Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 22. Februar 2021

Gastrezension: Das Gold des Lombarden (Petra Schier)

 





Deutschland 2017
Das Gold des Lombarden
Autorin: Petra Schier
Verlag: Rowohlt-Taschenbuch
Format: Taschenbuch, eBook
Genre: Historischer Roman


Eigentlich wollte ich rufen, was für ein Glückskind ich sei, da entdecke ich eine neue Buchreihe, tatsächlich über ein Hörbuch, und stelle fest, dass der dritte Band nur wenige Tage zuvor erschienen ist. Reihe abgeschlossen, kann ich in eins durchlesen, perfekt!

Naja, aber 2021 wäre nicht der große Bruder von 2020, wenn an der Sache nicht ein Haken wäre. Bei ein paar Recherchen zu Buch und Autorin bin ich nämlich auf ein Interview aus dem Jahr 2017 gestoßen, wonach es vier Bände geben wird. Einerseits bin ich enttäuscht, andererseits froh, noch nicht mit dieser Geschichte und diesen Charakteren abschließen zu müssen. Und um es nicht bei einfach zu belassen, kommt noch eine dritte Seite hinzu: Ehrlich gesagt beunruhigt mich die Vorstellung eines vierten Bandes, da die Handlung in sich abgeschlossen wirkte, auch mit – von der Autorin beabsichtigten – offenen Enden.

Aber ich nehme das Ende vorweg, daher noch einmal sortiert. 

Also, als ersten Mucks von mir in diesem Jahr gibt es „Das Gold des Lombarden“ von Petra Schier. Ich kannte die Autorin vorher nicht, war eigentlich auf der Suche nach einem guten Hörbuch für lange Autofahrten und dann fiel mir dieses in die Hände – reingehört, nach der Fahrt angekommen, frustriert, dass ich nicht weiterhören konnte, Buch gekauft. Ist einfach so passiert. Wirklich. 

Mit 448 Seiten ist dieses Buch auch kein Leichtgewicht, obwohl es natürlich deutlich umfangreichere Bücher gibt. Und da ich mal wieder Lust auf einen historischen Roman hatte, hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen – nicht auf die nächste Autofahrt warten müssen (und ich sage es euch der Kauf war ein Omen, so wie die abergläubische Köchin Ells unheilschwanger tönen würde, denn aufgrund des dann hereingebrochenen Schneechaos‘ ist die nächste Fahrt um mindestens eine Woche verschoben) und ein vielleicht gutes Buch in den Händen halten, an dem man lange lesen kann (oder auch nicht, wir spulen vier Tage vor: Lavandula hat alle drei Bände gelesen. Das lasse ich mal so stehen).

Die Handlung vom „Gold des Lombarden“ ist im Köln des Jahres 1423 angesiedelt. Im Mittelpunkt steht allerdings nicht etwa der Lombarde, Nicolai Golatti, selbst. Der ist nämlich nach den ersten Seiten tot. Stattdessen geht es um seine junge Witwe Aleydis de Bruinker, die gerade ein halbes Jahr mit dem deutlich älteren Mann verheiratet gewesen war. Golatti war Geldverleiher und Münzwechsler und wird erhängt vor den Stadttoren aufgefunden. Für Aleydis ist klar, dass es kein Selbstmord ist und sie erhebt Anklage. Zuständig für den Fall ist der Gewaltrichter Vinzenz van Cleve, mit dessen Vater, ebenfalls einem Münzwechsler und Geldverleiher, Golatti in hartem Konkurrenzkampf lag. Obwohl es ständig Reibereien zwischen Aleydis und van Cleve gibt, arbeiten sie zusammen an dem Fall; darauf hat Aleydis nämlich bestanden und sie stellt selbst Nachforschungen an. Bald kommt ans Licht, dass ihr verstorbener Mann viele Feinde hatte, da er bei weitem nicht der war, der er zu sein vorgab. Aleydis gerät immer tiefer in einen Sumpf aus Lügen und weiß irgendwann nicht mehr, wem sie überhaupt noch vertrauen kann.

Der Schreibstil ist sehr leicht und gut zu lesen. Manchmal werden Bezeichnungen eingestreut, deren Bedeutung möglicherweise nicht direkt geläufig ist und es ist zu beobachten, dass sich der Sprachstil im Verlauf des Buches wandelt von einem bemüht angepassten „auf alt getrimmten“ Stil hin zu einem moderneren, der allerdings noch immer zeigt, dass es ein historischer Roman ist und nicht etwa eine in der Jetztzeit angesiedelte Erzählung. Insgesamt ist die Sprache bildlich, aber nicht zu blumig: Man bekommt eine gute Vorstellung von Personen und Orten aber es wird auf langatmige Beschreibungen oder blumige Vergleiche und Ausschmückungen verzichtet.

Die Handlung ist in sich schlüssig, auch wenn mir sehr schnell klar war, wer für den Mord verantwortlich ist. Aber keine Sorge, das ist nicht allzu offensichtlich, weder zeigt die abergläubische Ells mit dem Finger und schreit „Mörder!“, noch gibt die Autorin – die eigener Aussage nach lange Zeit selber überhaupt nicht gewusst haben will, wer es nun war – einen klaren Hinweis. Vielleicht ist das Buch an manchen Stellen ein klein wenig zu modern geraten, vor allem Aleydis schwankt sehr stark zwischen sehr durch ihre Zeit geprägten und fast schon zu modernen Ansichten, was ihren Charakter nicht zur Gänze durchdacht wirken lässt.

Nun ist für mich das (spät-)mittelalterliche Köln auch kein ganz unbekannter Handlungsort und auch auf diesem Blog habe ich bereits diesen Boden betreten mit einer früheren Rezension. Das greife ich an dieser Stelle auf, weil mir ziemlich viele Parallelen zwischen diesen beiden Büchern aufgefallen sind; es sind für mich zu viele um bloßer Zufall zu sein. 

Zunächst einmal haben wir die beiden Hauptcharaktere, Aleydis de Bruinker und Vinzenz van Cleve. Sie ist eine junge Frau, verwitwet, gutes Verhältnis zu Stiefmutter und Vater, von dem sie dessen Gewerbe lernen durfte, sie ist intelligent (gut, niemand mag Heldinnen, die nicht intelligenter als ein halber Meter Feldweg sind … obwohl es die auch gibt und diese Bücher oder Serien teilweise unglaublich erfolgreich werden … doch ich schweife ab), ihrer Zeit in vielen Dingen voraus, selbstbewusst. Auf der anderen Seite steht van Cleve, dunkel, zunächst ist seine Einstellung Aleydis gegenüber unklar, schleppt ein großes Geheimnis mit sich herum, das zu guten Teilen für seine aktuelle Situation verantwortlich ist, ziemlich gut in allem, was er so kann.

Na, klingelt’s?

Falls nicht, ein paar weitere Hinweise: Weitere Familienkonstellationen sind sehr ähnlich, wir haben die allgegenwärtigen Gassenjungen, die natürlich gern gesehen sind, Beginen, praktischerweise direkt vor der Haustüre des Golatti’schen Anwesens gelegen, wir haben Orte, die an anderer Stelle schon in sehr großer Rolle auftauchen und hier Erwähnung finden, ohne dass es unbedingt nötig gewesen wäre: das Kloster Groß Sankt Martin (das gab es tatsächlich) sowie den Beginenkonvent am Eigelstein (den könnte es gegeben haben; allerdings frage ich mich, weshalb ausgerechnet dieser genannt werden muss, wo es doch so viele davon im mittelalterlichen Köln gab). Und zuletzt sind da noch ein paar Begriffe, auch wenn ich dafür in den zweiten und dritten Band vorweggreife: „Ei wei“ fällt und der Hinweis auf eine hornhäutige Seele.



Resümee

Ich weiß weder, ob das Zufall ist, oder ob die Autorin die andere Reihe kennt und es in Anlehnung geschrieben hat. Es erinnert mich ein wenig an die „Bis(s)“-Reihe und „Shades of Grey“: Ich bin das Gefühl nicht losgeworden, dass die Lombarden-Reihe eine Art Fanfiction zur Reihe um eine gewisse graue Begine und ihren schwarzen Pater ist, und wie in oben genannten Reihen geht es auch beim Lombarden weniger keusch zu als in der Geschichte um die graue Begine – aber nur ein wenig.

Und auch wenn ich jetzt so lange darüber philosophiert habe: Fanfiction hin oder her, „Das Gold des Lombarden“ ist ein gutes und wirklich lesenswertes Buch, ebenso wie die beiden Folgebände „Der Ring des Lombarden“ und „Die Rache des Lombarden“. Zwar kommt das Krimigeschehen hier etwas kurz und der Fokus liegt sehr stark auf der Situation die sich zwischen Aleydis und van Kleve entspinnt, aber dennoch ist es spannend bis zum Schluß.
Ob es nun einen vierten Band geben wird, kann ich nicht sagen, dazu habe ich verschiedene Hinweise gefunden, aber sollte das so sein, wird sich auch ein weiteres Jahr warten definitiv lohnen. Ansonsten schließt die Reihe in sich rund und schlüssig ab, und die oben bereits erwähnten offenen Enden sind wie das echte Leben, auch dort klärt sich nicht immer alles.

Wer übrigens nur einmal hineinschauen will: Die drei Bände sind in sich abgeschlossen und könnten auch unabhängig voneinander gelesen werden. Mit kurzen unaufdringlichen aber aufschlussreichen Rückblenden werden in den Folgebänden die bisherigen Ereignisse noch einmal zusammengefasst. Das soll bitte nicht dazu animieren, sich nur den zweiten oder dritten Band heraus zu picken, aber man muss es nicht machen wie ich sondern kann durchaus die Reihe nach Abschluss eines Bandes ruhen lassen und später weiterlesen. Aber eine Chance geben sollte man diesem Buch auf jeden Fall, wenn man auch nur im Ansatz auf historische Romane, Mittelalter und ein klein wenig Krimi steht.
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Gastrezensentin: Lavandula


Lavandula gehört zum Kult der Bibliophilen und ist neben dem Studium selbst immer mal wieder als Autorin unterwegs, sofern die Zeit es zulässt. Ungefähr in einem Spektrum wie die Zeitsprünge in "Lumera Expedition: Survive" versuche ich sie bereits für einen Beitrag auf "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich hoffe, mit ihrem frischen Schreibstil wird sie den Blog noch häufiger bereichern.

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