Japan 2013
Kirschblüten und rote Bohnen
Originaltitel: An
Autor: Durian Sukegawa
Deutsche Veröffentlichung: März 2016 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Drama, Slice of Life
">>Sie begleitete uns zum Bahnhof. Sie weinte und entschuldigte sich ununterbrochen. Die ganze Nacht lang hatte sie an einer Bluse für mich genäht. Eine Bluse, wie es sie kein zweites Mal gab. Aus feinstem weißem Musselin. Ich hatte so etwas noch nie getragen. Allein der Gedanke, auch nur zeitweise von meiner Familie getrennt zu sein, zerriss mir das Herz. Ich stand in meiner neuen weißen Bluse am Bahnhof und klammerte mich an meine Mutter. Wie weinten. Mein anderer Bruder und meine Schwester waren nicht mit zum Bahnhof gekommen. Aber als wir an der Haustür voneinander Abschied nahmen, hatten meine Schwester und ich auch die ganze Zeit über geweint. >Wein doch nicht<, sagte ich immer wieder, >ich komme ganz bestimmt zurück<. So stiegen wir in den Zug nach Tokio. Eine ganze Nacht lang schaukelten wir durchs Land. Als wir endlich angekommen waren, sagte mir mein Bruder, wer Lepra hätte, so wie ich, dürfe nie mehr nach Hause.>>"
(Kirschblüten und rote Bohnen, Durian Sukegawa, Übersetzung: Ursula Gräfe, DuMont Buchverlag)
Wenn deutsche Leser die Namen "DuMont" und "Ursula Gräfe" vernehmen, dann blitzen meistens unvergessene Momente auf, die mit Parallelwelten, geheimnisvollen Frauen und Schafsmännern zu tun haben. Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem DuMont Buchverlag aus Köln und der Übersetzerin Ursula Gräfe haben das umfangreiche Werk von Haruki Murakami in Deutschland erst einmal populär gemacht. In der heutigen Besprechung geht es zwar auch um das Erfolgsduo und japanische Literatur, der Autor ist aber diesmal jemand ganz anderes. Durian Sukegawa, so der leicht ungewöhnliche Name des Autors, ist in Japan erfolgreich als Multitalent unterwegs. Ob als Radio- Fernsehmoderator oder gar als Kabarettist oder Punkmusiker.
Durian Sukegawa hat sich aber auch als Autor versucht und das sogar mit relativ ruhigen Tönen. "Kirschblüten und rote Bohnen", ein Titel, der in Japan ganz einfach "An" heißt (dazu gleich mehr), war in seinem Heimatland ein überraschender Bestseller und erzählt die melancholische Geschichte von drei Personen unterschiedlichster Natur und Altersklasse. Und das, was die Ereignisse in diesem ruhig erzählten Roman ins Rollen bringt, ist ausgerechnet eine Süßspeise.
Als "An" bezeichnet man die aus roten Bohnen hergestellte süße Paste, die als Füllung für die japanischen Pfannkuchen (Dorayaki) dient. Die Geschichte beginnt mit Sentaro, der in so ziemlich allen Lebenslagen gescheitert ist, bereits einmal im Gefängnis saß und nun einen Haufen Schulden zu begleichen hat. Seit einiger Zeit ist Sentaro für einen kleinen Dorayaki Imbiss zuständig, dem Doraharu. Dort fristet Sentaro sein unspektakuläres Dasein mit den täglich gleichen monotonen Aufgaben. Als Bäcker versucht sich Sentaro schon gar nicht mehr, weil er es nicht schafft, eine leckere selbstgemachte Bohnenpaste zu kreieren. Also setzt er auf Massenware die aus China in Kanister abgefüllt wird und direkt zu Sentaro ins Doraharu geliefert werden. Eines Morgens reagiert eine alte Frau, weit über 70 Jahre alt und mit deformierten Händen, auf Sentaros Stellenausschreibung. Diese hat er weniger aus dem Grunde ausgegeben, um eine helfende Hand bei der Arbeit zu erhalten, sondern viel mehr um der Einsamkeit während seiner Arbeitszeit zu entkommen. Die selbstbewusste Tokue will den Job, doch immer wieder lehnt Sentaro ab. Doch die alte Frau hat ein Argument vorzuweisen, welches Sentaro nicht ablehnen kann. Die beste selbstgemachte Bohnenpaste, die er jemals probieren wird. Über 50 Jahre Erfahrung befinden sich in Tokues An. Zwischen Sentaro und Tokue entwickelt sich eine ungleiche Freundschaft und er lernt eine menge über die harte Vergangenheit der alten Dame kennen.
Im laufe der Geschichte wird auch noch die Schülerin Wakana, die aus komplizierten sozialen Verhältnissen kommt, teil dieser ungewöhnlichen Entourage. Durian Sukegawa nimmt sich Zeit wie ein Senmeister, seine Figuren in die Geschichte einzuführen und ihre persönliche Geschichte wie bei einer Emakimono aufzudecken. Dies ist an sich bereits eine der großen Stärken der japanischen Literatur. Auf den ersten Blick liest sich Durian Sukegawas Ensemble sogar nach den absoluten Stereotypen. Nach den ersten oberflächlichen Annäherungsversuchen wird der Leser auch genau diesen Eindruck erhalten. In der Ruhe liegt jedoch die Kraft, denn von jedem der drei werden zahlreiche Facetten und Hintergrundgeschichten entfacht. Das schöne an "Kirschblüten und rote Bohnen" ist jedoch die beinahe schon zärtliche Atmosphäre. Hier gibt es keinen Kitsch oder deplatzierte Spannungsbögen, die künstlich aufgezogen wurden. Obwohl es aber diese üblichen Highlights nicht gibt, plätschert die Geschichte alles andere als einfach dahin. Der flüssige Erzählstil des Autors sorgt eher dafür, dass das handliche Buch schneller ausgelesen ist, als man annimmt.
Wie bereits oben erwähnt war einmal mehr die Japanologin Ursula Gräfe für diese flüssige und gut lesbare Übersetzung zuständig. Viele Leser werden sie wohl stets mit Haruki Murakami verbinden, aber ich kann auch an dieser Stelle sagen, es gehen weitaus mehr Übersetzungen auf ihr Konto. Mit ihrer langjährigen Erfahrung hat sie auch "Kirschblüten und rote Bohnen" zum Blühen gebracht. Komplizierte Fußnoten gibt es hier nicht, wie immer wurden einige wichtige Erklärungen zu japanischen Begriffen elegant in den Satz mit eingebaut. An sich ist Durian Sukegawas aber sowieso eine Geschichte gelungen, die ohne komplizierte Handlungsstränge auskommt.
Im Jahr 2015 ist "Kirschblüten und rote Bohnen" (ebenfalls unter dem gleichnamigen japanischen Titel "An") von Naomi Kawase erfolgreich verfilmt worden und gar als Beitrag nach Cannes und aufs Toronto Filmfestival eingesandt worden. Ich kann mich diesmal entspannt zurücklehnen sobald ich den Film schauen werde, denn durch das Buch kenne ich vermutlich mehr Inhalte, als der Film letztendlich in unter 120 Minuten zeigen wird. Neugierig bin ich dennoch. Wer den Roman gelesen hat und nun lust auf den Film hat, dieser wird nach kleinerer Kinoauswertung auch am 26. August in Deutschland auf DVD erscheinen. Eine HD-Variante auf Blu-ray wird meines Wissens leider nicht gelistet. Sollte ich den Film rezensieren, wird es dazu sicherlich noch einen Nachtrag geben.
Resümee
"Kirschblüten und rote Bohnen" verzauberte mich mit seiner sanften und ruhigen Atmosphäre sehr häufig während des Lesens. Durian Sukegawa erschafft Orte und Charaktere, mit denen man sich schnell anfreundet und auch mitleidet. Wem das Futter an in die deutsche Sprache übersetzte japanische Literatur unlängst ausgegangen ist, zögert nicht! Viele Elemente der modernen japanischen Literatur hat Durian Sukegawa in seine Geschichte untergebracht. Hoffen wir, von nun an wieder regelmäßiger Nachschlag aus Japan zu bekommen, denn die Dorayaki haben mal wieder Appetit auf mehr gemacht.