Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 2. November 2023

Aufziehvogel fragt nach: Eine kleine Tasse Tee mit Clarissa Bühler

 



Es ist schon wieder weit über 5 Jahre her, wo ich meinen letzten Gesprächsgast hier auf "Am Meer ist es wärmer" in Empfang nehmen durfte. Eine junge Autorin, die mich mit ihrem Debütwerk begeistern konnte, hat sich mit mir auf eine virtuelle Tasse Tee getroffen und sich meinen Fragen gestellt. Die Rede ist von Clarissa Bühler, der Autorin von "Wechselbalg". Meine Rezension zu dem Buch findet man hier: Wechselbalg Rezension (Link wird in einem neuen Fenster geöffnet)

Ich konnte mit Clarissa in der vergangenen Zeit viele interessante Gespräche führen und habe mich dementsprechend gefreut, sie gleichzeitig als Autorin wie auch als Mensch kennenlernen zu dürfen. In diesem Sinne möchte ich mich noch einmal an dieser Stelle bei Clarissa bedanken, dass sie diesem Interview zugestimmt hat.

Und ohne viel drumherum gehört die Bühne nun der Autorin. Viel Spaß mit dieser kleinen Fragerunde.!
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Aufziehvogel: Hallo Clarissa. Bitte erzähl uns doch etwas von dir und deinen Werdegang als Self-Publishing Autorin.

Clarissa Bühler: Lieber Marcel, erst einmal ganz herzlichen Dank dafür, dass du mir die Gelegenheit gibst, mich auf deinem Blog vorzustellen! Deine und Lavandulas Rezensionen habe mich vom ersten Moment an durch ihren Tiefgang sehr beeindruckt. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass du bereit warst, auch mein Buch zu lesen. 


Zu meiner Person: Ich bin Jahrgang 1989, gebürtige Deutsche, lebe allerdings seit sieben Jahren im schönen Norden Englands. Ich bin als Schreiberin selbstständig und verfasse u. a. Artikel für die "Heimzeitung" der exzellenz Miller GmbH (Köln). Weil das zum Broterwerb allerdings leider nicht reicht, jobbe ich nebenher in einem kleinen Café. 

Geschichten haben mein Leben schon immer begleitet. Bereits im Kindergartenalter, noch bevor ich überhaupt schreiben konnte, habe ich sie mir ausgedacht. Ich habe sie dann meiner Tante diktiert, die sie für mich zu Papier gebracht hat. 

Als Jugendliche habe ich begonnen, an meinem ersten Roman zu arbeiten. Damals noch zu einem ganz anderen Thema und mit anderen Charakteren als "Wechselbalg", aber ich habe meine Geschichten schon immer in voller Länge vor mir gesehen. Ich könnte keine Kurzgeschichten schreiben - ich denke mir immer sämtliche Hintergründe der Personen aus, ihre Vorgeschichten, etc. und möchte so viel davon zu Papier bringen, dass ich das niemals auf nur ein paar Seiten zusammenfassen könnte. (Du hast ja bei "Wechselbalg" gesehen, dass nicht mal ein ganzes Buch dazu reicht! 😅)

Ich habe sehr viele verschiedene Romane angefangen und an ihnen gleichzeitig geschrieben. Früher hatte ich allerdings nie das Durchhaltevermögen, um einen von ihnen tatsächlich zu vollenden. Ich musste erst langsam lernen, dass zum Schreiben nicht nur gehört, meine Lieblingsszenen zu Papier zu bringen, sondern auch all die vielen, "alltäglichen" Szenen dazwischen darzustellen, die für das Verständnis der Geschichte so wichtig sind. 

Außerdem kam natürlich erschwerend hinzu, dass es sehr anstrengend ist, sich neben einem normalen Job noch hinzusetzen und an einem Buch zu arbeiten. Dazu braucht man nämlich einiges an Kraft und vor allem auch innerer Ruhe, die einem nach einem anstrengenden Arbeitstag oft fehlen. In der Hinsicht war Lockdown für mich ein Segen, weil ich zum ersten Mal Zeit hatte, mich ganz auf meine Bücher zu konzentrieren. 

Dass ich mein Debütwerk einmal als Selfpublisherin herausbringen würde, war eigentlich nicht geplant. Ich hatte mich an mehrere Verlage gewendet und wollte es eigentlich auf traditionelle Art veröffentlichen. Ich denke, es träumt wohl jede*r Autor*in davon, sein / ihr Buch in gedruckter Form im Buchhandel zu sehen! Leider hatte ich damit kein Glück und musste daher den etwas unkonventionellen (allerdings immer beliebteren) Weg des Veröffentlichens im Eigenverlag einschlagen. Inzwischen bin ich für diese Entwicklung sehr dankbar, denn dadurch kann ich als Schriftstellerin viel freier sein, als wenn ich den Vorgaben eines Verlages folgen müsste.


Aufziehvogel: Wechselbalg ist selbst für ein Debütwerk ein unglaublich forsches, komplexes Buch. Woher kommen all die Inspirationen für die Geschichte? Besonders die verschiedenen Erzählstile im Buch,die für eine Menge Abwechslung sorgen.

Clarissa Bühler: Wenn ich das wüsste. 😅

Der kreative Prozess ist etwas schwierig zu beschreiben, vor allem, weil viele Faktoren dabei eine Rolle spielen. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich in meinen Geschichten immer Ereignisse verabeite, die mir selbst wiederfahren sind, nur eben in abstrakter Form. Wenn ich durch eine schwierige Phase in meinem Leben gehe, finde ich es leichter, mir vorzustellen, dass jemand anderes sie durchlebt. Dadurch kann ich sie quasi von außen betrachten und sie fühlt sich weniger schlimm an. 

Viele Sachen zusammengenommen haben zu der Entstehung von "Wechselbalg" geführt. Aber der Haupteinfluss waren die Charaktere, die das Buch inspiriert haben und ohne die ich es nie aufgeschrieben hätte. Durch sie entstanden auch die unterschiedlichen Erzählperspektiven, die die Leser*innen in ganz verschiedene Lebenswelten einführen sollen. Ich finde es spannend, mit verschiedenen Blickwinkeln und Ausdrucksweisen zu spielen und gerade dadurch auch meine Personen zu charakterisieren. Alle drei Charaktere entsprechen Teilen meiner Persönlichkeit, und mir gefällt es, sie mal stärker hervortreten zu lassen, sie auf die Spitze zu treiben und mit ihnen zu spielen.


Aufziehvogel: Eine Frage, die mich ganz besonders interessiert: Du präsentierst hier mit Mo, Joe und Marie 3 sehr verschiedene Charaktere. Charaktere, die alle sehr eigenständig sind und auch alle ihr eigenes Gepäck mitbringen. Wenn man ein Buch dieser Größenordnung schreibt, wie geht man solche Charaktere an? Schreiben sie sich von selbst während die Geschichte ihren Lauf nimmt oder aber hast du vor der Geschichte da schon einen Plan entworfen, wie sie sich entwickeln?

Clarisa Bühler: Was die Hauptfiguren angeht, so sind sie alle eines Tages einfach in mein Leben getreten. Ich weiß, das klingt vermutlich absurd, aber ich habe sie mir nicht im Vorhinein auf dem Reißbrett ausgedacht, sondern sie haben sich einfach zu mir gesellt, so, als hätte ich eine neue Bekanntschaft gemacht. Ich habe sie so lebendig vor mir gesehen, als wären sie "echte Menschen", habe ihre ganz individuellen Eigenschaften gefühlt, ihre Macken und Stärken, ihre Wünsche und Träume, ihre Vorlieben und Ziele. 

Das Spannende war, dass ich sie im Laufe des Schreibprozesses immer besser kennengelernt habe und sie auch einiges mitzureden hatten. Ich kam mehrmals an Stellen, an denen ich die Geschichte eigentlich in eine bestimmte Richtung lenken wollte, bei denen ich dann aber merken musste, dass das überhaupt nicht zu meinen Charakteren gepasst hätte und dass für sie, zu dem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben, etwas ganz Anderes wichtig war. 

Ich bin keine Autorin, die den gesamten Ablauf eines Buches bereits im Vorhinein methodisch festlegen würde, Kapitel für Kapitel, sondern ich lasse mich von der Geschichte mittragen. Ich habe mir im Vorhinein also nicht überlegt, dass meine Personen diese oder jene Eigenschaft mitbringen müssen, damit ich mit der Geschichte diesen oder jenen Effekt erzielen kann. Tatsächlich stand die Storyline für mich anfangs gar nicht im Vordergrund, sondern ich habe vielmehr die drei Charaktere kennengelernt, und aus ihnen hat sich dann die Geschichte entwickelt. So, als ob sie mich in ihre Welt mitgenommen hätten und mir erzählt hätten, was ihnen passiert ist.


Aufziehvogel: Planst du eine Fortsetzung zu Wechselbalg? Die Geschichte endete, zumindest für mich, relativ offen.

Clarisa Bühler: Ja, eine Fortsetzung ist auf jeden Fall geplant. Wenn ich die Geschichte so, wie sie derzeit ist, nach diesem ersten Buch, enden lassen würde, wäre sie unfertig und würde mehr Fragen offen lassen als beantworten. Ich habe im Buch ja sehr viele verschiedene Themen angesprochen und Story-Stränge begonnen; die möchte ich alle noch logisch zusammenführen und für meine Leser*innen in ein Gesamtbild aufgehen lassen. Dir ist sicher beim Lesen aufgefallen, dass es noch einige scheinbar losen Enden und Widersprüche gibt sowie auch einige Szenen, von denen du selbst sagtest, dass man sie hätte kürzen und die Story dadurch straffen können. Die meisten von ihnen haben tatsächlich eine Bedeutung, auch wenn sie erst später klar werden wird. Du darfst also gespannt sein. 😉 

Auch hier muss ich allerdings zugeben, dass mich der Schreibprozess überrascht hat. 😅 Anfangs hatte ich geplant, nur ein einziges Buch zu schreiben, weil der ganze Spannungsbogen in meinem Kopf relativ kompakt war. Aber mir ist während des Schreibens aufgefallen, wie viel es eigentlich zu den Charakteren und ihren Geschichten zu sagen gibt, und wie viel in ihren Leben passiert, und dabei habe ich gemerkt, dass ich das unmöglich alles in einem Buch abhandeln konnte. Das hätte sonsten epische Ausmaße angenommen. 😂

Ich bin mir derzeit noch nicht sicher, wie viele Bände ich insgesamt benötigen werde, um alles zu erzählen, aber vermutlich werden es um die vier werden.


Aufziehvogel: Zum Schluss erzähl mir doch bitte, wie es für dich als Autorin weitergehen wird? Allen voran aber auch von deinen bisherigen Erfahrungen als Autorin, die ihr Debütwerk veröffentlicht hat. Das Leben als Schriftstellerin - ist es ein Traum, der hier in Erfüllung gegangen ist oder ein Mittel dazu, sich vielleicht einen ganz anderen Traum zu erfüllen?

Clarisa Bühler: Mein großer Traum ist es, eines Tages als Autorin Erfolg zu haben und vom Schreiben meiner Bücher leben zu können. Davon bin ich leider noch weit entfernt. Ich muss zugeben, dass der Weg für mich bisher sehr steinig war. Der Prozess, mein erstes eigenes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, war sehr von der Ernüchterung geprägt, dass das Leben eben doch ganz anders verläuft, als man es sich vorher ausgemalt hat. 

Derzeit stehe ich vor der Herausforderung, dass es noch lange nicht reicht, ein Buch zu schreiben - wenn es fertig ist, beginnt die nicht weniger anspruchsvolle Phase, es zu vermarkten. 😅 Das ist typischerweise natürlich etwas, das einem ein Verlag abnehmen würde. Als Selfpublisherin muss ich das allerdings selbst erledigen, und das fällt mir nicht leicht, denn ich bin von Natur aus eigentlich sehr schüchtern und halte mich im Internet eher bedeckt. Zumal ich von Marketing und Social Media keine Ahnung habe. 😅 Ich habe zum Glück sehr viele nette Blogger*innen kennengelernt, die bereit waren, mir auch als unbekannte Autorin eine Chance zu geben und mein Buch zu lesen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. 

Ein Mittel dazu, mir einen anderen Traum zu erfüllen, könnte das Schreiben für mich nie sein - denn ich kenne nichts Schöneres, als Geschichten zu Papier zu bringen, neue Charaktere kennenzulernen, in ihre Welten einzutauchen und zu versuchen, das mit ihnen Erlebte für andere wiederzugeben. Schreiben ist das Einzige, was ich in meinem Leben wirklich tun möchte; das Einzige, was mir wirklich Erfüllung schenkt. Kein anderer Traum könnte für mich größer sein als der, eine professionelle Schriftstellerin zu sein. 

Für mich heißt es daher weiter durchhalten, weiterhin in meinem normalen Tagesjob arbeiten und nebenher weiter schreiben, bis sich mein Wunsch eines Tages hoffentlich erfüllen wird. 

Vielen Dank für das Interview, und ich wünsche dir und Lavandula alles Gute für euren Blog!

Herzliche Grüße,
Clarissa



Eine Zugabe, die ich auswählen durfte. Eine kleine Anekdote von Clarissa Bühler, wie sie eigentlich zum Schreiben kam:


Geschichten haben in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Ich weiß noch, wie ich sie mir immer ausgedacht habe, als ich noch ein kleines Kind war (bevor ich zur Schule gegangen bin). Weil ich damals noch nicht schreiben konnte, habe ich sie immer meiner Tante diktiert! 

Zum Schreiben an sich gekommen bin ich, als ich ungefähr in der sechsten Klasse war. Ich habe mich eines Nachmittags zu Hause einfach hingesetzt und meine erste Geschichte geschrieben. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dazu kam, und wieso ausgerechnet an dem Tag. Aber von da an hat mich das Schreiben immer begleitet, und ich habe eine Geschichte nach der anderen geschrieben. 

Ein eigener Roman stand bei mir schon immer auf der Agenda; also es ist nicht so, als ob mich etwas Besonderes dazu veranlasst hätte, damit anzufangen. Ich habe meine Geschichten immer als vollständige Bücher in mir gesehen und deshalb auch schon als Sechzehnjährige an meinem ersten Roman gearbeitet. Ich habe sehr viel daran geschrieben, aber ich hatte damals noch nicht die Fähigkeiten und das nötige Handwerkszeug, um ihn fertigzustellen. (Spannungsbogen, Ausdauer, etc.)

Auch später habe ich das Roman-Schreiben für eine lange Zeit aufgeschoben, weil ich immer auf den richtigen Zeitpunkt wartete - als ich noch jünger war, dachte ich immer, dass ich mich eines Tages in Lebensumständen befinden würde, die es mir erlauben würden, mich da einfach mal dranzusetzen, also Tage, Wochen, Monate am Stück zu schreiben und mich darauf zu konzentrieren. 
Dazu braucht es auch eine bestimmte Art von innerer Ruhe, die ich eigentlich nicht habe - also, dass man sich keine Sorgen um die Miete machen muss, um Stress mit den Arbeitskollegen, um unschöne Erlebnisse bei der Arbeit, etc. 
Und dann habe ich natürlich auch immer auf den Kuss der Muse gewartet, denn auch wenn ich die Geschichte vor mir sah, sie zu Papier zu bringen, ist dann noch mal ein anderes Ding. Ich habe zwar viele einzelne Szenen geschrieben, aber nichts Zusammenhängendes. Da gab es noch sehr viel dazwischen, das noch ausgefüllt werden musste.
(Anmerkung Aufziehvogel: Dieser Abschnitt stammt aus einer privaten Konversation, die ich mit der Autorin führte)


Wechselbalg ist als Kindle E-Book erhältlich: Amazon
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Foto: Privat

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