Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Samstag, 8. Juli 2023

Inside: Als Ralph Bakshi die Idee hatte, den Herrn der Ringe zu verfilmen


Es ist nun rund 31 Jahre her, wo Ralph Bakshi seinen letzten großen Spielfilm, wie so häufig ein Hybrid aus Zeichentrick und Live-Action, produziert hat. Der Film heißt Cool World und es spielten namhafte Schauspieler wie Kim Basinger und Gabriel Byrne im Film mit. In der Hauptrolle ein junger, aufstrebender wie gutaussehender Typ, den 1992 noch kaum wer kannte, Brad Pitt.

Ralph Bakshi ist ein Name, der unweigerlich eng mit der amerikanischen Zeichentrickkultur verbunden ist. Und dennoch ist es ein Name, den eigentlich kaum noch wer kennt und etwas mit ihm assoziiert. Was natürlich eine große Schande ist. Ralph Bakshi (1938 in Haifa geboren) immigrierte mit seiner Familie bereits im Alter von einem Jahr von Palästina in die USA. Aufgewachsen ist er in einem verarmten Viertel in Brooklyn. Bakshy kannte die Straßen, den Slang, der dort gesprochen wurde und die Menschen, die dort zu diesen unruhigen Zeiten lebten. Immer wieder sollte das New Yorker Straßenleben in Bakshis Werken eine große Rolle spielen. Im Alter von 18 Jahren arbeitete er sich in der Zeichentrickindustrie hoch, hatte den großen Traum, Zeichentrick-Animator zu werden und der Rest ist bekanntermaßen Geschichte. Bakshi war immer anders, würde er noch aktiv Filme machen, wäre er auch heute noch anders. Ralph Bakshi zog sich endgültig aus der Zeichentrickindustrie im Jahr 2015 mit dem Kurzfilm "The Last Days of Coney Island" zurück, ein Werk, wie es nur von ihm stammen kann. Last Days of Coney Island auf YouTube

Doch wie kam ein Mann, der solch skandalöse Filme wie "Fritz the Cat", "Heavy Traffic" und "Coonskin" produziert hat, an die Herr der Ringe Lizenz? Nun, erstmal muss gesagt werden: Bakshi beklagte sich häufig für die X-Ratings der MPA (damals noch die MPAA) gegenüber seinen Filmen. Eine normale Episode der Simpsons, so seine Aussage vor einigen Jahren, würde heutzutage die gleichen Inhalte wie Fritz the Cat zeigen. Und hier muss dem Altmeister natürlich vehement widersprochen werden. Die oben aufgezählten Filme sind heute nicht weniger kontrovers, als sie es damals bereits waren. Vielleicht nicht mehr so skandalös aber immer noch deutlich grafischer und expliziter als alles, was die Simpsons jemals gezeigt haben. Nicht einmal Bakshis "konventionellere" Filme wie "Wizards" (dt. "Die Welt in 10 Millionen Jahren") oder "Fire and Ice" würden in der heutigen Zeit unbedingt als familienfreundlich durchgehen. Bakshis Zielgruppe für seine Werke waren sicherlich nie die Kinder. Und da reiht sich die für das Jahr 1978 bisher größte Herr der Ringe Adaption auch ein. Das ist kein Film für Kinder. Besonders Bakshis Stilmittel der Rotoskopie und Arbeit mit echten Schauspielern, die dann in das animierte Geschehen einfließen, dürfte Kinder stark abschrecken. Beim Herrn der Ringe hat dies für einige besonders bizarre Gestalten gesorgt.


Im Jahr 1978 hatte Bakshi sich durch seine Kassenerfolge wie Fritz the Cat, Heavy Traffic, Coonskin und Wizards unlängst einen Name gemacht. Die Filme waren erfolgreich genug, um Geldgeber und Studios zu überzeugen, ein groß angelegtes Projekt zu finanzieren. Bakshi war ein großer Bewunderer von Tolkiens Werk und hegte schon lange den Traum, die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen. Aufgrund einer bereits damals mehr als komplizierten Rechtelage, gab es hier so manche Hürden zu überwinden. So mag es heute verwunderlich klingen, aber zur Zeit der Produktion war Der Herr der Ringe in den USA eine Public Domain, soll heißen, sämtliches Copyright von Tolkien Estate galt nicht automatisch auch für die USA. Worüber wir hier gerade reden ist an sich einen eigenen Artikel wert und so komplex und wild, dass die Auswirkungen dieser Angelegenheiten bis heute nicht vollkommen ausgeräumt sind. Belassen wir es bei folgendem: Die Filmrechte gingen zu United Artists und als Bakshi in den 70ern davon erfahren hat, dass sich ihm hier eine Tür öffnen könnte, nachdem sehr viele Filmemacher die Buchreihe als unmöglich zu verfilmen betitelten, wollte er seine Chance ergreifen. Überhaupt war der Herr der Ringe in den USA über viele Jahre eher ein Nischenprodukt in der Fantasy-Literatur. Als in den USA die Pulp-Magazine boomten und Science-Fiction der Literatur-Eskapismus der Amerikaner war, gelangte der Herr der Ringe als europäisches Produkt erstmals wieder in den späten 60ern und in den 70ern erneut ins Gespräch. So war Tolkiens Epos besonders während der Flower-Power Ära auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit angekommen und Gandalf wurde zu einer Kultfigur in der Stoner-Szene (eine wundervolle Hommage gibt es dazu in Philip K. Dicks Science-Fiction Roman "Irrgarten des Todes"). Der Herr der Ringe war zurück im Gespräch und Bakshis Idee, aus dem Buchstoff eine Reihe an Zeichentrickfilmen zu machen, kam zur richtigen Zeit.

Mittlerweile dürfte wohl auch Bakshis Herr der Ringe Adaption wohl eher als ein obskures Stück Zeichentrickgeschichte angesehen werden. Und dennoch wäre es vollkommen verkehrt, den Film als solches zu bezeichnen. Erst einmal, der Film war ein kommerzieller Erfolg und United Artists fühlte sich noch einmal bestätigt, dass es eine gute Idee war, die Partnerschaft mit Bakshi einzugehen. Auch wenn der Film bei Kritikern und Fans der Bücher durchaus kontrovers aufgenommen wurde, so lobte man die Animationskunst des Films, die herausragende Synchronisation (unter anderem zu hören sind John Hurt und Anthony Daniels) und ein allgemeines Gefühl dafür, den Stil von Tolkien in eine Filmwelt zu adaptieren.

Mit einer Laufzeit von über 130 Minuten war der Film für einen Zeichentrickfilm zudem von einer epochalen Laufzeit. Bakshis Pläne waren ambitioniert, die Produktion größtenteils eine Katastrophe und heilloses Durcheinander, was besonders die Live-Action-Aufnahmen betraf, bei denen Bakshi ebenfalls wieder die Regie übernahm. Bakshis ultimative Pläne bestanden darin, die komplette Geschichte zu verfilmen. Dies war aber aus mehreren Gründen nicht möglich. Bakshis Adaption besteht aus "Die Gefährten" und "Die Zwei Türme". Besonders "Die Gefährten" wurde relativ nah an der Literaturvorlage adaptiert während die Adaption von "Die Zwei Türme" deutlich gehetzter wirkte. Es war ein Mammutprojekt und die Bescheinigung vieler Filmemacher, die Buchreihe von J.R.R. Tolkien als nicht verfilmbar zu betiteln, sollte auch Ralph Bakshi noch heimsuchen. So endet der Zeichentrick mit der Schlacht um Helms Klamm als Gandalf der Weiße auf dem Schlachtfeld erscheint und Mordors Truppen vertrieben werden. Abspann. Man könnte meinen, hier ende tatsächlich die komplette Geschichte. Für den Rest der Geschichte musste man dann auf die Literaturvorlage ausweichen. Nur 2 Jahre später folgte ein TV-Zeichentrickfilm von ABC, der die Geschichte des Hobbits und Die Rückkehr des Königs handhabte, konnte aber in Sachen Aufwand, Vollständigkeit und Animationskunst nicht mit dem mithalten, was Bakshi erstmals etabliert hat. Bakshis Werk blieb mehr oder weniger unvollendet, obwohl dies nicht seinen Wünschen entsprach. Doch dies soll den Aufwand nicht schmälern. Ralph Bakshi war einer der ersten, der sich mit einem größeren Budget an den Herrn der Ringe heranwagte. Über große Strecken hat Bakshi hier mit seinem Team eine mutige Adaption abgeliefert. Etwas, was man ihm bei seiner Vita an X-Rated Filmen, sicherlich auch nicht zugetraut hätte. Entstanden ist ein experimenteller Zeichentrickfilm, an den sich so viele Jahrzehnte später nicht mehr viele erinnern können, der aber noch einmal essentiell für eine gewisse Spielfilmtrilogie aus dem Jahr 2001 wichtig werden sollte.


Ralph Bakshis Adaption war eine Blaupause für Peter Jacksons Filme

Würde Peter Jacksons Spielfilmtrilogie zum Herrn der Ringe das sein, was sie heute ist wenn es nicht die Adaption von Ralph Bakshi geben würde? Ich bezweifle es. Peter Jackson outete sich im Zuge der Extras bei der Herr der Ringe Extended Edition als großer Fan von Bakshis Adaption. Jackson hätte die Szene um Odo Stolzfuß, eine Szene, die es so nicht im Buch gab, als Hommage 1:1 für seine Adaption umgesetzt. Doch ist es wirklich die einzige Szene, die Jackson aus Bakshis Film für seine eigene Adaption benutzt hat? Wohl eher nicht. Bakshis Film diente Peter Jackson viel mehr als eine riesige Blaupause für seine eigene Live-Action Adaption. Nicht nur hat Jackson zahlreiche Szenen aus dem Zeichentrickfilm übernommen (die Hobbits, die sich vor dem schwarzen Reiter unter einer Aushöhlung am Baum verstecken und die ebenfalls nicht im Buch vorkommt), er übernahm exakt auch all die Dinge, auf die Bakshi in seiner Adaption aus dem Jahr 1978 verzichtet hat wie der lange Prolog im Auenland und den damit verbunden Problemen chronologischer Abfolgen oder dem Auftritt des Elben Gildor Inglorion und Tom Bombadil, eine der wohl bekanntesten Figuren in Tolkiens Schaffen, die in beiden großen Adaptionen nicht vorkommt.

Stilistisch orientiert sich besonders Jacksons "Die Gefährten" stark an Bakshis Adaption. Egal, ob es sich hier um das Design einiger Protagonisten oder Kreaturen handelt oder chronologische Abfolgen - als Hauptvorlage für die Verfilmung dienten sicherlich nicht direkt Tolkiens Romane, sondern viel mehr Ralph Bakshis Verfilmung. Man kann es kaum leugnen. Denn jeder, der auch nur ein bisschen vom Herrn der Ringe mal gelesen hat wird wissen, welch gravierende Unterschiede es alleine auf den ersten 50 Seiten im Kontrast zu beiden bekannten Verfilmungen gibt. Bakshi nahm sich diese Freiheiten, Jackson hat diese übernommen. Bakshi - Jackson: Der große Vergleich (YouTube Video)

Natürlich verfeinerte Peter Jackson all das, worin es bei Ralph Bakshis Umsetzung noch haperte. Peter Jacksons Trilogie war ein gewaltiges Filmprojekt, selbst über 20 Jahre später hat sich daran kaum etwas geändert. Aber es war Ralph Bakshis Umsetzung, die hier als eine extrem wichtige Referenz diente und ohne die die heutige Trilogie, wie wir sie kennen und lieben, vermutlich ganz anders aussehen würde. Doch wie hätte sie wohl ausgesehen? Hätte sich Peter Jackson genauer an J.R.R. Tolkiens Vorlage gehalten? Oder hätte er sich vielleicht sogar noch weiter von ihr entfernt? Fragen, auf die wir natürlich keine Antworten mehr erhalten werden.


Ralph Bakshi: Ein Meister der Animationskunst


Meine ersten Erfahrung mit Ralph Bakshis Filmkunst war Fritz the Cat, erst danach sah ich seine Herr der Ringe Umsetzung. Ich war etliche Jahre zu Jung für den notgeilen Kater und es war der Hauch des verbotenen, bis um nach 23 Uhr wach zu bleiben und diesen Film im Fernsehen zu sehen. Von der Gesellschaftskritik und den politischen Hintergründen des Films habe ich natürlich noch rein gar nichts verstanden. Aber bereits damals übte der Film eine fast schon fiebertraumhafte Wirkung auf mich aus. Fritz war anders, als alle Zeichentrickfilme, die ich zuvor gesehen hatte. Sex, Gewalt und Drogen bestimmten den Film zwar, aber er war auch unglaublich witzig. Die Situationskomik im Film funktioniert auch heute noch richtig gut. Ohne zu wissen, wer Ralph Bakshi war und was er mit Fritz the Cat zu tun hatte, sah ich viele Jahre später dann, es war die Zeit, kurz bevor "Die Gefährten" im Kino veröffentlicht wurde, seine Herr der Ringe Adaption. Mein damaliger Vergleich von Zeichentrick zur Live-Action Verfilmung war also relativ frisch. Natürlich fegte mich Jacksons Verfilmung vom Kinosessel, daran hat sich auch nicht viel geändert, es bleibt einfach der deutlich bessere Film. Aber über die Jahre habe ich Ralph Bakshis Umsetzung umso mehr lieben gelernt. Aus einem Grund, weil sie teilweise so eigenwillig ist und wie ein LSD-Trip wirkt, aber auch aus dem Grund, weil Bakshi ein Meister seines Fachs ist. Sich an so ein massives Werk wie Tolkiens Epos zu wagen, war ein gewagtes Unterfangen. Rund 45 Jahre später weiß man nun mehr zu schätzen, was Bakshi damals geleistet hat.

Ralph Bakshi prägte den Zeichentrick als experimentelles Medium maßgeblich in den 70ern und auch noch den frühen 80ern. Über die vergangenen Jahre wurde sein umfassendes Werk langsam wiederentdeckt, auch wenn er sich längst aus der Filmindustrie zurückgezogen hat. Bakshi ebnete für viele amerikanische Animatoren den Weg, dass Zeichentrickfilme nicht ausschließlich zur Familienunterhaltung dienen. Zeichentrickfilme dürfen anders sein, dürfen Kunst sein. Ralph Bakshi nutzte in seiner aktiven Zeit als Filmemacher alles, was ihm zur Verfügung stand und hatte damit wohl mehr Erfolg, als er sich selbst jemals zu träumen gewagt hat.

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