(Foto: © Markus Tedeskino / Agentur Focus)
Die Murakami Rezensionen 11-12
Japan 2017
Die Ermordung des Commendatore Band 2
Alternativ: Die Ermordung des Commendatore Band 2: Eine Metapher wandelt sich
Originaltitel: Kishidancho Goroshi
Autor: Haruki Murakami
Veröffentlichung: 16.04.2018 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Künstlerroman, Drama, Mystery
Hier handelt es sich um den ersten Teil einer zweiteiligen Besprechung. Mein komplettes Fazit folgt im zweiten Teil. Da ich hier auf wichtige Details aus dem ersten Band eingehe sei jedem Leser dieser Rezension geraten, erst Band 1 zu lesen bevor er diese Besprechung liest. Die Rezension zu Band 1 ist unter folgendem Link zu erreichen: Bitte hier entlang
Keine 3 Monate hat es gedauert, bis DuMont Band 2 von Haruki Murakamis neustem Roman veröffentlicht hat. Genug Zeit also, um mit Band 1 fertig zu werden, zusätzlich noch Natsume Sōsekis "Der Bergmann" zu verschlingen und sich gemütlich auf den Abschlussband von Murakamis neustem Streich zu freuen. in Band 2 bekommen wir es ungefähr noch einmal mit dem gleichen Umfang wie im Vorgänger zu tun, inhaltlich wissen aber beide Bände stark voneinander zu unterscheiden.
Genau wie bei 1Q84 wird sich ein Leser, der mit dem Werk Murakamis nicht so vertraut ist, am Ende der Fortsetzung vermutlich fragen, ob es nicht auch ein einziger Band getan hätte. Während ich bei 1Q84 zustimmen muss, dass Band 3 vielleicht etwas zu viel des Guten war, muss ich bei der Ermordung des Commendatore aber eindeutig sagen, der Umfang ist genau richtig so. Der Hauptplot ist bei Murakami eigentlich fast immer das Beiwerk. Was seltsam klingen mag ist ein essentielles Merkmal des japanischen Autors. Murakami beweist sich hier wieder einmal als begnadeter Erzähler der zwar keine epische Geschichte aufbaut, es aber die einzelnen Charaktere und ihre Geschichten sind, die den Leser ans Buch fesseln. Und natürlich sind es wieder einmal auch die surrealen, äußerst mysteriösen Ereignisse, in Band 2 wesentlich üppiger vertreten als im Vorgänger, die den Commendatore zu einem echten Murakami machen.
Da Band 1 keine abgeschlossene Geschichte war ist es wenig verwunderlich, dass Band 2 genau da weitermacht, wo Band 1 aufhörte. Etwas, was sich wohl auch nur Murakami im Heimatland erlauben kann ist die Veröffentlichung beider Bände am selben Tag. Gegen ende des ersten Bandes werden mit den Akikawas (Nichte und Tante) interessante neue Charaktere eingeführt. Menshiki, der mysteriöse, von Nebelkerzen umhüllte Auftraggeber unseres Erzählers, hat die Vermutung, die junge Marie Akikawa könne seine leibliche Tochter sein, die infolge einer leidenschaftlichen Romanze entstanden ist. Nicht ganz so zufällig von dem reichen Herrn geplant, möchte er, dass unser Erzähler Marie malt und das Mädchen wie auch Menshiki zueinander führt. Interesse an einem Vaterschaftstest oder auch das Mädchen intensiv kennen zu lernen hat Menshiki nicht, er will alles dem Karma überlassen. Oder, besser gesagt, Schrödingers Katze. Der Erzähler soll Marie porträtieren. Mehrmals betont der Maler, er fühle sich mit Menshiki auf eine seltsame art und weise verbunden und möchte ihm helfen. Doch agiert der namenlose Maler hier nicht völlig uneigennützig. Marie erinnert ihn an seine in jungen Jahren verstorbene Schwester. Er freundet sich mit dem eigenwilligen Mädchen an und gerät immer tiefer in den Strudel dieser eigenartigen, fast schon bizarren Geschichte.
Obwohl mir die neuen Charaktere durchaus gut gefallen wurmt mich etwas. Ich musste nicht lang überlegen, an welchen Charakter mich Marie Akikawa erinnert. Relativ schnell kam ich auf die etwas ältere Eriko Fukada (oder auch Fukaeri) aus Murakamis 1Q84. Insgesamt agiert Marie freundlicher und weniger wirr, in ihren Zügen ähneln sich beide Mädchen aber sehr. Ein wenig zu sehr? Noch immer bin ich mir da nicht so ganz sicher. Einer der mindestens drei Gründe, wieso ich diese Rezension in zwei Teile aufteile. Obwohl Murakami es liebt, ja, auch dies ist ein Merkmal seiner Schreibkunst, mit wiederkehrenden Themen und Stilmittel (Musik, Frauen, Essen, Surrealismus und skurrile Charaktere) zu spielen, so komme ich nicht umhin, Marie als eine seiner weniger kreativen Schöpfungen zu bezeichnen. Wer Fukaeri aus 1Q84 kennt, der wird ein wenig Eigenständigkeit bei Marie vermissen. Umgekehrt funktioniert es vermutlich genau so. Wer erst durch den Commendatore auf 1Q84 aufmerksam wird, der wird bei Fukaeri wohl ein ähnliches Déjà-vu empfinden.
Abgesehen davon bleibt Band 2 eine ziemlich unberechenbare Angelegenheit. Der Band ist zwar eine klassische Weiterführung des ersten Teils, aber Murakami führt seine Leser diesmal wesentlich tiefer in den Kaninchenbau. Was die Protagonisten dieser Geschichte dort erleben werden, darauf werde ich im nächsten Teil meiner Besprechung eingehen. Es gibt einige Passagen, die ich davor gerne noch einmal lesen und genauer unter die Lupe nehmen möchte. Band 2 des Commendatore agiert auf vielen Schichten verschiedener Realitäten und ich habe aktuell meine Freude daran, noch ein wenig weiter darüber zu philosophieren. Man wird mein Resümee also hier schon ungefähr erahnen können. Bereits jetzt steht fest, "Die Ermordung des Commendatore" wird wohl einer der außergewöhnlichsten Beiträge aus der Literatur in diesem Jahr für mich sein.
Fortsetzung folgt