Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 26. April 2018

Rezension Teil 1: Die Ermordung des Commendatore Band 2


(Foto: © Markus Tedeskino / Agentur Focus)




Die Murakami Rezensionen 11-12

Japan 2017
Die Ermordung des Commendatore Band 2
Alternativ: Die Ermordung des Commendatore Band 2: Eine Metapher wandelt sich
Originaltitel: Kishidancho Goroshi
Autor: Haruki Murakami
Veröffentlichung: 16.04.2018 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Künstlerroman, Drama, Mystery



Hier handelt es sich um den ersten Teil einer zweiteiligen Besprechung. Mein komplettes Fazit folgt im zweiten Teil. Da ich hier auf wichtige Details aus dem ersten Band eingehe sei jedem Leser dieser Rezension geraten, erst Band 1 zu lesen bevor er diese Besprechung liest. Die Rezension zu Band 1 ist unter folgendem Link zu erreichen: Bitte hier entlang



Keine 3 Monate hat es gedauert, bis DuMont Band 2 von Haruki Murakamis neustem Roman veröffentlicht hat. Genug Zeit also, um mit Band 1 fertig zu werden, zusätzlich noch Natsume Sōsekis "Der Bergmann" zu verschlingen und sich gemütlich auf den Abschlussband von Murakamis neustem Streich zu freuen. in Band 2 bekommen wir es ungefähr noch einmal mit dem gleichen Umfang wie im Vorgänger zu tun, inhaltlich wissen aber beide Bände stark voneinander zu unterscheiden.

Genau wie bei 1Q84 wird sich ein Leser, der mit dem Werk Murakamis nicht so vertraut ist, am Ende der Fortsetzung vermutlich fragen, ob es nicht auch ein einziger Band getan hätte. Während ich bei 1Q84 zustimmen muss, dass Band 3 vielleicht etwas zu viel des Guten war, muss ich bei der Ermordung des Commendatore aber eindeutig sagen, der Umfang ist genau richtig so. Der Hauptplot ist bei Murakami eigentlich fast immer das Beiwerk. Was seltsam klingen mag ist ein essentielles Merkmal des japanischen Autors. Murakami beweist sich hier wieder einmal als begnadeter Erzähler der zwar keine epische Geschichte aufbaut, es aber die einzelnen Charaktere und ihre Geschichten sind, die den Leser ans Buch fesseln. Und natürlich sind es wieder einmal auch die surrealen, äußerst mysteriösen Ereignisse, in Band 2 wesentlich üppiger vertreten als im Vorgänger, die den Commendatore zu einem echten Murakami machen.

Da Band 1 keine abgeschlossene Geschichte war ist es wenig verwunderlich, dass Band 2 genau da weitermacht, wo Band 1 aufhörte. Etwas, was sich wohl auch nur Murakami im Heimatland erlauben kann ist die Veröffentlichung beider Bände am selben Tag. Gegen ende des ersten Bandes werden mit den Akikawas (Nichte und Tante) interessante neue Charaktere eingeführt. Menshiki, der mysteriöse, von Nebelkerzen umhüllte Auftraggeber unseres Erzählers, hat die Vermutung, die junge Marie Akikawa könne seine leibliche Tochter sein, die infolge einer leidenschaftlichen Romanze entstanden ist. Nicht ganz so zufällig von dem reichen Herrn geplant, möchte er, dass unser Erzähler Marie malt und das Mädchen wie auch Menshiki zueinander führt. Interesse an einem Vaterschaftstest oder auch das Mädchen intensiv kennen zu lernen hat Menshiki nicht, er will alles dem Karma überlassen. Oder, besser gesagt, Schrödingers Katze. Der Erzähler soll Marie porträtieren. Mehrmals betont der Maler, er fühle sich mit Menshiki auf eine seltsame art und weise verbunden und möchte ihm helfen. Doch agiert der namenlose Maler hier nicht völlig uneigennützig. Marie erinnert ihn an seine in jungen Jahren verstorbene Schwester. Er freundet sich mit dem eigenwilligen Mädchen an und gerät immer tiefer in den Strudel dieser eigenartigen, fast schon bizarren Geschichte.

Obwohl mir die neuen Charaktere durchaus gut gefallen wurmt mich etwas. Ich musste nicht lang überlegen, an welchen Charakter mich Marie Akikawa erinnert. Relativ schnell kam ich auf die etwas ältere Eriko Fukada (oder auch Fukaeri) aus Murakamis 1Q84. Insgesamt agiert Marie freundlicher und weniger wirr, in ihren Zügen ähneln sich beide Mädchen aber sehr. Ein wenig zu sehr? Noch immer bin ich mir da nicht so ganz sicher. Einer der mindestens drei Gründe, wieso ich diese Rezension in zwei Teile aufteile. Obwohl Murakami es liebt, ja, auch dies ist ein Merkmal seiner Schreibkunst, mit wiederkehrenden Themen und Stilmittel (Musik, Frauen, Essen, Surrealismus und skurrile Charaktere) zu spielen, so komme ich nicht umhin, Marie als eine seiner weniger kreativen Schöpfungen zu bezeichnen. Wer Fukaeri aus 1Q84 kennt, der wird ein wenig Eigenständigkeit bei Marie vermissen. Umgekehrt funktioniert es vermutlich genau so. Wer erst durch den Commendatore auf 1Q84 aufmerksam wird, der wird bei Fukaeri wohl ein ähnliches Déjà-vu empfinden.

Abgesehen davon bleibt Band 2 eine ziemlich unberechenbare Angelegenheit. Der Band ist zwar eine klassische Weiterführung des ersten Teils, aber Murakami führt seine Leser diesmal wesentlich tiefer in den Kaninchenbau. Was die Protagonisten dieser Geschichte dort erleben werden, darauf werde ich im nächsten Teil meiner Besprechung eingehen. Es gibt einige Passagen, die ich davor gerne noch einmal lesen und genauer unter die Lupe nehmen möchte. Band 2 des Commendatore agiert auf vielen Schichten verschiedener Realitäten und ich habe aktuell meine Freude daran, noch ein wenig weiter darüber zu philosophieren. Man wird mein Resümee also hier schon ungefähr erahnen können. Bereits jetzt steht fest, "Die Ermordung des Commendatore" wird wohl einer der außergewöhnlichsten Beiträge aus der Literatur in diesem Jahr für mich sein.


Fortsetzung folgt

Dienstag, 17. April 2018

Klassiker-Rezension: Der Bergmann (Natsume Sōseki)

 







Japan 1908

Der Bergmann
Originaltitel: Kōfu
Autor: Natsume Sōseki
Verlag: DuMont, be.bra (Hardcover ohne Vorwort)
Vorwort: Haruki Murakami
Übersetzung: Franz Hintereder-Emde, Ursula Gräfe (Vorwort)
Genre: Gesellschaftsdrama


"Der Bergmann" von Natsume Sōseki ist bereits als gebundene Ausgabe im Jahr 2016 beim be.bra Verlag erschienen. Schon damals fasste ich den Roman in mein Blickfeld, leider aber war die Ausgabe für einige Zeit nicht erhältlich und ist anschließend von meinem Radar verschwunden. Vor etwas über 4 Wochen ist die Neuausgabe beim DuMont Buchverlag als handliches Taschenbuch mit neuem Cover erschienen. Die Neuausgabe basiert hier auf der bereits bekannten Übersetzung von Franz Hintereder-Emde, jedoch gibt es exklusiv bei der Ausgabe von DuMont ein nettes Extra. Nämlich das ausführliche Vorwort von Haruki Murakami. Übersetzt wurde dieses von Murakamis deutscher Übersetzerin Ursula Gräfe und Stammleser werden sich hier sofort heimisch fühlen. Murakamis Bezug zur japanischen Literatur ist nicht die größte Liebschaft. Das Werk Natsume Sōseki hingegen schätzt der Autor enorm, ein Fakt, der schon lange öffentlich bekannt ist. Für "Der Bergmann" hatte er Ende 2014 ein ausführliches Vorwort geschrieben. Murakami selbst zählt den Bergmann zu einem literarischen Highlight, geht aber auch offen kritisch auf das Spätwerk von Natsume Sōseki ein. Der japanische Autor geht hier noch sehr ins Detail und liefert viele interessante Einblicke in die Geschichte, sowie aber auch in die Entstehungsgeschichte des Romans. Murakami geht allerdings auch auf das Ende der Geschichte ein, vielleicht wäre es daher nicht verkehrt, sich dieses Vorwort als Nachwort aufzubewahren (funktioniert auch so herum).

Wie schon in meiner Einführung dieser Besprechung erwähnt, "Der Bergmann" ist ein Spätwerk des Autors, veröffentlicht rund 8 Jahre vor seinem recht frühen Tod mit 49 Jahren. Im Vorwort geht Murakami darauf ein, dass der Roman ziemlich experimentell ist und keinem festen Plot folgt. Zur Zeit der Veröffentlichung war Natsume Sōseki bereits Vertragsautor und dem Verlag ein weiteres Werk schuldig. Ein junger, ehemaliger Minenarbeiter der Kupfermine von Ashio bot der Asahi Shimbun an, seine Story zu verkaufen. Was dann folgte ist heute nicht mehr wirklich zurückzuverfolgen. Der Minenarbeiter erzählte Sōseki die Geschichte und dieser verwendete sie für seinen eigenen Roman. Wie viel letztendlich von der Geschichte des jungen Mannes in Sōsekis Roman eingeflossen ist, dies bleibt Spekulation aber man kann davon ausgehen, dass es nicht mehr als die Umrisse sind. "Der Bergmann" stieß in Japan zur Veröffentlichung auf heftige Kritik, ein Grund dafür ist unter anderem der nicht gerade nahbare und sympathische Ich-Erzähler. Doch genau in diesem Punkt muss ich persönlich widersprechen. Der Erzähler ist vermutlich genau so ein Charmebolzen wie J.D. Salingers Holden Caulfield aus "Der Fänger im Roggen". Und dennoch ist es seine rücksichtslose Ehrlichkeit, die ich dem Erzähler hoch anrechne. Zusätzlich sind etliche seiner Schilderungen auch noch mit einem herrlich trockenem Humor versehen, der mich das ein oder andere mal zum schmunzeln brachte.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht hier der von mir angesprochene Ich-Erzähler. Aus gutem Hause kommt er, doch bewegte ihn etwas, aus seinem behütetem Heim in Tokyo fortzulaufen und sich auf ein unbestimmtes Ziel aufzumachen. Die Beweggründe für den Ausriss erfährt man später in der Geschichte (das weibliche Geschlecht ist hieran nicht unbeteiligt). Mit nichts weiter am Leib als einem Kimono und ärmlichen 32 Sen in seiner Geldbörse, marschiert der Erzähler planlos durch die Weltgeschichte. In Gedanken versunken weiß er nichts mehr so recht mit seinem Leben anzufangen und denkt selbst über den Freitod nach. Doch nach reichlicher Überlegung, kommt unser Erzähler zum Schluss: "Dafür lohnte es sich nicht zu leben, aber anders herum konnte ich mich auch nicht zum Sterben durchringen."
Das innere Zerwürfnis und die Sehnsucht an einen dunklen, menschenleeren Ort zu flüchten, zerbersten, als der Erzähler einer bizarren Gestalt begegnet. Findet der Erzähler das auftreten dieser seltsamen Person zu Beginn noch als unverschämt und penetrant als dieser ihn musterte, änderte sich diese Sichtweise, als der zwielichtige Mann ihn zu sich ruft. Unser Erzähler weiß zwar nicht so ganz, was er von ihm will, doch die Worte des Fremden spenden Trost und wecken die Lebensgeister in ihm. Der Fremde möchte ihm einen Job anbieten, einen Job in einer Mine. Ohne lange darüber nachzudenken (die Bezahlung ist unserem Erzähler völlig gleichgültig), nimmt er das Jobangebot an.

Unser Erzähler wird also Bergmann und lernt kurz darauf auch die harte Arbeit und das Klientel kennen, welches an dieser harten Arbeit beteiligt ist. "Der Bergmann" ist nicht nur der Abstieg in die tiefsten Tiefen einer Mine, es ist auch der Abstieg in das menschliche Unterbewusstsein. Wir lernen den Erzähler und seine Beweggründe besser kennen, zusätzlich erfahren wir, wieso er Tokyo mit so finsteren Gedanken hinter sich gelassen hat. "Der Bergmann" entfaltet sich hier besonders durch die Sichtweise des Erzählers zu den anderen Bergmännern zu einem Gesellschaftsdrama, was aber in keiner Sekunde melodramatisch oder theatralisch wirkt. Wie schon erwähnt, Sōseki folgt hier keinem festen Plot, aber diese Experimentierfreudigkeit machte für mich den Reiz der Geschichte aus und ließ mich enorm begeistert zurück. Auch das durch und durch offene Ende (welches nicht ganz so fies ist wie in "Kokoro") steht für Sōsekis Experimentierfreudigkeit.

Die Übersetzung von Franz Hintereder-Emde ist bestens bemüht darin, bei den Dialogen den recht eigenwilligen Stil einzufangen. Kompliziertere Begriffe befinden sich als Anhang auf den letzten Seiten des Buches. "Der Bergmann" lässt sich abseits einiger kultureller Begriffe absolut unbeschwert lesen, und erneut merkt man einem Roman von Natsume Sōseki nicht sein Alter an.


"Ich hatte bislang vorgehabt zu sterben. Ich hatte vorgehabt, wenn nicht zu sterben, an einen menschenleeren Ort zu gehen. Da mir das alles nicht gelang, sah ich mich veranlasst, für mein Weiterleben zu arbeiten. Geldmachen oder nicht, diese Frage war mir in dem Augenblick völlig egal. Und nicht nur jetzt, auch als ich noch meinen Eltern in Tokyo auf der Tasche lag, hatte ich nicht die Spur Interesse daran. Nicht nur das, Gewinnstreben als solches war mir zutiefst verhasst gewesen. Ich glaubte sogar, dass egal wo in Japan, ein jeder Mensch genau so dachte."



Resümee

Natsume Sōseki konnte bereits mit "Kokoro" viel Eindruck bei mir hinterlassen. Mit "Der Bergmann" wird dieser Eindruck noch einmal bekräftigt. Der Roman wird vermutlich eher die Zielgruppe "Fans der japanischen Literatur" bedienen und widersetzt sich zudem gängigen Erzählstrukturen. Das Vorwort von Haruki Murakami festigt aber auch noch einmal meine Annahme, dass hier auch Leser Murakamis etwas für sich entdecken könnten. Das Werk Murakamis ist ohne Zweifel geprägt von Sōsekis Erzählkunst. Für mich war es daher auch noch spannend, parallelen zwischen den beiden Autoren zu finden. Doch dazu mehr in einem kommenden Artikel.

"Der Bergmann" war eine außergewöhnliche Reise in das Werk eines herausragenden Autors. Es dauerte viele Jahre, bis der Roman seine verdiente Anerkennung in seinem Heimatland fand. In unseren westlichen Gefilden ist der Bergmann noch ein überraschend junger Roman, der erst in den letzten Jahren wirklich in Erscheinung getreten ist. Eine fantastische Gelegenheit, diesen Klassiker nun kostengünstig nachzuholen.

Sonntag, 8. April 2018

Klassiker-Rezension: Frankenstein (Mary Shelley)







Großbritannien 1818

Frankenstein
Alternativ: Frankenstein oder der moderne Prometheus
Autorin: Mary Shelley
Verlag: Manesse
Übersetzung: Alexander Pechmann
Nachwort: Georg Klein
Genre: Drama, Grusel



Die Irrtümer der Menschheit hier aufzuzählen würde ein wenig den Rahmen sprengen. Zum einen wäre da aber die fälschliche Behauptung, die Erde sei flach. Eine weitere bekannte Behauptung, die sich über die Jahre fälschlicherweise etabliert hat, ist, das Monster mit den Daumenschrauben im Hals, vorzugsweise verkörpert von Boris Karloff, heiße Frankenstein. Tatsächlich aber hat dieser große, sensible Zeitgenosse keinen Namen und ist stattdessen die Schöpfung eines Forschers namens Victor Frankenstein. Frankensteins Monster gehört mit zu den wohl populärsten Figuren, die das Horror-Kino erschaffen hat. Sämtliche Verfilmungen von Mary Shelleys weltberühmter Gruselgeschichte hielten sich inhaltlich sehr frei an die Vorlage. Lediglich Multitalent Kenneth Branagh brachte 1994 eine treuere Adaption mit Robert De Niro als Monster auf die große Leinwand.

Was heute als großer Klassiker der Weltliteratur zählt, begann als eher beiläufige Geschichte unter Freunden während eines Ausflugs, wie die Autorin bescheiden im Vorwort anmerkt. Aus dieser Geschichte wurde jedoch mehr und ehe sie sich versah, hat Mary Shelley damals einen Roman verfasst, wie man ihn nur von einem Mann erwarten hätte. Doch sobald man die erste Seite Aufschlägt, wird die feine Feder deutlich, wie sie nur eine Frau zu führen vermag. Über den Inhalt ist in den vergangenen, rund 200 Jahren eine menge diskutiert worden und ich möchte in dieser Rezension auch nicht zu genau darauf eingehen. Interessanter für meine Rezension ist dann schon die hier vorliegende Fassung. Dazu gleich mehr.

Frankenstein wird oftmals dem Horror-Genre zugeteilt. Für die Filme mag das zutreffend sein, der Roman schlägt aber in eine andere Kerbe. Im Kern ist Frankenstein eine Gruselgeschichte, aber die Gesellschaftskritik steht hier wesentlich mehr im Vordergrund. Schon damals befassten die Menschen sich mit der Frage, ob es möglich ist, ob der Mensch in der Lage ist, ein anderes menschliches Wesen zu erschaffen. Das die Menschheit dazu eindeutig in der Lage ist, haben sie nun seit einigen Millionen Jahren bewiesen. Doch kann der Mensch anderes Leben ohne den Geschlechtsakt erschaffen? Eine zentrale Frage, womit sich dieser Roman befasst. So befasste sich die Autorin in diesem 1818 veröffentlichten Werk mit Themen wie Alchemie und einer Frühform des Steam Punk. So dreht sich die zentrale Frage in Frankenstein nicht darum, ob es möglich ist, ein menschenähnliches Wesen auf diese Weise zu erschaffen, sondern, ob man mit seiner Schöpfung zufrieden ist. Der gute Doktor Frankenstein ist es nämlich nicht und überlässt das Monster seinem Schicksal was gleichbedeutend mit seinem eigenen Untergang verbunden ist. So ist das zentrale Thema dann nicht der Grusel, sondern die Frage um Menschlichkeit und Existenz. Diese schwerwiegenden Fragen hat Mary Shelley aber unglaublich gut verpackt und so ist es möglich, diese Tragödie, dieses menschliche Drama auch als Gruselgeschichte anzusehen.

Bei der deutschen Ausgabe, die mir hier vorliegt, handelt es sich um eine neue Ausgabe, eine Jubiläumsausgabe, die ende vergangenen Jahres erschienen ist. Hier wird nicht nur das rund 200 jährige Bestehen dieses Werks gefeiert, der Verlag feiert hier auch gleichzeitig seine neue Manesse Bibliothek die hier die alte "Bibliothek der Weltliteratur" ersetzen wird. Doch nicht nur das Gewand ist hier neu und farbenfroh, auch der Inhalt ist es (natürlich nur von der Übersetzung her). Tatsächlich gab es hier nicht nur ein neues Cover und Design spendiert, auch die Ausgabe selbst unterscheidet sich in vielen Aspekten her der vorherigen Ausgabe, die, ebenfalls bei Manesse, in den 80ern erschienen ist.

Herausgegeben und neu übersetzt wurde der Roman von Alexander Pechmann. Als Ausgangsmaterial stand hier die Erstauflage aus dem Jahr 1818 Pate. Ziel der Übersetzung war es, den ursprünglichen Stil beizubehalten, die Geschichte jedoch in eine moderne deutsche Sprache zu adaptieren. Auch wenn der Text hier und da immer noch einige sehr geschwollene Passagen hat (was natürlich dem Stil Mary Shelleys zugrunde liegt), so war ich überrascht, wie flüssig und verständlich der Text sich liest. Zusätzlich gibt es noch ein ziemlich umfangreiches Register mit verschiedensten Erklärungen zum Roman und zur Epoche. Dieses Register befindet sich auf den letzten Seiten des Buches und bringen den Leser somit nicht aus dem Lesefluss.


"Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme", sagte er, "aber es hat keinen Zweck. Meine Bestimmung hat sich beinahe erfüllt. Ich warte nur noch auf ein letztes Ereignis, dann werde ich in Frieden ruhen. Ich verstehe Ihre Gefühle", fuhr er fort, da er merkte, dass ich ihm Ins Wort fallen wollte, "aber Sie haben unrecht, mein Freund - wenn Sie mir erlauben, Sie so zu nennen. Nichts kann mein Schicksal ändern. Hören Sie meine Geschichte, dann werden Sie begreifen, wie unwiderruflich alles vorbestimmt ist."



Resümee

Die vermutlich beste Gelegenheit, das Original in seiner ursprünglichen Fassung in einer modernen deutschen Adaption zu lesen, die, trotz ihrer flinken Sprache, nie zu modern wirkt. Der Staub wird von der Oberfläche entfernt, aber tief im Kern dieses Romans ist und bleibt es ein Klassiker der Weltliteratur. Zugänglicher als je zuvor und mit viel Hintergrundwissen hat sich diese handliche, hochwertige Jubiläumsausgabe einen Platz in meiner Sammlung an Klassikern verdient. So schnell und zufriedenstellend konnte ich vermutlich noch nie eine Rezension beenden.

Freitag, 6. April 2018

Über Isao Takahata (29.10.1935 - 05.04.2018)



An dieser Stelle sollte heute eigentlich eine Rezension erscheinen, aus gegebenem Anlass jedoch hat diesen Platz heute Isao Takahata verdient. Im hohen Alter von 82 Jahren ist Isao Takahata, einer der Mitbegründer des legendären Studio Ghibli, verstorben. Sein Lebenswerk, welches er in großer Fülle hinterlassen hat, wird auch über die vielen kommenden Jahre unerreicht bleiben und hoffentlich auch ein Wegweiser für junge Filmemacher aus der Animation (ob westlich oder östlich spielt dabei keine Rolle) sein.

Doch ich will auch die Möglichkeit ergreifen, ein wenig über Isao Takahata zu plaudern. Fans des Studio Ghibli werden seinen Namen kennen und vermutlich niemals vergessen, doch wie sieht es darüber hinaus aus? Nennt man Filme wie "Prinzessin Mononoke" oder "Chihiros Reise ins Zauberland", werden mit großer Wahrscheinlichkeit selbst in dieser Materie nicht so versierte Zuschauer den Name Hayao Miyasaki nennen können. Doch welcher Name kommt euch in den Sinn, wenn ich nun "Die letzten Glühwürmchen" oder "Pom Poko" nenne? Für die Mehrheit war Isao Takahata immer "Einer der drei älteren Herren, die was mit Studio Ghibli zu tun haben". Ohne Frage waren "Die letzten Glühwürmchen" Takahatas Meisterstück. Ein Meisterstück, was auch seinen Namen bei den Zuschauern hätte verewigen müssen. Kurios genug jedoch, eine menge Leute verbinden den Film nicht einmal mit dem Studio Ghibli, weil sich das Drama aus dem zweiten Weltkrieg extrem stark von dem abhebt, wofür das Studio eigentlich bekannt war. "Mein Nachbar Totoro" und "Die letzten Glühwürmchen" liefen damals in Japan ungefähr zur gleichen Zeit in den Kinos an und die dortigen Zuschauer waren von Takahatas Werk mehr verstört als alles andere und suchten direkten Trost in Miyasakis heiteren Familienfilm. Isao Takahata war immer der "Andere Miyazaki". Der Mann, der relativ schweigsam neben Japans größten, noch lebenden Animator agierte. Zumindest auf dem Papier. Takahatas Werke als Familienfilme zu bezeichnen ist schwer. Es sind sehr spezielle Werke, die sich hauptsächlich an ein älteres Publikum richten. Es war dieses wundervolle Gleichgewicht, was das Studio Ghibli so einzigartig machte. Meistens folgte nach einem Miyazaki relativ zügig auch das neuste Werk von Takahata.

Ich entdeckte das Filmwerk Takahatas auch erst, nachdem ich mir jenes von Hayao Miyazaki zu Gemüte führte. Egal wie viele Trailer ich mir zu den Werken Takahatas ansah, sie alle sahen mir ein wenig zu exotisch aus. Als ich "Die letzten Glühwürmchen" nachholte, da hatte ich dann Blut geleckt. Takahata verkörperte nicht nur eine andere Seite des Studio Ghibli, er war auch viel mehr als nur der Nebenmann, der in dem gleichen Studio wie Hayao Miyazaki arbeitete. Ich schaute mir anschließend "Pom Poko", "Tränen der Erinnerung" und "Meine Nachbarn die Yamadas" an. Was Takahata hier ablieferte war große Filmkunst. Seine Geschichten und seine Charaktere spiegelten seine ganz eigene Philosophie wieder und allmählich begann ich sogar, seine Werke denen von Miyazaki leicht vorzuziehen (aus heutiger Sicht schätze ich natürlich die Filme beider Männer). Doch seltsamerweise waren es nicht "Die letzten Glühwürmchen", ein Film, der mich enorm bewegte, der meine Liebe zur Filmkunst von Isao Takahata entfachte. Es war "Pom Poko". Ein Film über den japanischen Tanuki -Waschbär-. Ein Film mit sprechenden Waschbären deren riesige Hoden omnipräsent im Film dargestellt wurden. In diesem wundervollen Film steckt so viel Leidenschaft und Magie, am Ende kamen selbst einem Eisblock wie mir ein paar Tränchen. "Pom Poko" ist einer von Takahatas wenigen Filmen, mit denen sowohl Kinder als auch Erwachsene gleichzeitig etwas anfangen können. Kinder werden mit der verspielten art sicherlich ihren Spaß haben, Erwachsene werden hier vermutlich eine Allegorie auf ihre eigene Kindheit sehen. Meine uneingeschränkte Empfehlung für diesen Film besteht auch weiterhin und daran wird sich auch in Zukunft ganz sicher nichts ändern.

Doch wieso unterscheiden sich Takahata und Miyazaki, zwei Freunde, die an ihrem Arbeitsplatz auch gerne mal als altes, streitendes Ehepaar bezeichnet wurden, so sehr voneinander? Die Antwort ist vielleicht einfacher zu erklären als man annehmen mag. Takahata war kein Animator. Eigenen Aussagen zu Folge besaß er kein großes zeichnerisches Talent. Einige Mitarbeiter des Studio Ghibli sagten jedoch das komplette Gegenteil, als sie seine Storyboards begutachteten. Darüber hinaus war Takahata im Gegensatz zu Miyazaki nie selbst für die Animationen zuständig. Er war als Regisseur und Autor tätig und fungierte oftmals sogar als Produzent einiger Frühwerke von Miyazaki. Takahata agierte mit den Augen eines echten Filmemachers während Miyazaki seine Magie direkt durch seine eigenen Zeichnungen kreierte. Vermutlich waren es diese Unterschiede, weshalb die beiden Männer oft aneinander gerieten und sich dennoch blind verstanden haben.

Neben bekannten TV-Serien wie "Heidi" und "Anne mit den roten Haaren" begann Takahata seine Karriere im TV. Nur die wenigsten deutschen Fans der oben genannten Serien werden wohl seinen Namen mit diesen Werken verbinden (besonders "Anne mit den roten Haaren" ist auch hierzulande noch sehr bekannt). Von der großen Bühne verabschiedete Takahata sich bereits 2013 mit "Die Legende der Prinzessin Kaguya", der ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte. Der Film erschien zu einer Zeit in Japan, in der das Studio Ghibli für die Zuschauer nicht mehr das Maß aller Dinge war. Man merkte, wie sich eine Ära dem Ende neigte und die Kinokassen relativ hungrig zurückblieben. Ein Umstand, der mich selbst als Außenstehender sehr traurig machte. In diesem Film vereinte Takahata noch einmal sein ganzes Können. Von der künstlerischen Leitung bis hin zu der tragischen Geschichte der Mond-Prinzessin. Diese moderne Variante der klassischen japanischen Erzählung hat sich in meine Liste der Lieblingsfilme des Studio Ghibli sehr weit nach oben geschlichen. Ich hoffe, der Film wird in Zukunft eine größere Wertschätzung, ganz besonders von den Landsleuten, erhalten.

Takahatas letzte Aktivität auf jener großen Bühne war die gemeinsame Produktion mit Studio Ghibli Mitbegründer Toshiro Suzuki von "Die rote Schildkröte" (2016), ein Film von Michaël Dudok de Wit (ebenfalls nominiert für einen Oscar).

Eine große Karriere des japanischen Animationsfilms endete damit. Eine beeindruckende Geschichte eines sehr beeindruckenden Mannes der sich immer nur zu Wort meldete, wenn er auch wirklich etwas zu sagen hatte. Wehmütig werden Fans von Isao Takahata zurückblicken, doch seine Filme werden immer da sein und uns Trost spenden (vielleicht nicht "Die letzten Glühwürmchen" aber dafür alle anderen Filme, die aus seiner Feder stammen).


Sarabada, Takahata Isao.