regal stehen haben, so sollte man das durchblättern jedoch lassen, denn sonst ruiniert man sich die Überraschungen. Übrigens, im krassen Kontrast dazu stehen die Illustrationen der japanischen Ausgabe von Maki Sasaki. In der japanischen Ausgabe sieht alles ein wenig freundlicher, humoristischer aus. Man kann also davon ausgehen, Murakamis Intention war es, die Geschichte weniger ernst erscheinen zu lassen. Einen genaueren Vergleich findet ihr dazu in diesem Link auf Japanliteratur. Somit kann die deutsche Ausgabe durchaus als gruselige Neuinterpretation angesehen werden. Finde ich äußerst gelungen.
Wie immer muss ich auch die Übersetzung von Ursula Gräfe loben. Wie in den bereits veröffentlichten Übersetzungen importiert sie Murakamis Stil butterweich in in die deutsche Sprache. Man kann sich schon jetzt auf ihre Übersetzung zu Murakamis neuen Roman im Januar freuen.
Resümee
Die unheimliche Bibliothek ist eine stimmungsvolle, surreal geschriebene Kurzgeschichte. Der Ausflug in dieses düstere Labyrinth war gruselig und zeitgleich amüsant. Schräge Charaktere, wundervolle Dialoge und brillante Illustrationen machen das Buch unverzichtbar für Murakami-Leser. Neulinge werden sich vermutlich mit dieser Kurzgeschichte recht schwer tun. Was aber nicht heißt, dass diese Kurzgeschichte nicht auch als Einstieg ins Murakami Universum dienen kann.
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Japan 2013
Samsa in Love
Autor: Haruki Murakami
Erscheinungsjahr: 28 Oktober 2013 bei The New Yorker (kostenlos lesen)
Übersetzung: Ted Goosen
Genre: Mystery
Samsa looked down again at the bulge. “I don’t know how to explain it, but that has nothing to do with my feelings. It must be some kind of heart problem.”
“No kidding,” she said, impressed. “A heart problem, you say. That’s an interesting way to look at it. Never heard that one before.”
“You see, it’s out of my control.”
“And it has nothing to do with fucking?”
“Fucking isn’t on my mind. Really.”
“So let me get this straight. When your thing grows big and hard like that, it’s not your mind but your heart that’s causing it?”
Samsa nodded in assent.
“Swear to God?” the woman said.
“God,” Samsa echoed. Another word he couldn’t remember having heard before. He fell silent.
The woman gave a weary shake of her head. She twisted and turned again to adjust her brassiere. “Forget it. It seems God left Prague a few days ago. Let’s forget about him.”
The New Yorker gehört wohl zu den angesehensten Kulturmagazinen der Metropole. Ob Stephen King, Nobelpreisträgerin Alice Munro oder auch Haruki Murakami. Zahlreiche Kurzgeschichten der bekanntesten Autoren wurden in dem englischsprachigen Magazin bereits veröffentlicht. Dank des Internets sind viele davon völlig kostenlos auf der offiziellen Website nachlesbar. So sieht es auch mit Haruki Murakamis neuster Kurzgeschichte, Samsa in Love aus. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte seinen eReader oder Tablet in die Mangel nehmen, um für das bestmögliche Lesevergnügen zu sorgen.
Wer sich über den Titel wundert, und meint, dieser komme ihm bekannt vor, liegt er nicht ganz falsch. Denn Samsa in Love ist eine Neuinterpretation von eine der wohl Seinerzeit gruseligsten, seltsamsten und meist gelesenen Geschichten. Die Rede ist von Franz Kafkas "Die Verwandlung". Bis auf einen ähnlichen Prolog samt Protagonist und die Thematik haben die Geschichten aber nicht viel miteinander zu tun. Die Geschichte mag zwar Kafkaesk sein, aber Murakamis unvergleichlicher Stil ist es, der diese Kurzgeschichte prägt. Und gleichzeitig ist diese Kurzgeschichte wohl schriftstellerisch das beste, was Murakami seit Kafka am Strand veröffentlicht hat.
Ein junger Mann wacht in einem ihm unbekannten Raum auf. Er kann seine Räumlichkeiten nicht zuordnen und alles um ihn herum macht einen befremdlichen Eindruck. Seltsamerweise weiß er nur eines, oder etwas, woran er sich erinnern kann. Gregor Samsa. Ein Name. Sein Name? Er ist sich beinahe sicher, dies ist sein Name. Samsa mustert das Zimmer. Das einzige Fenster wurde mit Brettern zugenagelt. Wieso sollte jemand wollen, dass er nicht sieht, was draußen vor sich geht? Als Samsa versucht, sich allmählich aufzurichten, bemerkt er jedoch, etwas ist nicht so, wie es sein sollte. Sein Körper fühlt sich verkrüppelt an. Etwas scheint da nicht richtig angeordnet zu sein. Er betrachtet seinen Körper, bemerkt, er ist komplett nackt. Jedoch scheinen all seine Körperteile verformt und zerbrechlich. Er ist so blass, man kann jede einzelne Vene sehen, die sein Körper schmückt. Sorgen bereitet Samsa übrigens auch, dass er von den wichtigsten Gliedmaßen jeweils zwei Paare hat. Nach einem harten Kampf, das Bett zu verlassen, realisiert Samsa, dass er sich in einem völlig verlassenem Hotel befindet. Wo sind alle Besucher hin? Und was geht wohl draußen vor sich? Da klingelt es plötzlich an der Haustür, und eine junge Dame vom Schlüsseldienst will eines der Schlösser im Hotel austauschen. Die Frau mit dem frechen Mundwerk erzählt Samsa nicht nur einige interessante Details über die Außenwelt, sondern er bemerkt auch noch etwas anderes, so ein Gefühl, wie es eigentlich nur bei Menschen zu finden ist, die Verliebt sind.
Ich habe die meisten von Murakamis Kurzgeschichten-Anthologien gelesen. Oft, und besonders im eigenen Land, wird er kritisiert, seine Geschichten hätten einen zu großen westlichen Einfluss. Dieser Meinung konnte ich mich aber nicht ein einziges mal anschließen. All seinen Geschichten haftet trotz einiger westlicher Einflüsse ein enormes Maß an japanischer Popkultur an. Murakamis Geschichten sind japanisch, vom Stil als auch von der Denkweise. Bei Samsa in Love bin ich jedoch überrascht worden. Die markante Übersetzung von Ted Goosen mag zwar einen Teil dazu beitragen, aber es ist größtenteils Murakamis Erzählstil, der diese Geschichte so westlich erscheinen lässt. Diesen Aspekt sehe ich übrigens in keinster Weise als Kritik. Im Gegenteil. Die Geschichte spielt zwar, und das erfährt man während des Lesens, in Prag, viel mehr könnte sie aber auch in einem New York der Nachkriegszeit spielen. Der Geschichte haftet weniger Kafka als viel mehr Philip K. Dick an. Man glaubt, man lese gerade den Auftakt zu einem mysteriösen Endzeit-Roman. Murakami entführt uns in eine sehr geheimnisvolle Welt. Mit dem Eintreffen des buckligen Mädchens bekommt der Leser nur einen kleinen Eindruck davon, welch seltsame Ereignisse gerade in der Welt außerhalb des Hotels Samsa vorgehen. So stellt man sich zwangsläufig die Frage, wie es zu Gregor Samsas Verwandlung kam, wer das bucklige Mädchen vom Schlüsseldienst gerufen hat und was in der Außenwelt vor sich geht.
1Q84, Murakamis letzten auf deutsch veröffentlichen Roman haftete ein Problem an. Das große Werk umfasste viele Erzählstränge, doch fast keiner davon wurde zufriedenstellend aufgelöst. Bei 1Q84 konnte man dies durchaus als Manko sehen. Bei einer so überschaubaren Geschichte wie Samsa in Love jedoch tragen all diese vielen Geheimnisse zur Atmosphäre der Geschichte bei. Auch nach dem lesen resümiert man noch ein wenig über die Geschehnisse. Murakami hat hier in Höchstform geschrieben.
“Ah, Gregor Samsa, sometimes you make me want to die,” she said.
Die große Stärke sah ich aber wieder einmal in den Dialogen der Charaktere untereinander. Ich muss erwähnen, es gibt nur zwei Protagonisten und einen Erzähler in dieser Geschichte. Mit dem Mädchen vom Schlüsseldienst präsentiert Murakami mal wieder einen Charakter, der eindeutig seinen Stempel trägt. Ähnlich wie Ushikawa in 1Q84 ist das bucklige Mädchen, in der Geschichte als Hunchback Girl bekannt, das Prunkstück unter den Protagonisten. Im Gegenzug zu ihr scheint Gregor Samsa sich fast normal zu benehmen. Im Vergleich zu Kafkas Samsa gleicht Murakamis Protagonist übrigens weniger einem Insekt als viel mehr einer missgestalteten Person, zu der das Leben nicht gerade gnädig war. Das Mädchen hingegen ist bucklig, und ständig muss sie ihren Büstenhalter richten. Ihr Mundwerk ist frech und Respekt scheint sie kaum zu haben. Den Leser erwarten einige großartige Dialoge zwischen den beiden. Es ist ein regelrechtes Kuriositätenkabinett und doch scheinen diese beiden Charaktere menschlicher zu sein als die Welt um sie herum.
Resümee
Samsa in Love hat mir sehr gut gefallen. Genau wie 1Q84 ist auch diese Kurzgeschichte kein typischer Murakami, aber dennoch funktionierte diese Story wesentlich besser als vieles, was er bei 1Q84 so probierte (was nicht heißen soll, ich fände 1Q84 schlecht). Ich habe mir auch nach dem Lesen von Samsa in Love noch einige Gedanken zu der Geschichte gemacht. Sie ist eine wundervolle Hommage an das Werk Kafkas, und irgendwie auch eine Rückkehr zu Kafka am Strand (Roman). Auch wenn beide Geschichten sehr unterschiedlich sind, so sind doch gewisse Ähnlichkeiten zu erkennen.
Ich wünsche mir natürlich eine neue Anthologie mit mehr Kurzgeschichten in dem Stil von Samsa in Love. So eine Anthologie von Murakami ist, ehrlich gesagt, auch mal wieder längst überfällig.
Was Samsa in Love nun angeht, da kann ich nur eine ganz große Empfehlung aussprechen.
Anmerkung: Mit Onna no Inai Otokotachi (Man Without Women) und Samsa in Love hat Haruki Murakami bereits zwei Kurzgeschichten in diesem Jahr veröffentlicht. Wie The Guardian nun berichtete, veröffentlichte das japanische Magazin Bungeishunju am 09. November eine weitere Kurzgeschichte mit dem Titel Drive My Car, benannt nach dem gleichnamigen Song der Beatles.
Am 10. Januar 2014 erscheint Haruki Murakamis neuer Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki auf Deutsch beim DuMont Verlag. Mit den Rezensionen zu den beiden Kurzgeschichten Die unheimliche Bilbiothek und der brandneuen Veröffentlichung Samsa in Love kann man sich schon einmal auf den neuen Roman einstimmen. Viel Spaß beim lesen (natürlich beim lesen der Kurzgeschichten)!
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Die Murakami Rezensionen 6
Japan 2005
Die unheimliche Bibliothek
Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Fushigi Na Toshokan
Erscheinungsjahr: 2005 (Kodansha, Japan), 2013 in deutscher Übersetzung bei DuMont
Illustrationen: Maki Sasaki (japanische Ausgabe), Kat Menschik (deutsche Ausgabe)
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Grusel, Magic Realism
"Der Schafsmann hat seine Schafsmannwelt. Ich habe meine Welt. Und du hast deine. Nicht wahr?
>>Da magst du recht haben.<<
Man kann also sagen, dass ich in der Schafsmannwelt nicht existiere, was aber nicht heißen muss, dass ich überhaupt nicht existiere.
>>Das heißt<<, sagte ich, >>dass die verschiedenen Welten sich hier treffen. Deine Welt, meine Welt und die vom Schafsmann. Es gibt Orte, an denen sie sich überschneiden. So ist es doch, oder?<<
Das Mädchen nickte zweimal kurz."
Haruki Murakami und Kat Menschick funktioniert. Bereits zwei ausgewählte Kurzgeschichten (Schlaf und die Bäckereiüberfälle) brachte der DuMont Verlag als schicke Hardcover-Sammelbände in die Buchhandlungen, die allesamt bezaubernde wie surreale Zeichnungen der Berliner Illustratorin Kat Menschick zu Murakamis genau so bezaubernden und surrealen Geschichten beinhalteten. Beide Ausgaben wurden meines Wissens sogar bereits in Japan veröffentlicht.
Sowohl Schlaf als auch die Bäckereiüberfälle erschienen jedoch schon in deutscher Übersetzung in der Anthologie Der Elefant verschwindet. Mit der unheimlichen Bibliothek zauberte man aber nun eine im Westen noch recht unbekannte Kurzgeschichte Murakamis aus dem Hut, zu der Kat Menschicks Zeichnungen besser als je zuvor passen dürften.
Protagonist der kleinen Gruselgeschichte ist ein namenloser Jugendlicher. Nichtsahnend mit seiner beinahe noch kindlichen Unschuld, betritt der Junge die Stadtbibliothek um sich nach Bücher über "Steuereintreibung im Osmanischen Reich" zu erkundigen. Die knurrige Angestellte weist den Jungen in den Keller der Bibliothek, wo man ihm Antwort auf seine Frage geben würde. Da der Junge Stammgast in der Bibliothek ist, kam es ihm seltsam vor, dass es anscheinend noch ein Untergeschoss geben soll. Ungläubig steigt er die Treppen hinab und findet eine Tür vor, die in einen kleinen Raum führt. Beherbergt wird dieser Raum von einem schaurigen Bibliothekar, der genau die Bücher auf Lager zu haben scheint, die der Junge sucht. Schüchtern und verängstigt lässt der Junge sich darauf ein, die Bücher im Keller der Bibliothek zu lesen. Was der Junge noch nicht weiß, er darf den Keller nicht eher verlassen, bis er alle drei Bücher auswendig gelernt hat, und sie dem alten Bibliothekar anschließend vorträgt. Der Alte hat den Teenager reingelegt. Aus der unheimlichen Bibliothek scheint es kein Entkommen zu geben.
Als ein wenig kafkaesk, kann man diese Kurzgeschichte bezeichnen. Inklusive dem namenlosen Protagonist, sind alle Charaktere dieser Geschichte skurril. Ein Wiedersehen gibt es obendrein mit dem Schafsmann. Der wird, wie es scheint, von dem Alten als Sklave (eher als Prügelknabe) gehalten. Tief unten in der Bibliothek, backt dieser für alle neuen Insassen frische Donuts. Wer also schon immer mal von einem kleinen gedrungenen Mann in einem Schafkostüm bedient werden wollte, der wird in Murakamis Bibliothek wohl genau richtig sein. Ob die Geschichte aber tatsächlich zum Schafsmann-Kanon gehört (Wilde Schafsjagd, Tanz mit dem Schafsmann), wird bei der unheimlichen Bibliothek nicht ganz klar.
Der typische Murakami-Stil fehlt in dieser Geschichte natürlich nicht. Es gibt herrlich schräge, kryptische Dialoge und sogar einen Ausflug ins Osmanische Reich. Murakami ist ein begnadeter Erzähler und auch wenn die Kurzgeschichte nicht viel Spielraum für eine komplexe Story bietet, so schöpft der Japaner wieder all sein Potential aus, alles so surreal und geheimnisvoll wie möglich zu gestalten. Leider ist es mir aufgrund der eben nicht komplexen Story möglich, näher auf die einzelnen Details, wie die schrägen Charaktere zum Beispiel, einzugehen. All das würde den Spaß daran nehmen, die Kurzgeschichte selbst zu lesen.
Worauf ich aber sehr wohl eingehen kann, und auch hier möchte ich nichts vorab posten, sind die Zeichnungen von Kat Menschik. Die teilweise sehr bizarren Illustrationen passen einfach perfekt zu der Geschichte. Jedes einzelne Bild ist ein kleines Kunstwerk. Die Illustratorin saugt die Geschichte förmlich in ihre Zeichnungen ein. Das hat mir sehr gut gefallen. Sollte man das Buch ungelesen noch im Regal stehen haben, so sollte man das durchblättern jedoch lassen, denn sonst ruiniert man sich die Überraschungen. Übrigens, im krassen Kontrast dazu stehen die Illustrationen der japanischen Ausgabe von Maki Sasaki. In der japanischen Ausgabe sieht alles ein wenig freundlicher, humoristischer aus. Man kann also davon ausgehen, Murakamis Intention war es, die Geschichte weniger ernst erscheinen zu lassen. Einen genaueren Vergleich findet ihr dazu in diesem Link auf Japanliteratur. Somit kann die deutsche Ausgabe durchaus als gruselige Neuinterpretation angesehen werden. Finde ich äußerst gelungen.
Wie immer muss ich auch die Übersetzung von Ursula Gräfe loben. Wie in den bereits veröffentlichten Übersetzungen importiert sie Murakamis Stil butterweich in in die deutsche Sprache. Man kann sich schon jetzt auf ihre Übersetzung zu Murakamis neuen Roman im Januar freuen.
Resümee
Die unheimliche Bibliothek ist eine stimmungsvolle, surreal geschriebene Kurzgeschichte. Der Ausflug in dieses düstere Labyrinth war gruselig und zeitgleich amüsant. Schräge Charaktere, wundervolle Dialoge und brillante Illustrationen machen das Buch unverzichtbar für Murakami-Leser. Neulinge werden sich vermutlich mit dieser Kurzgeschichte recht schwer tun. Was aber nicht heißt, dass diese Kurzgeschichte nicht auch als Einstieg ins Murakami Universum dienen kann.
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Japan 2013
Samsa in Love
Autor: Haruki Murakami
Erscheinungsjahr: 28 Oktober 2013 bei The New Yorker (kostenlos lesen)
Übersetzung: Ted Goosen
Genre: Mystery
Samsa looked down again at the bulge. “I don’t know how to explain it, but that has nothing to do with my feelings. It must be some kind of heart problem.”
“No kidding,” she said, impressed. “A heart problem, you say. That’s an interesting way to look at it. Never heard that one before.”
“You see, it’s out of my control.”
“And it has nothing to do with fucking?”
“Fucking isn’t on my mind. Really.”
“So let me get this straight. When your thing grows big and hard like that, it’s not your mind but your heart that’s causing it?”
Samsa nodded in assent.
“Swear to God?” the woman said.
“God,” Samsa echoed. Another word he couldn’t remember having heard before. He fell silent.
The woman gave a weary shake of her head. She twisted and turned again to adjust her brassiere. “Forget it. It seems God left Prague a few days ago. Let’s forget about him.”
The New Yorker gehört wohl zu den angesehensten Kulturmagazinen der Metropole. Ob Stephen King, Nobelpreisträgerin Alice Munro oder auch Haruki Murakami. Zahlreiche Kurzgeschichten der bekanntesten Autoren wurden in dem englischsprachigen Magazin bereits veröffentlicht. Dank des Internets sind viele davon völlig kostenlos auf der offiziellen Website nachlesbar. So sieht es auch mit Haruki Murakamis neuster Kurzgeschichte, Samsa in Love aus. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte seinen eReader oder Tablet in die Mangel nehmen, um für das bestmögliche Lesevergnügen zu sorgen.
Wer sich über den Titel wundert, und meint, dieser komme ihm bekannt vor, liegt er nicht ganz falsch. Denn Samsa in Love ist eine Neuinterpretation von eine der wohl Seinerzeit gruseligsten, seltsamsten und meist gelesenen Geschichten. Die Rede ist von Franz Kafkas "Die Verwandlung". Bis auf einen ähnlichen Prolog samt Protagonist und die Thematik haben die Geschichten aber nicht viel miteinander zu tun. Die Geschichte mag zwar Kafkaesk sein, aber Murakamis unvergleichlicher Stil ist es, der diese Kurzgeschichte prägt. Und gleichzeitig ist diese Kurzgeschichte wohl schriftstellerisch das beste, was Murakami seit Kafka am Strand veröffentlicht hat.
Ein junger Mann wacht in einem ihm unbekannten Raum auf. Er kann seine Räumlichkeiten nicht zuordnen und alles um ihn herum macht einen befremdlichen Eindruck. Seltsamerweise weiß er nur eines, oder etwas, woran er sich erinnern kann. Gregor Samsa. Ein Name. Sein Name? Er ist sich beinahe sicher, dies ist sein Name. Samsa mustert das Zimmer. Das einzige Fenster wurde mit Brettern zugenagelt. Wieso sollte jemand wollen, dass er nicht sieht, was draußen vor sich geht? Als Samsa versucht, sich allmählich aufzurichten, bemerkt er jedoch, etwas ist nicht so, wie es sein sollte. Sein Körper fühlt sich verkrüppelt an. Etwas scheint da nicht richtig angeordnet zu sein. Er betrachtet seinen Körper, bemerkt, er ist komplett nackt. Jedoch scheinen all seine Körperteile verformt und zerbrechlich. Er ist so blass, man kann jede einzelne Vene sehen, die sein Körper schmückt. Sorgen bereitet Samsa übrigens auch, dass er von den wichtigsten Gliedmaßen jeweils zwei Paare hat. Nach einem harten Kampf, das Bett zu verlassen, realisiert Samsa, dass er sich in einem völlig verlassenem Hotel befindet. Wo sind alle Besucher hin? Und was geht wohl draußen vor sich? Da klingelt es plötzlich an der Haustür, und eine junge Dame vom Schlüsseldienst will eines der Schlösser im Hotel austauschen. Die Frau mit dem frechen Mundwerk erzählt Samsa nicht nur einige interessante Details über die Außenwelt, sondern er bemerkt auch noch etwas anderes, so ein Gefühl, wie es eigentlich nur bei Menschen zu finden ist, die Verliebt sind.
Ich habe die meisten von Murakamis Kurzgeschichten-Anthologien gelesen. Oft, und besonders im eigenen Land, wird er kritisiert, seine Geschichten hätten einen zu großen westlichen Einfluss. Dieser Meinung konnte ich mich aber nicht ein einziges mal anschließen. All seinen Geschichten haftet trotz einiger westlicher Einflüsse ein enormes Maß an japanischer Popkultur an. Murakamis Geschichten sind japanisch, vom Stil als auch von der Denkweise. Bei Samsa in Love bin ich jedoch überrascht worden. Die markante Übersetzung von Ted Goosen mag zwar einen Teil dazu beitragen, aber es ist größtenteils Murakamis Erzählstil, der diese Geschichte so westlich erscheinen lässt. Diesen Aspekt sehe ich übrigens in keinster Weise als Kritik. Im Gegenteil. Die Geschichte spielt zwar, und das erfährt man während des Lesens, in Prag, viel mehr könnte sie aber auch in einem New York der Nachkriegszeit spielen. Der Geschichte haftet weniger Kafka als viel mehr Philip K. Dick an. Man glaubt, man lese gerade den Auftakt zu einem mysteriösen Endzeit-Roman. Murakami entführt uns in eine sehr geheimnisvolle Welt. Mit dem Eintreffen des buckligen Mädchens bekommt der Leser nur einen kleinen Eindruck davon, welch seltsame Ereignisse gerade in der Welt außerhalb des Hotels Samsa vorgehen. So stellt man sich zwangsläufig die Frage, wie es zu Gregor Samsas Verwandlung kam, wer das bucklige Mädchen vom Schlüsseldienst gerufen hat und was in der Außenwelt vor sich geht.
1Q84, Murakamis letzten auf deutsch veröffentlichen Roman haftete ein Problem an. Das große Werk umfasste viele Erzählstränge, doch fast keiner davon wurde zufriedenstellend aufgelöst. Bei 1Q84 konnte man dies durchaus als Manko sehen. Bei einer so überschaubaren Geschichte wie Samsa in Love jedoch tragen all diese vielen Geheimnisse zur Atmosphäre der Geschichte bei. Auch nach dem lesen resümiert man noch ein wenig über die Geschehnisse. Murakami hat hier in Höchstform geschrieben.
“Ah, Gregor Samsa, sometimes you make me want to die,” she said.
Die große Stärke sah ich aber wieder einmal in den Dialogen der Charaktere untereinander. Ich muss erwähnen, es gibt nur zwei Protagonisten und einen Erzähler in dieser Geschichte. Mit dem Mädchen vom Schlüsseldienst präsentiert Murakami mal wieder einen Charakter, der eindeutig seinen Stempel trägt. Ähnlich wie Ushikawa in 1Q84 ist das bucklige Mädchen, in der Geschichte als Hunchback Girl bekannt, das Prunkstück unter den Protagonisten. Im Gegenzug zu ihr scheint Gregor Samsa sich fast normal zu benehmen. Im Vergleich zu Kafkas Samsa gleicht Murakamis Protagonist übrigens weniger einem Insekt als viel mehr einer missgestalteten Person, zu der das Leben nicht gerade gnädig war. Das Mädchen hingegen ist bucklig, und ständig muss sie ihren Büstenhalter richten. Ihr Mundwerk ist frech und Respekt scheint sie kaum zu haben. Den Leser erwarten einige großartige Dialoge zwischen den beiden. Es ist ein regelrechtes Kuriositätenkabinett und doch scheinen diese beiden Charaktere menschlicher zu sein als die Welt um sie herum.
Resümee
Samsa in Love hat mir sehr gut gefallen. Genau wie 1Q84 ist auch diese Kurzgeschichte kein typischer Murakami, aber dennoch funktionierte diese Story wesentlich besser als vieles, was er bei 1Q84 so probierte (was nicht heißen soll, ich fände 1Q84 schlecht). Ich habe mir auch nach dem Lesen von Samsa in Love noch einige Gedanken zu der Geschichte gemacht. Sie ist eine wundervolle Hommage an das Werk Kafkas, und irgendwie auch eine Rückkehr zu Kafka am Strand (Roman). Auch wenn beide Geschichten sehr unterschiedlich sind, so sind doch gewisse Ähnlichkeiten zu erkennen.
Ich wünsche mir natürlich eine neue Anthologie mit mehr Kurzgeschichten in dem Stil von Samsa in Love. So eine Anthologie von Murakami ist, ehrlich gesagt, auch mal wieder längst überfällig.
Was Samsa in Love nun angeht, da kann ich nur eine ganz große Empfehlung aussprechen.
Anmerkung: Mit Onna no Inai Otokotachi (Man Without Women) und Samsa in Love hat Haruki Murakami bereits zwei Kurzgeschichten in diesem Jahr veröffentlicht. Wie The Guardian nun berichtete, veröffentlichte das japanische Magazin Bungeishunju am 09. November eine weitere Kurzgeschichte mit dem Titel Drive My Car, benannt nach dem gleichnamigen Song der Beatles.
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