USA 1955
Ripley
Alternativ: Der talentierte Mr. Ripley
Originaltitel: The Talented Mr. Ripley
Autorin: Patricia Hghsmih
Übersetzerin: Melanie Walz
Verlag: Diogenes
Genre: Psychologischer Thriller
"Grau und alt im weichen Licht ihrer spärlichen Straßenlaternen erstreckte sich vor ihm die Via Appia Antica. Grabmalfragmente ragten links und rechts auf und hoben sich schwarz vor dem noch nicht gänzlich dunklen Himmel ab. Mehr Dunkelheit als Licht. Und nur ein einziger Wagen in der Ferne, der ihm entgegenfuhr. Wen verschlug es schon an einem Januarabend nach Einbruch der Dunkelheit auf eine so holprige und düstere Straße? Höchstens Liebesprächen. Der entgegenkommende Wagen fuhr an ihm vorbei. Tom begann sich nach einer geeigneten Stelle umzusehen. Freddie sollte hinter einem stattlichen Grab abgelegt werden, fand er. Etwas weiter vorn standen ein paar Bäume am Straßenrand, hinter denen sich zweifellos ein Grabmal befand oder das, was davon übrig war. Als er die Bäume erreichte, fuhr Tom von der Straße und schaltete die Scheinwerfer ab. Er wartete einen Moment und spähte in beide Richtungen der geraden leeren Straße."
Patricia Highsmith (1921-1995) gehörte zweifelsohne zu den größten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Nicht wenige Publikationen nannten sie aber häufig die "Unvollendete" und die "Ewig Suchende". Mit ihrem markantem Schreibstil und sarkastischem Humor hat man hinter ihren Geschichten nicht selten einen männlichen Schriftsteller erwartet. Bekannt war sie für ihre komplexen Charakterstudien, den bis zur Perfektion ausgearbeiteten Figuren, alle ausgestattet mit echten Persönlichkeiten samt Macken, Empathie und grundsätzlich psychisch immer am Rande zwischen Genie und Wahnsinn. Highsmith schrieb eine menge Romane und Kurzgeschichten, aber bis heute verbindet man sie wohl mit ihrer "Ripliad", eine Reihe aus insgesamt fünf Romanen, die sie im Verlaufe ihrer gesamten Schriftstellerkarriere verfasst hat. In all diesen Romane spielt der charismatische Tom Ripley die Hauptrolle. Allen voran dürfte wohl die Verfilmung von Anthony Minghella des ersten Romans aus dem Jahr 99 den meisten bekannt sein (obwohl der Roman erstmals bereits 1960 mit dem französischen Schauspieler Alain Delon unter dem Titel "Purple Noon" verfilmt wurde), der so prominent besetzt war, dass ich lediglich Matt Damon als Tom Ripley hier namentlich erwähne, bevor sich meine Rezension zu einem Filmabspann verwandelt.
Rund 25 Jahre sind seit dieser Verfilmung vergangen, mittlerweile dominieren Serien im Heimkino den Markt und nach einigen Tiefschlägen ist Netflix zurück im Geschäft. Bereits die damalige Verfilmung musste einiges federn lassen gegenüber dem Roman. Zum Leidwesen der bereits erwähnten fantastisch ausgearbeiteten Charakteren sowie der labyrinthartigen Gedankenwelt des Tom Ripley. In einer neuen Miniserie von Netflix wollte man dem Roman von Patricia Highsmith nun gerechter werden. In der Hauptrolle steht hier diesmal Andrew Scott als Tom Ripley, der in 8 Episoden eine absolut großartige Performance abliefert und, meiner Meinung nach, zu dem Charakter deutlich besser passt als Matt Damon (sicherlich Geschmackssache). Auch, wenn man hier den ersten Roman adaptiert hat, so verzichtet die neue Serie auf jegliche Untertitel, vermutlich auch, um sich noch Spielraum für 4 weitere Staffeln zu lassen.
Aber zurück zum Roman von Highsmith. Dass ich aktuell etwas italienisch lerne, habe ich auch dem Roman als Ideengeber zu verdanken. Die von Highsmith so wundervoll beschriebene italienische Kulisse, aber auch den geschickten Einsatz der italienischen Sprache beeindruckte mich beim lesen sehr. Das Italien von Highsmith wirkt exotisch, lebendig und gleichermaßen gefährlich, was zuvor nur der Filmemacher Nicolas Roeg mit seinem Mystery-Film "Wenn die Gondelnd Trauer tragen" bei mir hervorrufen konnte.
Der Plot des Buches selbst ist schnell erzählt. Tom Ripley träumt von einem Leben in der High Society. Ein Leben, welches sein Freund Dickie Greenleaf unlängst dank des Spesenkontos des reichen Vaters führt. Als Herbert Greenleaf Tom darum bittet, seinen Sohn aus Italien zurück in die USA zu bringen, damit dieser das Familiengeschäft übernehmen kann, willigt Tom ein. In Italien angekommen wird Dickie der Gesellschaft seines Kumpels schnell überdrüssig. Doch Tom Ripley möchte La Dolce Vita nicht mehr missen - er möchte das Leben von Dickie Greenleaf führen. Er möchte Dickie Greenleaf sein.
Eine Prämisse, die so simpel klingt und doch in einen unglaublich komplexen psychologischen Thriller ausartet. Mord, Lügen, Identitätsdiebstahl. Es ist alles dabei, es wird in diesem Klassiker alles geboten und mit seiner europäischen Kulisse perfekt in Szene gesetzt. All das wird garniert von den herrlich scharfen, sarkastischen Gedankengängen des Hauptcharakters.
"Uff! Dieser Schmalz am Ende! Oh, Miss Bruchbude! Tom faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Jackentasche. Automatisch warf er einen Blick zu den Doppeltüren des Hotelrestaurants, als rechne er mit der Polizei. Falls die Polizei annahm, dass Dickie Greenleaf und Tom Ripley zusammen unterwegs waren, dann hatte sie die Hotels von Palermo vermutlich schon nach Tom Ripley abgesucht, dachte er."
Abschließende Gedanken
Patrica Highsmiths Roman über einen der wohl größten Betrüger und Soziopathen der Literaturgeschichte ist ein zeitloses Vergnügen. "Der talentierte Mr. Ripley" ist ein fein zusammengesponnenes Netz aus allen Zutaten, die ein Thriller braucht. Wenn Highmsith schreibt, hat man die Bilder gleich vor Augen - als würde man einen Film schauen. Man hat den skrupellosen Tom Ripley vor Augen und vor uns bauen sich zudem die italienischen Kulissen auf, die uns die ganze Zeit begleiten werden. Die Wiederentdeckung dieses beeindruckenden Charakters rund 25 Jahre nach seinem letzten großen Auftritt auf der Kinoleinwand, ist für die Welt der Literatur und Serien ein großer Gewinn. Bevor man sich die neue Serie zu Gemüte führt, sollte man aber darüber nachdenken, zuvor den Roman zu lesen. Beide Werke ergänzen sich trotz einiger Änderungen ausgezeichnet.
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Rezension verfasst von Aufziehvogel
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