Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 14. Januar 2015

Einwurf: Frohe Weihnachten, Guten Rutsch und ein Frohes Neues Jahr 2002




Ich glaube, ich bin den Lesern dieses Blogs noch einige Wünsche und Grüße schuldig. Ganz obligatorisch natürlich. Von daher möchte ich mich erst einmal bei allen Lesern bedanken, die irgendwie auf "Am Meer ist es wärmer" aufmerksam geworden sind. Ein ganz besonderer Dank geht natürlich an die Leser, die nun schon einige Jahre dabei sind und das Zeug, was ich fabriziere, völlig freiwillig lesen. Ein genau so großer Dank geht natürlich auch an all die Verlage, die mich mit Rezensionsexemplaren zu aufregenden Titeln versorgt haben.
Ein Leser fragte mich kürzlich einmal, wieso ich ausschließlich so wohlwollende Rezensionen auf meinem Blog veröffentliche und ob ich damit den Verlagen entgegenkommen will. Ich musste kurz überlegen, nachdenken, schmunzeln. Ich ging ins virtuelle Archiv meines Blogs und sah tatsächlich eine menge wohlwollende Rezensionen. Allerdings finde ich dort nicht die Gefallen wieder, auf die die Verlage sowieso nicht angewiesen sind, sondern eher die vielen besonderen Momente, die mir eine menge der besprochenen Titel beschert haben. Ich bin mir ganz sicher, auch in diesem Jahr wird wiedereinmal der ein oder andere Rohrkrepierer auf mich warten, dieser wird ganz sicher dann auch hier landen. Dies bedeutet aber längst nicht, dass ich nun anfange, absichtlich negative Rezensionen zu schreiben, nur um die Statistik etwas gleichmäßiger zu gestalten.

Auch in diesem Jahr versuche ich wieder, eine zweite Stimme für "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich bin sicher, sie ist irgendwo da draußen. Vielleicht liest sie diese Zeilen sogar gerade. Also sei nicht schüchtern und schreib mir, wenn du Interesse hast, die zweite Stimme dieses Blogs zu werden ;)

Was gibt es denn sonst noch zu schreiben? Ach ja, die verspäteten Grüße die sich im Dezember angehäuft haben. Was lag bei euch denn unter dem Weihnachtsbaum? Ein Best Of Album der Flippers? Oder vielleicht eine Playstation 2? Habe gelesen, es gab zu Weihnachten interessante Einsteigerpakete. Was auch immer es war, ich hoffe, ihr habt viel Spaß mit euren Geschenken.

Den Dezember scheine ich völlig verschlafen zu haben. Da war ja auch noch Silvester. Allen Lesern wünsche ich ein gesundes wie friedliches Jahr 2002. Harte Monate hat die westliche Welt hinter sich. Kaum auszudenken, dass im Sommer eine Weltmeisterschaft bevorsteht. Eine friedliche WM in Korea und Japan kann man sich nur wünschen. Und hoffentlich auch eine erfolgreiche für Deutschland.

Gestern hatte ich seltsamen Besuch. Ein sprechendes Vögelchen, auf meiner Fensterbank. Ich traute meinen Augen kaum als das kleine Blaukehlchen auf einmal anfing, mit mir zu sprechen. Es erzählte mir, es käme aus der Zukunft, aus dem Jahre (nicht erschrecken) 2015. Irgendwie kamen wir ins Gespräch und wir tauschten uns aus. Und das kleine Blaukehlchen sagte mir, erneut musste die westliche Welt zum Jahresende wieder eine harte Zeiten durchmachen, der Stift aber zu einem sehr wichtigen Verbündeten geworden sei.

Nach einer weile flog das kleine Blaukehlchen davon. Ich wusste nicht so recht ob ich geträumt habe oder ob sich dieses Ereignis wirklich zugetragen hat. Aber ich machte mir wirklich Gedanken über die Worte des kleinen Kerls. Der Stift sei zu einem wichtigen Verbündeten geworden. Doch was passiert, wenn man den Stift niederlegt?

Nach reichlicher Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen, den virtuellen Stift aufgrund der aktuellen Ereignisse für den kompletten Januar niederzulegen. Dies hat weder etwas mir Resignation oder Kapitulation zu tun, es ist eher meine ganz eigene Philosophie, wie ich auf die derzeitige Lage reagieren möchte. Dennoch möchte ich meiner Philosophie auch weiterhin treu bleiben und meinen Blog weitestgehend von aktuellen Geschehnissen verschonen. "Am Meer ist es wärmer" soll ein Ort für Buch und Filmliebhaber sein. Ein Ort, zu dem man flüchten kann, wenn man von den aktuellen Medien mal nichts hören und nichts sehen will.


In diesem Sinne möchte ich mich für diesen Monat verabschieden und wünsche nachträglich allen Lesern und Verlagen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2015.


Mittwoch, 7. Januar 2015

Rezension: Urwaldgäste (Roman Ehrlich)

(Foto: Aufziehvogel)


(Foto: DuMont)



Deutschland 2014

Urwaldgäste
Autor: Roman Ehrlich
Verlag: DuMont
Genre: Erzählungen, Satire, Drama


"Auf dem Weg von meinem Haus zu diesem Büro fuhr ich zunächst Stationen mit einer die Stadt ringförmig umkreisenden Bahn, die immer nur links um die Kurven bog und dabei viele Werktägige in sich aufnahm. Sie standen dichtgedrängt beisammen, abwesend, müde, grimmig oder schläfrig, hielten sich an den Haltestangen fest, hörten Musik und starrten vor sich auf eine Jackennaht oder direkt ins Nichts. Zwei größere Umsteigbahnhöfe befanden sich auf meiner Strecke, das Wetter war meistens regnerisch und das Fahrgastaufkommen war groß. Aus den Fenstern heraus sah man die Stadt schemenhaft in einer gräulichen Suppe dastehen, versunken und irreal wie in einem Aquarium.
Am südlichsten Rand der ringförmigen Zugstrecke stieg ich aus und lief durch ein Gewerbegebiet mit einem großen Ikeamarkt, Tankstellen und Zufahrtstraßen zur vielspurigen Stadtautobahn, die ich auf einer Fußgängerbrücke überquerte. Auf der anderen Seite befand sich rechts ein Supermarkt mit weitflächigem Parkplatz, auf dem ich an meinem ersten Arbeitstag eine junge Mutter sah, die mit gesenktem Kopf übervolle Plastiktüten in beiden Händen über den Parkplatz trug und neben der ein dicker Junge aufgekratzt herumhopste und ihr die immergleiche Zeile aus einem Nonsenslied vorsang: JuLaLiLaLaLa. JuLaLiLaLaLa. JuLaLiLaLaLa. JuLaLiLaLaLa. Mein Hirn schwang sich sofort auf diese kurze Schleife ein und begann auf ihr zu rotieren, wie ein endlos in seine Umlaufbahn gezwungener Mond."
(Roman Ehrlich, DuMont Verlag: "Dinge, die sich im Rahmen meiner temporären Anstellung bei der Grinello Clean Solutions ereigneten" aus der Anthologie "Urwaldgäste")


Die erste Rezension 2015 sollte eigentlich die letzte Rezension 2014 werden. Denn einen letzten, ganz besonderen Leckerbissen wollte ich mir eigentlich für den Schluss aufheben. Aber wie so oft kann man gewisse Pensen, die man sich selbst setzt, häufig nicht einhalten, selbst dann nicht, wenn man sie noch so sorgfältig geplant hat.

Roman Ehrlich machte mit seinem beeindruckendem Debüt "Das Kalte Jahr" bereits 2013 auf sich aufmerksam. Mit seiner ungewöhnlichen Geschichte, die gleichzeitig zeitgenössische Literatur mit historischen Ereignissen verband, gewann der junge Autor schnell eine Leserschaft. Im deutschsprachigen Raum war solch ein wuchtiges Debüt schon länger nicht in der deutschen Literatur vertreten. Natürlich fragten sich die Leser, die mit diesem erfrischenden Stil angefixt wurden, wann der Autor etwas neues bringt. Und der DuMont Verlag lieferte im September vergangenen Jahres die Antwort. "Urwaldgäste" lautet der skurrile Titel dieser Sammlung an Erzählungen. Zehn an der Zahl sind es (sogar 11, wenn man die in zwei Parts aufgeteilte Geschichte "Die Intelligenz der Pflanzen (Naturtreue)" doppelt zählt). Und jede einzelne Geschichte ist es wert, aufrichtig gelesen zu werden. Jede einzelne Geschichte ist nicht nur umfangreich und geheimnisvoll, sie alle unterscheiden sich auch voneinander und scheinen dennoch miteinander verknüpft zu sein. Es sieht so aus, als habe Deutschland endlich einen Autor gefunden, der mit der einsamen Generation der Großstadtmenschen umzugehen weiß. Ein wenig melancholisch, gesellschaftskritisch und auch wehmütig beschreibt er die Schicksale von gewöhnlichen Menschen, die in ihrem Dschungel aus Beton beinahe erdrückt werden.

Wiederkehrende Motive aus "Das Kalte Jahr" gibt es auch in "Urwaldgäste". Es gibt die Neonröhren, die Tankstellen und die kühlen, beinahe schon irrealen Landschaften. Und genau das gleiche gilt für die Atmosphäre. Denn wie bereits im Vorgänger, ist diese relativ surreal, ja, beinahe schon als träumend zu bezeichnen. Denn ein großes Problem, mit dem Roman Ehrlichs Charaktere zu kämpfen haben, ist die Kommunikation. Sie reden undeutlich, verworren, driften völlig vom Thema ab. So kann der Innenarchitekt Lappert aus der Geschichte "Die Seekuh Tiffany" den Arzt nicht verstehen, der versucht, ihm den Zustand seiner Frau zu erklären. Das gleiche gilt für den Zoologen der Unterwasserwelt, der einem Journalisten vom Radio zuhört, dieser aber einfach nicht zum Punkt kommt. Im Gegenzug schafft der Zoologe es aber auch nicht, zu erklären, was sich nun auf der Kassette befindet, die die Seekuh Tiffany ausgespuckt hat und die Geschichte zu einer großen Attraktion des Zoos werden könnte.

Dieser gewollt, leicht verworrene Stil war es, der mich sehr beeindruckt hat. Roman Ehrlich spielt mit dem Leser indem seine Protagonisten grundsätzlich ein Kommunikationsproblem haben. Häufig bleiben viele mysteriöse Ereignisse in den Geschichten ungeklärt und lassen Spielraum für Interpretation. Ja, genau so fühlen sich meistens auch meine eigenen Träume an. In meinen Träumen unterhalte ich mich mit Menschen, man kommt aber nie zum Punkt, redet aneinander vorbei und man ist irgendwie vom Weg abgekommen, kann sich an sein eigentliches Ziel nicht mehr erinnern. Genau so ergeht es auch den Charakteren im Buch.

Mit einem absolut sicheren, geübten Schreibstil schafft es der Autor, in jeder einzelnen Geschichte ein kleines, düsteres Märchen über die Großstadt zu erzählen. Dabei widersetzt sich Roman Ehrlich sämtlichen gängigen Trends, die derzeit auf dem deutschen Buchmarkt herrschen.

"Der gesamte Urwald strahlte auf, blau, fluoreszierend wie eine Unterwasserwelt, ich schaute in den Himmel, wo plötzlich schwarze Wolken vor einem hellblauen Himmel standen. Als ich meinen Blick wieder senkte, waren die drei Männer verschwunden und das blaue Licht hatte sich irgendwie normalisiert, war dem gewöhnlichen Blau einer Morgendämmerung gewichen."
(Roman Ehrlich, DuMont Verlag: "Dinge, die sich im Rahmen meiner temporären Anstellung bei der Grinello Clean Solutions ereigneten" aus der Anthologie "Urwaldgäste")


Resümee

Hinter dem schicken bunten Cover zu "Urwaldgäste" verbergen sich, tief im Gestrüpp jenes Dschungels, kleine Einzelschicksale von Menschen aus dem Jahr 20XX. Es müssen keine Namen von Städte genannt werden, keine Orte, nicht einmal Namen sind nötig. Roman Ehrlichs kleine Erzählungen könnten überall hier in Deutschland spielen und jeder Leser würde sich auf die eine oder andere Weise mit ihnen verbunden fühlen.

Wie bereits bei Tilman Ramsteds "Der Kaiser von China", Sasa Stanisic "Vor dem Fest" oder aber auch Dorothee Elmigers "Schlafgänger" wurde mir als Leser wieder einmal verdeutlicht, zu was die deutschsprachige Literatur fähig ist. Roman Ehrlich setzt noch einmal eine Schippe drauf. Seine Geschichten sind nicht dazu gemacht, sie an einem Abend durchzulesen. Sie sind auch nicht dafür geschrieben, seichte Unterhaltung zu bieten. Nein, die Geschichten wirken nachhallend auf den Leser ein und die Magie der Kurzgeschichten können sich somit komplett entfalten. Für mich selbst habe ich herausgefunden, zu Roman Ehrlichs melancholische Geschichten liefert der japanische Komponist Ryuichi Sakamoto den besten Soundtrack ab. Ich konnte mich treiben lassen und war versunken in dieser seltsamen, aber doch vertrauten Welt.

Hoffen wir, auch 2015 wieder etwas von Roman Ehrlich lesen zu dürfen. Denn wir werden Live dabei sein, wenn sich hier in kommender Zeit ein großer Erzähler der deutschen Literatur etablieren wird.





Nachträglich geht mein Dank noch an das Team vom DuMont Verlag in Köln, die mir diese Reise in den Urwald ermöglicht haben.


Nachtrag:

Mit einem kleinen Rätsel hat mich Roman Ehrlich dann aber doch noch zu Bett gehen lassen. Eine gewollte Verwechslung oder ein mini Fauxpas? "In einem Land vor unserer Zeit" ist kein Disney Film ;)