Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 2. Juni 2022

Review: Der Rausch

 




Dänemark 2020


Der Rausch
Originaltitel: Druk
Regie: Thomas Vinterberg
Darsteller: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Markus Millang, Lars Ranthe, Maria Bonnevie
Genre: Tragikomödie
Verleih: Weltkino
FSK: Ab 12



Was für ein Leben.....


Das dänische Kino hat sich vor vielen Jahren zu eine meiner liebsten Filmlandschaften entwickelt. Von Regisseuren wie Susanne Bier, Anders Thomas Jensen, Nicolas Winding Refn bis zu eben jenem Thomas Vinterberg - in jedem dieser Namen steckt Qualität und einzigartige Filmkunst. Und irgendwie führen all diese Namen praktisch unweigerlich automatisch zu Mads Mikkelsen, der sich in den vergangenen 10 Jahren unlängst zu einem der begnadetsten Charakterdarsteller entwickelt hat. Während er in seinen Hollywoodauftritten meistens comichafte Bösewichte spielt, sind seine Hauptrollen in seiner dänischen Heimat weitaus bodenständiger, greifbarer und menschlicher. Dieser Spagat zwischen überzeichneten Charakteren wie Le Chiffre und Gellert Grindelwald und einer anschließenden Verwandlung zu einer Rolle, wo er einen gewöhnlichen 0815 Typen der Mittelklasse spielt, ist herausragend, immer glaubhaft und bodenständig. Nach "Die Jagd (2012)" führen die Wege von Thomas Vinterberg, Mads Mikkelsen und Thomas Bo Larsen wieder zusammen - und enden in einem Vollrausch.

Der Rausch behandelt ein Thema, was in Filmen relativ unterrepräsentiert ist. Findet man zu nahezu jeder bekannten Szenedroge einen passenden Film dazu, kam die Volksdroge Nummer 1 bisher immer relativ glimpflich davon. In dieser Tragikomödie geht es letztendlich um den Alkoholismus und den damit verbunden Folgen. Im Fokus stehen hier vier Freunde, die allesamt Lehrkräfte an einem Gymnasium sind. Die vier Männer befinden sich unweigerlich vor einer Midlife Crisis, ganz besonders stark hat es hier den Geschichtslehrer Martin (Mads Mikkelsen) erwischt, dessen langjährige Ehe stagniert, seine Schüler ihn nicht ernst nehmen und er verpassten Lebenschancen nachtrauert. Eines Tages hat Nikolaj (Magnus Millang) eine haarsträubende Idee, die auf einer missverstandenen These des norwegischen Psychologen Finn Skårderud basiert. Jeder Mensch werde angeblich mit einem Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille geboren. Dies entspricht ungefähr 1-2 Gläsern Wein (je nachdem, wie voll dieses Glas ist). Diese Menge bringe den Geist angeblich zu neuen Höchstleistungen. Eine regelrechte Schnapsidee, doch die Männer sind nicht abgeneigt und starten unter strengen Regeln das Experiment - gepichelt wird ausschließlich während der Arbeit. Ein zum scheitern verurteiltes Experiment, was auf dem Papier attraktiv wirkt, aber natürlich unabsehbare Gefahren mit sich bringt sowohl gesundheitlich, gesellschaftlich und familiär. Für die Männer entwickelt sich das 0,5 Promille Experiment zu einem Erfolg. Doch lädt man den Dämon erst einmal zu seiner Party ein, möchte er diese nicht so schnell wieder verlassen.

Was hier als nächstes also folgt ist ein regelrechter Rausch mit all seinen Höhen und Tiefen, die ein Alkoholrausch mit sich bringt. Die ersten Schlucke schmecken, berieseln und berauschen. Der Körper verlangt noch ein kleines bisschen mehr, um diesen herrlichen Pegel aufrechtzuerhalten. Die Euphorie übernimmt und löst das Gehirn ab was Entscheidungen angeht. Ab jetzt feiert einzig und allein der Dämon die Party weiter. Was hier als eine seichte Sommerkomödie beginnt, entwickelt sich für die vier Freunde schnell zu einem Totalabsturz der Sorte All Inclusive. Ehen drohen zu scheitern, Jobs stehen auf der Kippe und der Durst wird immer unerträglicher. Ähnlich wie bereits in "Die Jagd" erleben die Charaktere hier eine persönliche Tour de Force, die ihr ganzes Leben ruinieren könnte. Mal humorvoll, mal einfühlsam und mal völlig radikal geht Thomas Vinterberg hier vor. Begleitet wird diese Regiearbeit durch eine großartige Schauspielleistung der Hauptdarsteller.




Unangenehme Längen hat der Oscargewinner des besten fremdsprachigen Films von 2021 nicht. Und doch ist der Cut von einer seichten dänischen Komödie zum knallharten Drama drastisch. Er traf mich unvorbereitet und meine Stimmung veränderte sich. Als Zuschauer erleben wir diesen Vollrausch regelrecht mit, sind Live dabei wie die Charaktere ihre höchsten Höhen und tiefsten Abgründe erleben.
Und dennoch, ähnlich wie in "Die Jagd" ist Thomas Winterberg ein Regisseur, der am Ende auch wieder einen kleinen Ausweg aus diesem Grund anbietet und Hoffnung auf Versöhnung macht. Eine Versöhnung mit seinem eigenem Leben. Am Ende tanzen zu "What a Life" die Abiturienten in einem Meer aus Bier, Sekt und anderen Spirituosen gemeinsam mit ihren Lehrern, denen sie ihren erfolgreichen Abschluss zu verdanken haben. Eine letzte Runde noch, dann ist Schluss!




Fazit

"Der Rausch" ist ein weiterer großartiger Vertreter der dänischen Filmschule. Ein Film, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird, da er stets auf den Punkt genau die wichtigen Dingen anspricht. Hier dümpelt nichts herum. Jeder Schauspieler steht da, wo er stehen soll, säuft, wo er saufen soll und torkelt genau in den Abgrund rein, wo ihn Thomas Vinterberg gerne sehen würde. Es ist das Feingefühl, was so vielen zeitgenössischen Filmemachern und deren Werke mittlerweile abhandengekommen zu sein scheint. Alle Beteiligten, so merkt man es ihnen an, hatten hier großen Bock darauf, einen Film zu drehen. Eine Eigenschaft, die heutzutage alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Skål!