Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 22. Februar 2017

Junji Ito: Albträume aus Tinte und Tusche



Wenn sich ein Künstler einem Horrorliteratur-Pionier wie H.P. Lovecraft und einem Horror-Mangaka wie Kazuo Umezu als Vorbild nimmt, der hat entweder die Möglichkeit, diese Ikonen zu kopieren, oder, sie vielleicht ja sogar zu übertreffen. Der gelernte Zahntechniker Junji Ito (53) hat sich dazu entschieden, den einen wie den anderen weder zu kopieren, noch zu übertreffen. Er hat sich dazu entschieden, noch weiter als diese Herren zu gehen. Eine Welt zu erschaffen, die man mit bloßen Worten bereits nicht mehr erklären kann. In seinen wirrsten, verrücktesten und bizarrsten Erzählungen haben die Kraft der Worte bei Lovecraft nicht ausgereicht, was die Illustrationen von Junji Ito so viele Jahre nach Lovecrafts Geschichten nun zeigen. Auch die Literatur kennt ihre Grenzen. Anders sieht es da schon bei dem Altmeister des Horror-Manga aus, Kazuo Umezu. Der Zeichenstil von Ito ist eine direkte Hommage an die Zeichenkunst Umezus, thematisch aber auch stilistisch geht Ito sogar noch eine Spur weiter als er. Wird es mir gelingen, die seltsam verstörende Welt von Ito zu erklären, oder können tatsächlich nur die Illustrationen selbst diesen Wahnsinn wiedergeben?




Während sich in Deutschland die Bekanntheit Itos größtenteils auf das Video eines hyperaktiven YouTubers beschränkt und deutsche Verlage mit Erfolgsgeschichten bisher nicht so prahlen konnten, so bleibt der Mangaka im deutschsprachigen Raum eher eine Nische. In den USA hingegen sieht es da schon anders aus, erst in diesem Jahr sind sowohl von VIZ Media mit der Hardcover-Gesamtausgabe zu Tomie sowie Dissolving Classroom von Vertical Comics zwei neue Veröffentlichungen erschienen (Tomie ist hierbei mehr eine schicke Neuauflage, die sich vom Design her an die anderen Hardcover-Ausgaben des Mangaka anpasst, die der Verlag bisher veröffentlicht hat).

Verwunderlich ist die eher zurückhaltende Einstellung gegenüber Ito nicht. Der deutsche Manga-Markt ist nicht sonderlich bekannt dafür, dass das Horrorgenre in den Regalen der Händler überquillt. Abseits davon legt Ito aber auch noch einmal eine Schippe von allem drauf, was andere Mangaka in dem Bereich so zeigen. Hier spielen nicht einmal grafische Illustrationen eine Rolle. Auch wenn Junji Ito für Body-Horror in Reinkultur steht, so sind es die Geschichten an sich, die die Leser häufig mit purer Verblüffung und einem Schauder zurücklassen. Im Genre der Kurzgeschichte fühlt sich Ito besonders wohl. Auch Itos Frühwerk, Tomie, die Geschichte über eine Schülerin aus der Hölle, die, sobald man sie ermordet und in Stücke hackt, bald schon wieder zurückkehrt um neue Opfer heimzusuchen, besteht hauptsächlich aus Kurzgeschichten, die lose, beinahe ohne einem roten Faden folgend, miteinander zusammenhängen.

Von Itos Kurzgeschichten gibt es viele. Und so müsse man eigentlich meinen, hat man erst einmal 10-15 seiner Geschichten gelesen, würde man langsam ein Schema an seinem Stil erkennen. Doch genau hier kommt die Unberechenbarkeit ins Spiel. Während etliche von Itos Geschichten einen relativ ähnlichen Beginn haben, ja, sogar einem Muster folgen (männlicher oder weiblicher Protagonist, ein unerklärliches Ereignis, psychische Labilität des Hauptcharakters), so hat der Mangaka in seinen Stories immer wieder neue wahnwitzige, irrsinnige oder in einem positiven Sinne völlig absurde Wendungen auf Lager. Dies ist jedoch nur möglich, wenn man dieses Konzept auch in Illustrationen umsetzen kann. Zeichnungen, die mit Worten nicht zu beschreiben sind. Diese Kombination macht jede von Itos Geschichten zu einem Unikat.




Alltägliche Dinge driften in Junji Itos Welt zu unbeschreiblichen Albträumen ab. In der Welt des Japaners gibt es keine Regeln und keine Gesetze der Biologie und Physik. Die Menschen könnten ihre Doppelgänger in Form eines Luftballon-Kopfes treffen, die sie gleichzeitig in ihr tödliches Verderben stürzen, sobald sie ihnen begegnen. Oder mutierte Fische mit mechanischen Prothesen, die ihnen dazu verhelfen, an Land laufen zu können um auf der Erde anschließend eine irre Apokalypse anzurichten..... all das könnte in einer Geschichte von ihm vorkommen. Zu versuchen, diese Geschichten in Worte zu fassen bringt aber relativ wenig, genau genommen, es ist unmöglich. Eine Inhaltsangabe oder ein Resümee einer Geschichte zu verfassen würde stupide und banal klingen. Wobei Banal hier gar nicht einmal das falsche Wort ist. Itos Geschichten haftet eine positive, eine wundervolle Banalität und Absurdität an, ohne die sein spezifischer Stil überhaupt nicht zur Geltung kommen würde. Itos Horror kehrt zu den Ursprüngen unser Ängste zurück. Diese Ängste zeichnen sich in etwas aus, was wir mit Worten nicht erklären können. Hier verhält es sich ähnlich wie mi einer Phobie. Der Klassiker aller Phobien, die Phobie gegenüber Spinnen (zu dessen Anhängern ich leider auch gehöre), ist ein perfektes Beispiel. Die Ursprünge dieser Phobie und den Ängsten, die sie in Menschen auslöst, sind die acht Beine des Insekts. Der Mensch steht vor dem Rätsel, wie dieses Insekt sich auf acht Beinen bewegen kann. Er steigert sich in diese Gedanken rein und sieht, wie schnell und unberechenbar die Spinne sich mit diesen haarigen acht Beinen bewegen kann. Itos Horror baut auf genau diesen Urängsten der Menschen auf. Der Horror ist das Unerklärliche. Dies ist etwas, was es im neumodischem Horrorgenre schon lange nicht mehr gab. Zuletzt wurde aus filmischer Sicht dieser Aspekt eindrucksvoll von David Robert Mitchells "It Follows" bewiesen.




Genau so unberechenbar wie Itos Geschichten selbst sind seine Veröffentlichungen. Im Gegensatz zu anderen Mangaka ist es nicht selten, dass man von Junji Ito über Jahre nichts hört. Sein Hauptwerk besteht aus Kurzgeschichten, diese Kurzgeschichten werden relativ häufig gesammelt und als Anthologien veröffentlicht. Werke mit einer zusammenhängenden Geschichte wie Uzumaki oder Gyo sind eher die Ausnahmen. Der Mangaka verrichtet seine Arbeit, wie es ihm passt. Allen voran, so meinte Ito in einem Interview in der BBC-Serie "Japanorama", zeichnet er für sich selbst. Zuerst einmal ist es wichtig, dass ihm seine Geschichten selbst gefallen. Ein Zitat, was undenkbar wäre wenn erfolgreiche Mangaka wie Masashi Kishimoto (Naruto) oder Hajime Isayama (Attack on Titan) so etwas von sich geben würden, die ihre Werke aufgrund eines stets wachsamen Redakteurs oder aber auch der Erwartungshaltung der Fans stetig und erheblich anpassen mussten und weit von der originalen, angepeilten Vision dessen liegen, was die Schöpfer mit ihren Serien so vorhatten.

Itos Werke zu verfilmen fand bisher auf einer eher kleinen Ebene statt. Zweimal durfte der japanische Filmemacher "Higuchinsky" ran, der bei der TV-Adaption zur Kurzgeschichte "Long Dream (Nagai Yume)" sowie dem Kinofilm zur Adaption von "Uzumaki" Regie führte. Higuchinsky hat es dabei relativ überraschend geschafft, obwohl sich besonders Uzumaki inhaltlich vom Manga abgehoben hat, Itos Horror unglaublich effizient umzusetzen. Eine völlige Entgleisung und ein großartiges Beispiel, wie man es falsch angeht, stellt die Anime-Adaption zu Gyo (Review) aus dem Jahr 2012 dar. Nicht nur verfälschte man Itos gesamten Stil (auch modernen Trends folgend bei dem Protagonist einen sogenannten "Gender-Swap" zu vollziehen), obwohl ein namhaftes Studio wie Ufotable am Werke war, wurde der relativ kurze Spielfilm auch noch mit unsäglichen CGI-Effekten verunstaltet.

Ein relativ trauriges Ende fand das vielversprechende Reboot zum Silent Hill Franchise. Zusammen mit Metal Gear Schöpfer Hideo Kojima, Guillermo del Toro und Norman Reedus war Junji Ito als Designer für die Monster ein wichtiger Bestandteil dieser einzigartigen Kollaboration. Publisher Konami stampfte das Projekt jedoch ein. Einen kleinen Vorgeschmack auf Itos Designs gab es neben einer spielbaren Demo aber auch in einem kurzen Konzept-Trailer zu sehen.




Selbst die Pokemon Company konnte sich Itos bizarrer Welt wohl nicht entziehen. Beide hier präsentierten Artworks stammen aus Itos Feder und gelten als offizielle Zusammenarbeit der beiden Parteien. Bei so manchen Einträgen im Pokedex (der Videospiele) könnte man meinen, der Mangaka hätte dort tatsächlich seine Finger im Spiel gehabt.

Wer ein bisschen Lust bekommen hat, Junji Itos Welt nun für sich zu entdecken, der hat einige Optionen. Wer der englischen Sprache nicht mächtig ist, der wird auf die in 3 Bände aufgeteilte Veröffentlichung von Uzumaki zurückgreifen können, die Carlsen Manga lizenziert und zwischen 2013-2014 veröffentlicht hat. Im englischsprachigen Raum ist die Auswahl hier schon um ein vielfaches umfangreicher. Nachtrag 2022: Der Carlsen Verlag hat mittlerweile stark aufgestockt und sein Sortiment rund um Junji Ito auf mehrere Hardcover-Ausgaben mittlerweile erweitert.

Bereits seit einigen Monaten habe ich diesen Beitrag zu dem Werk von Junji Ito geplant, aber mir fehlten, wie auch jetzt gerade, die Worte. Aber heute Abend fiel es mir zumindest leichter, mir nicht die Mühe zu machen, das Unerklärbare zu erklären, sondern einfach mal drauf los zu schreiben. Insgesamt wird der hier verfasste Artikel dem Werk von Junji Ito zwar nicht wirklich gerecht, aber wenn hiermit auch nur eine Person zum Werk des Mangaka findet, hat sich dieser Ausflug in die Welt der Albträume gelohnt!


Artikel wurde 2022 revidiert und ergänzt: Wer der deutschsprachigen Ausgabe folgen möchte sollte die Website von Carlsen Manga besuchen.



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