Dieses Mal habe ich ein Buch dabei, das schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Ei wei, wie Almut sagen würde. Aber es müssen ja auch gar nicht immer die neuesten Werke sein, manchmal ist es gar nicht verkehrt, sich an ältere Bücher zu erinnern.
Dieses Buch begleitet mich schon sehr lange. Und es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass es sogar Einfluss auf einiges von dem, was ich in der Vergangenheit geschrieben habe, genommen hat. Ich habe es vor einigen Tagen wieder aus dem Regal gezogen, habe mir dann sogar das Hörbuch für meine häufigen langen Fahrten gekauft und das, obwohl ich eigentlich gar kein Fan von Hörbüchern bin. Und dann musste ich lesen, dass die Autorin bereits vor einigen Jahren verstorben ist, wodurch leider auch meine letzte Hoffnung darauf, dass sie mich noch ein weiteres Mal ins mittelalterliche Köln und in die Welt von Almut und Pater Ivo entführen würde, gestorben ist.
Doch der Reihenfolge nach. Die Geschichte der Begine Almut Bossart beginnt im Jahr 1376. Sie lebt mit einigen anderen Frauen im Konvent am Eigelstein. Almut ist keine typische Frau ihrer Zeit, die brav und züchtig den Kopf senkt und sich den Männern unterordnet. Vielmehr liebt sie das Leben als Begine, das ihr ein wenig mehr Freiheiten schenkt, sie ist belesen und relativ gebildet, als Tochter eines Baumeisters mauert sie eigenhändig einen Hühnerstall und sie hat eine scharfe Zunge, die sie so manches Mal in Schwierigkeiten bringt. Beispielsweise, wenn sie den Priester in der Kirche unterbricht und belehrt, da er ihrer Meinung nach die Bibel falsch auslegt. Unglücklicherweise fällt damit der Verdacht auf sie, den plötzlich ungenießbaren Messwein vergiftet zu haben.
Schnell allerdings wird deutlich, dass dies nicht alles ist. Im Hause eines angesehenen Weinhändlers kommt ein junger Mann zu Tode und kurz darauf gerät Almut unter Mordanklage durch den Weinhändler, da sie selbst dem jungen Mann zuvor Medizin gebracht hatte und er sich zuvor auf dem Wege der Besserung zu befinden schien. Kurzerhand macht sie sich selbst auf die Suche nach dem Mörder, denn dass es Mord war, ist auch für sie eindeutig.
Dabei wird noch jemand auf sie aufmerksam: der Benediktiner Pater Ivo von Groß Sankt Martin, ein strenger, intelligenter und vor allem gefährlicher Mann. Langsam fasst Almut Vertrauen und glaubt daran, dass er von ihrer Unschuld am Tod des jungen Mannes überzeugt ist und ihr aufrichtig helfen möchte, den Mord aufzuklären. Doch als der Inquisitor Bruder Johannes Almut des Mordes anklagt, fordert Pater Ivo ein Gottesurteil. Nackt muss Almut vor der gesamten Kirchengemeinde den Leichnam umrunden, ihn küssen und seinen Namen rufen. Erschüttert weiß sie nicht mehr, wem sie überhaupt noch trauen darf.
Nun, ich denke nicht, dass es ein Spoiler ist, wenn ich an dieser Stelle bereits sage, dass Pater Ivo Almut aufrichtig helfen wird. Und dass er dieses Gottesurteil nur forderte, um sie vor der Folter zu bewahren. Bruder Johannes dagegen ist von der Kraft des Gottesurteils überzeugt und somit ist es das einzig wirksame Mittel, ihn von der Unschuld Almuts zu überzeugen.
„Der dunkle Spiegel“ ist ein starkes Buch. Passend und spannend verwebt Andrea Schacht Krimi und Historienroman und schafft dabei faszinierende Persönlichkeiten: die graue Begine Almut und der schwarze Mönch Ivo, die gegensätzlicher kaum sein könnten und sich doch so sehr gleichen, die taubstumme Trine, ein Mädchen im Konvent der Beginen, Aziza, die maurische Hure, der Päckelchesträger Pitter, und so viele mehr. Der Humor kommt hierbei auch nicht zu kurz, vor allem, wenn Almut und Pater Ivo sich Bibelzitate um die Ohren hauen und sie dabei auf ihre ganz eigene Art auslegen.
Abschließende Gedanken
Insgesamt ist das Buch sehr authentisch, die historischen Gegebenheiten stimmen im Großen und Ganzen. Die Figuren dagegen sind vielleicht ein wenig zu sehr aus „unserer“ Zeit heute; sie sind sehr fortschrittlich, tolerant. Andererseits glaube ich, dass es anders auch nicht funktionieren würde. Abgesehen davon, dass sie allesamt tolle Persönlichkeiten sind, haben sie Tiefe, Charakter, Stärken aber auch Fehler und Schwächen. Und sie tragen ihre Geheimnisse mit sich herum, die sie manchmal sogar über einige Bände der Reihe hinweg hüten. Für mich wurden diese Persönlichkeiten manchmal sogar fast real.
Der Sprachstil ist flüssig und leicht zu lesen. Einige altbackene Redewendungen stören nicht, sondern lockern sogar eher auf und rufen in Erinnerung zurück, dass wir uns immer noch im Mittelalter befinden. Auch wenn man einige Sätze in der Gossensprache des Päckelchesträgers Pitter mehrfach lesen muss, um sie zu verstehen.
Somit ist mit „Der dunkle Spiegel“ ein wahnsinnig starker Auftakt der Reihe gelungen. Das Buch ist spannend, überraschend und einfach nur gut. Der Schalk blitzt immer mal wieder zwischen den Zeilen hervor – so legt Pater Ivo Almut als Buße auf, keine süßen Wecken mehr in der Kirche zu essen, nachdem er sie zu anderer Gelegenheit einmal dabei erwischt hatte - aber zugleich strahlt es eine Tiefe und … Würde, ja, ich denke, dieses Wort ist angemessen, aus. Ich liebe das Buch, ich liebe die graue Begine und den schwarzen Pater und das sogar so sehr, dass ich nicht imstande bin, die hierauf folgende Reihe zu lesen, in der wir den einen oder anderen Bekannten aus dieser Reihe wiedertreffen werden, allerdings um einige Jahrzehnte gealtert und als Randfigur. Für mich sollen sie alle so bleiben, wie Andrea Schacht sie hier ins Leben rief. Jeder, der auch nur Krimis oder historische Romane gerne liest, sollte zu diesem Buch greifen. Und denjenigen, für die es vielleicht noch Neuland ist, sei es als ein spannender Beginn oder auch nur ein Abstecher im Bereich des historischen Krimis empfohlen.