Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 28. Dezember 2023

Rezension: A Breath of Winter - Rabenwinter Saga 1 (Carina Schnell)

A Breath of Winter Cover



Deutschland 2023

A Breath of Winter - Rabenwinter Saga 1
Autorin: Carina Schnell
Verlag: Knaur
Genre: Fantasy
Format: Softcover, eBook


"Wie konnte man bei einem solchen Anblick nicht an die Existenz der Götter glauben? Es war, als würde die Große Mutter höchstpersönlich zu ihr sprechen. [...] Noch war sie jedoch nicht bereit, ihren Platz am Tor zum Himmel aufzugeben. Mit feuchten Augen ließ sie sich vom Ruf des Meeres locken und flog im Geist zu den Sternen hinauf." (S. 352)


Auf der Suche nach neuem Lesestoff bin ich bereits länger um "A Breath of Winter", den ersten Teil einer Fantasy-Dilogie, von Carina Schnell herumgeschlichen - wobei "länger" nicht mehr als zwei, drei Wochen waren, denn tatsächlich ist das Buch von Anfang November diesen Jahres und damit sehr frisch. Zwar prangt auf dem Cover sehr prominent der "Spiegel Bestseller"-Sticker, aber von persönlichen Vorlieben einmal ganz abgesehen ist das meiner Erfahrung nach schon lange kein verlässlicher Hinweis auf ein gutes - oder zumindest solides - Buch, was Inhalt, World-Building, Storytelling usw. angeht. Abgeschreckt hat mich der englische Titel, fühlte ich mich doch sehr an Game of Thrones erinnert und zugleich drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass verschiedenste Autoren und Autorinnen mit englischen Buchtiteln sich selbst internationaler darstellen wollen, mehr sein wollen als am Ende da ist. Auch "Enemies-to-lovers" und das gesamte Romantasy-Genre sind in letzter Zeit einfach zu überladen, zu ausgelutscht, und im Endeffekt ist jede Geschichte gleich aufgebaut, zu vorhersehbar. 

Meine Kaufentscheidung ist am Ende wegen des Settings gefallen, denn "A Breath of Winter" spielt in einer nordischen Fantasy-Welt und ich bin ein sehr großer Fan nordischer Mythologien und Erzählungen. Dabei bedient sich Carina Schnell immer wieder geschickt an verschiedenen Elementen dieser Welten, verflicht sie in ihre eigene Geschichte und wandelt sie nach Bedarf zu einem passenden Gesamtpaket ab.

Erzählt wird die Geschichte der Hexe Smilla. Nachdem der Hexenschlächter, der seit einiger Zeit durchs Land zieht und nur Hexen und Hexer ermordet, Smillas gesamte Familie, ihren Zirkel, alle jene, die sie gekannt und geliebt hat, ausgelöscht hat, ist sie auf der Suche nach Rache. Dem Rat einer Seherin folgend sucht sie Anschluss bei der Wilden Jagd, einer Truppe von Söldnern, gefürchtet, bekannt und vor allem eine eingeschworene kleine Gemeinschaft, die Smilla zunächst nichts als Misstrauen und Ablehnung entgegen bringen. Doch mit ihrer Hilfe erhofft Smilla sich, ihre Rache zu bekommen - dabei hält sie lediglich geheim, dass sie selbst eine Hexe ist. Dabei kommt sie Gent, dem düsteren Anführer der Truppe, der so viel mehr ist, als Carina Schnell uns anfangs sehen und wissen lässt, näher.

A Breath of Winter Charaktere
Allgemein ist die Söldnertruppe ein sympathischer Haufen. Teilweise bleiben die Charaktere etwas flach, aber andererseits ist es vor allem Smillas und Gents Geschichte, dafür sind die Informationen und Hintergründe doch ausreichend und zumindest mir sind fast alle sehr ans Herz gewachsen. Alle verkörpern dabei verschiedene Rollen, vor allem sind sie aber nicht die perfekten Helden. Frigga, der bis Smilla hinzustößt einzigen Frau in der Truppe, fehlt ein Arm, allerdings hat sie den Umgang mit der Peitsche gemeistert und trinkt nahezu jeden unter den Tisch. Óinn ist Barde, auch wenn die anderen seine Geschichten teilweise bereits nicht mehr hören können - mich persönlich erinnert das ein wenig an Troubadix, aber der Umgang ist viel freundlicher als der mit dem schrulligen Barden in jenem kleinen gallischen Dorf. Außerdem ist Óinn der Natur sehr verbunden, sein Glaube an die Götter und umgebende Mächte ist sehr stark und er sieht Dinge, die für die anderen im Verborgenen liegen. Andórr und Jofur sind Partner und ich mochte besonders den stummen Jofur, der zudem der Heiler und der beste Späher der Söldnertruppe ist, sehr. Einzig mit Leif, dem besten Freund und Vertrauten Gents, zudem Spurenleser, konnte ich nicht viel anfangen. Zwar wird ein wenig zu seinem Hintergrund erzählt, warum er und Gent so verbunden sind, aber für mich blieb er nicht greifbar und sonderlich viele Sympathiepunkte sammeln konnte er nicht. Er lehnt Smilla offen ab, sieht in ihr eine Gefahr für Gent und die gesamte Gruppe, und auch wenn ich sein Misstrauen zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann, mich zeitweise gefragt habe, ob Eifersucht im Spiel ist und er in Gent vielleicht mehr als nur seinen besten Freund sieht, hat ihn das nicht gerade sympathischer gemacht. Zumal in der Vergangenheit ja auch andere Mitglieder zur ursprünglich nur aus Gent und ihm bestehenden Truppe hinzu kamen, also kann es nicht nur daran liegen, dass Smilla eine Neue ist. Seine Loyalität zu Gent ist allerdings unglaublich groß und persönlich hoffe ich, dass das Ganze in Band 2 eine Erklärung findet.

A Breath of Winter Smilla
Auch Smilla mochte ich das gesamte Buch über sehr. Anders als in so vielen anderen Büchern des Genres Romantasy ist sie nicht die starke Heldin, die in allem die Beste und ungeschlagen ist, sobald ein Mann ins Spiel kommt aber nur noch von diesem gerettet werden muss und nicht mal mehr zwei Schritte gehen kann ohne in Lebensgefahr zu geraten. Sie ist weiterhin stark, nicht übermächtig, sie braucht aber niemanden, der ihr beim Trinken hilft, um das mal überspitzt auszudrücken. Stattdessen retten sie und Gent sich mehrfach gegenseitig das Leben, machen fast eine Art Wettkampf daraus.

Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, mal aus Gents Sicht, mal aus Smillas. Das beleuchtet die verschiedenen Seiten und Gedanken, macht Handlungen nachvollziehbar und verständlich und dennoch verrät die Autorin an keiner Stelle zu viel. Beide Seiten haben ihre Geheimnisse, die sie vor aller Welt bewahren, die an ihnen nagen oder sie zerreißen, die sie menschlich machen; gewissermaßen zumindest. Und trotz dieser scheinbar umfassenden Perspektive, die wir beim Lesen geboten bekommen, kommt zum Ende hin ein richtiger Hammer. Kurz kam mir zwar ein Gedanke in die entsprechende Richtung, das habe ich dann aber wieder verworfen, denn das kann aus allem, was wir wissen, ja gar nicht sein. Nicht wahr. Nicht wahr?!

A Breath of Winter Gent
Sprachlich lässt das Buch sich sehr angenehm lesen, es ist eine bildhafte Sprache, die allerdings nicht überladen ist, die die Welt lebendig macht, dabei aber nicht in unendlich scheinende Beschreibungen abdriftet. Hier und da gab es manche Wiederholungen - Gent hat sehr oft lose Haarsträhnen in den Knoten auf seinem Hinterkopf zurück verfrachtet - aber nichts Dramatisches.

Wirklich gut gelungen ist wie oben bereits erwähnt der Griff in die Kiste dessen, was in nordischer Mythologie und Sage vorhanden ist. Bekanntes wurde verwendet, teilweise aber geändert, nicht bis zur Unkenntlichkeit aber so weit, dass es der Erzählung diente. Zudem wurden Ereignisse angedeutet, die noch nicht mit dem Gesamten verknüpft sind, bei denen ich mir allerdings sicher bin nach Blick in den Klapptext von Band 2 (tut es NICHT, schaut den nicht an, ehe Ihr Band 1 gelesen habt!!!) und dem gesamten Aufbau des ersten Bandes, dass diese in nächsten Teil zu einem Ziel führen und erklärt werden. Mein Favorit ist ja die Frage danach, was aus den Walküren wurde: Hier werden sie als harpyienartig beschrieben, die blutdürstig und mordend durch die Lande ziehen, allerdings findet sich an einer Stelle ein Verweis, dass sie früher menschenartige Frauen waren, die die Gefallenen vom Schlachtfeld leiteten. Dann geschah vor wenigen Monaten etwas, alles wurde anders. Die Götter - deren Existenz weder eindeutig bestätigt noch bestritten wird - sollen verschwunden sein, nachdem die Walküren sich gegen sie wandten ... Da ist sehr viel Potential für Band 2, alles scheint mit den Ereignissen aus diesem Band zusammen zu hängen und ich hoffe auf eine gute Auflösung.

Das Cover sticht selbst übrigens nicht besonders heraus, sehr schön ist aber die Abbildung im Innendeckel, die die Söldnertruppe zeigt. Außerdem gibt es zwei Overlay-Pages, die Gent und Smilla zeigen. Zwar passen die Bilder nicht so ganz zu dem Bild, das ich im Kopf hatte, sie sind aber auch absolut nicht unpassend und ein nettes Extra, das meiner Meinung nach auch definitiv den Kauf des Buches aus Papier rechtfertigt (ich habe eventuell die gedruckte Ausgabe gekauft, nachdem ich das eBook durchgelesen habe, man munkelt zumindest sowas) - mal abgesehen davon, dass ich immer noch das Gefühl eines echten Buches aus Papier mit keinem elektronischen Buch auf Handy oder Reader vergleichen kann.



Abschließende Gedanken

Lesen. Sofort. Besser heute als gestern!

"A Breath of Winter" ist ein Buch, das mich von der ersten Seite an gepackt hat, ein Buch, in dem einfach alles stimmte, von den Charakteren über die Erzählweise bin hin zur gesamten Geschichte. Es ist zwar nicht ganz frei von Momenten, die vielleicht nicht ganz passend sind - wie zur Hölle ist es möglich, dass sich Schwertscheide und Axt auf dem Rücken zweier unterschiedlicher Personen so miteinander verhaken, dass sie untrennbar verbunden sind? Für das, was erzählt werden soll, durchaus sinnig, aber irgendwie insgesamt eher unsinnig - aber das ist die echte Ausnahme. Insgesamt ist es ein toll geschriebenes Buch, spannend, überraschend, ich habe wirklich mitgefiebert, gehofft, war fassungslos. Toll übrigens Smillas Reaktion auf ein späteres Ereignis im Buch, das ich aus Spoilergründen nicht weiter ausführe - die reagiert erwachsen, menschlich. Zwar war ich in keiner vergleichbaren Situation, es ist eine Ausnahmesituation, aber obwohl es sie wirklich fertig macht, reagiert sie so, wie ich es für durchaus realistisch halte; nicht so wie andere Protagonistinnen aus gewissen Büchern, die ihre Geliebten abstechen wollen, weil diese ein Geheimnis hatten, während die selber diesen Geliebten ganz andere Dinge verheimlicht und angetan haben. Also, Hut ab.

Genannt habe ich das Genre Romantasy übrigens bewusst nicht, da es sich in meinen Augen in erster Linie um eine Fantasy-Erzählung handelt. Es geht zwar auch darum, wie Gent und Smilla sich näher kommen, es gibt auch ein, zwei explizite Szenen, aber das alles hat es bevor das Genre Romantasy erfunden wurde, auch schon gegeben. Passt daher meiner Meinung nach so besser, sollte aber erwähnt werden für diejenigen, für die es dann doch ein Ausschlusskriterium ist.

Einen Kritikpunkt zum Schluss: Es dauert so laaaaaange, bis der zweite Band erscheint!!! (Den Punkt nicht zu ernst nehmen, ich warte lieber und erhalte dann eine solide, in sich runde Fortsetzung als dass ich Fließbandarbeit erhalte, die einfach wahllose zusammengestückelt ist.)




Rezension verfasst von Lavandula

Samstag, 2. Dezember 2023

Review: Godzilla Minus One

 




Japan 2023

Godzilla Minus One
Regie: Takashi Yamazaki
Distribution: Toho (lizenziert durch Peppermint in Deutschland)
Genre: Kaiju
Darsteller: Ryunosuke Kamiki, Minami Hamabe, Sakura Ando, Yuki Yamada, Munetaka Aoki
Laufzeit: Circa 125 Minuten
FSK:  Ab 12



Seit dem Release von Godzilla: Final Wars aus dem Jahr 2004 geht es Godzilla-Rechteinhaber Toho eher ruhig mit neuen Ablegern an. Nach Ryuhei Kitamuras Final Wars sollte es 12 Jahre bis zum nächsten Live-Action Film dauern. Als Shin Godzilla 2016 unter der Regie von Neon Genesis Evangelion Schöpfer Hideaki Anno sowie Shinji Higuchi erschienen ist, brach auch unter den Toho Godzilla-Streifen ein neues Zeitalter an. War der neue Godzilla doch so anders als jemals zuvor. Ja, irgendwie verhielt er sich wie ein Zombie, war zerstörungswillig wie nie zuvor und absolut unberechenbar. Den Japanern war er ein wenig zu distanziert und man hielt Anno und Higuchi vor, keine Helden zu bieten, zu denen man aufschauen kann. Obwohl Shin Godzilla mit vielen Fragezeichen endete, ist die Fortsetzung bis heute nie realisiert worden. Von dem Film war ich damals wie heute begeistert, gehe sogar noch einen Schritt weiter und bezeichne ihnen als einen der besten japanischen Filme seit der Jahrtausendwende und einen der besten Filme der vergangenen Dekade. 2017 verfasste ich auf Am Meer ist es wärmer ein Review.

Seit Shin Godzilla sind nun wieder über 7 Jahre vergangen und in Sachen Toho-Godzilla gab es nur die animierte Spielfilmtrilogie, die zwischen 2017 und 2018 auf Netflix erschienen ist (mittlerweile auch ganz normal im Heimkino erhältlich). Toho verwies hier immer wieder auf das sogenannte MonsterVerse von Legandy Pcitures, welches kürzlich mit der TV-Serie Monarch auf Apple TV fortgesetzt wurde. Doch das Verlangen nach einem neuen Godzilla aus Japan von Toho war ungebrochen. Mit Godzilla Minus One ist man den Wünschen nun nachgekommen und liefert den ersten Live-Action-Godzilla seit Shin Godzilla ab. Das Ergebnis? Ich kann meine Gefühle noch nicht so ganz einordnen.

Mit Godzilla Minus One geht man ins Japan der Nachkriegszeit zurück. Minus One ist kein direktes Remake des Originals aus dem Jahr 1954 von Ishiro Honda, obwohl es mehr Anlehnungen an diesen Film gibt als man an zwei Händen abzählen kann. Man bräuchte vermutlich 50 verschiedene Hände, um die Parallelen abzählen zu können, die es zwischen Godzilla (1954) und Minus One (2023) in dem Moment gibt, als Godzilla Tokyo überfällt.

Eines war aber von vornherein klar. War Shin Godzilla noch sehr politisch und gesellschaftskritisch angehaucht und verzichtete auf einen übergeordneten Hauptcharakter/Held (einen Shujinko) sowie einer Liebesgeschichte, hat man bei Minus One dafür gesorgt, einen emotionalen, teilweise schon kitschigen Subplot in die Geschichte einzuweben der Gefahr läuft, dem eigentlichen Star des Filmes unfreiwillig den Rang abzulaufen. Zwar wartet Minus One mit großartigen Darstellern auf, die alle eine fantastische Performance abliefern, doch nicht selten drängt das Drehbuch die Darsteller in eine Ecke, melodramatisch zu agieren. Von den etwas mehr als 120 Minuten Spielzeit geht also eine Menge dieser Spielzeit darauf zurück, den Subplot zwischen dem Kamikaze-Deserteur Koichi (Ryunosuke Kamichi) und seiner ungewöhnlichen Beziehung zur schönen Ersatzmutter Noriko (Minami Hamabe) voranzutreiben. Habe ich mich hier auf ein spannendes Porträt der japanischen Gesellschaft kurz nach der Stunde Null gefreut, bekommt man davon im Film leider relativ wenig mit, zieht man den Angriff von Godzilla auf Tokyo sowie den Showdown mal ab. Die Botschaft des Films wird aber dann aller spätestens zum Ende klar: Werfe dein Leben nicht einfach weg, wenn du einen Krieg überlebt hast, lebe dein Leben. Eine überraschende Botschaft, wirkt Minus One doch über einen weiten Teil eher so, als glorifiziere er so furchtbare Selbstmord-Truppen wie die Kamikaze.

Und an meinem Review bemerke ich es nun selbst wieder: Beinahe könnte man meinen, man schaue ein J-Drama mit gelegentlichen Auftritten von Godzilla. Das Pacing in Minus One hätte deutlich besser zu einer TV-Serie gepasst. Doch taucht das Riesenmonster einmal auf, ist Spektakel geboten. Das Design von Godzilla ist auch in diesem Film wieder absolut herausragend. Die Spezialeffekte müssen sich grundsätzlich vor keinem Film verstecken, die im US MonsterVerse produziert wurden. Hier glänzt Minus One natürlich. Ob Godzilla selbst oder sämtliche Kulissen, alles wirkt wie aus einem Guss. Wenn Godzilla auftaucht, herrscht Chaos und Anarchie. War Shin Godzilla schon ein zerstörungswilliges Monstrum, agiert der Godzilla in Minus One noch einmal brachialer, was daran liegt, dass er wesentlich organischer wirkt. Godzilla, der sich nach dem Angriff mit seinem Atomatem stolz die Verwüstung ansieht, die er hinterlassen hat, lässt ihn nahbarer erscheinen als vielleicht in keinem Film zuvor. Das Schicksal von Godzilla und Koichi, der hilflos die Verwüstung des Monsters mit ansieht, ist eng miteinander verflochten. Hier glänzt Minus One dann auch mal dann bei den Emotionen, wenn Godzilla mit in die Geschichte rund um die Hauptcharaktere mit eingebunden wird. Leider geschieht das nicht so oft, wie ich mir das gerne gewünscht hätte und der Film driftet zu häufig in jenen Subplot ab, der sich ausschließlich mit Koichis Trauma und sein gemeinsames Leben mit Noriko abspielt. So vergeudet der Film auch einmal wertvolle Zeit, als Koichi Noriko noch einmal ganz von vorn erzählt, was ihm auf dem Fliegerstützpunkt auf Odo passiert ist. Eine Information, die dem Zuschauer unlängst bekannt ist, da es sich hier um die Eröffnungsszene des Films handelt. Diese Zeit hätte man durchaus dafür nutzen können, mehr auf das japanische Alltagsleben nach dem Krieg einzugehen. Zum Beispiel indem man Noriko etwas länger bei ihrem Alltag begleitet hätte, die einen neuen Job in der neu aufgebauten Tokioter Innenstadt angenommen hat.
In den letzten rund 25 Minuten schafft man es aber wieder, die Gesellschaft, die kleinen Menschen, als Kollektiv gegen das große Böse, in den Film einzubinden. Hier geht Minus One dann nicht einmal so andere Wege als zum Beispiel Shin Godzilla.


Copyright: Toho


Bei der Auswahl bezüglich der Regie blieb sich Toho treu. Mit Takashi Yamazaki hat man sich ähnlich wie bei dem Gespann Anno/Higuchi einen Mann gesucht, der mit Spezialeffekten bewandert ist und sowohl Know-How aus Live-Action Filmen aber auch aus der Animationskunst mit sich bringt. Yamazaki zeichnete sich schon für einige bekannte Adaptionen aus, zu denen Umsetzungen wie Space Battleship Yamato, Parasyte, Dragon Quest und Lupin III zählen. Die Herangehensweise von Yamazaki könnte aber kaum unterschiedlicher sein, besonders wenn man hier die letzten Godzilla-Filme mit einbezieht wie Final Wars und Shin Godzilla. Diese Freiheiten überlässt Toho dann auch den Filmemachern und Drehbuchschreibern, dem Film ihren Stempel aufzudrücken.




Fazit

Godzilla Minus One ist ein abendfüllendes, bildgewaltiges Kaiju-Abenteuer. Durch seinen etwas trägen und melodramatischen Subplot um einen in Ungnade gefallenen Kriegsdeserteur steht sich die neuste Godzilla-Verwüstung ein wenig selbst im Weg. Etwas mehr Straffung hätte dem Film gut getan und ein besserer Ausblick auf die Gesellschaft des Japans im Jahr 1947 hätten sicherlich zusätzlich eine noch deutlich dichtere Atmosphäre geschaffen. Dennoch möchte ich Godzilla Minus One (eine Anspielung auf die Stunde Null) nicht kleiner reden, als er ist. Allen voran zeigt der Film wieder einmal die große Kluft zwischen den West und Ost Varianten des Monsters und welchen einzigartigen Touch die Filme aus Japan nochmal hinzufügen. Genau wie Shin Godzilla endet Minus One mit einem ähnlichen Cliffhanger, ob dieser noch einmal aufgegriffen wird? So schnell wird es darauf wohl keine Antwort geben. Was bleibt ist ein gut gespielter und technisch beeindruckender Kaiju-Film der uns einmal mehr mit dem puren Zorn von Godzilla auf die von Menschen geschaffene Gesellschaft konfrontiert. Eine Zerstörungsgewalt, die, würde sie wirklich existieren, unsere Existenz wohl schnell auslöschen würde. Dieses Monstrum hinter einer Kinoleinwand oder einem Fernsehbildschirm in Schach zu halten macht sie nicht weniger furchteinflößend.
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Rezension verfasst von Aufziehvogel

Mittwoch, 29. November 2023

Rezension: Seid friedlich mit Loriot

 



Deutschland 2023

Seid friedlich mit Loriot
Text und Illustration: Loriot
Herausgeber: Susanne von Bülow und Peter Geyer
Genre: Satire, Kunstbuch
Format: Hardcover



100 Jahre Loriot. Die älteren unter uns werden ihn sich mehr als je zuvor zurückwünschen, ein Stoßgebet an höhere Mächte senden ihn in solch unruhigen Zeiten noch einmal ins Leben zurückzurufen. Die etwas jüngere Generation wird sich vielleicht fragen, wer oder was Loriot ist und ob er, sie oder es einen TikTok Account besitzt. Wundern würde es vermutlich keinen, wenn diese Frage gestellt werden würde. Deutschlands vermutlich größter Humorist ist 2011 im Alter von 87 Jahren verstorben. Vor einigen Tagen wäre er 100 Jahre alt geworden. Die Berichterstattung war groß, zudem gab/gibt es anlässlich des Geburtstages noch einige Ausstellungen zu Ehren Loriots. Eine gute Gelegenheit, Loriot zu diesem Anlass wiederzuentdecken oder erstmals für sich zu entdecken.

Doch wer war eigentlich Loriot? Üblich sind solche kurzen Pseudonyme eher für frankobelgische Künstler. Hinter Loriot versteckt sich Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow. Die meisten werden ihn wohl eher unter der Kurzform des Namens kennen, Vicco von Bülow. Übersetzt wird das französische Wort Loriot zum deutschen Pirol, ein Vogel und auch das Familienwappen der von Bülows.




In dem kompakten Hardcover-Büchlein "Seid friedlich mit Loriot" widmet sich Loriot Themen, die aktueller nicht sein könnten. Geopolitisch aber auch lokal erleben wir schwere Zeiten, wie schon lange nicht mehr. Es herrschen weltweit kriegerische Konflikte und die Lage in der guten alten Bundesrepublik ist so angespannt wie lange nicht mehr. In frechen Illustrationen nimmt sich Loriot den Krieg vor, die Armee, die Raumfahrt und Altkanzler Adenauer. Die kleinen Comics sind thematisch herrlich überzeichnet, surreal und dennoch auf den Punkt gebracht. Loriot nimmt hier ernste Themen nicht unsensibel aufs Korn, er geht den Kern der Sache an und fertigt Karikaturen der weltlichen Probleme. Doch die Botschaft kommt immer unmissverständlich an: Seid friedlich zueinander. Loriot besitzt nur eine Waffe und diese heißt Humor, kaum wer beherrschte diese mächtige Waffe mehr als er.

Doch Loriot nimmt sich nicht nur den schweren Themen in diesem Band an. Er zeichnete auch immer die kleinen Menschen, die nicht täglich im Rampenlicht stehen. Dich, den Leser dieses Artikels. Mich, den Verfasser dieses Artikels und deine Eltern, deinen Friseur und alle Leute, die du vermutlich noch so kennst. Loriots Karikaturen, Sketche und Comics richteten sich immer auch an die Durchschnittsbürger unserer Gesellschaft. Die chronisch unzufriedene, meckernde Bevölkerung. Hier gibt in diesem Band mit der Firma Poppe & Co. einige herrlich überspitzte Firmenideen und Situationen. "Für einen Poppe gibt es kein Unmöglich". So wird gerne mal provisorisch das ausgesessene Sofa von Senioren sabotiert repariert, den einzig verfügbaren Klempner für einen tropfenden Wasserhahn aus seinem Urlaub in Ägypten zu entführen einfliegen zu lassen und ein ganz besonders ausgeklügelter Personenschutz für den Bundeskanzler. Bei den Poppe-Comics wird schnell klar, worum es geht: Sinnlose Verschwendung oder einfach nur eine herrliche Präsentation der sogenannten Rube-Goldberg-Maschine.

Das Hardcover-Buch umfasst 130 Zeichnungen, einige davon teilweise koloriert und etliche mit humoristischen Texten unterlegt. Was ich mir hier vielleicht noch gewünscht hätte wäre ein Vor- und Nachwort gewesen (vielleicht ein älterer Text von Loriot oder etwas aktuelles aus dem Umfeld von Loriot), um das Buch zum 100. Geburtstag des Künstlers noch etwas persönlicher zu gestalten. Ein paar chronologische Angaben zu den Illustrationen wären ebenfalls noch ganz nett gewesen, viele davon kann man bei ihrer Thematik aber auch problemlos einem Jahrzehnt zuordnen.



 


Abschließende Gedanken

"Seid friedlich mit Loriot" ist ein gelungenes kleines Buch zum 100. Geburtstag des großen Humoristen. Frech, witzig aber sich auch immer der ernsten Lage bewusst zu sein - dies war eine der Stärken von Loriot und all diese Eigenschaften machen sein so umfassendes Werk auch heute noch so zeitlos. Loriot ist ein Künstler, der in 1-2 Bildern und wenigen Sätzen eine komplette Geschichte erzählen kann. Manchmal ist der Text dazu nicht einmal nötig. In dieser Hardcover-Ausgabe (von der es auch noch weitere Bände gibt) bekommt man einen perfekten Einblick in die Welt, die uns Loriot hinterlassen hat. Der Titel des Buches erzählt in zwei Wörtern dann nochmal eine ganz eigene Geschichte, die heutzutage wohl eine so große Bedeutung hat wie nie zuvor: Seid friedlich.




Rezension verfasst von Aufziehvogel

Mittwoch, 15. November 2023

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer: Der neue Roman von Haruki Murakami erscheint am 12.01.2024 bei DuMont

 




Japan 2023

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
Originaltitel: Machi to Sono Futashika na Kabe - The City and its Uncertain Walls
Autor: Haruki Murakami
Übersetzung: Ursula Gräfe
Veröffentlichung: 12.01.2024
Formate: Hardcover (34 Euro), E-Book (27,99 Euro)
Seitenzahl: 672



Inhalt (Pressetext)

Die Erinnerung an das Mädchen und die ummauerte Stadt lässt ihn nicht los. Schließlich kündigt er und nimmt eine Stelle in einer alten Bibliothek in der Präfektur Fukushima an. Die Realität gerät knirschend ins Wanken – und der Erzähler muss sich fragen, was ihn an diese Welt bindet.


Erst am 10. Oktober berichtete ich darüber, Haruki Murakami habe im April dieses Jahres in Japan einen neuen, langen Roman veröffentlicht und kaum jemand wüsste davon. Doch bereits kurz nach meiner Rezension zu Honigkuchen habe ich von der freundlichen Frau Zimmermann vom DuMont Verlag erfahren, dass die deutsche Übersetzung zum Roman "Machi to Sono Futashika na Kabe - The City and its Uncertain Walls" bereits am 12.01.2024 in Deutschland erscheint. Ein mehr als schönes nachträgliches Geburtstagsgeschenk für mich, der in der kalten, trüben Winterjahreszeit am 09.01 feiert. Aber der 12.01 ist natürlich nicht gewählt worden, um mir nachträglich eine Freude zu bereiten - am 12.01 feiert Japans bekanntester zeitgenössischer Autor seinen 75. Geburtstag.

Mit knapp 700 Seiten erwartet uns hier mal wieder ein wahres Schwergewicht. Übersetzt wird die deutsche Fassung wie immer von der großartigen Ursula Gräfe, die den Großteil sämtlicher Werke von Murakami bereits in die deutsche Sprache übertragen hat.

In meinem verlinkten Artikel vom 10.10 habe ich ein wenig über die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Romans geplaudert.

Der Januar fängt also gar nicht so trüb diesmal an, wie ich vermutet habe. Der Roman erscheint zeitgleich bei DuMont als Hardcover und als E-Book.

Sonntag, 12. November 2023

Lost Media: Der verlorene Zeichentrickfilm zu Asterix und die goldene Sichel

 



Erst vor wenigen Wochen erschien mit "Asterix und die Weiße Iris" das neuste Asterix-Album Nummer 40, erstmals getextet vom neuen Schreiber Fabcaro (Fabrice Caro). Doch kehren wir zurück ins Jahr 1962, als das zweite offizielle Asterix-Abenteuer (bei uns erst als fünfter Band erschienen) in Frankreich erschienen ist: "Asterix und die goldene Sichel" (Astérix et la Serpe d'Or). Im direkten Vergleich zum Erstling "Asterix der Gallier" etablierte das zweite Abenteuer bereits etliche bekannte Stilmittel, die die Comicreihe über Jahrzehnte noch prägen sollten. Allen voran war es das erste Abenteuer, wo Obelix als zweiter Hauptcharakter neben Asterix etabliert wurde.

Als 1967 die erste Zeichentrick-Adaption zu einem Asterix-Album erschienen ist (Asterix der Gallier), waren die beiden Asterix-Schöpfer Goscinny und Uderzo außer sich. Der Film ist ohne irgendeine Kontaktaufnahme zu den beiden Machern der Comics entstanden und beide erfuhren von der Existenz des Filmes erst kurz vor dessen Fertigstellung. Der Film entstand mithilfe des Comicverlags Dargaud (benannt nach seinem Gründer Georges Dargaud) und für die Animationen zeichnete sich das Studio Belvision aus. Das Fazit von Goscinny und Uderzo fiel bei einer Testvorführung mehr als verhalten aus und beide waren sich einig darüber, so sollen zukünftige Asterix-Adaptionen nicht aussehen.

Was den beiden zu dem Zeitpunkt da schon klar gewesen sein muss, es war nahezu komplett die Filmadaption zum zweiten Album abgeschlossen sowie bereits ein dritter Film in Auftrag gegeben, der später als "Operation Hinkelstein" bekannt werden würde, was jedoch erst viele Jahre später (1989) und nach dem Tod von Goscinny realisiert wurde. Die Verfilmung zu "Die goldene Sichel" sollte mit rund 68 Minuten eine originalgetreue Umsetzung des Comics werden und war laut Aussagen der Verantwortlichen weit in der Produktion fortgeschritten. Erneut war Belvision für die Animationen verantwortlich, diesmal fiel das Fazit der beiden Schöpfer aber noch gnadenloser aus. Goscinny und Uderzo sollen außer sich gewesen sein. Etliche Dekaden später wurde Uderzo noch einmal nach der verworfenen Adaption gefragt worden sein und schmunzelnd soll dieser beteuert haben, dass die Animationsqualität des Films unterirdisch war.

Goscinny und Uderzo ordneten bei ihrem Verleger Dargaud an, sämtliches Material zur Verfilmung zu beseitigen, der anschließend den kritischen Schöpfern gegenüber nachgab.

Es heißt, bis auf einige wenige Negative, die präserviert werden konnten (und in Belgien auf einer Ausstellung namens "Astérix: le Monde Miroir" vorgestellt wurden), sei von dem fertiggestelltem Material nichts mehr übrig geblieben. Zudem muss man bedenken, die komplette Produktion war schon damals noch nicht zu 100% abgeschlossen und der Film wurde vor seiner Fertigstellung bereits abgesägt.

Ob es nicht wirklich noch irgendwo bewegtes Material gibt, kann man nicht mit Gewissheit sagen. Aber bedenkt man, wie ernst es dem Duo war, kann man davon ausgehen, dass diese verlorene Adaption waschechtes Lost Media Material ist.

Die Frage, ob man sich noch einmal an eine Adaption wagen wird, steht ebenfalls in den Sternen. Die meisten der 40 Asterix-Comics wurden nie adaptiert. Und die vorhandenen Adaptionen sind häufig Eigenkreationen die entweder lose auf mehreren Comic-Abenteuern basieren oder komplett aus Originalmaterial bestehen, wie auch schon die neuen 3D animierten Filme, wo lediglich zu Beginn "Asterix und die Trabantenstadt (2014)" relativ authentisch der Comic adaptiert wurde. Da aber besonders die neuen Filme auf Spielfilmlänge setzen und die Comics mit ihren 45-47 Seiten pro Album nur selten genug Material für einen kompletten Spielfilm bieten ohne Lückenfüller-Material einbauen zu müssen, sind weitere originalgetreue Adaptionen der Comics eher auszuschließen.

Aber das soll die Sache nicht schmälern, immerhin kann das wundervolle Original als Comic weiterhin druckfrisch genossen werden. Und durch die vielen Filme kann man sich zumindest seine Lieblingsstimmen aus den deutschen Synchronfassungen zu den Textblasen denken!



 


Alle Bilder stammen aus der Lost Media Wiki. Dort ist zudem noch ein kompletter Artikel zur Adaption (auf Englisch) sowie weiteres seltenes Bildmaterial verfügbar: Lost Media Wiki Eintrag (Link öffnet ein separates Fenster)


Nachtrag 17.11
Wenn schon, dann auch richtig! Als ich gerade in meine eigene kleine Asterix-Sammlung geblickt habe, habe ich sehr häufig auf den Covern von ein paar Sonderausgaben "Dargaud" gelesen. Hierbei handelte es sich nie um die Filmproduktionsfirma, die die Rechte an den Filmumsetzungen besaßen, Dargaud, benannt nach seinem Gründer George Dargaud, ist der Verleger der Asterix Comics in Frankreich und übernahm später das wohl bekannteste Comic-Magazin Frankreichs, Pilote.
Für die Ungereimtheiten bitte ich zu entschuldigen, der Text wurde bereits angepasst. Getrennt hat man sich vom Animationsstudio Belvision.

Donnerstag, 2. November 2023

Aufziehvogel fragt nach: Eine kleine Tasse Tee mit Clarissa Bühler

 



Es ist schon wieder weit über 5 Jahre her, wo ich meinen letzten Gesprächsgast hier auf "Am Meer ist es wärmer" in Empfang nehmen durfte. Eine junge Autorin, die mich mit ihrem Debütwerk begeistern konnte, hat sich mit mir auf eine virtuelle Tasse Tee getroffen und sich meinen Fragen gestellt. Die Rede ist von Clarissa Bühler, der Autorin von "Wechselbalg". Meine Rezension zu dem Buch findet man hier: Wechselbalg Rezension (Link wird in einem neuen Fenster geöffnet)

Ich konnte mit Clarissa in der vergangenen Zeit viele interessante Gespräche führen und habe mich dementsprechend gefreut, sie gleichzeitig als Autorin wie auch als Mensch kennenlernen zu dürfen. In diesem Sinne möchte ich mich noch einmal an dieser Stelle bei Clarissa bedanken, dass sie diesem Interview zugestimmt hat.

Und ohne viel drumherum gehört die Bühne nun der Autorin. Viel Spaß mit dieser kleinen Fragerunde.!
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Aufziehvogel: Hallo Clarissa. Bitte erzähl uns doch etwas von dir und deinen Werdegang als Self-Publishing Autorin.

Clarissa Bühler: Lieber Marcel, erst einmal ganz herzlichen Dank dafür, dass du mir die Gelegenheit gibst, mich auf deinem Blog vorzustellen! Deine und Lavandulas Rezensionen habe mich vom ersten Moment an durch ihren Tiefgang sehr beeindruckt. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass du bereit warst, auch mein Buch zu lesen. 


Zu meiner Person: Ich bin Jahrgang 1989, gebürtige Deutsche, lebe allerdings seit sieben Jahren im schönen Norden Englands. Ich bin als Schreiberin selbstständig und verfasse u. a. Artikel für die "Heimzeitung" der exzellenz Miller GmbH (Köln). Weil das zum Broterwerb allerdings leider nicht reicht, jobbe ich nebenher in einem kleinen Café. 

Geschichten haben mein Leben schon immer begleitet. Bereits im Kindergartenalter, noch bevor ich überhaupt schreiben konnte, habe ich sie mir ausgedacht. Ich habe sie dann meiner Tante diktiert, die sie für mich zu Papier gebracht hat. 

Als Jugendliche habe ich begonnen, an meinem ersten Roman zu arbeiten. Damals noch zu einem ganz anderen Thema und mit anderen Charakteren als "Wechselbalg", aber ich habe meine Geschichten schon immer in voller Länge vor mir gesehen. Ich könnte keine Kurzgeschichten schreiben - ich denke mir immer sämtliche Hintergründe der Personen aus, ihre Vorgeschichten, etc. und möchte so viel davon zu Papier bringen, dass ich das niemals auf nur ein paar Seiten zusammenfassen könnte. (Du hast ja bei "Wechselbalg" gesehen, dass nicht mal ein ganzes Buch dazu reicht! 😅)

Ich habe sehr viele verschiedene Romane angefangen und an ihnen gleichzeitig geschrieben. Früher hatte ich allerdings nie das Durchhaltevermögen, um einen von ihnen tatsächlich zu vollenden. Ich musste erst langsam lernen, dass zum Schreiben nicht nur gehört, meine Lieblingsszenen zu Papier zu bringen, sondern auch all die vielen, "alltäglichen" Szenen dazwischen darzustellen, die für das Verständnis der Geschichte so wichtig sind. 

Außerdem kam natürlich erschwerend hinzu, dass es sehr anstrengend ist, sich neben einem normalen Job noch hinzusetzen und an einem Buch zu arbeiten. Dazu braucht man nämlich einiges an Kraft und vor allem auch innerer Ruhe, die einem nach einem anstrengenden Arbeitstag oft fehlen. In der Hinsicht war Lockdown für mich ein Segen, weil ich zum ersten Mal Zeit hatte, mich ganz auf meine Bücher zu konzentrieren. 

Dass ich mein Debütwerk einmal als Selfpublisherin herausbringen würde, war eigentlich nicht geplant. Ich hatte mich an mehrere Verlage gewendet und wollte es eigentlich auf traditionelle Art veröffentlichen. Ich denke, es träumt wohl jede*r Autor*in davon, sein / ihr Buch in gedruckter Form im Buchhandel zu sehen! Leider hatte ich damit kein Glück und musste daher den etwas unkonventionellen (allerdings immer beliebteren) Weg des Veröffentlichens im Eigenverlag einschlagen. Inzwischen bin ich für diese Entwicklung sehr dankbar, denn dadurch kann ich als Schriftstellerin viel freier sein, als wenn ich den Vorgaben eines Verlages folgen müsste.


Aufziehvogel: Wechselbalg ist selbst für ein Debütwerk ein unglaublich forsches, komplexes Buch. Woher kommen all die Inspirationen für die Geschichte? Besonders die verschiedenen Erzählstile im Buch,die für eine Menge Abwechslung sorgen.

Clarissa Bühler: Wenn ich das wüsste. 😅

Der kreative Prozess ist etwas schwierig zu beschreiben, vor allem, weil viele Faktoren dabei eine Rolle spielen. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich in meinen Geschichten immer Ereignisse verabeite, die mir selbst wiederfahren sind, nur eben in abstrakter Form. Wenn ich durch eine schwierige Phase in meinem Leben gehe, finde ich es leichter, mir vorzustellen, dass jemand anderes sie durchlebt. Dadurch kann ich sie quasi von außen betrachten und sie fühlt sich weniger schlimm an. 

Viele Sachen zusammengenommen haben zu der Entstehung von "Wechselbalg" geführt. Aber der Haupteinfluss waren die Charaktere, die das Buch inspiriert haben und ohne die ich es nie aufgeschrieben hätte. Durch sie entstanden auch die unterschiedlichen Erzählperspektiven, die die Leser*innen in ganz verschiedene Lebenswelten einführen sollen. Ich finde es spannend, mit verschiedenen Blickwinkeln und Ausdrucksweisen zu spielen und gerade dadurch auch meine Personen zu charakterisieren. Alle drei Charaktere entsprechen Teilen meiner Persönlichkeit, und mir gefällt es, sie mal stärker hervortreten zu lassen, sie auf die Spitze zu treiben und mit ihnen zu spielen.


Aufziehvogel: Eine Frage, die mich ganz besonders interessiert: Du präsentierst hier mit Mo, Joe und Marie 3 sehr verschiedene Charaktere. Charaktere, die alle sehr eigenständig sind und auch alle ihr eigenes Gepäck mitbringen. Wenn man ein Buch dieser Größenordnung schreibt, wie geht man solche Charaktere an? Schreiben sie sich von selbst während die Geschichte ihren Lauf nimmt oder aber hast du vor der Geschichte da schon einen Plan entworfen, wie sie sich entwickeln?

Clarisa Bühler: Was die Hauptfiguren angeht, so sind sie alle eines Tages einfach in mein Leben getreten. Ich weiß, das klingt vermutlich absurd, aber ich habe sie mir nicht im Vorhinein auf dem Reißbrett ausgedacht, sondern sie haben sich einfach zu mir gesellt, so, als hätte ich eine neue Bekanntschaft gemacht. Ich habe sie so lebendig vor mir gesehen, als wären sie "echte Menschen", habe ihre ganz individuellen Eigenschaften gefühlt, ihre Macken und Stärken, ihre Wünsche und Träume, ihre Vorlieben und Ziele. 

Das Spannende war, dass ich sie im Laufe des Schreibprozesses immer besser kennengelernt habe und sie auch einiges mitzureden hatten. Ich kam mehrmals an Stellen, an denen ich die Geschichte eigentlich in eine bestimmte Richtung lenken wollte, bei denen ich dann aber merken musste, dass das überhaupt nicht zu meinen Charakteren gepasst hätte und dass für sie, zu dem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben, etwas ganz Anderes wichtig war. 

Ich bin keine Autorin, die den gesamten Ablauf eines Buches bereits im Vorhinein methodisch festlegen würde, Kapitel für Kapitel, sondern ich lasse mich von der Geschichte mittragen. Ich habe mir im Vorhinein also nicht überlegt, dass meine Personen diese oder jene Eigenschaft mitbringen müssen, damit ich mit der Geschichte diesen oder jenen Effekt erzielen kann. Tatsächlich stand die Storyline für mich anfangs gar nicht im Vordergrund, sondern ich habe vielmehr die drei Charaktere kennengelernt, und aus ihnen hat sich dann die Geschichte entwickelt. So, als ob sie mich in ihre Welt mitgenommen hätten und mir erzählt hätten, was ihnen passiert ist.


Aufziehvogel: Planst du eine Fortsetzung zu Wechselbalg? Die Geschichte endete, zumindest für mich, relativ offen.

Clarisa Bühler: Ja, eine Fortsetzung ist auf jeden Fall geplant. Wenn ich die Geschichte so, wie sie derzeit ist, nach diesem ersten Buch, enden lassen würde, wäre sie unfertig und würde mehr Fragen offen lassen als beantworten. Ich habe im Buch ja sehr viele verschiedene Themen angesprochen und Story-Stränge begonnen; die möchte ich alle noch logisch zusammenführen und für meine Leser*innen in ein Gesamtbild aufgehen lassen. Dir ist sicher beim Lesen aufgefallen, dass es noch einige scheinbar losen Enden und Widersprüche gibt sowie auch einige Szenen, von denen du selbst sagtest, dass man sie hätte kürzen und die Story dadurch straffen können. Die meisten von ihnen haben tatsächlich eine Bedeutung, auch wenn sie erst später klar werden wird. Du darfst also gespannt sein. 😉 

Auch hier muss ich allerdings zugeben, dass mich der Schreibprozess überrascht hat. 😅 Anfangs hatte ich geplant, nur ein einziges Buch zu schreiben, weil der ganze Spannungsbogen in meinem Kopf relativ kompakt war. Aber mir ist während des Schreibens aufgefallen, wie viel es eigentlich zu den Charakteren und ihren Geschichten zu sagen gibt, und wie viel in ihren Leben passiert, und dabei habe ich gemerkt, dass ich das unmöglich alles in einem Buch abhandeln konnte. Das hätte sonsten epische Ausmaße angenommen. 😂

Ich bin mir derzeit noch nicht sicher, wie viele Bände ich insgesamt benötigen werde, um alles zu erzählen, aber vermutlich werden es um die vier werden.


Aufziehvogel: Zum Schluss erzähl mir doch bitte, wie es für dich als Autorin weitergehen wird? Allen voran aber auch von deinen bisherigen Erfahrungen als Autorin, die ihr Debütwerk veröffentlicht hat. Das Leben als Schriftstellerin - ist es ein Traum, der hier in Erfüllung gegangen ist oder ein Mittel dazu, sich vielleicht einen ganz anderen Traum zu erfüllen?

Clarisa Bühler: Mein großer Traum ist es, eines Tages als Autorin Erfolg zu haben und vom Schreiben meiner Bücher leben zu können. Davon bin ich leider noch weit entfernt. Ich muss zugeben, dass der Weg für mich bisher sehr steinig war. Der Prozess, mein erstes eigenes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, war sehr von der Ernüchterung geprägt, dass das Leben eben doch ganz anders verläuft, als man es sich vorher ausgemalt hat. 

Derzeit stehe ich vor der Herausforderung, dass es noch lange nicht reicht, ein Buch zu schreiben - wenn es fertig ist, beginnt die nicht weniger anspruchsvolle Phase, es zu vermarkten. 😅 Das ist typischerweise natürlich etwas, das einem ein Verlag abnehmen würde. Als Selfpublisherin muss ich das allerdings selbst erledigen, und das fällt mir nicht leicht, denn ich bin von Natur aus eigentlich sehr schüchtern und halte mich im Internet eher bedeckt. Zumal ich von Marketing und Social Media keine Ahnung habe. 😅 Ich habe zum Glück sehr viele nette Blogger*innen kennengelernt, die bereit waren, mir auch als unbekannte Autorin eine Chance zu geben und mein Buch zu lesen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. 

Ein Mittel dazu, mir einen anderen Traum zu erfüllen, könnte das Schreiben für mich nie sein - denn ich kenne nichts Schöneres, als Geschichten zu Papier zu bringen, neue Charaktere kennenzulernen, in ihre Welten einzutauchen und zu versuchen, das mit ihnen Erlebte für andere wiederzugeben. Schreiben ist das Einzige, was ich in meinem Leben wirklich tun möchte; das Einzige, was mir wirklich Erfüllung schenkt. Kein anderer Traum könnte für mich größer sein als der, eine professionelle Schriftstellerin zu sein. 

Für mich heißt es daher weiter durchhalten, weiterhin in meinem normalen Tagesjob arbeiten und nebenher weiter schreiben, bis sich mein Wunsch eines Tages hoffentlich erfüllen wird. 

Vielen Dank für das Interview, und ich wünsche dir und Lavandula alles Gute für euren Blog!

Herzliche Grüße,
Clarissa



Eine Zugabe, die ich auswählen durfte. Eine kleine Anekdote von Clarissa Bühler, wie sie eigentlich zum Schreiben kam:


Geschichten haben in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Ich weiß noch, wie ich sie mir immer ausgedacht habe, als ich noch ein kleines Kind war (bevor ich zur Schule gegangen bin). Weil ich damals noch nicht schreiben konnte, habe ich sie immer meiner Tante diktiert! 

Zum Schreiben an sich gekommen bin ich, als ich ungefähr in der sechsten Klasse war. Ich habe mich eines Nachmittags zu Hause einfach hingesetzt und meine erste Geschichte geschrieben. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dazu kam, und wieso ausgerechnet an dem Tag. Aber von da an hat mich das Schreiben immer begleitet, und ich habe eine Geschichte nach der anderen geschrieben. 

Ein eigener Roman stand bei mir schon immer auf der Agenda; also es ist nicht so, als ob mich etwas Besonderes dazu veranlasst hätte, damit anzufangen. Ich habe meine Geschichten immer als vollständige Bücher in mir gesehen und deshalb auch schon als Sechzehnjährige an meinem ersten Roman gearbeitet. Ich habe sehr viel daran geschrieben, aber ich hatte damals noch nicht die Fähigkeiten und das nötige Handwerkszeug, um ihn fertigzustellen. (Spannungsbogen, Ausdauer, etc.)

Auch später habe ich das Roman-Schreiben für eine lange Zeit aufgeschoben, weil ich immer auf den richtigen Zeitpunkt wartete - als ich noch jünger war, dachte ich immer, dass ich mich eines Tages in Lebensumständen befinden würde, die es mir erlauben würden, mich da einfach mal dranzusetzen, also Tage, Wochen, Monate am Stück zu schreiben und mich darauf zu konzentrieren. 
Dazu braucht es auch eine bestimmte Art von innerer Ruhe, die ich eigentlich nicht habe - also, dass man sich keine Sorgen um die Miete machen muss, um Stress mit den Arbeitskollegen, um unschöne Erlebnisse bei der Arbeit, etc. 
Und dann habe ich natürlich auch immer auf den Kuss der Muse gewartet, denn auch wenn ich die Geschichte vor mir sah, sie zu Papier zu bringen, ist dann noch mal ein anderes Ding. Ich habe zwar viele einzelne Szenen geschrieben, aber nichts Zusammenhängendes. Da gab es noch sehr viel dazwischen, das noch ausgefüllt werden musste.
(Anmerkung Aufziehvogel: Dieser Abschnitt stammt aus einer privaten Konversation, die ich mit der Autorin führte)


Wechselbalg ist als Kindle E-Book erhältlich: Amazon
(Kein Affiliate-Link)



Foto: Privat

Mittwoch, 25. Oktober 2023

Rezension: Throne of Glass - Die Erwählte (Sarah J. Maas)




Throne of Glass - Die Erwählte

Autorin: Sarah J. Maas
Verlag: dtv
Genre: Fantasy
Übersetzung: Ilse Layer
Format: eBook, gebundene Ausgabe



Immer wieder bin ich bei der Suche nach neuem Lesestoff über Sarah J. Maas und auch ihre Throne of Glass-Reihe gestolpert. Nachdem ich auch im Umfeld hörte, die Reihe solle gut sein, beschloss ich, dem Ganzen eine Chance zu geben.
Hauptfigur ist Celaena Sardothien, ehemals die beste und berühmteste Assassine des Landes, nun zur lebenslangen Strafarbeit in den Salzminen verurteilt, was einem Todesurteil gleichkommt, denn nur Wenige überleben überhaupt länger als einige Wochen. Ihre Aussicht auf Rettung kommt überraschend in Form des Captains der königlichen Garde, Chaol Westfall, der ihr anbietet für Kronprinz Dorian Havilliard in einem Wettkampf gegen 23 andere Männer - natürlich ist keine einzige Frau darunter, aber darunter würde Celaenas Position als großartige Heldin ja auch leiden - anzutreten und sollte sie diesen gewinnen - und überleben - so bekommt sie nach 4 Jahren als Champion des Königs ihre Freiheit zurück.
Schnell wird dabei auch ein übergeordneter Konflikt deutlich: Der König unterwirft die Länder, mit aller Gewalt, die er aufbringen kann, er versklavt die Völker und tötet, wer ihm gefährlich werden kann. So erging es auch Celaenas Heimat. Zugleich wurde zehn Jahre zuvor sämtliche Magie verboten, Heil- und Magiekundige wurden verfolgt und getötet, und als Folge dessen hat sich die Magie zurückgezogen.
Ein dritter Handlungsstrang wird eingeflochten, nachdem Celaena das Angebot angenommen hat und im Schloss ankommt. Schnell wird klar, dass etwas Böses in diesen Mauern lauert und es auf die Wettkampfteilnehmer abgesehen hat. Als dann auch noch eine seit tausend Jahren tote Königin auftaucht und in Celaena die einzige Chance zur Rettung sieht, und Celaena zudem feststellt, dass sie eigentlich sowohl Chaol als auch Dorian ziemlich interessant findet, ist ihre Verwirrung perfekt.

So, und jetzt weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll ... Vielleicht einfach bei den Protagonisten. Sie sind alle sehr jung, Calaena ist 18, Dorian 19, Chaol 22. Abgesehen von Dorian, der seine Stellung als Kronprinz durch Familienzugehörigkeit hat, sind das beeindruckende - und für mich unglaubwürdige - Entwicklungen. Mit 17 in die Minen geschleppt, also bereits in dem Alter berühmt als Assassine, mit 20 Hauptmann der Garde geworden, ohne echte Kampferfahrung, ohne je einen Menschen getötet zu haben. Trotzdem, welche Überraschung, von seinen Männern hoch angesehen. So funktioniert das einfach nicht, in dieser Position sitzen in der Regel "alte Hasen", die über langjährige Erfahrung verfügen. Auch das Handeln der Figuren passt oft nicht zum Alter, und zwar in beide Richtungen, vor allem auf Celaena bezogen. Sie war mir von der ersten Seite an unsympathisch, unglaublich arrogant, von sich selbst eingenommen, in ihren Augen wohl eine Ritterin ohne Furcht und Tadel. Stets weiß sie alles besser, gibt zickige Kommentare ab, verhält sich wie ein kleines Mädchen, dem man die Puppe weggenommen hat, ist ungeduldig. Alles Dinge, die nicht zum Handeln einer ruhigen, besonnenen Assassine passen, die geduldig im Schatten auf ihre Gelegenheit warten sollte. Trotzdem ist sie natürlich in allem die Beste, das hat auch ein Jahr in den Salzminen nicht ändern können, zwar hat ihre Konstitution gelitten, aber ansonsten schlägt sie Chaol dennoch fast im Kampf, verprügelt einen Gegner mit zwei Handgriffen ohne Mühe, und muss stets ermahnt werden, sich im Mittelfeld zu halten um von den anderen Wettbewerbsteilnehmern nicht als Bedrohung erkannt zu werden.

Auch in der Erzählung hat mich einiges gestört. Allem voran die Frage, warum eine so gefürchtete Assassine innerhalb kürzester Zeit quasi frei durchs Schloss streifen darf. Wozu dieser fingiert wirkende Wettkampf dient, bei dem stets jemand ausscheidet oder sogar stirbt. Dieser hätte im Übrigen um einiges spannender gestaltet werden können. Der Klapptext ließ zunächst etwas wie Tribute von Panem oder Battle Royal erwarten, in Wahrheit handelt es sich aber nur um verschiedene Wettkämpfe in beispielsweise Bogenschießen, Klettern oder Messerwerfen - die Wettkämpfe hätten hier so viel mehr Potential gehabt, sowohl in der Beschreibung als auch in den Kategorien. Dann ist da noch dieses Liebesdreieck. Celaena kann sich nicht zwischen den beiden Männern entscheiden, findet mal den einen toll, himmelt mal den anderen an, aber eigentlich ist sie noch lange nicht über ihre erste Liebe hinweg. Trotzdem wirkt es manchmal, als würde sie alles bespringen wollen, was auch nur annähernd männlich aussieht. Oh, und unglaublich gut sehen natürlich alle aus in dem Buch, nicht nur die Männer, Celaena ist natürlich die Hübscheste von allen, wobei auch die anderen Frauen nicht von schlechten Eltern sind. Nur, oh Du liebes Klischee, die Gegner sehen schlecht aus, aber auch hier nur die, die sich durch eher nicht so positive Charaktereigenschaften auszeichnen.

Nun kann man der Autorin zugute halten, dass sie 16 war, als sie den ersten Entwurf geschrieben hat. Dagegenhalten möchte ich allerdings direkt damit, dass es ein erster Entwurf gewesen sei, somit sollte der einiges an Überarbeitung erfahren haben. Das ist allerdings entweder nicht passiert oder es ist der Schreibstil der Autorin - ich kenne keine anderen Bücher von ihr und habe nach Throne auf Glass auch nicht das Bedürfnis das zu ändern. Das ganze Buch wirkt aus Inspirationen durch andere Werke zusammengestückelt und ist dabei immer die Fantasie eines Teenagers, der davon träumt, ein Held zu sein, die Welt zu retten, die große Liebe zu finden, alles das eben. Vielleicht sieht sich die Autorin selbst in Celaena, vielleicht sind die beiden Männer ihre Typen Mann, so liest es sich einfach. Da man mir sagte, der erste Band sei der Schwächste und es werde besser, habe ich tatsächlich weiter gelesen (Spoiler: Es wird immer schlimmer, Celaena wird von Seite zu Seite unsympathischer, zickiger, geht am Ende sogar mit Tötungsabsicht mit dem Messer auf ihr sehr nahestehende Leute los, weil die ihr nicht alles gesagt haben, hat aber selber eine ganze Wagenladung voll Geheimnisse) und da bin ich über eine Stelle gestolpert, die in meinem Kopf schon beim Lesen von einer anderen Stimme und mit einem anderen Text überlagert wurde:

"Wo war Elena vor zehn Jahren, als es ganze Heerscharen von Helden gab, aus denen sie sich einen hätte herauspicken können? Wo war sie mit ihren lächerlichen Anweisungen, als die Welt sie wirklich gebraucht hätte - als Terrasens Helden von Aderlans Armeen niedergemäht und gejagt und hingerichtet wurden? Wo war sie, als die Königreiche eins nach dem anderen an den König von Aderlan fielen?" (aus: Sarah J. Maas: Throne of Glass - Kriegerin im Schatten, S. 70f.)


Wo war Gondor, als die Westfold fiel? Wo war Gondor, als die Feinde den Kreis um uns 
schlossen? Wo war Gon-? Nein, mein Herr Aragorn, wir sind allein.


Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen.

Abschließend noch ein paar Sätze zur Sprache. Vorab: Natürlich geht da einiges ggf. verloren oder verzerrt sich, sobald eine Übersetzung im Spiel ist. Bestimmte Dinge hier sind einfach ungeschickt, man liest eine Geschichte in einem fantastischen Setting und stolpert plötzlich über Begriffe wie Witch Kingdom. Auch einige zu moderne Ausdrücke haben sich hier und da eingeschlichen. Am meisten hat mich allerdings gestört, dass ständig von einer "Assassinin" gesprochen wurde. Der Duden, ich habe es extra nachgeschaut, bevor ich mich aufrege, kennt diesen Begriff nicht, er kennt nur: Assassine, der. Für mich hätte es in dem Fall "die Assassine Celaena" heißen müssen. Das ganze Assassinen-Thema wird die Autorin aber auch nicht müde zu betonen, ich hatte zeitweise den Punkt erreicht, an dem ich dachte, wenn ich jetzt noch ein drittes Mal in ebensovielen Sätzen "Adarlans Assassinin" oder überhaupt irgendwas darüber lesen muss, dass Celaena ja eine ach so tolle Assassine ist, lösche ich das Buch von meinem Handy. Das ist nichtmal ein Running Gag - geschüttelt, nicht gerührt - sondern einfach eine unfassbar nervige Wiederholung.



Abschließende Gedanken

Ich weiß nicht, ob Throne of Glass als Jugendbuch zu sehen ist, aber genau das ist es. Eine Fantasie einer Jugendlichen für andere Jugendliche geschrieben, weit ab von jeder Logik im Handeln der Charaktere, in einem Setting, das so viel verschwendetes Potential beinhaltet. Natürlich sollte man dann nicht allzu viel erwarten, aber selbst die nicht vorhandenen Erwartungen wurden hier irgendwie enttäuscht. Auch die zweite Chance, die ich der Reihe gegeben habe, hat sich als vergebliche Liebesmüh erwiesen. Persönlich bin ich damit gar nicht warm geworden, zu viele Punkte haben mich in der logischen Abfolge, der Erzählung, auch der Sprache gestört. Vor allem finde ich aber sympathische Charaktere wichtig oder zumindest solche, die einem nicht, sobald sie den Mund aufmachen oder auch nur denken den letzten Nerv rauben. Schade, da wäre mehr möglich gewesen.



Rezension verfasst von: Lavandula

Freitag, 20. Oktober 2023

Rezension: Honigkuchen (Haruki Murakami & Kat Menschik)

 





Japan/Deutschland 2023


Honigkuchen
Originaltitel: Hachimitsu Pai
Auch zu finden in: Nach dem Beben (DuMont Buchverlag, 2004)
Autor: Haruki Murakami
Illustratorin: Kat Menschik
Übersetzung: Ursula Gräfe
Veröffentlichung: 10.10.2023 bei DuMont
Genre: Kurzgeschichte, Magischer Realismus, Artbook
Format: Hardcover, E-Book


>>Wie immer. Ich schreibe eine Geschichte, sie wird in einer Literaturzeitschrift gedruckt, und niemand liest sie.<<
>>Ich habe alles von dir gelesen.<<
>>Danke. Du bist ja auch nett<<, sagte Jun. >>Aber die Kurzgeschichte gerät immer mehr aus der Mode, wie der bedauernswerte Rechenschieber.<<


Morgen ist Klassentreffen. Ich sehe einige Menschen wieder, die ich nun über 20 Jahre nicht gesehen habe. Ich überlegte lange, ob ich hingehen oder den Termin verstreichen lassen soll. Aber vielleicht..... vielleicht würde es wieder 20 Jahre dauern, bis so ein Treffen zustande kommt. Also habe ich zugesagt. Und wie es der Zufall so möchte, fällt mir eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami in die Hände. Haruki Murakami, mindestens die Stimme der etwas verlorenen Generation, nun etwas über 30 Jahre alt, noch immer den verspielten Träumen hinterherjagend, in Erinnerungen an die Jugend schwelgend und dabei gute Musik hören und, wenn es die bescheidenen Kochkünste dann zulassen, selbstgemachte Spaghetti essen. Der japanische Autor hat mich durch die schwierigsten Zeiten in meinem Leben begleitet und bis zum heutigen Tage habe ich mir noch einige wenige Romane zurückgelegt, die ich noch nicht gelesen und für irgendwelche "Turbulenten Tage" zurückgelegt habe. Wenn ich nach der aktuellen Weltlage gehe, müsste ich praktisch täglich etwas von Murakami lesen. Dass ich nach langer Zeit mal wieder so redselig bin, hat natürlich etwas damit zu tun, dass ich "Honigkuchen" nach so vielen Jahren wieder für mich entdeckt habe. Ich habe aus der Leidenschaft und Liebe zu den Werken Murakamis und der Literatur aus Japan vor über 10 Jahren diesen Blog ins Leben gerufen. Doch besonders in den vergangenen Jahren wurde es um Murakami still hier. Ist die Faszination verflogen? Begleiten mich seine verträumten Protagonisten etwas nicht mehr auf meinem alltäglichen Weg? Komplett falsch. Murakami ist in meinem Unterbewusstsein noch so präsent wie immer. Sein Werk für mich wiederzuentdecken, habe ich nun bemerkt, ist spannender denn je. Besonders, wenn man eine Geschichte noch einmal bebildert praktisch komplett neu erleben darf.

Am dieser Stelle wollte ich eigentlich schreiben: "Über 10 Jahre nach der Veröffentlichung von "Die unheimliche Bibliothek" finden Haruki Murakami und die deutsche Künstlerin Kat Menschik ein weiteres mal zueinander." 
Aber zum Glück recherchiere ich dann doch noch, bevor ich hier meine Groschen hinzusteuere. Denn im Jahr 2021 ist bei dieser Kollaboration noch eine weitere Kurzgeschichte Murakamis in dieser Reihe entstanden: Birthday Girl. Diese Kurzgeschichte ist zu finden in dem Kurzgeschichtenband "Blinde Weide, schlafende Frau" (DuMont 2006). Damit kommt die Reihe rund um Kurzgeschichten von Haruki Murakami und Illustrationen von Kat Menschik nun auf 5 Bände (Schlaf, Die Bäckereiüberfälle, Die unheimliche Bibliothek, Birthday Girl sowie Honigkuchen). Ich habe diese schöne Reihe wirklich nahezu komplett verschlafen, zuvor befand sich nur "Die unheimliche Bibliothek" in meinem Besitz. Meine eigene Bibliothek wartet auf die Komplettierung, was schwer werden dürfte, denn "Schlaf" wurde aus dieser Reihe anscheinend nicht noch einmal als Hardcover gedruckt.

Mit Ausnahme von "Die unheimliche Bibliothek" handelt es sich bei den Kurzgeschichten, die hier veröffentlicht werden und mit Illustrationen von Kat Menschik untermalt werden, zwar um Geschichten, die bereits in deutscher Übersetzung vorliegen, hier aber neues Leben eingehaucht bekommen. "Honigkuchen" findet man in Murakamis Kurzgeschichtenband "Nach dem Beben". Dieser Kurzgeschichtenband ist insofern besonders, da Murakami sich hier der Erdbebenkatastrophe widmet, die 1995 Kobe heimsuchte. Subtil und mit seinem unverkennbar surrealen Stil versehen, arbeitete Murakami in dem Band die schrecklichen Geschehnisse dieser Naturkatastrophe auf. Wenn man Murakami liest, erinnert man sich nicht nur an seine Kurzgeschichten und Romane, sondern auch an all jenes, was drumherum stattfand. So erinnere ich mich noch, fast schon unheimlich lebhaft, daran, wann ich "Nach dem Beben" in der Buchhandlung gekauft habe, wo ich danach essen war, was ich gegessen habe und wie ich am späten Abend angefangen habe, den Band zu lesen. Zugegeben, als ich das kleine Hardcover gestern aufgeschlagen habe, erinnerte ich mich nur noch an winzige Umrisse der Kurgeschichte. Doch bereits nach zwei Seiten war es so, als hätte mein Erinnerungsvermögen den komplett abgedruckten Text wieder hervorgeholt.

"Honigkuchen" ist zweifelsohne eine der schönsten Kurzgeschichten aus "Nach dem Beben" (und vermutlich auch eine der einfühlsamsten Kurzgeschichten von Murakami überhaupt) und der DuMont Verlag hat eine ausgezeichnete Wahl getroffen, diese Geschichte für diese illustrierte Einzelveröffentlichung auszuwählen. Da es sich um eine verhältnismäßig kurze Geschichte handelt, möchte ich nicht großartig auf den Inhalt eingehen, um nichts vorwegzunehmen. Zudem möchte ich auch nur eine einzige Illustration aus dem Buch an diese Rezension anhängen, da sie bei dieser Veröffentlichung ganz klar das Highlight sind und von den Lesern selbst entdeckt werden sollen. Der surreale Stil von Kat Menschik vereint sich hier regelrecht "magisch" mit dem magischen Realismus von Murakami. Jede Illustration ist ein kleines Kunstwerk, welches man lange bewundern kann. Mal abstrakt, mal irdisch, mal verträumt. Die Illustrationen sind ein Begleiter für diese unglaublich geerdete Kurzgeschichte von Murakami.

Mit all seinen Stärken erzählt Murakami in "Honigkuchen" eine Geschichte, die nach einer schlimmen Tragödie spielt. Seine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler lässt Murakami in seinen Protagonist Junpei mit einfließen. Die Kurzgeschichte funktioniert als melancholische Coming of Age Geschichte dreier Freunde und zugleich auch als eine sehr zarte Liebesgeschichte, die über Jahrzehnte andauert und man erst auf der letzten Seite erfährt, ob diese Liebesgeschichte eine Zukunft hat, oder endgültig vom Winde verweht wird. Die Geschichte in der Geschichte um zwei sehr ungleiche Bären geht dabei aber auch zu keiner Sekunde unter.







Abschließende Gedanken

Oktoberzeit ist meistens Murakami-Zeit. Dies könnte allen voran auch mit einer gewissen Preisvergabe zusammenhängen, die im Oktober verliehen wird. Aber eingebürgert hat sich doch auch, Murakami ist ein ausgezeichneter Herbst-Autor. Die Tage werden kürzer, draußen wird es ungemütlicher und die Stimmung der Menschen trüber. Haruki Murakami ist der Autor für die goldene Jahreszeit. Mit "Honigkuchen" erscheint in der illustrierten Reihe zwischen Haruki Murakami und der Künstlerin Kat Menschik eine wunderschöne Kurzgeschichte für alle Träumer, trüb gelaunte und all diejenigen, die gerne die kurze Geschichte lieben. Obwohl die Erinnerungen an die Kurzgeschichte beim lesen schnell zurückkehrten, so nahm ich sie durch die herrlichen Illustrationen so intensiv wahr, wie nie zuvor. Man könnte diese illustrierte Reihe natürlich noch über viele Jahre fortführen, denn bekanntermaßen hat Haruki Murakami ein sagenhaft umfangreiches Portfolio an Kurzgeschichten. Sollte dies der Fall sein, so hoffe ich, dass der Verlag bei der Auswahl der Geschichten auch weiterhin so ein gutes Händchen hat.

Dienstag, 10. Oktober 2023

Haruki Murakami hat im April einen neuen Roman veröffentlicht, und kaum einer weiß davon: The City and its Uncertain Walls

 



Um Haruki Murakami ist es nach der Veröffentlichung des Zweiteilers "Die Ermordung des Commendatore" (Erstveröffentlichung 2017 in Japan) etwas ruhiger geworden. Doch Murakami blieb seiner Veröffentlichungspolitik treu. Nach einem großen Roman folgten Kurzgeschichten und somit erschien 2020 der gelungene Kurzgeschichtenband "Erste Person Singular" in seinem Heimatland. Die Werke sind natürlich auch alle zügig international und selbstverständlich auch in deutscher Sprache erschienen. Heute, an diesem 10.10.2023, hat der DuMont in Zusammenarbeit mit der Berliner Künstlerin Kat Menschik einen weiteren illustrierten Band einer Murakami-Kurzgeschichte veröffentlicht: Honigkuchen.

Was vielleicht nur die wenigsten aber wissen dürften, am 13.04 dieses Jahres hat Murakami über seinen Verlag Shinchosha seinen neusten Roman veröffentlicht: Machi to Sono Futashika na Kabe. Interessant hierbei ist, auf dem japanischen Buchcover befindet sich zeitgleich auch der englische Titel: The City and Its Uncertain Walls.

Mit fast 700 Seiten ist der Roman, auch wenn es diesmal kein Zweiteiler ist, ein echtes Schwergewicht geworden. Murakami soll während der Pandemie knapp 3 Jahre in völliger Isolation an dem Roman gearbeitet haben. Doch es gibt noch andere Dinge, die hier aufhorchen lassen. Bei Haruki Murakami ist es nichts neues, dass aus einer von ihm verfassten Kurgeschichte mal ein kompletter Roman entsteht. Aus "Aufziehvogel und die Dienstagsfrauen" wurde bekanntermaßen sein Magnum Opus "Die Chroniken des Aufziehvogels". Etwas weniger bekannt: Aus "Menschenfressende Katzen" wurde "Sputnik Sweetheart". Bei The City and Its Uncertain Walls ist es ein wenig komplizierter. Murakami plante diesen Roman schon einmal in den 80ern, hat die Idee aber verworfen, eine Kurzgeschichte daraus gemacht und etliche andere Ideen landeten dann in "Hard Boiled Wonderland und das Ende der Welt". Nach über 40 Jahren wagte Murakami also einen zweiten Anlauf und kehrt stilistisch hier wieder zu einer alten Stilform zurück. Gemeinsamkeiten zum gerade genannten "Hard Boiled Wonderland und das Ende der Welt" sind also nicht rein zufälliger Natur in Murakamis neuem großen Roman.

Wie immer ist der Roman auch in seinem Heimatland ohne große Fanfare im Vorfeld erschienen. Ähnlich geht man es in Fankreich bei Michel Houellebecq an. Ein Luxus, den sich nur wahrlich bekannte Autoren auch leisten können.

Aktuell ist bei The City and Its Uncertain Walls weder etwas von einer deutschsprachigen, noch von einer englischsprachigen Übersetzung bekannt (zumindest habe ich nichts dergleichen gelesen, ich lasse mich hier aber mehr als gerne korrigieren). Bei der üppigen Seitenanzahl wäre es nicht verwundernd, wenn der Roman in unserer ausschweifenden deutschen Sprache rund 1000 Seiten in Anspruch nimmt. So etwas beansprucht Zeit. Ich würde dennoch mit einer Veröffentlichung 2024 rechnen.

Wer mehr über den Roman erfahren möchte (Achtung Spoiler), es gibt eine ausführliche  Rezension dazu: Jean -Michel Serres