Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 19. Juli 2023

Rezension: Transform 3 - Der Gegenschlag (Jona Sheffield)

 


Deutschland 2022


Transform 3: Der Gegenschlag

Autorin: Jona Sheffield

Verlag: Selbstverlag

Format: eBook, gebundene Ausgabe

Genre: Science-Fiction, Thriller


Ihr Lieben, ich bin zurück!

Nach langer Pause, weil manchmal eben einfach das Leben passiert, aber jetzt nerve ich Euch wieder regelmäßiger, versprochen!

Zum Einstieg habe ich auch wieder einen echten Kracher für Euch im Gepäck – Transform 3. Der Gegenschlag von Jona Sheffield. Wie der Titel schon verrät, sind wir damit beim dritten Teil, aber trotz Rückblick, der sich eingangs im Buch befindet, solltet Ihr es Euch nicht nehmen lassen, Band 1 und 2 zuerst zu lesen. Ihr verpasst sonst was.

Davon einmal abgesehen bin ich sprachlos. Ja, ich. Und zwar auf eine absolut positive Weise. Ich staune mit jedem Buch von neuem, wie viele Ideen im Kopf dieser Autorin herumschwirren müssen und wie schnell, präzise und mitreißend sie sie dann zu Papier bringt. Und ich bin sprachlos, weil ich immer wieder die gleichen Dinge erzähle, wenn ich eines ihrer Bücher gelesen habe, da jedes einzelne in absolut hochwertiger Qualität (ja, ich meine den Inhalt! Wobei auch die Druckausgabe von sehr guter Qualität ist und sich gut anfässt) daherkommt und ich immer wieder die gleichen lobenden Worte finde. Aber: Das ist nicht gelogen, und der Mensch neigt dazu, sich viel mehr über negative Dinge zu mokieren, diese bleiben auch viel zu lange in den Köpfen, daher bin ich der Meinung: Ich wiederhole mich liebend gerne, immer und immer und immer wieder, damit jedes einzelne und damit auch dieses Buch den positiven Zuspruch bekommt, den es mehr als verdient hat.

Zum Inhalt kann ich gar nicht so viel sagen, ohne dass ich dort Spoiler platzieren würde, egal wie ich es anfange. Es handelt sich jedenfalls um einen Science-Fiction-Thriller, in dem die Menschheit von einer außerirdischen Spezies bedroht wird. Wir begleiten einige unterschiedliche Protagonisten, wir fiebern mit, freuen uns, bangen um sie. Diese Charaktere haben Tiefe, sie haben Charakter. Es bereitet keinerlei Mühe, sich beim Lesen in sie und in ihre Reaktionen, ihre Gedankenwelten hinein zu versetzen. Und am Ende muss vielleicht das eine oder andere Tränchen verdrückt werden.

Überhaupt wirkt dieses Buch düsterer als die anderen von Jona Sheffield. Sie scheut sich nicht davor, Krieg, Kampf, Verletzungen und Tod zu thematisieren. Dies wird bereits im Prolog deutlich, der uns wie gewohnt mitten ins Geschehen stürzen, einen Blick auf die zukünftigen Ereignisse werfen lässt, der uns nicht zweifeln lässt, dass die Situation grausam und nahezu aussichtslos ist. Nur um uns dann ins Gesicht zu lächeln (die Meisten werden sicher Game of Thrones kennen – kennt Ihr auch dieses Lächeln von Daenerys Targaryen, dieses süßliche, wo aber direkt klar ist, dass da was im Busch ist? Exakt so stelle ich mir das vor …) und einige Zeit früher anzusetzen. Aber eines ist damit geschafft: Ich. Will. Weiterlesen. Denn immerhin muss ich wissen, was da passiert, wie es dazu kommt. Der Weg dahin, das sei gesagt, ist mit vielen Ups und Downs versehen, mit Spannung, und immer wenn man glaubt, jetzt könnte es alles gut werden, immer dann, taucht diese Szene vom Anfang irgendwo im Hinterkopf wieder auf und man wartet, welche Katastrophe nun hereinbricht.

Als ein spoilerfreier Sprung zum Ende ist auch dazu gesagt: Cliffhanger ist gar kein Wort dafür. Was aber auch ein Grund ist, warum ich diese Bücher so mag. Obwohl es Science-Fiction ist, keine Biografie, kein Sachbuch, knallt einem Jona Sheffield gnadenlos das Leben um die Ohren. Nein, es ist nicht alles schwarz oder weiß, nein, es gibt nicht nur gut und böse, und vor allem gibt es nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen und die Protagonisten reiten in den Sonnenuntergang. Viele Autoren und Autorinnen trauen sich nicht daran, dass es kein Happy End oder nicht zumindest ein irgendwie positives Ende gibt. „Manchmal ist es wie im Märchen, wo’s immer gut ausgeht.“ – trifft auf viel zu viele Bücher da draußen zu. Bei Jona Sheffield stellt man sich aber direkt die Frage: Was passiert jetzt? Von wem müssen wir Abschied nehmen? Und bis zum Ende ist da diese diffuse Unsicherheit, ob nicht doch alles umsonst gewesen sein wird und der große Knall kommt. Tschüß, Protagonisten. Tschüß, Menschheit. Tschüß, Welt. Man weiß es nicht. Bis zu letzten Seite. Und manchmal, wenn man die Antwort zu kennen glaubt, kommt da ein einziger Satz und stürzt alles um. Ja, ich ziehe meinen imaginären Hut, denn die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht zu erhalten, wenn die Geschichte (eigentlich?) bereits fertig erzählt ist, schaffen wirklich nicht viele.

Sprachlich ist das Buch wie gewohnt toll zu lesen, ein flüssiger Schreibstil, verirrt sich nicht in Details, beschreibt aber genügend, um die Welt zu verstehen, wie Jona Sheffield sie uns verstehen lassen will, wie sie sie sieht, lässt dabei aber immer noch ausreichend Raum für die eigene Vorstellung. Einzig aufgefallen ist mir, dass ein oder zwei Mal offenbar Namen vertauscht wurden, dass auf einmal von jemandem gesprochen wird, der gar nicht anwesend ist. Ist aber verschmerzbar und sollte auch nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden, vielen wird das nicht einmal auffallen.


Abschließende Gedanken


Im Großen und Ganzen also wieder ein erstklassiges Buch von einer Autorin, die zu recht immer wieder ganz weit oben in den Verkaufsrängen mitmischt. Ich lege dieses Buch jedem ans Herz, der auch nur entfernt am Genre Science-Fiction interessiert ist, der Thriller braucht wie die Luft zum Atmen, der Geschichten über eine mögliche Zukunft der Menschheit liebt. Der Schreibstil und die Erzählweise lassen einen sofort eintauchen und für einen kurzen – oder auch langen – Moment selbst dort in der Zukunft verschwinden, ehe man wieder auftaucht und sich verwirrt fragt, welches Jahr man eigentlich gerade schreibt. 

Fangt mit dem ersten Band an, nehmt euch Zeit und dann taucht ein in diese wunderbare – naja, eigentlich bedrohliche – Welt, die Jona Sheffield ein Mal mehr geschaffen hat.

Montag, 17. Juli 2023

Rezension: All die Liebenden der Nacht (Mieko Kawakami)

 


Japan 2011 (Deutsche Erstveröffentlichung 2023)

All die Liebenden der Nacht
Originaltitel: Subete mayonaka no koibito tachi
Autorin: Mieko Kawakami
Übersetzerin: Katja Busson
Verlag und Veröffentlichung: DuMont Buchverlag 19.06.2023
Genre: Slice of Life Drama
Format: Hardcover, E-Book


"All die Liebenden der Nacht" ist die neuste Übersetzung aus dem Schaffen der begnadeten japanischen Autorin Mieko Kawakami. Das Buch hat mich die letzten Wochen durch stressige Zeiten begleitet. Nun kann ich endlich darüber schreiben. Eines aber vorweg: Kurz nach der Veröffentlichung des Buches habe ich aufgrund einer Buchbestellung eine größere Buchhandlung in meiner Heimatstadt besucht. Mit Freude habe ich vernommen, dass das Buch von Mieko Kawakami dort einen eigenen kleinen Platz hatte und unter "Top Neuheiten" gelistet war. Eine Anerkennung in der japanischen Literatur, die in deutschen Buchhandlungen eigentlich ausschließlich Haruki Murakami, manchmal auch noch Banana Yoshimoto sowie Keigo Higashino, vorbehalten ist. Mieko Kawakami dürfte sich nun als weiterer Name in deutschen Buchregalen etablieren.

Die Geschichte von "All die Liebenden der Nacht" ist, wie so oft bei Mieko Kawakami, recht schnell erklärt. Der eigentliche Kern der Geschichte ist dafür umso vielschichtiger, komplexer und feinfühliger. Im Zentrum steht hier die vierunddreißigjährige Korrekturleserin Fuyuko. Fuyuko ein schüchternes Mauerblümchen zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung. Fuyuko besitzt keinen Funken Selbstwertgefühl. Mit anderen Worten könnte man genau so gut sagen, Fuyuko hat noch nie richtig gelebt. Sie lebt stattdessen in einem übergroßen Brutkasten, ihr Apartment. Von der Welt hat sie noch nichts gesehen, sie lebt stattdessen für ihre Arbeit, geht nicht feiern, verlässt nur zu speziellen Anlässen außerhalb ihres Jobs die Wohnung - wie zum Beispiel ein nächtlicher Spaziergang an ihrem Geburtstag jedes Jahr an Weihnachten. Als Fuyuko sich mit ihrer neuen Vorgesetzten anfreundet, die ebenfalls korrekturlesende Hijiri, wird Fuyuko so manches bewusst. Im starken Kontrast zur extrovertierten, hübschen Hijiri, sieht sich Fuyuko als nicht mehr als ein Häufchen Elend. Alkohol verträgt Fuyuko eigentlich nicht, doch eines Tages erfährt sie, wie leicht man mit Hilfe des hochprozentigen, flüssigen Selbstbewusstseins durchs Leben kommen kann. Fuyuko driftet ab in die vor sich hin dämmernde Welt berauschenden Alkoholkonsums. Als dieser Überhand nimmt und Fuyuko allmählich die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren scheint, tritt mit dem deutlich älteren Mitsutsuka ein Mann in ihr Leben, der anscheinend genau zur richtigen Zeit auftaucht.

"Die Gestalt, die sich von der Fassade, den Schildern, Wänden und Fenstern des Nebengebäudes dunkel abhob, sah erbärmlich aus. Nicht bedauernswert oder elend, nein, richtig erbärmlich. sah die Frau in der Glascollage aus. Aus ihrem Zopf hatten sich lange Haare gelöst und standen ihr wirr um den Kopf. Sie hatte hängende Schultern, tief liegende Augen und kurze Arme und Beine. Nur der Hals sah unangenehm lang, dürr und sehnig aus. Die Wangen waren so eingefallen, dass sich von der Nase in Richtung Mund tiefe Falten gegraben hatten. Die Frau, die mir entgegensah, war ich. In Strickjacke und verwaschenen Jeans. Vierunddreißig Jahre alt. Allein. Eine erbärmliche Frau, die selbst hier in der Stadt und bei schönstem Wetter nicht wusste, wie man lebt. Die eine Tasche mit Dingen umklammerte, die andere Leute dankend ablehnen oder sofort wieder wegwerfen."

Ich habe diese Passage bewusst gewählt, weil sie mich sehr berührt hat. Diese tottraurige Beschreibung dieser jungen Frau, gepaart mit einer weiteren Feststellung Ihrerseits: "..... die selbst hier in der Stadt und bei schönstem Wetter nicht wusste, wie man lebt". Fuyuko selbst hat ihr Problem unlängst erkannt. Ist das Leben, welches sie seit so vielen Jahren ohne Veränderung führt, wirklich lebenswert oder einfach nur eine Ratenzahlung an Gevatter Tod? Ein Leben dazu bestimmt, vor sich hin zu vegetieren. Sämtlicher Impuls, den Fuyuko im Leben erhält und sie Vorfreude für etwas entwickelt, endet schnell im freien Fall zurück in ihre eigene, triste Realität. Aus positiven Impulsen und Euphorie wird Furcht. Fuyuko fühlt sich verloren und einsam, weiß nicht einmal mehr, wie ein gewöhnlicher Schaufensterbummel funktioniert. Hier mag man vielleicht denken, ob Fuyuko nicht eher eine überzeichnete fiktive Figur aus einem Roman ist. Prinzipiell stimmt das, Fuyuko ist ganz und gar fiktiv. Aber sicherlich keine überzeichnete Figur, die nur in "All die Liebenden der Nacht" existiert. Besonders in den Zeiten, in denen wir aktuell leben, grassiert Einsamkeit und das fehlen gesellschaftlicher Kontakte, wie eine weitere Pandemie. Etwas, was wir auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sehr wahrnehmen und begreifen. Fuyuko ist natürlich ein Extremfall, doch den Platz im eigenen zu finden ist schwerer denn je. Mieko Kawakami schafft es ähnlich wie Haruki Murakami, jedoch auf ihre ganz eigene Art, diese teils traurigen und teils melancholischen Gefühle brillant zu beschreiben. Fuyuko erreicht also den Punkt in ihrem Leben, wo sie zur Flasche greift (in ihrem Falle Bier und Sake). Und wie die meisten von uns es vielleicht kennen, verfehlt der Alkohol seine Wirkung nicht. Wir fühlen uns leichter, mutiger, gelassener. Er lässt uns nicht an den morgigen Tag denken und alle anderen Probleme werden temporär verdrängt. Doch der Dämon ist selten weit entfernt, die Schwelle zum Missbrauch der Substanz immer in greifbarer Nähe.

Doch wie soll eine Person anfangen zu leben, die über 30 Jahre lang nicht gelebt hat? In einem Prospekt über Kulturveranstaltungen ist Fuyuko maßlos überwältigt von den Angeboten, die die Stadt anbietet.

"Überwältigt von der Tatsache, dass es so viele Menschen gab, die in der Lage waren, dieses, wie soll man sagen, Wissen, diese Kultur, diese Bildung zu vermitteln, und noch mehr Menschen, die nachfragten, blieb ich eine Weile regungslos liegen. Die Vorstellung, dass all das Tag für Tag irgendwo in einer Ecke von Shinjuku stattfand, hatte mich regelrecht erschlagen. Seufzend angelte ich mir eine neue Flasche Sake aus dem Kühlschrank, die ich halb im Liegen langsam trank. Sieht aus wie Wasser und hat doch eine so andere Wirkung, dachte ich, während ich mit geschlossenen Augen das Schwerwerden meines Körpers genoss."

Die Japanologin Katja Busson fungiert auch hier nach "Brüste und Eier" sowie "Heaven" wieder als Sprachvermittlerin zwischen den Ländern, die von Ozeanen getrennt sind. Einmal mehr liest sich ihre Übersetzung nicht nur flüssig, sondern wie immer auch gefühlvoll und vertraut. Ich las nun sehr oft, es sei aufgrund des verwendeten Akzents von Mieko Kawakami nicht einfach, ihre Werke zu übersetzen. Da ich einzig und allein die deutsch- und englischsprachigen Übersetzungen beurteilen kann, kann ich nur sagen, dass beide Übersetzer hier einen fantastischen Job abliefern (Anmerkung: Sam Bett lautet der Name des englischsprachigen Übersetzers) und ich niemals etwas kritisieren würde, weil ein fremdsprachiger Dialekt verloren geht. Ich muss aber auch weiterhin sagen, ich würde jederzeit bei Mieko Kawakami die Übersetzungen von Katja Busson der englischen Übersetzung vorziehen. Genau wie Ursula Gräfe bei Haruki Murakami, profitieren die Übersetzungen der Bücher von Mieko Kawakami davon, eine einheitliche deutsche Stimme zu besitzen, die auch noch das nötige Feingefühl mitbringt, eine solch emotionale Geschichte in unsere komplizierte und doch schöne deutsche Sprache zu transportieren.



Abschließende Gedanken

Gibt es noch Hoffnung für Fuyuko? Nun, um das zu erfahren, muss man natürlich "All die Liebenden der Nacht" komplett lesen. Mit dem auftauchen von Mitsutsuka gerät das Leben von Fuyuko in etwas andere Bahnen. Ein paar Worte mehr dazu zu schreiben, würde aber natürlich zu viel vorweg nehmen. Und das ist auch gar nicht nötig. "All die Liebenden der Nacht" profitiert wieder einmal von der auf den Punkt gebrachten Kürze der japanischen Literatur. Mieko Kawakami schreibt kein Wort zu viel oder zu wenig. Sie erschafft eine wundervolle Balance, die die Leser in ihre Geschichte eintauchen lassen. "All die Liebenden der Nacht" ist mit jeder einzelnen Seite ein klassischer Großstadtroman. Versehen mit dem typisch japanischen Twist, der die Geschichte wieder einmal von westlichen Literaturstilen abhebt. Als großer Bewunderer der Autorin (hier kann ich als Blogger schon kaum mehr neutral bleiben) hoffe ich daher, dass die internationale Lizenzierung ihrer Werke fortgesetzt wird. An all die Liebenden der Nacht (und Literaturfreunde an sich), lasst euch diesen Roman nicht entgehen.

Freitag, 14. Juli 2023

Wühlkiste: Demons Share (B. E. Pfeiffer)



Deutschland 2023


Demons Share - Tanz der Klingen & Demons Share - Ruf der Dämonen

Autorin: B. E. Pfeiffer

Verlag: Selbstverlag

Format: eBook, gebundene Ausgabe

Genre: Romantasy


Ich hab was Neues!

… und jetzt weiß ich auch nicht weiter.

Das Ganze nennt sich Demons Share, geschrieben von Bettina E. Pfeiffer. Tatsächlich versuche ich mal etwas Neues und bringe beide Bücher mit, „Tanz der Klingen“ und den zweiten und abschließenden Band „Ruf der Dämonen“ – „Logans Story“ wird gern als Teil einer Trilogie bezeichnet, ist aber eigentlich ein Spin-Off zur Dilogie. Und spoilert einfach mal gnadenlos. Ich kann keinen Charakter nehmen, ihn mehrfach in Lebensgefahr bringen … und dann alle Spannung killen, indem ich einen Band nach ihm benenne. Auf den man natürlich beim Onlinekauf des ersten Bandes direkt verwiesen wird. Es geht einfach nicht anders, das Ganze ist irgendwie wie so ein Unfall und es wird einfach immer schlimmer.

Beginnen wir aber mit etwas Positivem: Die Cover sind ganz hübsch anzusehen. Sicherlich nicht die Schönsten aber durchaus solide, sie ergänzen sich und zeigen gleichzeitig die Gegensätze. Das war wider besseren Wissens tatsächlich auch ein Kaufgrund, ich habe etwas nicht allzu Anspruchsvolles gesucht (Erwartungen mehr als erfüllt), das mich gleichzeitig mitnimmt und fesselt (fesseln ja, aber auf andere Art – was habe ich auch so unmögliche Erwartungen…?). Der Titel (das ist doch kein Titel), der beim Kauf angezeigt wird, legt die Erwartungshaltung hoch: „Epische Romantasy im High Fantasy Setting zwischen Liebe, Verrat und unzähligen Geheimnissen“. Einfach nein. Das müsste eigentlich schon Warnung genug sein, aber ich bin so ein Mensch, der häufiger mal sehenden Auges ins Unglück rennt. Episch? Weniger. Romantasy? Jupp, kann man gelten lassen. High Fantasy Setting? Damit tu ich mich schwer, so ein paar Charakteristika sind zwar erfüllt, andere wiederum nicht, wobei die sich eher auf das gesamte Sub-Genre High Fantasy beziehen … das weckt falsche Erwartungen, vielleicht aber auch, weil einige Bücher namhafter Autoren die Messlatte in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr hoch gelegt haben. Liebe, Verrat und unzählige Geheimnisse? Joa. Doch, das passt, klatscht aber auch schon gleich wieder viel zu viel ins Gesicht, sobald man begonnen hat, das Ganze zu lesen. Sagen wir es so: Ich hätte es besser wissen müssen.

Am Anfang steht eine Triggerwarnung (Erwähnung und Andeutung sexueller Gewalt, eindeutige erotische Szenen). Kann man machen, muss man aber nicht, und ist bei diesen Büchern meines Erachtens auch überflüssig, da löst die Triggerwarnung ganz andere Erwartungen aus. Vor expliziter Gewaltdarstellung und der Erwähnung von Folter wird hingegen nicht gewarnt. Aber gut, Triggerwarnungen sind umstritten, manche Fachleute sehen sie eher schadend als hilfreich an, andere haben eine gegenteilige Meinung, und letzten Endes ist es ja eine Entscheidung der Autorin.

Die Geschichte wird aus Sicht von Eve erzählt. Sie dient in der dunklen Armee (mich macht das fertig, das wird als Eigenname verwendet, aber nicht großgeschrieben. Mein innerer Monk ist abgedreht). In dieser Armee dienen diejenigen, die bestimmte Fähigkeiten haben. Eve ist Klingentänzerin. Das ist natürlich eine so seltene Fähigkeit, dass Klingentänzer sogar ihr eigenes Zimmer statt einer Gemeinschaftsunterkunft haben. Genauso verhält es sich bei den Dämonenbeschwörern. Die anderen sind eher schwaches Fußvolk. Und natürlich mag man sich untereinander nicht. Sehr schnell trifft Eve auf Reed, einen Dämonenbeschwörer, mit dem sie ein Team bilden soll, obwohl sie sich bemüht ihn zu hassen und ihn gleichzeitig anziehend findet. Und gefühlt alle anderen bestärken Eve darin, Reed am besten direkt zu bespringen. Das ist schon sehr viel Teenie-Drama. Anstrengend.

Anstrengend wie auch die Protagonisten Eve selbst. Mimt die Erwachsene (ihr Verhalten passt eher zu einem Mädchen als zu einer jungen Frau) und ist an sich nur eine Zicke, die ständig im Mittelpunkt stehen muss, obwohl sie es ja eigentlich gar nicht will. Sowieso sind immer alle anderen Schuld. Anstrengend.

Dazu kommen immer wieder Logiklöcher und Ungereimtheiten. So ist da zum Beispiel Mara, eine Dämonenbeschwörerin, Ex-Freundin von Eves Bruder und ihrer beider Vorgesetzten Logan, die Eve die Schuld am Scheitern der Beziehung gibt. Mara wird von Anfang an als zickig, unzuverlässig und schwach in Hinblick auf ihre Kräfte dargestellt. Ihretwegen scheitert Eves Mission zu Beginn des Buches beinahe. Trotzdem darf Mara ohne ernsthafte Konsequenzen weiterhin in der dunklen Armee bleiben. Aber, Spoiler, wir brauchen Mara später noch. Muss daher so sein. Drehbuch.

Was mich erstmalig dann wirklich gekillt hat, ist die Beschreibung von Eves Rüstung: Es handelt sich um einen schwarzen ledernen Brustpanzer, Unterarmschienen, Lederrock mit kurzer nahezu nicht sichtbarer Hose darunter, freien Oberschenkeln und Overknee-Stiefeln. Beweglichkeit hin oder her, ergibt Sinn, eine Nahkämpferin in den Hauch einer Rüstung zu stecken, während Fiona, Eves beste Freundin, als Bogenschützin in einer ziemlich massiven Rüstung steckt. Bei der Beschreibung hatte ich außerdem ein ganz hohes „Ayiyiyiyiyi“ im Ohr. Ihr wisst, von wem ich rede?

Beim Lesen hatte ich permanent das Bild dieser sehr bekannten Kriegerprinzessin aus den 90ern vor Augen. Und auch wenn Xena aus heutiger Sicht mit mehr als schlechten Special Effects und Kampfchoreografien glänzt und die Rüstung natürlich genauso fehl am Platze ist wie bei Eve, stammt Xena aus einer Zeit, in der genau das sein Publikum hatte. Ja, schuldig, ich habe es mehrfach durchgesuchtet und kann das Intro immer noch auswendig. Für Demons Share ist es allerdings aus der Zeit gefallen, der misslungene Versuch eine sexy Kriegerin zu schaffen.

Da waren noch weitere „Inspirationen“, die sich die Autorin vermutlich geholt hat, sei es eine Beschreibung, sei es der Name eines Charakters. Als offensichtlichste lasse ich es allerdings bei dieser einen Nennung.

Der Kampfstil wird mehrfach beschrieben. Mag an mir liegen, aber ich hab’s nicht verstanden. Erst dachte ich, dass Klingentänzer wirklich einen fließenden, an Kriegstänze angelehnten Kampfstil haben. Meinetwegen auch mit Magie. Es wird aber immer wieder beschrieben, dass Eve die Arme kreisen lässt, vor dem Körper, seitlich davon. Und das immer schneller. Und sich je nach Situation dabei um sich selbst dreht. Das kann ich nicht ernst nehmen. Ich habe es versucht, wirklich, aber es geht nicht. Vor meinem inneren Auge spielen sich Szenen einer Gestalt ab, die wie eine Blöde die Windmühle macht.

Sprachlich überzeugen die Bücher auch nicht immer. Es ist in Ordnung, wirkt aber an vielen Stellen wie ein Erstlingswerk einer deutlich jüngeren Autorin, die keine guten Testleser an ihrer Seite hatte. Es ist zwar kein katastrophales Holpern und Stolpern, aber gut liest es sich leider auch nicht. Manchmal ist es der Satzbau, manchmal die Wortwahl, manchmal stimmt auch gar nichts.

Inhaltlich muss ich versuchen, spoilerfrei etwas vorzugreifen: Wie anfangs angesprochen gibt es immer wieder Logiklöcher. An anderen Stellen wird sich die Sache zu einfach gemacht, völlig unpassende Dinge werden unternommen. Einfach weil es eben für die Story so sein muss. Die Charaktere handeln bestenfalls irrational. Immer im Mittelpunkt dabei Zicke Eve und Schönling Reed. Dazu werden Charaktere eingeführt, die das Eine sagen und das Andere meinen. Die bei der ersten Begegnung geradezu feindselig eingestellt sind und bei der nächsten auf einmal alle Zugeständnisse dieser Welt geben oder Verbündete sein wollen.

Und ja, an dieser Stelle muss ich spoilern, es liest sich aber auch bereits im Vorfeld aus der Inhaltsangabe der Autorin zum ersten Band heraus, Reed ist natürlich nicht, wer er zu sein vorgibt. Natürlich haben wir den großen Verrat und natürlich ist es doch wieder alles anders als es zunächst scheint. Eve mutiert dabei immer mehr zur Teenagerzicke. Einerseits mauert sie, andererseits zieht sie Reed in Gedanken längst wieder aus, ist nicht zur Vergebung fähig und legt ihn dann doch wieder flach. Ich meine, klar, fast jede dieser Geschichten „funktioniert“ so – zwei lernen sich kennen, können sich nicht ausstehen, finden zueinander, großer Verrat, Hass und Verletzung, Misstrauen, finden irgendwie wieder zueinander, Ende. Aber andere bekommen das deutlich eleganter gelöst. Glaubwürdiger und nicht so „ich muss zum Ende kommen“-mäßig über das Knie gebrochen.

Das Ende ist übrigens auch so ein Ding für sich. Denn – oh Wunder! – auch Eve ist nicht, wer sie glaubt zu sein. Das spoilere ich jetzt aber wirklich nicht. Funktionieren kann das so allerdings nicht.

 

Abschließende Gedanken


Alles in allem also ein echter Brocken. Ich habe irgendwann weiter gelesen, weil ich dann zumindest etwas dazu sagen können wollte. Habe ich an dieser Stelle – etwas sehr ausführlich – getan. Im Endeffekt sind die Bücher ein wenig wie ihre Charaktere: wollen mehr sein, als sie sind. Kommen in einem Mantel daher und entpuppen sich als etwas ganz anderes. Viele angerissene Stränge, die nie weiter verfolgt werden. Dazu gesellen sich eher unsympathische Charaktere, mit denen man nie wirklich warm wird, die zwar ihre Vergangenheit haben, denen aber charakterliche Glaubwürdigkeit und Tiefe fehlen. Wenn man verzweifelt nach Lesestoff sucht, dann kann man darüber nachdenken. Wenn man aber noch nicht ganz verzweifelt ist, empfiehlt sich der weitere Blick in dieses „Romantasy“-Setting. Da sind, gerade in letzter Zeit, nämlich so einige deutlich vielversprechendere andere Werke entstanden und zu finden.

Samstag, 8. Juli 2023

Inside: Als Ralph Bakshi die Idee hatte, den Herrn der Ringe zu verfilmen


Es ist nun rund 31 Jahre her, wo Ralph Bakshi seinen letzten großen Spielfilm, wie so häufig ein Hybrid aus Zeichentrick und Live-Action, produziert hat. Der Film heißt Cool World und es spielten namhafte Schauspieler wie Kim Basinger und Gabriel Byrne im Film mit. In der Hauptrolle ein junger, aufstrebender wie gutaussehender Typ, den 1992 noch kaum wer kannte, Brad Pitt.

Ralph Bakshi ist ein Name, der unweigerlich eng mit der amerikanischen Zeichentrickkultur verbunden ist. Und dennoch ist es ein Name, den eigentlich kaum noch wer kennt und etwas mit ihm assoziiert. Was natürlich eine große Schande ist. Ralph Bakshi (1938 in Haifa geboren) immigrierte mit seiner Familie bereits im Alter von einem Jahr von Palästina in die USA. Aufgewachsen ist er in einem verarmten Viertel in Brooklyn. Bakshy kannte die Straßen, den Slang, der dort gesprochen wurde und die Menschen, die dort zu diesen unruhigen Zeiten lebten. Immer wieder sollte das New Yorker Straßenleben in Bakshis Werken eine große Rolle spielen. Im Alter von 18 Jahren arbeitete er sich in der Zeichentrickindustrie hoch, hatte den großen Traum, Zeichentrick-Animator zu werden und der Rest ist bekanntermaßen Geschichte. Bakshi war immer anders, würde er noch aktiv Filme machen, wäre er auch heute noch anders. Ralph Bakshi zog sich endgültig aus der Zeichentrickindustrie im Jahr 2015 mit dem Kurzfilm "The Last Days of Coney Island" zurück, ein Werk, wie es nur von ihm stammen kann. Last Days of Coney Island auf YouTube

Doch wie kam ein Mann, der solch skandalöse Filme wie "Fritz the Cat", "Heavy Traffic" und "Coonskin" produziert hat, an die Herr der Ringe Lizenz? Nun, erstmal muss gesagt werden: Bakshi beklagte sich häufig für die X-Ratings der MPA (damals noch die MPAA) gegenüber seinen Filmen. Eine normale Episode der Simpsons, so seine Aussage vor einigen Jahren, würde heutzutage die gleichen Inhalte wie Fritz the Cat zeigen. Und hier muss dem Altmeister natürlich vehement widersprochen werden. Die oben aufgezählten Filme sind heute nicht weniger kontrovers, als sie es damals bereits waren. Vielleicht nicht mehr so skandalös aber immer noch deutlich grafischer und expliziter als alles, was die Simpsons jemals gezeigt haben. Nicht einmal Bakshis "konventionellere" Filme wie "Wizards" (dt. "Die Welt in 10 Millionen Jahren") oder "Fire and Ice" würden in der heutigen Zeit unbedingt als familienfreundlich durchgehen. Bakshis Zielgruppe für seine Werke waren sicherlich nie die Kinder. Und da reiht sich die für das Jahr 1978 bisher größte Herr der Ringe Adaption auch ein. Das ist kein Film für Kinder. Besonders Bakshis Stilmittel der Rotoskopie und Arbeit mit echten Schauspielern, die dann in das animierte Geschehen einfließen, dürfte Kinder stark abschrecken. Beim Herrn der Ringe hat dies für einige besonders bizarre Gestalten gesorgt.


Im Jahr 1978 hatte Bakshi sich durch seine Kassenerfolge wie Fritz the Cat, Heavy Traffic, Coonskin und Wizards unlängst einen Name gemacht. Die Filme waren erfolgreich genug, um Geldgeber und Studios zu überzeugen, ein groß angelegtes Projekt zu finanzieren. Bakshi war ein großer Bewunderer von Tolkiens Werk und hegte schon lange den Traum, die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen. Aufgrund einer bereits damals mehr als komplizierten Rechtelage, gab es hier so manche Hürden zu überwinden. So mag es heute verwunderlich klingen, aber zur Zeit der Produktion war Der Herr der Ringe in den USA eine Public Domain, soll heißen, sämtliches Copyright von Tolkien Estate galt nicht automatisch auch für die USA. Worüber wir hier gerade reden ist an sich einen eigenen Artikel wert und so komplex und wild, dass die Auswirkungen dieser Angelegenheiten bis heute nicht vollkommen ausgeräumt sind. Belassen wir es bei folgendem: Die Filmrechte gingen zu United Artists und als Bakshi in den 70ern davon erfahren hat, dass sich ihm hier eine Tür öffnen könnte, nachdem sehr viele Filmemacher die Buchreihe als unmöglich zu verfilmen betitelten, wollte er seine Chance ergreifen. Überhaupt war der Herr der Ringe in den USA über viele Jahre eher ein Nischenprodukt in der Fantasy-Literatur. Als in den USA die Pulp-Magazine boomten und Science-Fiction der Literatur-Eskapismus der Amerikaner war, gelangte der Herr der Ringe als europäisches Produkt erstmals wieder in den späten 60ern und in den 70ern erneut ins Gespräch. So war Tolkiens Epos besonders während der Flower-Power Ära auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit angekommen und Gandalf wurde zu einer Kultfigur in der Stoner-Szene (eine wundervolle Hommage gibt es dazu in Philip K. Dicks Science-Fiction Roman "Irrgarten des Todes"). Der Herr der Ringe war zurück im Gespräch und Bakshis Idee, aus dem Buchstoff eine Reihe an Zeichentrickfilmen zu machen, kam zur richtigen Zeit.

Mittlerweile dürfte wohl auch Bakshis Herr der Ringe Adaption wohl eher als ein obskures Stück Zeichentrickgeschichte angesehen werden. Und dennoch wäre es vollkommen verkehrt, den Film als solches zu bezeichnen. Erst einmal, der Film war ein kommerzieller Erfolg und United Artists fühlte sich noch einmal bestätigt, dass es eine gute Idee war, die Partnerschaft mit Bakshi einzugehen. Auch wenn der Film bei Kritikern und Fans der Bücher durchaus kontrovers aufgenommen wurde, so lobte man die Animationskunst des Films, die herausragende Synchronisation (unter anderem zu hören sind John Hurt und Anthony Daniels) und ein allgemeines Gefühl dafür, den Stil von Tolkien in eine Filmwelt zu adaptieren.

Mit einer Laufzeit von über 130 Minuten war der Film für einen Zeichentrickfilm zudem von einer epochalen Laufzeit. Bakshis Pläne waren ambitioniert, die Produktion größtenteils eine Katastrophe und heilloses Durcheinander, was besonders die Live-Action-Aufnahmen betraf, bei denen Bakshi ebenfalls wieder die Regie übernahm. Bakshis ultimative Pläne bestanden darin, die komplette Geschichte zu verfilmen. Dies war aber aus mehreren Gründen nicht möglich. Bakshis Adaption besteht aus "Die Gefährten" und "Die Zwei Türme". Besonders "Die Gefährten" wurde relativ nah an der Literaturvorlage adaptiert während die Adaption von "Die Zwei Türme" deutlich gehetzter wirkte. Es war ein Mammutprojekt und die Bescheinigung vieler Filmemacher, die Buchreihe von J.R.R. Tolkien als nicht verfilmbar zu betiteln, sollte auch Ralph Bakshi noch heimsuchen. So endet der Zeichentrick mit der Schlacht um Helms Klamm als Gandalf der Weiße auf dem Schlachtfeld erscheint und Mordors Truppen vertrieben werden. Abspann. Man könnte meinen, hier ende tatsächlich die komplette Geschichte. Für den Rest der Geschichte musste man dann auf die Literaturvorlage ausweichen. Nur 2 Jahre später folgte ein TV-Zeichentrickfilm von ABC, der die Geschichte des Hobbits und Die Rückkehr des Königs handhabte, konnte aber in Sachen Aufwand, Vollständigkeit und Animationskunst nicht mit dem mithalten, was Bakshi erstmals etabliert hat. Bakshis Werk blieb mehr oder weniger unvollendet, obwohl dies nicht seinen Wünschen entsprach. Doch dies soll den Aufwand nicht schmälern. Ralph Bakshi war einer der ersten, der sich mit einem größeren Budget an den Herrn der Ringe heranwagte. Über große Strecken hat Bakshi hier mit seinem Team eine mutige Adaption abgeliefert. Etwas, was man ihm bei seiner Vita an X-Rated Filmen, sicherlich auch nicht zugetraut hätte. Entstanden ist ein experimenteller Zeichentrickfilm, an den sich so viele Jahrzehnte später nicht mehr viele erinnern können, der aber noch einmal essentiell für eine gewisse Spielfilmtrilogie aus dem Jahr 2001 wichtig werden sollte.


Ralph Bakshis Adaption war eine Blaupause für Peter Jacksons Filme

Würde Peter Jacksons Spielfilmtrilogie zum Herrn der Ringe das sein, was sie heute ist wenn es nicht die Adaption von Ralph Bakshi geben würde? Ich bezweifle es. Peter Jackson outete sich im Zuge der Extras bei der Herr der Ringe Extended Edition als großer Fan von Bakshis Adaption. Jackson hätte die Szene um Odo Stolzfuß, eine Szene, die es so nicht im Buch gab, als Hommage 1:1 für seine Adaption umgesetzt. Doch ist es wirklich die einzige Szene, die Jackson aus Bakshis Film für seine eigene Adaption benutzt hat? Wohl eher nicht. Bakshis Film diente Peter Jackson viel mehr als eine riesige Blaupause für seine eigene Live-Action Adaption. Nicht nur hat Jackson zahlreiche Szenen aus dem Zeichentrickfilm übernommen (die Hobbits, die sich vor dem schwarzen Reiter unter einer Aushöhlung am Baum verstecken und die ebenfalls nicht im Buch vorkommt), er übernahm exakt auch all die Dinge, auf die Bakshi in seiner Adaption aus dem Jahr 1978 verzichtet hat wie der lange Prolog im Auenland und den damit verbunden Problemen chronologischer Abfolgen oder dem Auftritt des Elben Gildor Inglorion und Tom Bombadil, eine der wohl bekanntesten Figuren in Tolkiens Schaffen, die in beiden großen Adaptionen nicht vorkommt.

Stilistisch orientiert sich besonders Jacksons "Die Gefährten" stark an Bakshis Adaption. Egal, ob es sich hier um das Design einiger Protagonisten oder Kreaturen handelt oder chronologische Abfolgen - als Hauptvorlage für die Verfilmung dienten sicherlich nicht direkt Tolkiens Romane, sondern viel mehr Ralph Bakshis Verfilmung. Man kann es kaum leugnen. Denn jeder, der auch nur ein bisschen vom Herrn der Ringe mal gelesen hat wird wissen, welch gravierende Unterschiede es alleine auf den ersten 50 Seiten im Kontrast zu beiden bekannten Verfilmungen gibt. Bakshi nahm sich diese Freiheiten, Jackson hat diese übernommen. Bakshi - Jackson: Der große Vergleich (YouTube Video)

Natürlich verfeinerte Peter Jackson all das, worin es bei Ralph Bakshis Umsetzung noch haperte. Peter Jacksons Trilogie war ein gewaltiges Filmprojekt, selbst über 20 Jahre später hat sich daran kaum etwas geändert. Aber es war Ralph Bakshis Umsetzung, die hier als eine extrem wichtige Referenz diente und ohne die die heutige Trilogie, wie wir sie kennen und lieben, vermutlich ganz anders aussehen würde. Doch wie hätte sie wohl ausgesehen? Hätte sich Peter Jackson genauer an J.R.R. Tolkiens Vorlage gehalten? Oder hätte er sich vielleicht sogar noch weiter von ihr entfernt? Fragen, auf die wir natürlich keine Antworten mehr erhalten werden.


Ralph Bakshi: Ein Meister der Animationskunst


Meine ersten Erfahrung mit Ralph Bakshis Filmkunst war Fritz the Cat, erst danach sah ich seine Herr der Ringe Umsetzung. Ich war etliche Jahre zu Jung für den notgeilen Kater und es war der Hauch des verbotenen, bis um nach 23 Uhr wach zu bleiben und diesen Film im Fernsehen zu sehen. Von der Gesellschaftskritik und den politischen Hintergründen des Films habe ich natürlich noch rein gar nichts verstanden. Aber bereits damals übte der Film eine fast schon fiebertraumhafte Wirkung auf mich aus. Fritz war anders, als alle Zeichentrickfilme, die ich zuvor gesehen hatte. Sex, Gewalt und Drogen bestimmten den Film zwar, aber er war auch unglaublich witzig. Die Situationskomik im Film funktioniert auch heute noch richtig gut. Ohne zu wissen, wer Ralph Bakshi war und was er mit Fritz the Cat zu tun hatte, sah ich viele Jahre später dann, es war die Zeit, kurz bevor "Die Gefährten" im Kino veröffentlicht wurde, seine Herr der Ringe Adaption. Mein damaliger Vergleich von Zeichentrick zur Live-Action Verfilmung war also relativ frisch. Natürlich fegte mich Jacksons Verfilmung vom Kinosessel, daran hat sich auch nicht viel geändert, es bleibt einfach der deutlich bessere Film. Aber über die Jahre habe ich Ralph Bakshis Umsetzung umso mehr lieben gelernt. Aus einem Grund, weil sie teilweise so eigenwillig ist und wie ein LSD-Trip wirkt, aber auch aus dem Grund, weil Bakshi ein Meister seines Fachs ist. Sich an so ein massives Werk wie Tolkiens Epos zu wagen, war ein gewagtes Unterfangen. Rund 45 Jahre später weiß man nun mehr zu schätzen, was Bakshi damals geleistet hat.

Ralph Bakshi prägte den Zeichentrick als experimentelles Medium maßgeblich in den 70ern und auch noch den frühen 80ern. Über die vergangenen Jahre wurde sein umfassendes Werk langsam wiederentdeckt, auch wenn er sich längst aus der Filmindustrie zurückgezogen hat. Bakshi ebnete für viele amerikanische Animatoren den Weg, dass Zeichentrickfilme nicht ausschließlich zur Familienunterhaltung dienen. Zeichentrickfilme dürfen anders sein, dürfen Kunst sein. Ralph Bakshi nutzte in seiner aktiven Zeit als Filmemacher alles, was ihm zur Verfügung stand und hatte damit wohl mehr Erfolg, als er sich selbst jemals zu träumen gewagt hat.

Dienstag, 4. Juli 2023

Rezension: Boogiepop and Others (Kouhei Kadono)

 



Japan 1998

Boogiepop and Others
Alternativ: Boogiepop Doesn't Laugh
Originaltitel: Boogiepop wa Warawanai
Autor: Kouhei Kadono
Illustrationen: Kouji Ogata
Übersetzung: Andrew Cunningham
Verlag: Seven Seas
Format: Taschenbuch, E-Book
Genre: Mystery, Slice of Life, Science-Fiction, Psychologischer Horror



Light Novels ist ein Begriff, der in Japan heimisch ist und die Welt mittlerweile darüber hinaus erobert hat. In Wahrheit ist "Light Novel" praktisch nur ein anderer Begriff für "Young Adult", da sich die Geschichten häufig an jüngere Leser richten. Und dennoch wäre es zeitgleich auch falsch, Light Novels als "Young Adult" zu bezeichnen. Es ist halt mal wieder ganz japanisch. Bekannt und doch anders. Auch Light Novels setzen sich mit Themen auseinander, die bei Jugendlichen durchaus von Belang sind. Unsicherheiten, die erste große Liebe und das Erwachsenwerden. Was sich in den Light Novels aber vermischt sind klassische Elemente der japanischen Literatur, der japanischen Populärkultur sowie aber auch Manga/Anime. So sind die Romane stets mit Illustrationen untermalt, die in einem Band mal weniger, mal mehr vorkommen. Oftmals aber beschränken sich diese Illustrationen lediglich auf den Beginn des Buchs und gelegentlich wenn ein neues Kapitel startet oder es einen sehr wichtigen Schlüsselmoment zu sehen gibt, der den geschriebenen Worten auch ein Bild vermitteln soll.

In Japan sind Light Novels seit den 80ern beliebt. So gehörte Ryo Mizunos "Lodoss to Senki" (Record of Lodoss War) zu den frühsten Werken dieser Art. Mittlerweile, so viele Jahre später, befinden wir uns im Zeitalter von weltweiten Millionensellern wie Sword Art Online. Light Novels sind unlängst nicht mehr nur exklusiv für japanische Leser verfügbar, sie genießen internationalen Kultstatus und es gibt sogar komplette Verlage, die sich ausschließlich auf die Lizensierungen und Übersetzungen von Light Novels fokussieren. Und wer keine Lust auf lesen hat, der muss meistens nicht lange warten, bis es eine Manga- und/oder Anime-Adaption gibt.

Doch irgendwie muss dieser Trend ja auch mal so richtig ins Rollen gekommen sein. Wie ist aus einer Nische ein riesiger Markt geworden? Genau wie Neon Genesis Evangelion die heute bekannte Anime-Kultur mitgeprägt hat, so ist die Boogiepop-Reihe aus der Feder von Kouhei Kadono praktisch das Light Novel äquivalent zu NGE. Mittlerweile bringt es die Reihe auf über 22 Bände. Der literarische Output von Kouhei Kadono ist massiv, hat er sein eigenes Universum gesponnen in dem all seine Reihen spielen (auch Kadono-Verse genannt). All das ist für westliche Leser kaum relevant, haben es nur etwas mehr als eine handvoll Romane von Kadono zu uns geschafft. Genau genommen insgesamt 6 Bände aus seiner Boogiepop-Reihe sind in einer englischen Übersetzung erschienen, Band 1 bereits sogar schon 2006. Im Jahr 2019 legte Seven Seas die Lizenz neu auf, verpasste den Büchern einen Re-Run, ein neues Cover, neue Illustrationen, Omnibus-Editionen sowie E-Books. Doch genau wie schon bei Lodoss War bleibt die Reihe beim US-Verlag unvollständig und laut eigenen Aussagen sei auch nicht geplant, diese Reihen fortzusetzen.

Bei uns ist Boogiepop somit immer noch exotischerer Herkunft, aber als der erste Band in Japan erschienen ist traf Kadono einen Nerv. Und zwar einen Nerv bei der angepeilten Zielgruppe. "Boogiepop wa Warawanai" (übersetzt heißt das so viel wie "Boogiepop der niemals lacht") ist zu einer Zeit erschienen, als in Japan große Unruhen in den Schulen und Klassenzimmern herrschten. Der Autor hat selbst eine komplizierte Schulzeit hinter sich (daher sollte man unbedingt das kurze Nachwort des Bandes lesen und worauf ich gegen Ende der Rezension auch noch eingehen werde) und kennt die Sprache derer, die sich in einem schwierigen Alter befinden, sich nicht zugehörig fühlen, unglücklich verliebt sind, abgewiesen werden, gemobbt werden oder einfach schlicht und ergreifend keinen Bock auf Schule haben. Die Themen, die im Buch angesprochen werden, umfassen all das von mir erwähnte und noch viel mehr. Dabei geht Kadono aber nicht mit roher Gewalt/Splatter/Gore im Buch voran und auch auf explizite Sexszenen wird konsequent verzichtet. Man darf halt nicht vergessen, es handelt sich hier immer noch um einen Jugendroman. Doch geht Kadono viel weiter als so manch andere Autoren in der japanischen Jugendliteratur und was häufig besonders im Bereich Manga/Anime undenkbar wäre. Die Beziehungen unter den Teenagern im Buch werden relativ offen und detailliert beschrieben. Die Shinyo Academy, eine etwas elitäre Schule die diese Schüler besuchen, untersagt Liebesbeziehungen. Doch die verbotene Frucht schmeckt am besten. Die Schüler halten sich nicht wirklich an diese Regel. Themen wie Sex oder auch Drogen sind in Boogiepop and Others kein Tabuthema, Kouhei Kadono verschweigt sie nicht oder redet sich um den heißen Brei herum. Dies sind auch die expliziten Details, die in der neuen Anime-Adaption von 2019 keinerlei Beachtung finden und den Romanen vorbehalten sind.

Kommen wir nun aber zum Teil, der durchaus kompliziert ist: Worum geht es in Boogiepop eigentlich?
Besonders Band 1 der Romanreihe wurde nun schon relativ häufig adaptiert. Zum Beispiel als zweiteiliger Manga. Im Jahr 2000 erschien auch eine Live-Action-Adaption, die sich, so gut es halt bei der Laufzeit möglich ist, an die Vorlage hält. Ebenfalls erschien im Jahr 2000 eine 12 teilige Anime-Adaption von Madhouse, die sich jedoch viele Freiheiten nahm und den Stil der Romane praktisch komplett über Board geworfen hat und für einen recht einzigarten Stil ersetzt, der den Werken von David Lynch sehr nahe kommt. 2019 dann die aktuelle Anime-Adaption, erneut von Madhouse produziert und mit 18 Folgen den ersten Bänden der Romanvorlage sehr genau folgt und trotzdem noch immer sehr "anders" ist, besonders was chronologische Abläufe und Charakterentwicklung angeht.
Jede Adaption hat jedoch ihre Probleme, die Geschichte der Romane wirklich schlüssig widerzugeben. Dies dürfte allen voran in der Natur der Geschichte liegen, die gefühlt keinen wirklich roten Faden hat. Die Geschichte um den Shinigami Boogiepop, der immer wieder von der Schülerin Touka Miyashita Besitz ergreift, ist abenteuerlich. Im Grunde haben wir es hier mit einer Coming of Age Geschichte zu tun, die mit Elementen aus Mystery, Science-Fiction sowie Psychologischem-Horror angereichert ist. An der Shinyo Academy gibt es seltsame Vorkommnisse; es verschwinden am laufenden Band Schüler und dann ist da auch noch eine gefährliche Droge im Spiel, die unter den Schülern die Runde macht. Der eigentliche Protagonist selbst, Boogiepop, nimmt besonders im Debütroman eine ziemlich passive Rolle ein (im Anime hat er bedeutend mehr Auftritte). Fungiert er meistens nur als Beobachter und tritt erst am Ende so richtig in Erscheinung. Doch sein Ziel ist schnell klar: Er will sich um die wirren Geschehnisse kümmern und alles wieder ins Gleichgewicht bringen. Die eigentliche Handlung wird aber von mehreren POV-Charakteren vorangetrieben, die allesamt als klassischer Ich-Erzähler fungieren.

Auch wenn es am Anfang noch nicht so erscheint, so gibt es den roten Faden in der Geschichte jedoch und bereits Band 1 steuert am Ende auf einen spannenden Showdown zu. Doch viel beeindruckender an Boogiepop and Others ist jedoch, wie der Autor es schafft, die vielen Genres miteinander zu verknüpfen und daraus eine explosive Mischung zu kreieren. Der eigentliche Star der Geschichte ist nicht einmal der titelgebende Anti-Held sondern das Kollektiv. Und dieses Kollektiv sind die vielen Charaktere, die hier das Wort ergreifen und ihre Geschichte erzählen. Natürlich kann es durch die vielen Namen und verschiedenen Ereignisse durchaus mal verwirrend und unübersichtlich werden, aber beim lesen habe ich immer relativ schnell den Zugang zur Geschichte zurückgefunden.

Am Ende sollte man für ein kurzes Nachwort des Autors dranbleiben. So beschreibt er hier doch sein eigenes, recht schweres Verhältnis zur Schulzeit. Diese Worte waren für mich wie ein Spiegel aus meiner eigenen Schulzeit, in der ich mich so oft verloren, deplatziert und allein gefühlt habe, obwohl ich nahezu immer von wundervollen Menschen umgeben war. Doch der, der sich am meisten im Weg stand war am Ende vermutlich ich selbst. Der Autor hat immer wieder diesen Traum, zurück in der Schule zu sein. Im vollen Wissen, dass er seinen Abschluss seit Jahrzehnten hinter sich hat. Die Shinyo Academy hat er nach diesem immer wiederkehrenden Traum gestaltet.

So, even now, I don't really get the idea of going to school. I was twenty-eight when I wrote this nove, and over ten yyears have passed since I graduated. Even if I try to find the answer, I no longer have a school to go to, so the whole thing is permanently out of reach. It's all too late now. It's one of many, but this "what did I do in school?" question is a pretty big trauma for me. It's like my first love that I never asked out. Augh! I was a dirty little angst-ridden idiot without a single thought for love. I imagine the reason behind the dreams is my conviction that I would be much better at being a high school student now. - Kouhei Kadono


 Fazit

"Boogiepop and Others" ist ein herausragender Auftakt in eine fantastische Light Novel Reihe. Der Roman lebt von seinen traumartigen Szenarien und strickt eine mysteriöse Geschichte ohne Comedy-Elemente, die der Geschichte die Ernsthaftigkeit nehmen. Kouhei Kadonos Sprache ist klar, philosophisch angehaucht und seine Charaktere bekommen genug Freiraum, ihre Gefühle zu entfalten. Hier liegen die vielen verborgenen Stärken der Story und all das fügt sich mit diesen traumartigen, surrealen Szenen zusammen und ergibt eine starke Einheit. Es ist wirklich enorm schade, dass der Verlag die Reihe über Band 6 hinaus nie fortgesetzt hat. Man muss nehmen, was man kriegen kann. Jeder Roman ist mehr oder weniger in sich abgeschlossen. Aber es darf halt nicht verheimlicht werden, die Geschichte rund um Boogiepop ist nach den hier erhältlichen Bänden noch längst nicht am Ende angekommen.

Während die Printausgabe mittlerweile deutlich schwerer zu bekommen ist, ist auch hier das E-Book wieder als günstige Alternative verfügbar. Und wer weiß, vielleicht wird die Reihe bei einer neuen Adaption für Seven Seas nochmal interessant. Aber ich schiele nicht nur auf den US-Markt. Mit Dokico startet auch ein deutscher Verlag in Sachen Light Novels nun durch (auch wenn die Hoffnung da sicherlich mehr als gering ist, da der Verlag sich vorerst auf kürzere Reihen konzentriert und Boogiepop nicht wirklich in das Programm passt, was man aktuell anscheinend so verfolgt). Derzeit sieht es also so aus, als würde es keine neuen Bände der Boogiepop-Reihe in unseren Gefilden geben. Aber als Fans exotischer Serien sind wir doch unlängst daran gewöhnt mit dem zu arbeiten, was uns zur Verfügung gestellt wird!