Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 31. August 2021

Sommerlektüre 2021: Der Brand - Daniela Krien (Rezension)

 



Deutschland 2021


Der Brand
Autorin: Daniela Krien
Verlag: Diogenes
Veröffentlichung: 28.07.2021
Genre: Beziehungsdrama



"Peter sitzt in einem Abstand von einem guten Meter neben ihr. Er streichelt die einohrige Katze, die in monotonem Rhythmus mit dem Schwanz auf sein Hosenbein klopft. Ihr Schnurren ist so laut, dass es beinahe bedrohlich klingt. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt diesem reizlosen Tier. Früher hätten sie sich nach solch einem Essen verschwörerisch angelächelt, und dieses wissende Lächeln hätte ihre Einheit betont. Heute ist Peter vollauf zufrieden, wenn ein alter Gaul, eine lädierte Katze und ein pflegebedürftiger Storch ihm Gesellschaft leisten."


Bei meiner diesjährigen Sommerlektüre handelt es sich nicht um die gleichnamige Biografie des Fußballers, wo der Biograf auf einmal beim Titel vergessen hat, wie der Junge eigentlich geschrieben wird. Bei "Der Brand" handelt sich stattdessen um den neusten Roman der Schriftstellerin Daniela Krien, die mich bereits im vergangenem Jahr zur gleichen Zeit mit ihrem Roman "Die Liebe im Ernstfall" begeistern konnte, dementsprechend ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung meiner Besprechung ihres neusten Romans nicht ganz zufällig gewählt.

In "Der Brand" befasst sich die Autorin diesmal nicht mit einer Gruppe von Frauen und ihren unterschiedlichen Schicksalsschlägen, sondern mit einem Ehepaar, deren Ehe kurz davor ist, auszubrennen. In diesem Brennpunkt stehen Rahel (aus ihrer Sicht wird die Geschichte erzählt), eine Psychologin, und Peter, ein Professor an einer Uni. Entstanden sind aus der Ehe zwei Kinder. Über Jahrzehnte war das Ehepaar ein Bündnis, die eine Person hat die andere unterstützt. Doch vieles hat sich schleichend bei den beiden verändert. Rahel ist eine Frau in den Wechseljahren, die mit ihren Hormonen und Emotionen kämpft, Verlangen verspürt und mit ihren eigenen Problemen und Spleens alle Hände voll zu tun hat. Peter durchlebt eine Midlife Crisis, geriet bei seinem Posten an der Uni in einen Skandal und fühlte sich von Rahel während dieser Zeit missverstanden und, für ihn der wohl wichtigste Punkt, vernachlässigt. Peter distanzierte sich durch den Vorfall immer weiter von Rahel bis zu einem Punkt, wo besonders sexuelle Aktivitäten kein Thema mehr für Peter sind und ihr dies schonungslos mitteilt. Rahel versucht, ihre Ehe zu retten und plant mit Peter zu verreisen, nur sie zwei, weg von den Problemen, von dem Virus und von dem kompliziertem Verhältnis von Rahel zu ihrer Tochter Selma. Doch ein Brand sollte verhindern, dass die Destination das Ehepaar zu dem Ort hinführt, den Rahel und Peter eigentlich dafür nutzen wollten, ihre kriselnde Ehe wieder geradezurücken.

Wie eine Zen-Meisterin geht Daniela Krien das schwierige Thema in aller Gelassenheit und Ruhe an. Nimmt sich Zeit für jede Szenerie, für jede Gefühlssituation ihrer Charaktere und lässt ihnen besonders in den Dialogen Zeit, miteinander zu kommunizieren. Ich konnte mich nicht nur in das Ehepaar hineinversetzen, sondern auch in ihre Tochter Selma, die ihren Platz im Leben nie wirklich gefunden zu haben scheint und teilweise eine anstrengende, rastlose junge Frau ist. Die Geschichte entwickelt sich schnell zu einer interessanten Charakterstudie, die sicherlich nicht nur für Leute in einem reiferen Alter interessant sein dürfte. Die Geschichte von Rahel und Peter finde ich insofern interessant, weil sie authentisch ist und ohne viel Drama, Kitsch oder sonstigen Ablenkungen auskommt. Ich hatte zahlreiche Momente, wo ich mit Rahel mitfühlen konnte. Eine Frau, die sich nach dem sexuellen Verlangen ihres Ehemanns sehnt, genau so häufig aber fand ich auch Gelegenheiten, sie zu kritisieren und das gleiche gilt selbstverständlich auch für Peter. Hier spielt die Autorin all ihre Stärken aus, indem sie ihre Charaktere diesen Feinschliff verleiht. Und dieser Feinschliff besteht daraus, dass die Charaktere selbst ungeschliffen sind. Rahel, Peter wie auch Selma bringen all ihre Probleme und Unvollkommenheiten mit sich. Sie sind genau so wie die Personen, die gerade dieses Buch in den Händen halten. Nachdenklich, mit Ticks versehen und auf der Suche nach Zuneigung. Im Falle von Peter wird sehr schnell jedoch deutlich, wie weit er sich von seiner Frau entfernt, indem er Tieren mehr Zuneigung schenkt als seiner Frau, was insofern eine Ironie des Schicksals ist, da Peter mit Tieren nie etwas anfangen konnte und den Kindern nach unzähligem Versuchen des Bettelns nie ein Haustier gestattet hatte.

Daniela Krien ist hier noch einmal nach ihrem letzten Roman gewachsen, was auch daran liegt, dass sie sich hier auf deutlich weniger Figuren beschränken muss. Brachte "Die Liebe im Ernstfall" durch die vielen Protagonistinnen noch ein gewisses Chaos mit sich, verhält es sich in "Der Brand" komplett anders. Die Geschichte wirkt durch den Aufbau natürlich linearer, dies kommt der Geschichte aber stets entgegen. Eine Sache, die ich jedoch vielleicht ein wenig "ausgebrannt" finde, sind die Anspielungen auf Ost- und Westdeutsche Familien. Sobald die Autorin darauf anspielt, fühlt es sich ein wenig erzwungen an, einfach um des Willens, dieses Thema irgendwie einzubauen. Damit will ich das Thema nicht runterspielen da es besonders für das Verhältnis zwischen Rahel und ihrer Tochter Selma wichtig ist. "Der Brand" ist jedoch eigentlich eine Geschichte, die komplett ohne die alten Dämonen der Vergangenheit auskommt. Da ich jedoch aus einer anderen Generation stamme, habe ich natürlich hier eine andere Sichtweise.


"Ein Bild schießt ihr in den Kopf: Die winzige Selma, die in ihrem Gitterbettchen liegt und schreit. Doch niemand kommt, um sie zu trösten. Und sie erinnert sich an die stolzen Berichte von Peters Mutter: Mit sechs Monaten schlief Selma durch, mit achtzehn Monaten war sie tagsüber windelfrei, und sie lachte immer. So ein freundliches Kind, sagten die Nachbarn, so ein Sonnenschein."




Abschließende Worte

Daniela Krien ist mit "Der Brand" erneut ein großer Wurf gelungen. Diesmal noch strukturierter und geordneter als noch bei ihrem letzten Roman. Es ist eine Geschichte, mit der wir uns alle identifizieren können oder uns irgendwann mal damit identifizieren werden, ganz gleich wie alt wir sind oder welches Geschlecht wir haben. Sie schreibt hier über ein zeitloses Thema und baut glaubhafte Charaktere ein, die diese Zeitlosigkeit bestens vermitteln. Meine Sommerlektüre 2021, ganz und gar nicht ausgebrannt.

Freitag, 13. August 2021

Mieko Kawakami im Gespräch mit Haruki Murakami

 

Copyright: Shinchosha


Dieses Interview wurde ins Englische übersetzt von Sam Bett und David Boyd und auf Literary Hub am 07.04.2020 veröffentlicht.

Deutsche Übersetzung aus dem Englischen: Aufziehvogel

"Am Meer ist es wärmer" steht nicht zwangsläufig für die Aussagen, die die Autoren hier treffen und veröffentlicht diesen Teil des Interviews als neutraler Leser.
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Haruki Murakami ist nicht unbedingt für seine Präsenz in der Öffentlichkeit bekannt. Auch Interviews gibt er relativ selten. Zuletzt hörte man ihn im Rahmen einer Pandemie-Aktion als Radiomoderator und Disc Jockey.

Drehen wir die Zeit ins Jahr 2017 zurück entstand jedoch eine Reihe recht außergewöhnlicher Interviews. Die Interviewpartnerin war hierbei die erfolgreiche Autorin und Feministin Mieko Kawakami, die nicht nur ein großer Bewunderer Murakamis ist, sondern auch gleichfalls eine große Kritikerin was seine Darstellung von Frauen in seinen Romanen angeht. Doch hat sie dafür nicht nur Kritik übrig, sondern auch einiges an Anerkennung. Die Bewunderung gilt auf beiden Seiten, so schätzt Murakami auch das Werk von Kawakami sehr und erklärte sich einverstanden und in insgesamt 4 Sitzungen mit einer Gesamtlänge von 16 Stunden tauschten sich die beiden aus. Große Teile des Interviews brachte Shinchosha später als Sammelband unter dem Titel "The Owl Spreads Its Wings with the Falling of the Dusk" (hierbei handelt es sich um einen provisorisch übersetzten Titel der amerikanischen Übersetzer).

Das Buch setzt sich selbstverständlich mit einer großen Fülle an Themen auseinander. Was hier als Interview präsentiert wird ist also nur ein kleiner Teil eines größeren Werks und setzt sich kritisch mit dem Thema Haruki Murakami und seinen weiblichen Charakteren auseinander.


Infos zur englischen Übersetzung: Die englische Übersetzung des Interviews stammt von Sam Bett und David Boyd. Sam Bett übersetzte bereits die englische Ausgabe von "Brüste und Eier" und wurde teilweise für seine Adaption kritisiert. Zusammen mit David Boyd übersetzte er nicht nur die englische Version dieses Interviews sondern auch die kürzlich veröffentliche englische Übersetzung von "Heaven", ebenfalls von Mieko Kawakami. Das übersetzte Interview liest sich an vielen Stellen, besonders, wenn explizit auf Inhalte von Haruki Murakamis Romane eingegangen wird, recht holprig. Insofern wird sich auch meine Übersetzung des Interviews holprig lesen. In keiner Weise möchte ich hier eine professionelle Übersetzung meinerseits bewerben, aber sie erfüllt denke ich ihren Zweck.

Bei sämtlichen im Interview erwähnten Titel von Haruki Murakami übernahm ich die deutschen Titel, Veröffentlichungsdaten und Zitate. Das im ersten Teil des Interviews verwendete Zitat stammt aus der Neuübersetzung von "Die Chroniken des Aufziehvogels" (ehemals Mister Aufziehvogel).


Dieses Interview enthält entscheidende Spoiler für "Die Chroniken des Aufziehvogels", "1Q84", "Die Ermordung des Commendatore", "Schlaf" sowie "Das grüne Monster".
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Mieko Kawakami im Gespräch mit Haruki Murakami - Die Kritik einer Feministin gegenüber dem Werk von Haruki Murakami



MK= Mieko Kawakami
HM= Haruki Murakami


MK: Ich bin sehr neugierig was den Charakter Mariye Akigawa aus „Die Ermordung des Commendatore“ angeht. Ich bemerkte, wie belastend es für sie war, dass ihre Persönlichkeit so sehr mit ihren Brüsten verbunden ist. Das war bisher nie der Fall mit den jungen Frauen in deinen anderen Romanen. Ich beziehe mich hier auf Charaktere wie Yuki in „Tanz mit dem Schafsmann“ oder May Kasahara in „Die Chroniken des Aufziehvogels“. Ich denke an die Szene wo May Kasahara über „Das Segment des Todes... Etwas was sich anfühlt wie ein Softball, elastisch und weich“ spricht. Sehen wir von dem Protagonisten mal ab, May hat diese unglaublich starken Passagen über das gesamte Buch verteilt, über die düstere Unterscheidung zwischen sich selbst verletzten und andere verletzten, oder dein eigener Tod und dem Tod anderer. Diese Passagen sind fantastisch. Es fängt exakt den Spirit ein, wie es ist, ein Mädchen zu sein. Ich liebe diese Passagen so sehr. Yuki und May reden nicht sehr oft über ihre Brüste oder ihre Körper. Aber Mariye in „Die Ermordung des Commendatore“...


HM: Sie ist wirklich sehr darauf fixiert. Es ist beinahe eine Obsession.


MK: Sicher, aber denkst du nicht, dass sie ein wenig zu sehr darauf fixiert ist? In der Sekunde wo sie mit dem Ich-Erzähler alleine ist, diesem Typen, den sie nie vorher getroffen hat, die ersten Worte, die aus ihrem Mund kommen sind so etwas wie „Meine Brüste sind wirklich klein, findest du nicht?“ Ich fand das sehr überraschend. Woher kommt diese Obsession mit Brüsten?


HM: Ich würde nicht unbedingt sagen, es kommt von irgendwoher. Ich stelle mir einfach vor, es gibt Mädchen da draußen die so denken.


MK: Aber was ist mit der Distanz zwischen ihr und dem Ich-Erzähler?... Wenn Mariye damit anfängt, ihn über ihre Brüste zu fragen, hattest du je eine schwere Zeit damit herauszufinden, wie er wohl darauf reagieren würde?


HM: Ich verstehe dich. Aber alleine der Fakt, dass sie ihn um seine Meinung über ihre Brüste fragt legt nahe, dass sie ihn nicht wirklich als „Mann“ wahrnimmt. Sie sieht ihn nicht als sexuelles Objekt. Das stärkt die Introspektive oder die philosophische Natur ihres Dialogs. Das ist die Art von Verhältnis, welches Mariye mit ihm führen möchte. Ich habe das Gefühl, sie sucht schon eine ganze Weile nach einer Person, mit der sie über so etwas reden kann. Ich denke, wir können uns darüber einig sein. Generell gesagt, sollte dir auffallen, dass eine andere Person dich als Lustobjekt betrachten könnte, dann würdest du nicht anfangen, darüber zu reden, dass deine Brüste nicht wachsen oder wie klein deine Brustwarzen sind.


MK: Ich kann deinen Punkt nachvollziehen, aber ich habe es genau anders gesehen. Nämlich, Mariye fängt nur darüber an zu reden, um für ihn sexuell attraktiv zu wirken. Aber du sagst, es würde in Wahrheit die ganze sexuelle Atmosphäre zwischen den beiden tilgen und stattdessen den philosophischen Aspekt ihrer Unterhaltung?


HM: Korrekt. Das Endergebnis ist, die Dialoge zwischen Mariye und dem Ich-Erzähler werden zur treibenden Kraft in dem Roman. Ihr Austausch wirft neues Licht auf die Geschichte.


MK: Mit anderen Worten, die Konversation liefert uns mehr Informationen über die Persönlichkeit und der Darstellung des Ich-Erzählers, der andererseits weiterhin mysteriös und verschlossen auf die Leser wirken könnte.


HM: Richtig. Er ist eine Person, bei der sich eine zwölfjährige wohlfühlen würde, über ihre Brüste zu reden. So ein Typ ist er.


MK: Das bringt mich zu einer weiteren Frage über die Frauen in deinen Romanen. Etwas, was mir oft auffällt wenn über deine Werke gesprochen wird. Ich denke darüber nach wie Frauen in deinen Werken dargestellt werden und welche Rollen du ihnen zuweist.

Für meine weiblichen Freunde ist es normal zu mir zu sagen, „Wenn du die Romane von Haruki Murakami verehrst, wie rechtfertigst du die Darstellung von Frauen in seinen Geschichten?“ Die Vorstellung, da könnte etwas befremdliches in der Darstellung von Frauen in deinen Geschichten sein. Es verärgert manche Leute, sowohl Männer wie auch Frauen.


HM: Ist das so?


MK: Das geht darüber hinaus ob sie realistisch dargestellt oder authentisch beschrieben werden. Es hat mehr mit den Rollen zu tun, die sie spielen. Als Beispiels, wie vorhin schon gesagt, die Frauen fungieren als eine Art Orakel, so, als wären sie eine Art Schicksalsgöttin.


HM: Sie nimmt dich bei der Hand und führt dich woanders hin.


MK: Ganz genau. Sie löst eine Metamorphose im Protagonisten aus. Es gibt viele Beispiele wo Frauen als eine Art Tunnel präsentiert werden oder Möglichkeiten zu einer Transformation des Protagonisten.


HM: Selbstverständlich. Ich sehe, dass diese Elemente durchaus gegeben sind.


MK: In diesen Transformationen, wo Sex als eine Art Zugang in ein unbekanntes Reich dargestellt wird, da bleibt den weiblichen Charakteren eigentlich nichts anderes übrig, als den sexuellen Partner des heterosexuellen Protagonisten zu spielen. Von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, ich denke, eine menge Leser würden darüber debattieren, ob Frauen für immer dazu bestimmt sind in diese sexuelle Schublade gesteckt zu werden, nur weil sie Frauen sind. Ich würde gerne deine Gedanken dazu hören.


HK: Ich weiß nicht ob ich dir folgen kann. Was genau meinst du mit „Einer bestimmten Rolle“ bei weiblichen Charakteren?


MK: Ich rede von der großen Anzahl an weiblichen Charakteren, die lediglich dazu existieren, eine sexuelle Rolle auszufüllen. Auf der anderen Seite, deine Werke sind grenzenlos kreativ wenn es um die Handlung einer Geschichte geht, um Brunnen und um Männer, aber das gleiche kann man nicht über ihre Beziehung zu Frauen sagen. Für diese Frauen ist es unmöglich, für sich selbst zu existieren. Und obwohl es weibliche Protagonistinnen, oder sogar ein paar weibliche Nebencharaktere gibt, die dank ihrer Unabhängigkeit eine gewisse Selbstdarstellung genießen, so gibt es doch diese dauerhafte Tendenz, dass die Frauen am Ende dem männlichen Protagonist "geopfert" werden. Die Frage ist also, warum spielen so oft Frauen in Haruki Murakamis Romanen dieses Rolle?


HM: Jetzt verstehe ich, alles klar.


MK: Würdest du deine Gedanken darüber teilen?


HM: Das wird wohl nicht die befriedigendste Erklärung sein, aber ich glaube einfach, keiner meiner Charaktere ist so komplex. Der Fokus liegt auf der Verbindungsfläche, oder wie sich diese Menschen, sowohl Männer wie auch Frauen, mit der Welt, in der sie Leben, auseinandersetzen. Wenn überhaupt nehme ich große Rücksicht darauf, nicht zu sehr in die Bedeutung der Existenz, deren Wichtigkeit oder Bedeutung, einzudringen. Wie ich vorher schon gesagt habe, ich bin nicht interessiert in individualistische Charaktere. Und das trifft sowohl auf männliche wie weibliche Charaktere zu.


MK: So ist das also.


HM: Ich glaube in 1Q84 habe ich bisher die meiste Zeit damit verbracht, mich mit einem weiblichen Charakter auseinanderzusetzen. Aomame ist enorm wichtig für Tengo und das selbe gilt für Aomame, für sie ist Tengo enorm wichtig. Ihre Wege scheinen sich nie zu kreuzen. Aber die Geschichte fokussiert sich darauf, dass sich ihre Wege vereinen. Sie teilen sich die Rolle des Protagonisten/der Protagonistin. Am Ende sind sie beide vereint. Zwei werden eins. Es gibt keine sexuellen Auseinandersetzungen zwischen den beiden mit Ausnahme des Endes. In diesem Sinne sage ich, sie sind gleichberechtigt während des gesamten Romans, denn die Geschichte ist abhängig von beiden.


MK: In deinen längeren Romanen geht es oft darum, dass ein Kampf gegen ein größeres Übel ausgefochten wird. In „Die Chroniken des Aufziehvogels“ stehen Toru und Kumiko Okada Noburo Wataya gegenüber, in 1Q84 bekämpfen Aomame und Tengo eine böse Macht. Was diese beiden Romane gemeinsam haben ist, dass die Männer im Reich des Unterbewusstseins kämpfen.


HM: Wenn du es so siehst, natürlich. Vielleicht liegt es daran, dass die üblichen Geschlechterrollen hier vertauscht sind. Wie würdest du dies aus der Sicht einer Feministin sehen? Ich bin mir da selbst nicht sicher.


MK: Meine Ansicht ist folgende; deine männlichen Charaktere fechten ihren Kampf im Unterbewusstsein aus, während die weiblichen Charaktere ihre Kämpfe in der realen Welt ausfechten. Als Beispiel, in „Die Chroniken des Aufziehvogels“ ist es Kumiko, die den Stecker der Lebenserhaltungssysteme zieht und damit Noburo Wataya tötet und dafür die Konsequenzen trägt. In 1Q84 wird der Anführer der Sekte von Aomame getötet. Zugegeben, die Kritik einer Feministin bezüglich zu jedem einzelnen Roman ist nicht nötig, aber die Romane aus der Sicht einer Feministin zu lesen, die gewöhnliche Reaktion wäre folgende: „Okay, hier ist eine weitere Frau dessen Blut für die Selbstverwirklichung eines Mannes vergossen wurde."

Etliche Frauen in der realen Welt haben Erfahrungen darin, wo es bedeutet, eine Frau zu sein macht das Leben unerträglich. Opfer von Sexualverbrechen, die beschuldigt werden, in Wahrheit darum gebeten zu haben. Es kommt darauf an, dass es einer Frau gleichkommt, sich schuldig zu fühlen, den Körper einer Frau zu haben und dies gleichbedeutend damit ist, ihre Existenz als Frau zu leugnen. Es gibt vermutlich etliche Frauen da draußen die nie darüber nachgedacht haben, aber es gibt das Argument, dass diese Frauen von der Gesellschaft so sehr unter Druck gesetzt wurden, ihre Gefühle zu unterdrücken. Das ist der Grund, wieso es so ermüdend ist, dieses Schema in Romanen zu entdecken, eine Erinnerung daran, wie Frauen für die Selbstverwirklichung oder dem sexuellen Verlangen der Männer geopfert werden.


HM: Ich denke, jedes Schema tritt vermutlich völlig zufällig auf. Solche Szenarien baue ich nie mit Absicht ein. Ich denke, für eine Geschichte ist es möglich, sich auf so einem unbewusstem Level abzuspielen. Es soll nicht abweisend klingen, aber mein Schreibstil folgt keinem traditionellem Schema. Nehmen wir „Naokos Lächeln“ als Beispiel wo Naoko und Midori gleichermaßen mit ihrem Unterbewusstsein und ihrem Bewusstsein ringen. Der Ich-Erzähler ist von beiden gefesselt und es besteht Gefahr, seine Welt in zwei Teile zu reißen. Dann haben wir „After Dark“. Die Geschichte wird fast ausschließlich von dem Wille der weiblichen Charaktere angetrieben. Ich kann also nicht zustimmen, dass Frauen in meinen Geschichten immer nur dazu bestimmt sind, irgendwelche sexuellen Schicksalsgöttinnen oder etwas dergleichen zu spielen. Selbst dann, als ich die Handlung der einzelnen Romane allmählich vergessen habe, diese weiblichen Charaktere sind bei mir geblieben. Wie Reiko oder Hatsumi in „Naokos Lächeln“. Selbst jetzt, wenn ich an sie denke, werde ich sehr emotional dabei. Diese Frauen sind nicht bloß schriftstellerische Instrumente für mich. Ich suche hier nicht nach Ausreden. Ich spreche hier von Gefühlen und Erfahrung.


MK: Ich verstehe, was du meinst. Als Autorin bin ich selbst sehr mit dem vertraut, was du über Gefühle gesagt hast. Gleichermaßen sehe ich aber auch Leser, die bei ihrem Leseerlebnis genau das denken, worüber wir uns die ganze Zeit unterhalten haben.

Etwas, was du gesagt hattest ist sehr wichtig für mich. Die Idee, dass deiner Meinung nach Frauen mit dieser Sexualisierung überhaupt nichts zu tun haben müssen und die Story aus ganz anderen Gründen vorantreiben können.


HM: Richtig. Ich denke, Frauen haben recht verschiedene Eigenschaften im Vergleich zu Männern. Vielleicht ist es ein Klischee, aber so sichern sich Männer und Frauen ihr Überleben – sie helfen einander, gleichen die Schwächen des jeweils anderen aus. Manchmal bedeutet das aber auch geschlechtliche Rollen oder Funktionen zu tauschen. Ich denke, es kommt auf die Person und ihren Umständen an, ob sie dies als natürlich oder künstlich, gerecht oder ungerecht sehen. Egal ob sie Geschlechtsunterschiede als starke Ablehnung oder als harmonisches Gleichgewicht sehen. Vermutlich geht es weniger darum, das auszugleichen, was uns fehlt, sondern vielmehr darum, uns gegenseitig auszubremsen. Was mich angeht, ich kann diese komplizierten Fragen nur angehen, wenn ich schreibe. Ohne zu verlangen, ob es positiv oder negativ ist, ist das Beste, was ich tun kann, mich diesen Geschichten so zu nähern, wie sie in mir schlummern. Ich bin kein Denker, Kritiker oder sozialer Aktivist. Ich bin lediglich ein Schriftsteller. Wenn mir jemand sagt mein Werk sei fehlerhaft aus der Perspektive einer bestimmten Philosophie oder könnten einen weiteren Denkanstoß vertragen, das einzige, was ich anbieten kann, ist eine ernst gemeinte Entschuldigung und sage: „Es tut mir leid“. Ich bin der Erste, der sich dafür entschuldigen würde.


MK: In den Hardboiled Romanen von Raymond Chandler, Frauen tauchen meistens mit einer Mission oder einen Job für den Mann auf, den er ausführen soll. Bis zu einem gewissen Grad muss deine Sichtweise über Frauen von den Romanen beeinflusst sein, die du liest weil genau dies der größte Einfluss für unsere eigenen Werke ist.

Jedoch, von allen Frauen über die du geschrieben hast, die, die mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist die Protagonistin aus der Kurzgeschiche „Schlaf“ aus dem Erzählband „Der Elefant verschwindet“. Ich lese etliche Romane über weibliche Charaktere die von Frauen geschrieben wurden und etliche weibliche Charaktere die von Männern geschrieben wurden, aber bis heute habe ich nie einen weiblichen Charakter kennengelernt wie in der Kurzgeschichte „Schlaf“. Das ist eine außergewöhnliche Leistung.


HM: Diese Geschichte wurde damals im New Yorker veröffentlicht, zu einer Zeit, als ich praktisch noch ein komplett unbekannter Schriftsteller in Amerika war. Eine menge Leute, die die Geschichte gelesen hatten, dachten, Haruki Murakami sei eine Frau. Ich habe sogar etliche Briefe von Frauen erhalten, die sich für die Geschichte bei mir bedankten. Mit so etwas hätte ich nicht gerechnet.


MK: Liege ich richtig damit, dass „Schlaf“ deine erste Geschichte war, die aus der Perspektive einer Frau geschrieben wurde?


HM: Ja, ich denke damit liegst du richtig.


MK: Was hat dich dazu gebracht, eine Geschichte aus der Sicht einer Frau zu schreiben? Kam das einfach so?


HM: Ich habe die Geschichte geschrieben während ich in Rom gelebt habe. Ich hatte zwar keinen nervlichen Zusammenbruch, aber ich war sehr aufgewühlt von all dem Publicity-Trubel rund um „Naokos Lächeln“, ein Mega-Bestseller in Japan zu der Zeit. Ich hatte genug und wollte in eine andere Welt flüchten. Ich habe also Japan verlassen und bin für einige Zeit in Italien untergetaucht. Ich fühlte eine Art von Depression die es mir unmöglich machte, zu schreiben. Aber eines Tages ergriff mich der Drang wieder etwas zu schreiben und das war der Moment als ich „TV People“ und „Schlaf“ schrieb. Ich erinnere mich, es war Anfang Frühling.


MK: Welche Geschichte hast du zuerst geschrieben? „TV People“?


HM: Ich glaube, „TV People“ kam zuerst. Ich sah ein Musikvideo von Lou Reed auf MTV, was mich so inspirierte, dass ich die Geschichte in einem Durchmarsch schrieb. Dann hatte ich mich für eine weibliche Erzählerin in „Schlaf“ entschieden. Das fühlte sich am besten an, was ich zur damaligen Zeit ausdrücken wollte und wie ich mich fühlte. Ich wollte etwas Abstand, vielleicht sogar vor mir selbst. Vielleicht war das der Grund, wieso ich mich für eine weibliche Erzählerin entschieden habe. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich diese Geschichte ebenfalls sehr zügig geschrieben.


MK: „Schlaf“ ist großartig. Nicht schlafen zu können ist wie in einer Welt zu leben, wo der Tod nicht existiert. Diese Unruhe, diese distinktive Anspannung die niemals abfällt. Es ist eine nahezu perfekte Metapher für die Existenz der Frau... Ich nehme an, es hat dich einige Tage gekostet, die Geschichte zu schreiben? In Anbetracht der Tatsache, dass es eine Kurzgeschichte ist.


HM: Das müsste korrekt sein, aber der Feinschliff nahm rund eine Woche in Anspruch.


MK: Ich weiß, dass es mich einige Tage kostete, mich Zeile für Zeile bei „Schlaf“ durchzuarbeiten. So einen weiblichen Charakter hatte ich zuvor noch nie gelesen. Als Frau was es so eine Freude für mich, solch einer neuartigen Frau in einer Geschichte zu begegnen. Ganz zu meiner Überraschung weil sie auch noch von einem Mann geschrieben wurde. Die Geschichte zu lesen war so eine wundervolle Erfahrung für mich.

Von all den weiblichen Charakteren in deinen Romanen, die Frau aus „Schlaf“ sticht daraus hervor. Als ich als Feministin diesen Charakter entdeckt habe, da hat sie ein Vertrauen zwischen mir und deinem Werk aufgebaut - wohlgemerkt ein erhebliches Maß an Vertrauen. 

Ich weiß, dass du Übersetzungen ins Japanische von Kurzgeschichten der Autorin Grace Paley angefertigt hast, vielleicht gibt es hier ja eine Verbindung. In Verbindung damit, wie du dir weibliche Charaktere ausdenkst.


HM: Das würde ich nicht unbedingt sagen, Ich entschied mich, einige Werke von Grace Paley zu übersetzen, weil ich es sehr interessant finde. Ich war mir nicht wirklich bewusst, wie sie Frauen darstellt. Als ich „Schlaf“ geschrieben habe, da habe ich einfach das niedergeschrieben, was ich gerade gedacht hatte, mit der Hoffnung, dies könnte etwas sein, was eine Frau unter solchen Umständen vielleicht denkt. Der Erzähler der Geschichte war hier einfach diesmal eine Frau. Ich hatte nie die Intention, den weiblichen Verstand in dieser Geschichte zu erkunden.


MK: Wenn man einen weiblichen Charakter schreibt, da gibt es verschiedene Motive die man benutzen kann um die Erwartungen von männlichen oder weiblichen Lesern zu befriedigen, was eine glaubhafte Frau ausmacht. Aber in dieser Geschichte gibt es so etwas nicht.


HM: Mit Ausnahme des Endes, wenn sie ihren Wagen in der nähe der Uferpromenade in der Nacht parkt. In dieser einen Szene war ich mir absolut bewusst, dass der Hauptcharakter eine Frau ist. Zwei Typen umzingeln den Wagen in einer finsteren Nacht und rücken ihn gerade? Das muss wirklich beängstigend sein.


MK: Ich denke auch für einen Mann wäre das sehr beängstigend, aber vermutlich noch mehr für eine Frau.


HM: Allen voran schrieb ich den Charakter als menschliches Wesen, ohne mir ihres weiblichen Geschlechts bewusst zu sein.


MK: Richtig. Ich denke es ist der Weg, Distanz zu wahren, sich auf den Mensch zu konzentrieren - denn darum geht es, der menschliche Aspekt des weiblichen Charakters - dies erhellt ihren Status als eine Frau, zumindest meiner Ansicht nach. So eine Frau habe ich nie zuvor gelesen. Was für eine fantastische Geschichte.


HM: Rückblickend denke ich, es hätte gleichmäßig funktionieren können wenn der Hauptcharakter ein Hausmann gewesen wäre und die Frau eine Ärztin oder Zahnärztin, und der Ehemann könnte nicht schlafen und ist die ganze Nacht wach, verbringt die Zeit damit zu kochen, die Wäsche zu waschen oder was auch immer. Dennoch denke ich, in einigen Punkten hätte so etwas auch sehr anders werden können.


MK: Ich denke, es ist wichtig, dass das Paar einen Sohn hat. Es ist die Frau, die das Kind gebärt. Ihr Bewusstsein dafür gibt ihr ein Gefühl der Verzweiflung, dass der Vater nicht teilen kann.


HM: Das ist auch einen Groll, den sie gegenüber ihrem Ehemann hegt. Ich glaube, so eine Art Groll ist einzigartig bei Frauen.


MK: Es geht über diesen Groll hinaus, aber da ist eindeutig etwas dran.


HM: Ja. Manchmal wenn ich einen Rundgang um das Haus mache, da spüre ich es hinter mir. Es sickert in die Räume.


MK: Ich würde jederzeit dieses sickern wählen. In den meisten Ehen ist es eher eine Sturzflut! Also denke ich darüber nach, wie der Sohn und der Vater dargestellt werden, die die Dinge auf ähnliche Weise angehen und wie sie ihr zuwinken. Für dich als Leser wird der Groll nicht als solcher ausgesprochen, der Leser muss dies als eine unerklärbare Empfindung verarbeiten. Die Erzählerin Anna Karenina lesen zu lassen war ebenfalls eine gute Idee.


HM: Anna Karenina. Ein weiteres klassisches Beispiel eines Grolls gegen den Ehemann gerichtet. Vielleicht fühlte Tolstoy in seinem privaten Leben eine ähnliche Anspannung in seine Räume fließen.


MK: Du hast in deiner Karriere eine menge männlicher Charaktere geschrieben, aber denkst du, du könntest eine Art weibliche Variante von Menshiki aus „Die Ermordung des Commendatore“ erschaffen? Weibliche Charaktere, die etwas aus der Reihe tanzen und du dir sagst: „Wow, das ist neu“? Oder werden sich deine weiblichen Charaktere treu bleiben und eher eine mystische Rolle spielen, also mehr eine pragmatische Funktion einnehmen?


HM: Ich werde weiterhin neue Charaktere erschaffen, die sich von denen, die es zuvor gab, unterscheiden. Dies trifft natürlich auch auf weibliche Charaktere zu. So wie Shoko Akigawa, als Beispiel, die zwar mehr ein Nebencharakter ist, aber meiner Ansicht nach eine Abweichung von den meisten Charakteren, die ich geschrieben habe, darstellt. Da ist etwas Besonderes an ihr. Ich habe das Verlangen danach, mehr über sie zu lernen. Es fühlt sich an, als hätte ich nur an der Oberfläche gekratzt.


MK: Ich bin neugierig was sie liest. Was glaubst du, befindet sich auf ihrem Nachttisch? Die derbsten Hardboiled Romane die sie auftreiben konnte? Ich will es unbedingt wissen. Wenn sie sich ein Buch vornimmt, was würde das für ein Buch sein? Mir fällt nichts ein.


HM: Vermutlich etwas episches wie „Die Geschichte der Drei Reiche“ (Romance of the Three Kingdoms)


MK: Shoko ist ganz schön zäh, was? Viele Romane geben dir sämtliche Details über einen weiblichen Charakter, ihre Frisur, ihre Kleidung... so wie bei Chandler [Raymond], in dem Moment, wo wir erstmals eine Frau kennenlernen, bekommen wir eine Beschreibung von Kopf bis Fuß, was dir ein klares Bild von ihr vermittelt. In deinen Romanen, die Charakterisierung tendiert dazu, eine Minute damit zu verbringen über ihre Kleidung zu schreiben. Wohin gehst du, um dir Informationen über Frauenkleidung zu beschaffen?


HM: Ich gehe nirgendwo hin. Ich schreibe einfach, was mir gerade in den Sinn kommt. Ich verbringe meine Zeit nicht damit, Nachforschungen über so etwas anzustellen. Während ich das Bild eines weiblichen Charakters forme, so fällt es mir ganz natürlich in den Schoß, was sie trägt. Trotzdem muss ich sagen... vielleicht habe ich einen besonderen Blick auf Frauenkleidung in meinem privaten Leben, da ich selbst gerne shoppen gehe.


MK: Die Ehefrau in „Tony Takitani (Blinde Weide, schlafende Frau, dt. 2006) ist eine triebhafte Shopperin, was geradewegs zu ihrem Tod führt wenn sie bei einem Autounfall am Ende stirbt. Jedes mal, wenn sie über Kleidung nachdenkt, flippt sie aus, ein Detail welches ich absolut liebe.

Während wir über all das geredet haben, da wurde ich über die Vielseitigkeit deiner weiblichen Charaktere zurückerinnert. Ich würde nicht sagen, dass alle Frauen in nur eine einzige Kategorie passen. Natürlich ist es nicht das selbe, lediglich einen weiblichen Charakter zu schreiben wie zum Beispiel dafür zu sorgen, sie auch relevant für die Geschichte zu machen.


HM: Um ehrlich zu sein, ich verstehe diese Vorstellung darüber nicht, dass es irgendeine Art von Schema geben muss. Wir können über die Frauen in meinen Romanen als eine Gruppe reden, aber für mich sind sie einzigartige Individuen, auf einem fundamentalem Level, noch bevor ich sie als einen Mann oder eine Frau sehe. Ich sehe sie als menschliches Wesen. Aber davon mal komplett abgesehen, was hältst du von der Ehefrau in „Das grüne Monster“ (Wie ich eines schönes Morgens im April das 100%ige Mädchen sah, dt. 1996)? Die ist ganz schön gruselig, oder?


MK: Oh ja, die gibt es ja auch noch.


HM: Ich habe sämtliche Arten von Grausamkeiten erforscht, die Frauen besitzen. Ich kann sie fühlen, wenn sie da ist, finde aber keinen Zugang zu ihr. Ich möchte mich nicht wieder in Schwierigkeiten bringen indem ich auf geschlechtliche Unterschiede eingehe, aber ich denke, diese Art von Grausamkeit ist sehr selten bei Männern. Natürlich können auch Männer grausam sein, aber ich glaube, sie gehen dabei einen strukturierten Weg. Sie kommen entweder logisch zu dir oder wie ein absoluter Psychopath. Aber die Grausamkeit von Frauen ist gewöhnlicher, alltäglicher. Dann und Wann erwischt sie dich unerwartet. Überraschenderweise, etliche weibliche Leser scheinen „Das grüne Monster“ genossen zu haben. Oder ist das vielleicht gar nicht so überraschend?


MK: Ja, etliche meiner Freundinnen lieben diese Geschichte. Es ist auch eindeutig eine meiner Lieblingsgeschichten. Wie kann ich es am besten ausdrücken. Es ist gruselig, ohne, dass es als wirklich gruselig von uns registriert wird, dies erlaubt dem Leser es als völlig normal hinzunehmen. Es ist eine bekannte Art von Grausamkeit.

Mittwoch, 11. August 2021

Heaven von Mieko Kawakami erscheint am 17.09.2021 bei DuMont

 



Autorin: Mikeo Kawakami
Format: Hardcover, eBook
Preis: 22 Euro (Print), 15,99 Euro (eBook)
Übersetzung: Katja Busson
Veröffentlichung und Verlag: 17.09.2021 bei DuMont



Die Karriere der 44 jährigen japanischen Schriftstellerin ist ungewöhnlich. Ihre bisherige Karriere umfasste eine Beschäftigung einer Hostessen-Bar, eine Beschäftigung als Verkäuferin und gelangte zu größerer Bekanntheit als Sängerin. Diese Karriere gab sie für eine andere Passion auf, sie wollte Schriftstellerin werden und machte 2007 ihr Debüt. In Japan ist die Autorin unlängst ein Star und ein prominenter Anhänger ihrer Werke ist dort unter anderem Haruki Murakami, zu dem sie ein recht spezielles Verhältnis hat (dazu in einem anderen Artikel mehr). Mit ihrem West-Debüt "Brüste und Eier" (2020 beim DuMont Verlag als Hardcover und eBook erschienen, ab dem 13.08.2021 dann auch als Taschenbuch) gewann sie in der literarischen Welt auf internationaler Ebene eine menge Anklang.

Am 17.09.2021 veröffentlicht der DuMont Verlag einen weiteren Roman von Mieko Kawakami, der in Japan hingegen schon 2009 erschienen ist. Die Coming of Age Story "Heaven" geht dabei jedoch einen komplett anderen Weg als "Brüste und Eier". Hier geht es um zwei Teenager-Außenseiter, die zueinander finden und sich täglich dem harten Alltag des Mobbings in der Schule stellen müssen. Mobbing ist ein globales Problem, hat in Japan aber noch einmal einen anderen Stellenwert und kann dort nicht oft genug kritisch aufgegriffen werden.

Übersetzt wird der Roman erneut von der routinierten Japanologin Katja Busson, die bereits den letzten Roman der Autorin ins Deutsche übersetzt hat.