Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Einwurf: Hat der Mandalorian Star Wars repariert?

 



Könnte einige Spoiler beinhalten. Lesen auf eigene Gefahr!


Normalerweise ist solch eine Überschrift Tabu für mich. Das sind solche Titel, die man vermutlich in seinem Google-Feed auf dem Smartphone finden wird. Das gute aber ist, erst einmal ist mein Blog nicht prominent genug für den Google-Feed und zweitens stelle ich in dem Titel eine Frage und mache daraus nicht einen Fakt, wie es bei Bloggern oder YouTubern ja schon unlängst Tradition ist. Normalerweise müsste da also stehen: "Wie der Mandalorian es geschafft hat, Star Wars zu reparieren" oder im heutigen Zeitalter wo alles schnell gehen muss: "Mando biegt Star Wars gerade".

Warum stelle also ausgerechnet ich eine Frage in der Überschrift? Die Frage, ob da was repariert werden muss. War da denn je was kaputt? Nun, wer irgendwann doch mal hier gelandet ist und einen anderen Einwurf las, wo es öfters mal um Star Wars ging, der wird wissen für wie reparaturbedingt ich Star Wars halte. Ich halte die neue Sequel Trilogie für konzeptlos und am Ende wurde es dann auch noch ideenlos. Dabei kritisiere ich nicht einmal die Machart der Filme die handwerklich einfach fantastisch sind. "Das Erwachen der Macht" halte ich sogar auch noch immer für den besten Star Wars Kinofilm nach "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" sofern es sich nur um die Skywalker-Saga handelt. "Rogue One" sehe ich immer noch recht deutlich über "Das Erwachen der Macht". Aber es war halt ein vielversprechender Auftakt, der den Weg für eine herausragende Trilogie ebnen sollte. Star Wars zurück vom kompletten Greenscreen zu echten Sets mit Charakteren zum anfassen. Das Problem mit dem fehlendem Konzept hingegen sollte diese Pläne zunichte machen. Aus Charaktere zum anfassen wurden leere Hüllen mit wirren Backstories und die Geschichte selbst zu einer Parodie von allem, was man sich über die letzten Jahrzehnte aufgebaut hat. Zähneknirschend muss ich zugeben, selbst Lucas seine Prequel-Trilogie hat hier noch mehr abgeliefert da er von Beginn an eine Story versprach, die von Anakin Skywalker und dem Untergang der Jedi sowie den Aufstieg des Imperiums handeln sollte. Lucas hatte also ein Konzept welches er lange verfolgte und vermutlich so umsetzte, wie er es geplant hatte. Die Sequel-Trilogie hingegen kann sich nicht entscheiden ob sie kopieren möchte oder lieber etwas ganz eigenständiges sein will (dazu gleich mehr). Doch auf diese Probleme bin ich schon sehr häufig eingegangen. Fakt ist aber auch: Die Sequel-Trilogie hat ihre Fans und das ist vollkommen in Ordnung und sogar gern gesehen. In dem Falle stelle ich mir daher die Frage, ob Star Wars wirklich repariert werden musste wenn die neue Spielfilmtrilogie für viele die Erwartungen absolut erfüllt hat.

Doch selbst wenn man viele Sympathien für die Sequel-Trilogie hegt, so muss man sich vielleicht eingestehen, dass es nicht unbedingt die Fortsetzung zu Episode VI ist, die man auch nur ansatzweise erwartet hat oder die das Vermächtnis verdient hat. Schriftsteller Timothy Zahn hat 1991 mit "Erben des Imperiums" in seiner berüchtigten Thrawn-Trilogie bereits bewiesen, wie man es besser macht ohne dabei das Original kopieren zu müssen. Und hier kommt der Mandalorianer ins Spiel. Als vor rund einem Jahr die erste Staffel vom Mandalorianer fast einhellig abgefeiert wurde, hatte ich mich gefragt, ob sie wirklich so gut war oder die Serie enorm von dem Unmut des Star Wars Anhangs gefeiert wurde, weil man so wenig mit der Sequel-Trilogie anfangen konnte. Ich denke es war eher letzteres. Staffel 1 vom Mandalorianer bewies natürlich, wie eine Big Budget TV-Serie aussehen kann, aber ein wirkliches Konzept fehlte auch hier noch. Bei nur 8 Episoden brachten nur wenige davon die Story wirklich weiter. Es war, als wollten Jon Favreau und Dave Filoni (der übrigens schon ne menge Erfahrung mit der Clone Wars Serie sammeln konnte) einfach mal die Wassertemperatur fühlen. Verständlicherweise. Star Wars befand sich in einem Tief, man wusste nicht wie das Serienformat ankommen würde und die sehr komplizierte Situation zum Start des Disney+ Dienstes war ebenfalls ein Hindernis. In welche Richtung sich die Story vielleicht noch entwickeln würde, war nicht abzusehen. Mit Baby Yoda hatte man natürlich ins Schwarze getroffen und zumindest bei diesem Charakter mal wieder alte Star Wars Qualitäten bewiesen: Das Merchandise anheizen! Da darf man ja keinen Hehl draus machen, Star Wars bedeutet auch Konsum und kann ein teures Hobby werden. Man hatte also Baby Yoda (oder The Child oder nun kennt man ja auch seinen richtigen Name) und der Mandalorianer Din Djarin (Pedro Pascal) eine Aufgabe: Den kleinen Kerl irgendwohin bringen wo es Jedi gibt. Wo das sein wird, wer das sein wird und wer den kleinen vielleicht ausbilden wird spielte da noch keine Rolle. Man hatte außerdem Mandos Verbündete und den Gegenspieler sowie einige ulkige wie kuriose Sidekicks, die es schon immer in Star Wars gab. Das wichtigste war es, das Grundgerüst erst einmal stehen zu haben. Über alles andere konnte man sich nachträglich Gedanken machen.

Doch man hat sich Favreu und Filoni nicht ins Boot geholt, weil einer davon das Marvel MCU erschaffen hat und der andere bereits Star Wars Fahrwasser in den Schuhen hatte. Man hat sich diese beiden Herren besonders ins Boot geholt, um eine Konstanz zu erhalten um solche Fehler wie bei der Sequel-Trilogie mit den stets wechselnden Regisseuren und fehlenden Anweisungen für den Nachfolger zu vermeiden. Man übergab Favreu das Szepter und der hat ein eingeschworenes Team rund um den Mandalorianer gegründet und arbeitet zudem noch eng mit den Schauspielern zusammen. Favreu und Filoni agieren hier mehr wie zwei Fußballtrainer, die einen kriselnden Verein zurück auf die Spur bringen wollen. Man musste ungefähr wissen, wo man bei Star Wars ansetzen muss. Da war es wichtig mit der ersten Staffel schon einmal eine Grundlage zu schaffen. Der Rest kommt später. Und genau da hat man dann mit Staffel 2 weitergemacht als das Grundgerüst stand. Die Fassade. Und wenn man die Credits nach jeder der achte Episoden mal verfolgt, wird auch schnell klar was ich mit eingeschworenem Team meinte. Neben Favreau selbst nimmt natürlich auch wieder Filoni auf dem Regiestuhl platz. Und welche andere Folge hätte es nur sein können als bei S2E5 "The Jedi". Spoiler: Es war die Ahsoka Tano Episode. Ahsoka Tano ist größtenteils Filonis Baby und auch nach der Übernahme von Disney und der damaligen Absetzung von The Clone Wars konnte sich Filoni nie so wirklich von Anakin Skywalkers einstigem Padawan trennen. Hatte ich vorher noch Skepsis geäußert bezüglich der Auswahl von Rosario Dawson als Darstellerin, war diese schon relativ früh verflogen. In S2E3 nahm erneut Bryce Dallas Howard (Rons Töchterchen) auf dem Regiestuhl platz und lieferte "The Heiress" die erste enorm starke Episode ab, die die Story erstmals ins Rollen brachte. In S2E4 "The Siege" durfte dann in einer ähnlich furiosen Episode Carl Weathers ran, den man hier sowohl als Regisseur als auch wieder als Schauspieler in seiner Rolle als Greef Karga sieht. In S2E6 "The Tragedy" kommt dann sogar Star Wars Geek Robert Rodriguez ins Spiel der hier, wie er selbst sagt, ein Last Minute Ersatz war und seinem Kumpel Jon Favreau damit einen großen Gefallen erwiesen hat (und dessen Idee für diese Episode auf das spielen mit Star Wars Actionfiguren zurückgeht). Rick Famuyiwa, der in Staffel 1 noch bei zwei Episoden Regie führte ist auch hier wieder bei S2E15 "The Believer" mit einer sehr starken Episode dabei. Der Löwenanteil mit zwei Episoden (darunter die mit einer 9,9 Sternen in der IMDb bewerteten finalen Episode S2E8 "The Rescue") geht jedoch an Peyton Reed, dem sein Durchbruch mit Ant-Man im Marvel MCU gelang.

Was bei diesem kleinen, aber eingeschworenem Team sofort auffällt sobald man etwas mehr ins Detail geht: All diese Leute wurden persönlich von Jon Favreau ausgesucht. Es sind teilweise Leute mit denen er schon zusammengearbeitet hat oder sie schon vorab aufgrund ihrer Verdienste sehr schätzt. Keine Episode ist eine arrogante One-Man-Show sondern teil eines Kollektivs, ein Konzept, was hier komplett aufgeht. Es ist ein ähnliches Konzept welches es bereits bei "Star Trek - Das nächste Jahrhundert" gab. Auch dort war es nicht ungewöhnlich, als Darsteller wie Jonathan Frakes oder LeVar Burton irgendwann auch hinter der Kamera auf dem Regiestuhl Platz nahmen. Anders als bei dem gefloppten Star Trek Nemesis Kinofilm nahm bei der Star Wars Sequel-Trilogie aber niemand auf diesem Stuhl Platz, der das Franchise nicht ausstehen konnte oder einfach keinerlei Erfahrung damit hatte. Im Gegenteil. Sowohl J.J. Abrams als auch Rian Johnson sind so große Star Wars Fans, dass sie Bedenken äußerten, die richtigen Männer für diesen Job zu sein (wenn auch die Zweifel bei Abrams deutlich größer waren). Das Problem was sich dadurch ergab war folgendes: Der eine Regisseur wollte weniger sein eigenes Star Wars als viel mehr ein Star Wars, das an alte Zeiten erinnert ohne die Formel zu sehr zu verändern. Während dies Abrams Philosophie war, wollte der andere, Johnson, sein eigenes, exotisches Star Wars haben wo einfach alles ein wenig anders war. Wenn man die Pole von zwei Magneten aneinander hält, entfernen sie sich voneinander. So ungefähr verlief es mit den Philosophien von Abrams und Johnson. Und hier wiederum kommt Favreau und sein Team ins Spiel. Größtenteils alles alte Star Wars Fans, wollen sie jedoch beide Philosophien miteinander verbinden. Man will das alte Star Wars Feeling, möchte aber auch einen vollständig eigenen Weg gehen. Dass es auch in andere Richtungen gehen kann beweist Favreau auch bei der Auswahl der Darsteller. So ist Comedian und Schauspieler Bill Burr ein bekannter Star Wars Anti-Fan (neben Harrison Ford vermutlich der zweitprominenteste Star Wars Anti-Fan der in direkter Verbindung zum Franchise steht). Etwas, was Favreau so reizvoll fand, dass er ihn in der Serie haben wollte.

Was das Team rund um Favreau und Filoni hier allmählich aufbaut entwickelt sich, ohne, dass man es so richtig bemerkt, zu dem "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" Sequel, welches sich Fans so lange gewünscht hatten. Zu verdanken hat man dies natürlich auch der Timeline, so spielt The Mandalorian nicht einmal 10 Jahre nach Episode IV, im starken Kontrast zu Episode VIII, die rund 34 Jahre nach Episode IV spielt. Die Sequel-Trilogie kämpft also mit dieser riesigen Zeitspanne, die leer bleibt und selbst durch Romane oder Comics, von dessen Existenz der gewöhnliche Zuschauer vermutlich nicht einmal etwas weiß, nicht zufriedenstellend ausgefüllt wird. Und hier komme ich nun zu dem Punkt, wo der Mandalorianer die Sequel-Trilogie, zumindest die großen zeitlichen Lücken, reparieren und füllen könnte. Sofern Disney die Sequel-Trilogie also noch nicht vom offiziellen Star Wars Canon gestrichen hat, so könnte der Weg, den man hier geht, irgendwann dorthin führen (wobei man dafür natürlich auch eine komplett eigene Serie entwickeln könnte).

Und so ist es besonders die viel besprochene letzte Episode der zweiten Staffel, die weitaus mehr als nur Fanservice und Seelenbalsam sein könnte. Denn Fevreau und sein Team haben glaube ich verstanden, dass ein alter Zaubertrick seine Wirkung schnell verliert und ein Darth Vader oder Imperator Palpatine Cameo niemanden mehr vom Sofa fegen wird. Es sei denn natürlich, man baut so etwas mit Sinn und Verstand ein und möchte somit eine ähnliche Reaktion hervorrufen wie bei dieser finalen Episode.

The Mandalorian könnte also das wichtige Reparaturkit sein, welches das Franchise alleine dafür benötigt, um den Star Wars Canon wieder in Schuss zu bringen. Aber die Serie ist so viel mehr, nämlich etwas völlig eigenständiges ohne dabei ständig einen Abgesang auf die gute alte Zeit zu veranstalten. Disneys Pläne derzeit liegen nicht bei einer neuen Filmtrilogie oder irgendwelchen Spin-Off Filmen. Man hat das derzeit perfekte Format für Star Wars entdeckt, welches auch nach aktueller Weltlage vermutlich auch am profitabelsten ist. TV-Serien. Wobei "TV" hier nur noch ein sehr vager Begriff ist, da sich zumindest The Mandalorian kaum von einem Big Budget Spielfilm unterscheidet. Man mag fast glauben, Disney habe die Essens von Star Wars endlich begriffen. Doch wie stark die Macht in diesen neuen Serien wirklich ist, wird sich ende 2021 beweisen wenn "The Bookf of Boba Fett" auf Disney+ erscheinen wird. Und auch hier werden wieder Favreau und Filoni am Werke sein, denn die Macht scheint besonders in diesen zwei Herren derzeit besonders stark zu sein.

Was The Mandalorian angeht: Es wird eine dritte Staffel geben und die Möglichkeiten sind scheinbar so unendlich wie die weit, weit entfernte Galaxis. Wenn Staffel 1 das Grundgerüst war und Staffel 2 die Fassade, dann müsste Staffel 3 nun also die Inneneinrichtung werden.

Dienstag, 29. Dezember 2020

Review: Pflicht und Schande (Giri/Haji)

 



Japan/Großbritannien 2019


Pflicht und Schande aka Giri/Haji
Idee und Drehbuch: Joe Barton
Regie: Julian Farino, Ben Cessell
Darsteller: Takehiro Hira, Kelly Macdonald, Yosuke Kubozuka, Justin Long, Aoi Okuyama
Episoden: 8
Distributor: BBC Two (Großbritannien), Netflix (International)
FSK: 16
Genre: Krimi, Unterwelt-Drama



Wenn man die babylonische Sprachverwirrung verfilmen würde, würde vermutlich die 8 teilige Crime-Series "Pflicht und Schande" dabei rauskommen. Denn dem berüchtigten Kulturschock scheinen in dieser kurzen Serie weder die japanischen, noch aber die britischen Schauspieler gewachsen zu sein.

Pflicht und Schande oder aber auch Duty and Shame, so wurde die Serie international getauft. Einfacher ist natürlich der japanische Titel der lediglich aus den Silben Giri (Pflicht) und Haji (Schande) besteht. Um mir etwas Zeit zu sparen werde ich diesen Titel für das Review benutzen.
Die Ambitionen für dieses Projekt waren durchaus groß. Ein Ensemble aus teilweise international bekannten Schauspielern und jungen Darstellern mit wenig Erfahrung, die man aus beiden Ländern hat engagiert. Das Budget ist für eine Krimiserie beachtlich und mit BBC Two und Netflix hat man nicht nur Budget im Rücken, sondern auch Aussicht auf eine Fortsetzung. Diese Hoffnungen müssen Fans aber nun begraben, im September gaben beiden Distributoren das Ende der Zusammenarbeit und somit auch von der Serie bekannt. Die Trauer wird sich vermutlich in Grenzen halten, so bleiben am Ende doch nur wenig Fragen offen und sollte man nicht auf eine komplett neue Story sowie Charaktere setzen, würde wohl die Luft aus Staffel 2 schnell raus sein.

Auf dem Papier klingt die Prämisse mal wieder besser als die Umsetzung. In den 8 Episoden von denen jede knapp eine Stunde Laufzeit vorzuweisen hat, erlebt der Zuschauer eine wilde Achterbahnfahrt an Emotionen. Positive sowie negative Erfahrungen habe ich gemacht, komme aber zum Schluss, dass das Positive sich hier am Ende noch durchsetzen konnte. Doch Giri/Haji hätte weitaus mehr sein können, hätte man die Ambitionen runtergeschraubt. Charaktere werden verheizt, Sprachbarrieren zwischen den Schauspielern scheinen die allgemeine Harmonie unter den Darstellern zu behindern und zu viele Style over Substance Elemente, die der Serie durchgehend im Weg stehen, sind ein stetiger Begleiter dieser Miniserie.

Die Story selbst ist schnell zusammengefasst. Giri/Haji möchte gerne Yakuza-Drama und Krimi in einem sein. Daher wird die Geschichte der beiden ungleichen Brüder Kenzo (ein Polizist) und Yuto (ein Taugenichts der zu einem Gangster wird) sowohl in Japan als auch in Großbritannien erzählt. Der Yakuza-Anteil spielt in den japanischen Segmenten der Serie, der vermeintliche Krimi-Anteil spielt in Großbritannien. Bei der Story selbst griff man relativ tief in die Klischeekiste, was aber gar nicht mal das Problem ist. Das Rad kann man bei solch einem Genre unmöglich neu erfinden. Es hapert eher an der Umsetzung dieser Thematik. Yuto baut Mist, flüchtet aus Japan und landet irgendwie in Großbritannien und sein großer Bruder erhält den Auftrag, Yuto wieder einzufangen. Schnell wird jedoch klar, auch Kenzo als Polizist ist kein Saubermann und schreckt nicht davor zurück, für den Schutz seines kriminellen Bruders, zu töten. Als Kenzo in Großbritannien ankommt erwartet ihn nicht nur eine düstere Such-Odyssee nach seinem Bruder, es herrscht auch ein lokaler Bandenkrieg und Kenzos familiäre Probleme werden deutlicher, als je zuvor als dann auch noch seine junge Tochter Taki sich nach Großbritannien aufgemacht hat.

Die erzählerischen Schwächen der Serie machen sich immer wieder bemerkbar. Sowohl in Großbritannien als auch in Japan herrschen erbitterte Bandenkriege. Auf die wird jedoch nur viel zu selten eingegangen. Besonders darunter leiden die verstrickten Angelegenheiten der japanischen Bandenkriege unter den verfeindeten Yakuza-Klans. Mir war es am Ende unmöglich, die Beziehungen unter den einzelnen Klans und deren Probleme nachvollziehen zu können. Doch auch die Beziehung unter den beiden Brüdern sowie Kenzos Probleme mit seinen alternden Eltern, seiner Frau und seiner rebellischen Tochter bringen strukturelle Schnitzer mit sich. Das größte Mysterium selbst war für mich jedoch Kenzo, der als sehr labiler, gleichzeitig aber gerissener und eiskalter Typ daherkommt. Mir scheint es, als konnte sich der Schreiber Joe Barton nie so richtig entscheiden, in welche Richtung es mit dieser Figur nun gehen wird. Unter der gleichen Krankheit leiden aber auch die Nebencharaktere wie die Polizistin Sarah (Kelly Macdonald), die hier als ein unsicherer, eifersüchtiger, scheinbar nymphomanischer Sukkubus dargestellt wird. Auch der quirlige, homosexuelle Toshio, der das seltsame Gespann den ganzen Weg lang begleitet, macht eine ähnliche Achterbahnfahrt mit. Ich konnte mich einfach nie entscheiden, ob die Charaktere einfach völlig unsympathisch sind und ich daher keinen Bezug zu ihnen finde, oder aber all das so gewollt ist und das ganze eine düstere Charakterstudie ist. Ich bin zum Schluss gekommen, es ist vermutlich beides. Zudem kommen die angesprochenen Probleme, wo die Schauspieler sich untereinander sprachlich nicht so ganz zu verstehen scheinen. Man versucht durchgehend zu kaschieren, dass Takis Schauspielerin Aoi Okuyama vermutlich kaum ein Wort Englisch beherrscht. So, wie die Charaktere untereinander agieren wirkt es hölzern, manchmal unfreiwillig komisch, als ob besonders die japanischen Darsteller die Regieanweisungen nicht komplett verstanden hätten. Sobald diese sich wieder in ihrer Muttersprache unterhalten, kommt die Souveränität zurück. Auch Kenzo Mori Darsteller Takehiro Hira macht bei den englischsprachigen Szenen nicht gerade das souveränste Bild.

Wesentlich interessanter hingegen waren dann die in Japan gedrehten Segmente für die Serie. Da schafft es Giri/Haji dann, wie ein traditionelles Yakuza-Drama zu wirken, oder, sagen wir, die Serie schafft es, typisch japanisch zu wirken. Die Yakuza selbst sind nur ein Element dieser Szenen. Im Fokus stehen die familiären Hintergründe der beiden Brüder, die beide unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, sich aber doch mehr ähneln, als man zuerst denkt. Hier liegen die Stärken von Giri/Haji. Umso untröstlicher ist es, dass besonders die Bandenkriege in den Japan-Szenen so stark vernachlässigt werden. Diese Szenen gibt es übrigens ausschließlich nur in japanischer Sprache mit Untertiteln.

Sobald es zurück nach Großbritannien geht (die Serie wechselt munter hin und her, was aber bei mir nie für Verwirrung gesorgt hat), kommen auch die alten Probleme wieder. Und da ist dann Vickers (Justin Long) das nächste Problem. Das reiche amerikanische Vatersöhnchen, das auf eigenen Beinen stehen möchte. Ich würde nie auf den Gedanken kommen, Justin Long als großen Hollywooddarsteller zu bezeichnen, aber zusammen mit Kelly Macdonald dürfte er wohl der prominenteste Name unter den westlichen Darstellern sein. Wenn man sich also schon Justin Long ins Boot holt, sollte man ihn auch nutzen, denn Potential für seine Rolle war da. Sogar so viel, dass er, meiner Meinung nach, am Ende noch für viel Abwechslung und Entscheidungen hätte sorgen können. Stattdessen verfallen die Macher immer wieder in technische Spielereien die absolut nichts zur Story beitragen und vermutlich einfach cool und stylisch aussehen sollen. Doch so einfach funktioniert das halt nicht und diese Szenen tragen einen großen Anteil daran, dass es manchmal schwer ist, die Serie ernst zu nehmen, weil sie sehr gezwungen ernst und cool und stylisch wirken möchte, man damit aber eher das Gegenteil erreicht. Dies wird noch einmal deutlich, wenn man den Showdown auf dem Dach sieht und die Episode in einen Tanzspektakel ausartet.

Doch ausgerechnet die zuerst unscheinbare Geschichte mit den drei Frauen (Kenzos Frau, Mutter und die Tochter des Yakuza-Bosses, mit der Yuto ein Verhältnis hatte) und ihrem Road Trip war es, die mir persönlich mit am besten gefallen hat, da hier weitaus weniger wert auf irgendwelche hippen Fabrfilter, Kameraeinstellungen oder Gangster-Gelaber gelegt wurde.




Abschließende Gedanken

Giri/Haji kann durchaus mit vielen starken Momenten überraschen. Sein volles Potential schöpft die Serie jedoch nie aus. Das Ende finde ich jedoch überraschend zufriedenstellend und lässt eigentlich auch keinen großen Spielraum für eine Fortsetzung (zumindest nicht mit diesen Charakteren). Es ist eine ausgewogene Mischung aus beantworteten Fragen, abgeschlossenen Character-Arcs und einigen unbeantworteten Passagen, die aber wiederum eher dafür sorgen sollen, sich nachträglich noch über die Serie zu unterhalten und sich vielleicht ein Schlupfloch für eine Fortsetzung in Reserve zu halten. Wie wir nun wissen, wurde daraus nichts und BBC Two und Netflix haben die Lichter ausgeschaltet und den Rausschmeißer bereits verständigt. Wenn man vielleicht weniger mit der japanischen Filmlandschaft vertraut ist, könnte Giri/Haji durchaus besser funktionieren. Leider wollen die Macher aber zu oft die großen Vorbilder kopieren und wissen selbst nicht, was genau den Charme dieser Filme ausmacht. Da, wo Giri/Haji zu verspielt ist, hätte die Serie wesentlich bodenständiger sein müssen. Besonders die ersten fünf Folgen leiden unter dem Style over Substance Konzept. Danach fängt sich die Serie und bietet einen exotischen Ausflug in eine düstere Geschichte. Muss man mögen, könnte man eine Chance geben, aber eine klare Empfehlung kann ich hier halt auch nicht aussprechen.

Montag, 21. Dezember 2020

Gastrezension: Alice im Totenland (Mainak Dhar)

 






Alice im Totenland (Mainak Dhar)
Originaltitel: Alice in Deadland
2017
Autor: Mainak Dhar
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: Gebunden, eBook
Genre: Horror (behauptet es)



Weihnachten steht vor der Tür, und egal ob man der Fraktion angehört, die das Haus schon vor
Wochen geschmückt hat, in selbstgebackenen Plätzchen untergeht, Weihnachten kaum noch
erwarten kann, oder aber wie ich eher so der Grinch-Kategorie (nicht das animierte Ding von vor zwei Jahren bitte) angehört, über eines sind wir uns alle einig: Bücher müssen unter dem echten oder dem fiktiven Weihnachtsbaum liegen! Mit dem Buch heute kann ich vielleicht die eine oder andere Entscheidung, welches Buch man denn nun verschenken soll, erleichtern.

Aufmerksam wurde ich tatsächlich dank eines Posts des Luzifer-Verlages, da nämlich Band 3
demnächst erscheint und die ersten beiden Bände daher eine Neuauflage des Covers bekommen
haben. Und die neuen Cover sehen auch wirklich klasse aus, die alten sind da eher so najaaa. 
Aber man soll ein Buch nicht anhand seines Covers beurteilen und so habe ich den ersten Band zu 
lesen beschlossen.

Ich sollte den Inhalt meiner Meinung vorweg stellen: Protagonistin ist die 15-jährige Alice. Es bleibt unklar, ob Alice in der heutigen Zeit oder in 15 Jahren lebt, beides ist möglich. Klar hingegen wird sehr schnell, dass die Welt von Untoten, Bitern genannt, bevölkert wird und die Menschheit um ihr Leben und vor allem ihr Überleben kämpft. Das Land ist öde und verwüstet, und neben den
Grüppchen Überlebender gibt es auch noch ZEUS. Ja, das Wort schreit tatsächlich so rum,
Abkürzungen und so. Also, vermutlich zumindest. Gleich zu Beginn stolpert Alice in ein Loch im
Boden, als sie einem Biter mit pinken Plüschhasenohren folgt. Spoiler: Der Biter ist nicht wie ein
Flummi auf Speed mit einer Taschenuhr rumgerannt und hat gerufen „keine Zeit, keine Zeit“.

Nachdem die Biter Alice aus irgendeinem bis dahin unbekannten Grund verschont haben, bringen sie sie zu ihrer Königin, die halb menschlich und halb untot ist. Sie tritt erstmal als eher durchgeknallte alte Frau auf, wedelt dauernd mit einem der letzten Bücher auf Erden – einer Ausgabe von „Alice im Wunderland“, wie sollte es auch anders sein? – und sieht in diesem Buch und im Auftauchen von Protagonistin Alice eine Prophezeiung, die sich nun erfüllt. Es wird etwas wirr – wer ist nun böse, die Biter oder ZEUS, stimmt es, dass die Biter menschengemacht sind? Das klärt sich allerdings relativ schnell – schade eigentlich, da wäre mehr machbar gewesen, statt einer so deutlichen und schnellen schwarz-weiß-Zeichnung.

Alice hat mich schon auf den ersten Seiten genervt. Sie ist in allem die Beste, die Schnellste, die
Tollste. Zufällig ist sie auch noch Tochter des Anführers ihres Dorfes. Ständig wird betont, wie viel
Erfahrung sie im Fronsteinsatz habe, wie viele Biter sie erschossen habe, wie gut sie im Nahkampf sei – besser als die erwachsenen Männer – und wie gut sie schieße – auch besser als die erwachsenen Männer. Interessanter Maßstab übrigens, aber lassen wir das an dieser Stelle. Trotzdem purzelt sie absolut dümmlich wie ein Kleinkind in ein Loch im Boden. Und lässt sich anschließend von einem als eher langsam beschriebenen Biter treten, diese nahkampferprobte Alice. An dieser Stelle möchte ich wiederholen: Alice ist 15. Und auch wenn immer wieder beschrieben wird, dass die Kinder von klein auf an den Kampf trainieren, Alice‘ Können ist übertrieben, sie wird unverdient in den Himmel gelobt. Und da das Buch in Indien spielt und sie die Tochter von Amerikanern ist, fällt sie mit ihren blonden Haaren und der hellen Haut auf – es genügt eben nicht, ihr so viel Können zuzuschreiben, auch sonst muss sie sich abheben.

Die Handlung wirkt konstruiert, auch nicht immer logisch. Und es wird immer verrückter, ich war
mehrfach an dem Punkt, an dem diese Stimme in meinem Kopf zu singen begann: „Who the f*ck is
Alice?“ Naja, eher dachte sie: „Was zum Teufel muss ich hier lesen?“ und flüchtete sich dann in
diesen ohrwurmverursachenden Songtext. Das Buch soll übrigens mit seiner Neuauflage in der
ebenfalls frisch lektorierten Form vorliegen. Also, wenn das professionell lektoriert ist, vällt mir auch nicht mehr fiel dazu ein.

Sprachlich war es auch schwer zu ertragen. Während wir nicht das Kaninchen auf Speed haben, 
ist die Story anscheinend auf Speed. Die Handlung rennt geradezu voran, am Ende vergehen 
plötzlich mehrfach mehrere Wochen in einem Satz – dass der Autor selber am Ende von seinem Geschreibsel war und es nur so schnell wie möglich fertig und aus den Augen bekommen wollte, kann ich anlässlich des bereits erschienenen und des bald erscheinenden Bandes ausschließen. Wirkliche Gespräche gibt es an den wenigsten Stellen, die bestehen meist aus einem Satz von Person A, einer Antwort von Person B und mit ein bisschen Glück antwortet Person A dann noch mal. Weit häufiger wird einfach ein Satz in Anführungszeichen eingestreut, dann rennt Alice aufgescheucht zum nächsten Handlungsort, sagt wieder einen Satz und hetzt erneut weiter. Sowas ist unglaublich anstrengend zu lesen und verhindert jedes Bisschen an Tiefe, ein Eintauchen in die Geschichte ist so nicht möglich.

Des Weiteren muss Alice mehrere Verluste hinnehmen. Vater tot? Egal. Mutter und Schwester tot?
Was soll’s. Ihr Dorf und fast alle, die sie kannte ausgelöscht? Tja, passiert eben. Jemand im Buch
beschreibt Alice als rachedurstiges Mädchen, die dann eine Entwicklung durchgemacht habe. Das
habe ich beides nicht gesehen, das war eher so ein stoisches, verstocktes Kleinkind. Das 
übrigens, und hier nehme ich mir die Freiheit heraus ein wenig zu spoilern, Anführerin des Widerstandes wird. Alle folgen einem Mädchen ohne Charakter, ohne Tiefe – da bin ich sehr froh, dass es sich lediglich um Fiktion handelt, denn wenn die letzten überlebenden Menschen wirklich so einem Gör hinterherlaufen würden, dann war es das mit der Menschheit aber ganz schnell.



Abschließende Gedanken

Das Buch wurde einfach mit jeder Seite unlogischer, es war oberflächlich, baute keine Spannung auf, war vollgepackt mit Klischees: die guten Amerikaner gegen die bösen Chinesen, die strahlendeJohanna von Orléans, die ihre Streitkräfte um sich schart und zu Sieg führt ... man verzeihe mir denironisch herbeigezogenen Vergleich, denn auch wenn der Autor Alice gern als Heilige und Überheldin sehen möchte, so ist sie beides doch nicht.Während des Lesens bin ich irgendwann an einen Punkt gekommen, an dem ich nur noch weitergelesen habe, damit ich diese Rezension verfassen kann, um hoffentlich den einen oder anderen vor dem Kauf eines misslungenen Weihnachtsgeschenkes für sich selbst oder andere zu bewahren. Obwohl, wer einen Kamin daheim hat und das Buch in gedruckter Form kaufen würde, der könnte wenigstens ein schönes knisterndes Feuer für etwas Weihnachtsatmosphäre damit entfachen.
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Gastrezension: Lavandula



Lavandula gehört zum Kult der Bibliophilen und ist neben dem Studium selbst immer mal wieder als Autorin unterwegs, sofern die Zeit es zulässt. Ungefähr in einem Spektrum wie die Zeitsprünge in "Lumera Expedition: Survive" versuche ich sie bereits für einen Beitrag auf "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich hoffe, mit ihrem frischen Schreibstil wird sie den Blog noch häufiger bereichern.