Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Sonntag, 28. Februar 2021

Rezension: Lovecraft Country (Matt Ruff)

 





USA 2016


Lovecraft Country
Autor: Matt Ruff
Verlag (DE): Hanser
Verlag (EN): HarperCollins
Genre: Dark Fantasy, Rassendrama


Gelesen wurde die englische E-Book Ausgabe von HarperCollins



Bei dem Titel "Lovecraft Country" hat sich der Autor Matt Ruff etwas bei gedacht. Zum einen existiert dieser Begriff wirklich und umfasst reale und fiktive Locations, in denen sich die Geschichten des Weird Fiction Schriftstellers H. P. Lovecraft abspielen. Doch ist der gewählte Titel auch im Bezug noch wesentlich tiefgründiger. So steht der Name Lovecraft nicht nur für fiktiven Horror und surrealer Dark Fantasy, sondern auch für realen Horror. Nämlich Rassismus. 
H. P. Lovecraft war ohne Zweifel ein Mann seiner Zeit (1890-1937). Aufgewachsen in einer konservativen ländlichen Gegend in Providence, teilte auch Lovecraft die Ansichten des damals durchschnittlichen weißen Bürgers. So ist Lovecrafts unterschwelliger Rassismus in seinen Geschichten kaum zu leugnen, hat es seine Fiktion über die Jahrzehnte aber auch geschafft, bei afroamerikanischen Lesern Anklang zu finden. Es ist vermutlich Lovecrafts spätem Weltruhm zu verdanken, dass seine Literatur die Grenzen der Gesellschaft überschritt und man die Geschichten auch losgelöst von politischen Debatten genießen kann. Im Falle von dem Roman von Matt Ruff bedeutet der Titel Lovecraft Country für die Protagonisten also nicht nur eine Reise in diese überwiegend von Weißen dominierten Domänen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Lovecrafts fiktivem Horror. Es wird in jedem Falle "Weird" in Lovecraft Country. Das Problem? Dem Roman von Matt Ruff fehlt entweder ein richtiges Konzept, eine geordnete Struktur oder aber ein richtiger Plot.

Im Interview am Ende des Buches spricht der Autor ein wenig darüber, was ihm die Inspiration zu dieser Idee lieferte. Die Idee selbst begann als Pitch für eine TV-Serie, die später dann zu einem vollständigen Roman wurde, aber teilweise enorm abgeändert werden musste um als klassischer Roman durchzugehen. Die wohl interessanteste Anmerkung ist, die Ursprünge dieser Idee reichen circa 30 Jahre im Leben des Autors zurück. Hier muss allen voran erst einmal angemerkt werden, Matt Ruff ist ein weißer Schriftsteller der einen Roman über die afroamerikanische Kultur in den USA zu Zeiten der Jim Crow Gesetze verfasst hat. Matt Ruff selbst ist 1965 geboren, genau das Jahr, in dem diese scheußlichen Gesetze endlich komplett abgeschafft wurden. Hier liegt eigentlich mein erstes großes Problem mit Lovecraft Country. Die Glaubhaftigkeit. Ich dachte während des Lesens, irgendwann würde ich diese Hürde überwinden, dass hinter diesen vielen Schicksalen im Buch in Wahrheit ein noch relativ junger Autor kaukasischer Abstammung steckt. Bis zum Ende aber konnte ich diesen Gedanken nicht abschütteln. Doch das ist dann eher ein persönliches Problem, so denke ich es mir zumindest. Der Roman ist ohne jede Frage fantastisch recherchiert und die Charaktere nicht nur glaubhaft geschrieben, sie sind auch keine Stereotypen. Vielleicht ist es diese fast schon Perfektion der Recherche (Weißer Autor schreibt authentischen Roman mit farbigen Hauptcharakteren), die mich halt etwas zweifeln lässt. Besonders in diesem Genre haben Autoren afroamerikanischer Herkunft bisher kaum Fuß gefasst. Genau genommen fällt mir mit Octavia E. Butler (1947-2006) sogar nur ein prominenter Name ein.

Inhaltlich denkt man, geht es in Lovecraft Country um den Kriegsveteran Atticus Turner, der in einem Amerika der 50er Jahre das Verschwinden seines Vaters Montrose Turner gemeinsam mit seinem Onkel George und der Kindheitsfreundin Letitia untersuchen will. Die Prämisse von Lovecraft Country ist und bleibt sehr gelungen. Gemeinsam reisen diese drei Protagonisten in das sogenannte, von engstirnigen weißen Männern dominierte, Lovecraft Country ein. Die Grundzutaten einer Lovecraft-Story liegen auf dem Silbertablett. Ein relativ gewöhnlicher Protagonist (der zudem Science-Fiction und Horror liebt) gerät aus seinem Alltag in ein übernatürliches Geschehen. Es gibt einen bösen Kult alter Männer, die etwas noch älteres beschwören wollen und die Gesellschaft vermeintlich aus dem Untergrund unterwerfen wollen. Mit den Braithwhites hat man zudem noch die passenden Gegenspieler. Die Wahrheit ist aber, Lovecraft Country ist eine Sammlung von 8 Kurzgeschichten und einem Epilog, die sich stilistisch alle stark voneinander unterscheiden. Die Rollen von Atticus und seiner Kindheitsfreundin sind zudem weitaus unbedeutender, als man denken mag. Während Letitia komplett in der Geschichte untergeht und mehr oder weniger von ihrer Schwester Ruby verdrängt wird, bekommt zumindest Atticus im Showdown noch seinen großen Auftritt.

Das größte Problem von Lovecraft Country ist die Struktur mit den Kurzgeschichten. Um hier nochmal auf das Interview von Matt Ruff zurückzukommen, es war schon immer geplant, selbst bei dem TV Serien-Pitch, die Story so aufzubauen. Ich wusste von dieser Erzählstruktur beispielsweise nichts und gerade, als die erste Story mit dem gleichnamigen Titel "Lovecraft Country" so richtig an Fahrt aufnahm, war sie bereits vorbei. Das Problem, was die nachfolgende Geschichte "Dreams of the Witch House" danach hatte, war, erneut ein Momentum aufbauen zu müssen. Zwar kommen in den einzelnen Geschichten oftmals die gleichen bekannten Gesichter vor und man kann sich schon früh ungefähr vorstellen, am Ende werden all die verschiedenen Geschichten und Ereignisse zu einem großen Event verschmelzen, bis dahin erzählt aber jede POV-Kurzgeschichte ein anderes Schicksal. Und diese Erzählstruktur wirkt nach einer weile ermüdend, weil kein richtiger Plot zustande kommt. Die Hauptcharaktere bleiben größtenteils relativ blass im Bezug auf dieses große, kommende Event und die Intentionen von Caleb Braithwhite als fiesen, aber charmanten Manipulator und Gegenspieler, bleiben relativ undurchsichtig, weil er keine eigene Geschichte hat, aber diese dringend benötigt hätte. Lovecraft Country bleibt sich hier also treu: Sobald es rund geht, endet die Geschichte und eine neue Geschichte muss wieder mühsam einen neuen Charakter-Plot aufbauen, zudem aber auch gleichzeitig ein wenig die Haupthandlung vorantreiben.

Hieraus entwickeln sich aus diesem größten Problem allerdings noch viele kleinere Probleme. Der Roman ist weder Fisch noch Fleisch. Weder ist Lovecraft Country ein gruseliges Dark Fantasy Abenteuer, noch ist das Buch ein waschechtes Rassendrama. Beide Elemente kommen zu kurz und stoßen sich wie zwei Magnete eher ab. Kaum auszumalen, wie gut beides miteinander harmoniert hätte, wenn der ganze Roman eine einzige, fortlaufende Geschichte gewesen wäre. Während die titelgebende Geschichte eigentlich ein relativ guter Prolog war, knickte die zweite Geschichte mit dem Geisterhaus bereits ein. Die nachfolgende Geschichte "Abudllah's Book" besaß Potential, verlor sich aber in vielen Belanglosigkeiten. Danach folgt aber "Hippolyta Disturbs the Universe", eine Geschichte, in der es um die Ehefrau von George geht. Mit Hippolyta hat man nicht nur eine abenteuerlustige, sympathische Protagonistin mit interessanter Backstory die aus ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter schlüpft, es ist auch die, meiner Meinung nach, einzige Geschichte, wo die Genialität von Matt Ruff zum Vorschein kommt. Sie beinhaltet alles, was das Buch gerne die ganze Zeit sein möchte: Ein Abenteuer, welches in einer anderen Welt spielt, Isolation, ein unheimliches Ereignis welches auch die Haupthandlung vorantreibt, unbeantwortete Mysterien und es gibt auch noch ein Monster, welches direkt aus einer Lovecraft Geschichte kommen könnte. Die Geschichte rund um Hippolyta ist für mich der Prototyp dafür, wie Lovecraft Country funktionieren könnte. Wie es nicht funktioniert beweist nämlich direkt die nachfolgende Geschichte "Jekyll in Hyde Park", die sich mit Letitias Schwester Ruby und Caleb Braithwhite befasst. Auch diese Geschichte beginnt noch relativ vielversprechend, wird dann aber von einem furchtbaren Pacing und einer völlig belanglosen Nebenhandlung geplagt. Das Niveau der Hippolyta-Story kann Ruff nicht noch einmal auffahren. Es folgt mit "The Narrow House" eine Geschichte, die die Haupthandlung vorantreibt, ein paranormales Ereignis besitzt und sich zudem noch intensiv mit dem Thema Rassismus auseinandersetzt. Erneut eine Geschichte, die erst auf den letzten Seiten so richtig aus sich herauskommt, aber keine Akzente setzt.
Es folgt mit "Horace and the Devil Doll" eine Geschichte in der Manier von Stephen King, die jedoch Stephen King schon gefühlt 200 mal besser erzählt hat. Die Geschichte "The Mark of Cain" läutet danach den sehr ernüchternden Showdown ein, während der Epilog sich kurz mit den Charakteren nach der Haupthandlung befasst.

Der stets wechselnde Stil sorgt immer wieder dafür, sich als Leser bei jeder neuen Geschichte umstellen zu müssen. Besonders, dass das Buch Dark Fantasy und ein Rassendrama sein möchte, schadet mit Ausnahme der ersten titelgebenden Geschichte und der Geschichte mit Hippolyta allen anderen Stories im Buch, man steht sich gegenseitig im Weg.




Resümee

Lovecraft Country von Matt Ruff ist das perfekte Beispiel, wie ein ambitioniertes Konzept zu übermütig werden kann. Das Buch ist experimentierfreudig und die Charaktere sind gut und glaubhaft geschrieben, einige Geschichten haben sogar Potential, aber letztendlich wollte der Funke nie überspringen. Es ist eine dieser Geschichten, wo man immer wieder einen Wendepunkt erwartet, der alles umkrempelt, dieser aber nie kommt. Am Ende war ich froh, als es vorbei war. Dieses besagte Konzept finde ich, ungelogen, auch weiterhin interessant und hier kommt die noch recht frische, von HBO produzierte TV-Adaption des Buches ins Spiel, die mit einigen Änderungen aufwarten soll. Änderungen, die hoffentlich der sehr ungeschliffenen Natur des Buches zugute kommen. Ja, vielleicht ist Lovecraft Country, wie schon immer vom Autor geplant, eher etwas für den großen Bildschirm. Gut möglich, dass das Konzept als TV-Serie deutlich besser zur Geltung kommt und dann auch das Potential, was es durchaus hat, ausspielt. Als Buch ist Lovecraft Country weder Lovecraft, noch Dark Fantasy und auch kein überzeugendes Rassendrama. Und ich habe das Gefühl, Matt Ruff wollte mit seinem Roman in all diesen Punkten glänzen.

Montag, 22. Februar 2021

Gastrezension: Das Gold des Lombarden (Petra Schier)

 





Deutschland 2017
Das Gold des Lombarden
Autorin: Petra Schier
Verlag: Rowohlt-Taschenbuch
Format: Taschenbuch, eBook
Genre: Historischer Roman


Eigentlich wollte ich rufen, was für ein Glückskind ich sei, da entdecke ich eine neue Buchreihe, tatsächlich über ein Hörbuch, und stelle fest, dass der dritte Band nur wenige Tage zuvor erschienen ist. Reihe abgeschlossen, kann ich in eins durchlesen, perfekt!

Naja, aber 2021 wäre nicht der große Bruder von 2020, wenn an der Sache nicht ein Haken wäre. Bei ein paar Recherchen zu Buch und Autorin bin ich nämlich auf ein Interview aus dem Jahr 2017 gestoßen, wonach es vier Bände geben wird. Einerseits bin ich enttäuscht, andererseits froh, noch nicht mit dieser Geschichte und diesen Charakteren abschließen zu müssen. Und um es nicht bei einfach zu belassen, kommt noch eine dritte Seite hinzu: Ehrlich gesagt beunruhigt mich die Vorstellung eines vierten Bandes, da die Handlung in sich abgeschlossen wirkte, auch mit – von der Autorin beabsichtigten – offenen Enden.

Aber ich nehme das Ende vorweg, daher noch einmal sortiert. 

Also, als ersten Mucks von mir in diesem Jahr gibt es „Das Gold des Lombarden“ von Petra Schier. Ich kannte die Autorin vorher nicht, war eigentlich auf der Suche nach einem guten Hörbuch für lange Autofahrten und dann fiel mir dieses in die Hände – reingehört, nach der Fahrt angekommen, frustriert, dass ich nicht weiterhören konnte, Buch gekauft. Ist einfach so passiert. Wirklich. 

Mit 448 Seiten ist dieses Buch auch kein Leichtgewicht, obwohl es natürlich deutlich umfangreichere Bücher gibt. Und da ich mal wieder Lust auf einen historischen Roman hatte, hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen – nicht auf die nächste Autofahrt warten müssen (und ich sage es euch der Kauf war ein Omen, so wie die abergläubische Köchin Ells unheilschwanger tönen würde, denn aufgrund des dann hereingebrochenen Schneechaos‘ ist die nächste Fahrt um mindestens eine Woche verschoben) und ein vielleicht gutes Buch in den Händen halten, an dem man lange lesen kann (oder auch nicht, wir spulen vier Tage vor: Lavandula hat alle drei Bände gelesen. Das lasse ich mal so stehen).

Die Handlung vom „Gold des Lombarden“ ist im Köln des Jahres 1423 angesiedelt. Im Mittelpunkt steht allerdings nicht etwa der Lombarde, Nicolai Golatti, selbst. Der ist nämlich nach den ersten Seiten tot. Stattdessen geht es um seine junge Witwe Aleydis de Bruinker, die gerade ein halbes Jahr mit dem deutlich älteren Mann verheiratet gewesen war. Golatti war Geldverleiher und Münzwechsler und wird erhängt vor den Stadttoren aufgefunden. Für Aleydis ist klar, dass es kein Selbstmord ist und sie erhebt Anklage. Zuständig für den Fall ist der Gewaltrichter Vinzenz van Cleve, mit dessen Vater, ebenfalls einem Münzwechsler und Geldverleiher, Golatti in hartem Konkurrenzkampf lag. Obwohl es ständig Reibereien zwischen Aleydis und van Cleve gibt, arbeiten sie zusammen an dem Fall; darauf hat Aleydis nämlich bestanden und sie stellt selbst Nachforschungen an. Bald kommt ans Licht, dass ihr verstorbener Mann viele Feinde hatte, da er bei weitem nicht der war, der er zu sein vorgab. Aleydis gerät immer tiefer in einen Sumpf aus Lügen und weiß irgendwann nicht mehr, wem sie überhaupt noch vertrauen kann.

Der Schreibstil ist sehr leicht und gut zu lesen. Manchmal werden Bezeichnungen eingestreut, deren Bedeutung möglicherweise nicht direkt geläufig ist und es ist zu beobachten, dass sich der Sprachstil im Verlauf des Buches wandelt von einem bemüht angepassten „auf alt getrimmten“ Stil hin zu einem moderneren, der allerdings noch immer zeigt, dass es ein historischer Roman ist und nicht etwa eine in der Jetztzeit angesiedelte Erzählung. Insgesamt ist die Sprache bildlich, aber nicht zu blumig: Man bekommt eine gute Vorstellung von Personen und Orten aber es wird auf langatmige Beschreibungen oder blumige Vergleiche und Ausschmückungen verzichtet.

Die Handlung ist in sich schlüssig, auch wenn mir sehr schnell klar war, wer für den Mord verantwortlich ist. Aber keine Sorge, das ist nicht allzu offensichtlich, weder zeigt die abergläubische Ells mit dem Finger und schreit „Mörder!“, noch gibt die Autorin – die eigener Aussage nach lange Zeit selber überhaupt nicht gewusst haben will, wer es nun war – einen klaren Hinweis. Vielleicht ist das Buch an manchen Stellen ein klein wenig zu modern geraten, vor allem Aleydis schwankt sehr stark zwischen sehr durch ihre Zeit geprägten und fast schon zu modernen Ansichten, was ihren Charakter nicht zur Gänze durchdacht wirken lässt.

Nun ist für mich das (spät-)mittelalterliche Köln auch kein ganz unbekannter Handlungsort und auch auf diesem Blog habe ich bereits diesen Boden betreten mit einer früheren Rezension. Das greife ich an dieser Stelle auf, weil mir ziemlich viele Parallelen zwischen diesen beiden Büchern aufgefallen sind; es sind für mich zu viele um bloßer Zufall zu sein. 

Zunächst einmal haben wir die beiden Hauptcharaktere, Aleydis de Bruinker und Vinzenz van Cleve. Sie ist eine junge Frau, verwitwet, gutes Verhältnis zu Stiefmutter und Vater, von dem sie dessen Gewerbe lernen durfte, sie ist intelligent (gut, niemand mag Heldinnen, die nicht intelligenter als ein halber Meter Feldweg sind … obwohl es die auch gibt und diese Bücher oder Serien teilweise unglaublich erfolgreich werden … doch ich schweife ab), ihrer Zeit in vielen Dingen voraus, selbstbewusst. Auf der anderen Seite steht van Cleve, dunkel, zunächst ist seine Einstellung Aleydis gegenüber unklar, schleppt ein großes Geheimnis mit sich herum, das zu guten Teilen für seine aktuelle Situation verantwortlich ist, ziemlich gut in allem, was er so kann.

Na, klingelt’s?

Falls nicht, ein paar weitere Hinweise: Weitere Familienkonstellationen sind sehr ähnlich, wir haben die allgegenwärtigen Gassenjungen, die natürlich gern gesehen sind, Beginen, praktischerweise direkt vor der Haustüre des Golatti’schen Anwesens gelegen, wir haben Orte, die an anderer Stelle schon in sehr großer Rolle auftauchen und hier Erwähnung finden, ohne dass es unbedingt nötig gewesen wäre: das Kloster Groß Sankt Martin (das gab es tatsächlich) sowie den Beginenkonvent am Eigelstein (den könnte es gegeben haben; allerdings frage ich mich, weshalb ausgerechnet dieser genannt werden muss, wo es doch so viele davon im mittelalterlichen Köln gab). Und zuletzt sind da noch ein paar Begriffe, auch wenn ich dafür in den zweiten und dritten Band vorweggreife: „Ei wei“ fällt und der Hinweis auf eine hornhäutige Seele.



Resümee

Ich weiß weder, ob das Zufall ist, oder ob die Autorin die andere Reihe kennt und es in Anlehnung geschrieben hat. Es erinnert mich ein wenig an die „Bis(s)“-Reihe und „Shades of Grey“: Ich bin das Gefühl nicht losgeworden, dass die Lombarden-Reihe eine Art Fanfiction zur Reihe um eine gewisse graue Begine und ihren schwarzen Pater ist, und wie in oben genannten Reihen geht es auch beim Lombarden weniger keusch zu als in der Geschichte um die graue Begine – aber nur ein wenig.

Und auch wenn ich jetzt so lange darüber philosophiert habe: Fanfiction hin oder her, „Das Gold des Lombarden“ ist ein gutes und wirklich lesenswertes Buch, ebenso wie die beiden Folgebände „Der Ring des Lombarden“ und „Die Rache des Lombarden“. Zwar kommt das Krimigeschehen hier etwas kurz und der Fokus liegt sehr stark auf der Situation die sich zwischen Aleydis und van Kleve entspinnt, aber dennoch ist es spannend bis zum Schluß.
Ob es nun einen vierten Band geben wird, kann ich nicht sagen, dazu habe ich verschiedene Hinweise gefunden, aber sollte das so sein, wird sich auch ein weiteres Jahr warten definitiv lohnen. Ansonsten schließt die Reihe in sich rund und schlüssig ab, und die oben bereits erwähnten offenen Enden sind wie das echte Leben, auch dort klärt sich nicht immer alles.

Wer übrigens nur einmal hineinschauen will: Die drei Bände sind in sich abgeschlossen und könnten auch unabhängig voneinander gelesen werden. Mit kurzen unaufdringlichen aber aufschlussreichen Rückblenden werden in den Folgebänden die bisherigen Ereignisse noch einmal zusammengefasst. Das soll bitte nicht dazu animieren, sich nur den zweiten oder dritten Band heraus zu picken, aber man muss es nicht machen wie ich sondern kann durchaus die Reihe nach Abschluss eines Bandes ruhen lassen und später weiterlesen. Aber eine Chance geben sollte man diesem Buch auf jeden Fall, wenn man auch nur im Ansatz auf historische Romane, Mittelalter und ein klein wenig Krimi steht.
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Gastrezensentin: Lavandula


Lavandula gehört zum Kult der Bibliophilen und ist neben dem Studium selbst immer mal wieder als Autorin unterwegs, sofern die Zeit es zulässt. Ungefähr in einem Spektrum wie die Zeitsprünge in "Lumera Expedition: Survive" versuche ich sie bereits für einen Beitrag auf "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich hoffe, mit ihrem frischen Schreibstil wird sie den Blog noch häufiger bereichern.

Dienstag, 16. Februar 2021

Rezension: Erste Person Singular (Haruki Murakami)

 




Japan 2020


Erste Person Singular
Originaltitel: Ichininshō Tansū
Autor: Haruki Murakami
Deutsche Erstveröffentlichung und Verlag: 25.01.2021 beim DuMont Buchverlag
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Kurzgeschichte, Slice of Life, Mystery
Format: Hardcover, E-Book


Es geschah einige wenige Wochen vor Veröffentlichung von Haruki Murakamis neuster Kurzgeschichtensammlung. Ich ging zu Bett und irgendwann träumte ich von Phil Collins (und ich habe mit Ausnahme einiger weniger Songs absolut nichts mit Phil Collins am Hut). Ich befand mich auf einem -anscheinend- Kreuzfahrschiff und Phil Collins gab ein Open Air Konzert an Deck. Er sang, auch daran erinnere ich mich noch bestens, mir gewidmet eine speziell arrangierte Version von "In The Air Tonight". Ich weiß noch bestens, wie mich ein Schauder überkam weil mich diese neu arrangierte Version von seinem vermutlich bekanntestem Hit so sehr berührte. Obwohl ich mir bewusst war, dass es ein Traum ist, war ich umso verwirrter, wie mein Verstand einen solch bekannten Song so dermaßen umbauen konnte und es sich trotzdem noch immer gut anhörte. Würde man mich heute fragen, wie dieses spezielle Arrangement denn nun klang, würde ich in Bedrängnis kommen da ich bereits nach dem öffnen der Augen die Melodie komplett vergessen hatte. Und so zuckte ich kurz zusammen, als ich in "Erste Person Singular" auf einmal die Geschichte "Charlie Parker Plays Bossa Nova" vorfand, wo es um eine fingierte Musikkritik eines Studenten geht, der über ein Album des früh verstorbenen Jazz Saxophonisten Charlie "Bird" Parker schreibt, welches gar nicht existiert (und laut der fingierten Kritik auch nach seinem Tod erschienen ist) und dieser ihn Jahrzehnte später zu einem Privatkonzert in einem Traum aufsucht.

Die kurze Zusammenfassung dieser Kurzgeschichte (natürlich gibt es noch wesentlich mehr mysteriöse Ereignisse in dieser Geschichte) fasst Murakamis neue Anthologie eigentlich perfekt zusammen. Es wird wieder mal seltsam und doch seltsam vertraut. In 8 Kurzgeschichten von unterschiedlicher Länge geht es allen voran um Gedichte, die sich um Enthauptungen drehen, um mysteriöse alte Männer und um einen sprechenden Affen in Schlabberklamotten. Doch der Kern hinter diesen kuriosen Prämissen ist deutlich realistischer, als man annimmt. Haruki Murakami befasst sich wieder einmal mit extrem zeitgenössischen Themen unserer Gesellschaft. Er schreibt über das älter und alt werden, über Sehnsüchte, verblassten Erinnerungen.. Jede Geschichte wieder einmal ein Unikat. Während ich die Anthologie las, surfte ich im Netz nach Meinungen zu dem Buch von anderen Lesern und war sehr gespannt, wie andere Leser die jeweiligen Geschichten aufgenommen haben.

"Haruki Murakami sind endgültig die Ideen ausgegangen. Nun kommen da schon sprechende Affen drin vor."

Das ist die ungefähre Wortwahl, die eine Rezensentin von sich gab. Obwohl sie ja angeblich ein eingefleischter Fan sei, sei der sprechende Affe von Shinagawa letztendlich zu viel für sie gewesen. Murakamai muss senil geworden sein, immerhin ist er schon 72 Jahre alt. Da wir uns in der Lebenserwartung zurückentwickeln hat Murakami also das Alter einer Galapagos Schildkröte. Anscheinend verblassen aber auch die Erinnerungen von uns, da "Bekenntnis des Affen von Shinagawa" eine Fortsetzung der Story "Der Affe von Shinagawa" aus der Anthologie "Blinde Weide, schlafende Frau" ist. Eine Anthologie, die der DuMont Verlag bereits 2006 in deutscher Übersetzung in den Handel brachte. Also keine Angst, liebe Rezensentin, Haruki Murakami ist nicht senil, sein Gedächtnis funktioniert sogar noch ausgezeichnet und er führt diese abstrakte Geschichte wundervoll fort. Der Affe, (ich vermute einen japanischen Makake dahinter) dem von seinen kinderlosen Besitzern das Sprechen beigebracht wurde und sich ständig in menschliche Frauen verliebt und ihnen ihre Namen klaut, der feiert in "Erste Person Singular" sein trübseliges Comeback, arbeitet als Servicekraft in einem Onsen und erzählt einem Gast bei einem kalten Glas Bier seine Lebensgeschichte. Natürlich endet auch diese Geschichten wieder einmal in einen aberwitzigen Twist, den ich hier allerdings nicht verraten werde.

Der Affe von Shinagawa steht sinnbildlich für Murakamis Ideenreichtum in dieser Anthologie. Nun kann man ihm vielleicht vorwerfen, wieder einmal alte Themen wie melancholische Ich-Erzähler, klassische Musik und geheimnisvolle Frauen aufzuwärmen, aber, ehrlich gesagt, wenn man seit über 40 Jahren Autor ist, ist es unmöglich, sich immer wieder neu zu erfinden. Man blicke auf andere bekannte Autoren wie zum Beispiel Stephen King, der ebenfalls mit bekannten Stilmitteln seit Jahrzehnten seine Romane und Kurzgeschichten verfasst. Murakamis deutsche Leserschaft wünscht sich stets den unbeschwerten Murakami zurück (der Murakami vor 1Q84, wenn man es dann so sagen möchte), der über unheimliche Ereignisse, Frauen und Musik schreibt. "Erste Person Singular" bringt all diese Elemente auf eine wunderbare weise zurück, ohne aber auch nur ein einziges mal Murakamis Weg zu leugnen, den er beispielsweise mit "1Q84" oder "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" bestritten hat. Stilistisch gesehen unterscheidet sich "Erste Person Singular" aber erheblich von Murakamis letzter Anthologie "Von Männern, die keine Frauen haben" (2014 beim DuMont Buchverlag). In seiner neuesten Anthologie sind die Geschichten an sich leichter, kürzer und unbeschwerter. Die Situationen der jeweiligen Ich-Erzähler basieren meistens auf sehr alten Erinnerungen, die auf Schlüsselmomente in ihrem Leben basieren. Doch nicht alles scheint hier Fiktion zu sein. Auch autobiografische Elemente sind immer wieder vorhanden. Da muss man nicht einmal lange suchen, denn "Gesammelte Gedichte über die Yakult Swallows" basiert mehr oder weniger auf Murakamis eigenen Erinnerungen. Deutlich wird dies natürlich mit seiner Liebe zum Baseball und dem angespannten Verhältnis zu seinem Vater, über jenes er hier sehr offen redet. Es ist vielleicht eine Geschichte, die besser in seine Essaysammlung "Von Beruf Schriftsteller" gepasst hätte, aber für Fans des Autors dürfte dies dennoch eine mehr als interessante Anekdote aus der frühen Schaffenszeit von Murakami sein.

Das größte Problem ist, wo soll man so eine persönliche Geschichte unterbringen? Zum Beginn könnte man damit eher Leser verscheuchen, zum Ende hin würde ein wirkliches fiktionales Highlight fehlen. Und so könnte es sein, dass "Gesammelte Gedichte über die Yakult Swallows" vielleicht komplett untergeht, da zuvor mit "With the Beatles" Murakami vielleicht eine seiner stärksten Kurzgeschichten überhaupt abgeliefert hat. In dieser Geschichte geht es übrigens lediglich nur bedingt um die Beatles, ist ihre Musik aber doch ein elementares Schlüsselerlebnis für den namenlosen Ich-Erzähler.
Murakamis größte Stärke in der Anthologie sind wieder einmal gewöhnliche, alltägliche, ja, beinahe schon völlig belanglose Situationen, fantastisch zu erzählen. Beinahe schon bildlich hatte ich die Szenen sämtlicher Kurzgeschichten vor dem geistigen Auge. So hörte ich den Affen von Shinagawa praktisch schon reden, synchronisiert von dem bekannten japanischen Synchronsprecher Koichi "Bazooka" Yamadera. Auch die letzte, titelgebende Kurgeschichte (Die Murakami speziell für diese Anthologie verfasst hat) spielte sich bereits beim lesen komplett filmisch in meinem Verstand ab. Diese wundervolle, bildhafte Sprache hat Haruki Murakami bis heute nicht verlernt und eher nochmal perfektioniert.

Prinzipiell hätte jede Geschichte mit Ausnahme von "Gesammelte Gedichte über die Yakult Swallows" das Potential, der Auftakt zu einem neuen Roman von Murakami zu werden. Dieses Vorgehen ist bei dem Autor ja auch gar nicht mal untypisch wenn ich da an "Die Chroniken des Aufziehvogels" oder "Sputnik Sweetheart" zurückdenke, die allesamt auf Kurzgeschichten basieren. Das vielleicht größte Potential hegt für mich aber die titelgebende finale Geschichte "Erste Person Singular". Es ist die, wenn ich mich nicht verzählt habe, kürzeste Geschichte der Anthologie und im wahrsten Sinne des Wortes "Kafkaesk". Ein nameloser Ich-Erzähler der sich anscheinend in einer Identitätskrise befindet und in einer Bar eine seltsame Frau kennenlernt, die ihn zutiefst hasst, aus Gründen, die er sich nicht erklären kann. Praktisch auf dem Höhepunkt endet die Geschichte und der Leser wird nicht minder verwirrt sein wie der Erzähler selbst. In meinem Kopf spinne ich die Geschichte weiter, aber über eine offizielle Fortsetzung würde ich mich sogar sehr freuen.

Für die wieder einmal gelungene Übersetzung war erneut Ursula Gräfe am Werke, die ja seit etlichen Jahren den Murakami-Stil uneigennützig in die deutsche Sprache überträgt. Wie also seit vielen Jahren üblich wurde dieser Titel aus dem Japanischen übersetzt.



Resümee

Vor etwas über 10 Jahren hat alles mit Haruki Murakami und einigen anderen japanischen Autoren auf "Am Meer ist es wärmer" angefangen. "Erste Person Singular" ist allen voran eine Anthologie mit Kurzgeschichten, die alle ein gemeinsames Thema umfassen. Erinnerungen. Erinnerungen und resümieren. So kam auch ich beim lesen dieser Geschichten nicht umhin, wie es in meinem Leben die letzte Dekade so lief, zog eine Bilanz und stellte für mich fest, wie essentiell wichtig es für mich war, diese Geschichten zu lesen.

Eine Bilanz, die auch Haruki Murakami zu ziehen scheint. Älter werden war immer ein Thema in den Werken des Autors. Es machte immer den Eindruck, als fürchte er sich davor und blicke wehmütig auf die Zeit zurück, als er dieser junge Mann war, der auf einer Wiese liegend, ein kühles Bier trinkend sich unbeschwert ein Spiel seiner Baseballmannschaft ansieht. Mit 72 Jahren scheint der Autor aber seinen Frieden mit dem Alter geschlossen zu haben, hat den Verlauf des Lebens akzeptiert. Die 8 Geschichten in "Erste Person Singular" verbinden den Jungen Mann mit seinem jetzigen Ich. Die Geschichten sind verspielt, humorvoll und geheimnisvoll. Gleichzeitig aber auch reif und auf den Punkt gebracht. So schreibt ein Autor, der nach all den Dekaden noch immer Spaß an seinem Beruf hat.

Wenn ich zum Abschluss eine Empfehlung abgeben darf: Nie mehr als zwei Kurzgeschichten an einem Abend lesen. Diese auf sich wirken lassen und am nächsten Abend so weiter zu machen. Am besten ist es, man sieht diese Geschichten, jede einzelne von ihnen, als Märchen und Mythen an, die in unserer Gegenwart spielen. Als Belohnung dafür erhält man eine tröstende, wärmende Lektüre für den trüben Jahresauftakt, in die man sich verlieren kann.
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"Ich glaube, dass die Liebe der Brennstoff ist, der uns am Leben hält. Vielleicht endet die Liebes eines Tages. Oder sie trägt Früchte. Aber selbst wenn die Liebe verblasst, selbst wenn sie verschwindet, bleibt uns die Erinnerung, jemanden geliebt zu haben. Und diese Erinnerung wird uns zu einer kostbaren Quelle der Wärme. Ohne diese Wärmequelle würden die Herzen der Menschen - und auch die der Affen - sich in eine kalte und unfruchtbare Ödnis verwandeln, auf die kein Sonnenstrahl fällt, wo weder Blumen des Friedens noch Bäume der Hoffnung wachsen. Hier in meinem Herzen bewahre ich die Namen der sieben schönen Frauen, die ich einst geliebt habe," Der Affe legte die Hand auf seine behaarte Brust. "Sie sind der Brennstoff, der mich in kalten Nächten wärmt und mir hilft, den Rest dieses Menschenlebens durchzustehen.
Wieder lachte der Affe leise und schüttelte ein paar mal den Kopf.
"Wie widersinnig, so etwas zu sagen - Menschenleben -, wo ich doch gar kein Mensch bin, hahaha."
- Bekenntnis des Affen von Shinagawa