Trailer
USA 2015
The Hateful Eight
Drehbuch und Regie: Quentin Tarantino
Musik: Ennio Morricone
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russel, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins, Tim Roth, Michael Madsen
Lauflänge: 167 Minuten (Digitale Version), 187 Minuten (70 mm Version)
Genre: Western, Mystery
FSK: Frei ab 16
"You only need to hang mean bastards, but mean bastards you need to hang."
Mittlerweile scheint es zwei Generationen an Zuschauern zu geben, die Quentin Jerome Tarantinos Filme kennen. Beide Gruppen konsumieren seine Filme anders und kommen zu völigs unterschiedlichen Fazits.
Auf Tarantinos sehr ungewöhnliche Filmkunst bin ich über Umwege gegen Ende der 90er gekommen. Zu einer Zeit, in der "From Dusk Till Dawn" noch als Tarantino Film beworben wurde und der Name des eigentlichen Regisseurs, Robert Rodriguez, in kleinen Buchstaben auf dem Cover der VHS vermerkt war. Mit "From Dusk Till Dawn" fing jedenfalls alles an. Tarantinos Einflüsse sind trotz allem unverkennbar in dem Film enthalten, die volle Dröhnung gab es aber erst mit "Reservoir Dogs". Und so tauchte ich, viele Jahre bevor ich die Filme laut deutscher Altersfreigabe sehen durfte, in diese surreale Welt voller cooler Gangster, cooler Musik und coolen, langen, ausufernden Dialogen über Cheeseburger und Fußmassagen ein.
Mit "Kill Bill" (beide Filme zusammen) erreichte Tarantino bei mir den Status eines vollkommenen Regisseurs und dabei war es doch gerade mal sein vierter Film. Obwohl wir uns nicht persönlich kennen, muss ich gestehen, das war eine relativ harmonische Beziehung zwischen mir und Mister Tarantino. Aber gute Beziehungen gehen oftmals nach vielen Jahren auseinander, meistens aus banalen Gründen wie Interessenkonflikten. Und so endete auch diese harmonische Beziehung, zumindest beinahe. Ich muss sagen, "Death Proof" war eine harte Geduldsprobe. Aber knapp 10 Jahre nach seinem Erscheinen habe ich mittlerweile irgendwie meinen Frieden mit diesem seltsamen Kunstprojekt gefunden. Kommerziell erfolgreich was das gesamte Grindhouse Projekt nicht und es gab sowohl für Rodriguez, als aber auch erstmals für Tarantino eine Schelte von Kritikern, Fans und ganz besonders den Produzenten. In diesem Moment scheint es bei Tarantino einen Paradigmenwechsel gegeben zu haben, denn mit "Inglourious Basterds" lieferte er ein nicht weniger seltsames Kunstprojekt ab, allerdings komplett anders gestaltet als noch "Death Proof". Tarantinos Zeitreise in die Vergangenheit nach Nazi-Deutschland um mit der Magie des Kinos Adolf Hitler zur Strecke zu bringen war wirkungsvoll, kommerziell erfolgreich und war Tarantinos Medizin gegen eine sich anbahnende Abnutzungserscheinung. Ich feierte den Film im Kino ab wie meine Begleiter und das gesamte Publikum. Einige Jahre später, nach einer alleinigen Sichtung daheim ließ mich so ziemlich alles an dem Film kalt, was mich damals noch beeindruckte. Noch schneller machte sich diese persönliche Abnutzung bei mir als Zuschauer breit, als "Django Unchained" 2012 in die Kinos kam und bereits bei der zweiten Sichtung seinen Charme nicht mehr ausspielen konnte. Kommerziell noch erfolgreicher als die Basterds, will ich per se nicht sagen, Django Unchained sei ein schlechter Film, Tarantinos-Stil sucht man jedoch vergeblich (was vermutlich auch ein wenig mit dem überraschendem Tod von Tarantinos langjähriger Cutterin Sally Menke zu tun hat). Ein Film der sich zwischen Western, Rassendrama und Blaxploitation nicht ganz entscheiden kann und mich mit gemischten Eindrücken zurückgelassen hat.
Das lange schnöde Vorwort war nötig, um nun zu "The Hateful Eight" zu kommen. Da die Langzeitwirkungen von Tarantinos Filmen nach "Kill Bill" mich relativ enttäuscht haben, interessierte mich auch die kuriose Entwicklung rund um die Abscheulichen Acht relativ wenig. Tarantino würde sich erneut einem Western-Setting widmen, welches gleichzeitig auch noch im selben Universum wie Django Unchained angesiedelt ist. Ich war nicht einmal unglücklich, als Tarantino verkündete, es wird keine "Hateful Eight" geben nachdem das komplette Script vorzeitig von einem Spaßvogel Online gestellt wurde. Tarantino wurde kurze Zeit später dennoch von Darstellern und Fans ermutigt, das Script umzuschreiben und den Film dennoch zu drehen. Und so kam es schließlich auch.
Da ich Django im Kino bereits ausgelassen hatte, war ich dennoch zu neugierig, um mir das neuste Werk des großen Zampano entgehen zu lassen. Vorab-Kritiken der 70mm Fassung (ich selbst habe nur die kommerzielle, digitale Fassung im Kino gesehen) sprachen von einem Mix aus "The Thing" (Kurt Russel und Ennio Morricone lassen grüßen) und "Reservoir Dogs" angesiedelt im wilden Westen. Dass das komplette Setting (und auch der Beginn des Filmes) stark an Sergio Corbuccis "Il Grande Silenzio" (in Deutschland bekannt unter "Leichen pflastern seinen Weg") erinnert, wird wiederum gar nicht erwähnt oder von einigen passionierten Cineasten nur kurz angeschnitten.
Und so komme ich nach meiner gestrigen Sichtung zu folgender Meinung: Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" ist weniger ein Film als viel mehr ein brillant inszeniertes Theaterstück. Es dauerte keine 2 Minuten, da zog mich Morricones bedrohliches L'Ultima Diligenza di Red Rock (welches er exklusiv, wie viele andere Stücke, für den Film komponierte) komplett in seinen Bann. Und so brauchte auch der Film nicht einmal länger als fünf Minuten, um meine vollkommene Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und dennoch blieb ich bei einer Laufzeit von fast 3 Stunden skeptisch. Einen Einbruch sollte es jedoch nicht geben, und das, obwohl die erste Stunde des Filmes verhältnismäßig ereignislos vonstatten ging. Wenn man jedoch fantastische Darsteller mit von der Partie hat, die den Film tragen, dann muss man als Regisseur keine Einbrüche befürchten. Tarantinos Dialoge sind wie immer clever geschrieben, lassen glücklicherweise aber die Selbstverliebtheit und Belanglosigkeit vermissen, die es zu einem Großteil in "Death Proof" gab und auch nicht die Basterds davon verschont blieben. Ob Kurt Russel als abgewrackter Kopfgeldjäger, eiskalt und gnadenlos, Samuel L. Jackson als undurchsichtiger Rächer für das afroamerikanische Volk oder Jennifer Jason Leigh als völlig durchgeknallte Psychopathin (meine Daumen sind für die Oscars gedrückt), jeder einzelne von ihnen macht diesen wundervollen Cast zu einem absoluten Genuss.
Tarantinos Idee über ein dreckiges Dutzend, was noch viel mehr Dreck am stecken hat als eine Sau die sich im Schlamm wälzt, ist dabei nicht einmal besonders originell oder einfallsreich. Jedoch hatte er mit seiner Idee gar nicht erst vor, das Rad in Sachen Storytelling neu zu erfinden. Man wird sogar gewisse Vorteile haben, sofern man "The Thing" und "Reservoir Dogs" gesehen hat. Denn im Gegensatz zu "Django Unchained" findet man zu den Hateful Eight einen wesentlich schwierigeren Zugang. Die Motive der Charaktere sind bis zum Schluss nicht wirklich klar, es wird viel geredet, wenig geschossen. Der Film verlangt Aufmerksamkeit vom Zuschauer. Je länger das Theaterstück, welches in 5 Kapitel unterteilt ist, andauert, desto mehr entwickeln sich die Geschehnisse in eine klassische Murder-Mystery in Agatha Christie Manier. Wenn man sich auf den Film einlassen kann, dann, wird man mit einer spürbaren Spannung und Klaustrophobie belohnt. Der Zuschauer nimmt teil an diesem klassischen Verwirrspiel um die Enttarnung des Drahtziehers.
Die kleineren Schwächen in Sachen Originalität bereits erwähnt, lebt der Film jedoch von seiner Inszenierung. Die Cinematographie von Robert Richardson ist wieder einmal eine Augenweide (und für mich umso trauriger, dass ich leider bisher nicht die 70 mm Version gesichtet habe). Die Soundkulisse setzt noch einmal einen drauf. Ich war dermaßen in den Film vertieft, dass ich mich furchtbar erschrocken habe als ein Schuss losgegangen ist.
Tarantino ist sich auch in "The Hateful Eight" treu geblieben und verspritzt werden Liter an Filmblut. Und ich rede von physischem Filmblut, nicht dieses vom Computer generierte CGI Zeug. Für die Splatter-Effekte (die im Gegensatz zu Django gut platziert sind und ihre Wirkung voll entfalten) war einmal mehr der großartige Greg Nicotero verantwortlich. Die deutsche Freigabe ist mit einem "Ab 16" Gütesiegel wieder einmal sehr großzügig.
Fazit
Ich könnte vermutlich noch stundenlang so weiterschreiben über "The Hateful Eight" und hätte vermutlich immer noch nicht alles gesagt, was ich eigentlich sagen wollte. Tarantinos neuster Streich ist eine erneute Liebeserklärung ans Kino. Sicherlich kein Film für Jedermann, alleine die Laufzeit dürfte viele abschrecken. Wer jedoch Zeit mitbringt, fantastische Darsteller und handgemachte Filmkunst in Höchstform sehen will (wovon es heute nur noch so wenig gibt), der wird bei The Hateful Eight fündig werden, da habe ich absolut keine Bedenken.
Im Abspann kommt dann auch noch einmal Roy Orbinson zum gesungenen Wort. Diesmal singt er nicht über eine Pretty Woman (die man im Film vermutlich nicht finden wird da John Ruth sämtliche hübsche Züge aus dem Gesicht von Daisy Domergue geprügelt haben dürfte), sondern darüber, dass nicht so viele Leute heimkehren werden. Die Botschaft die Tarantino hiermit übermitteln will entfaltet sich erst, wenn man den Film komplett gesehen hat. In diesem bitterbösen Theaterstück wird man keine Rechtschaffenheit oder Moral finden. Dafür aber umso mehr Egoismus und Hass. Vermutlich wird jeder Zuschauer einen Teil seiner selbst in einen dieser Hateful Eight wiederfinden. Zu dieser Erkenntnis wird man wohl kommen, wenn der letzte Vorhang dieser Aufführung gefallen ist. Für mich persönlich war diese Aufführung jedoch eine Versöhnung und ein Beweis dafür, zerbrochene Beziehungen können tatsächlich wieder zusammengeklebt werden.