Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 4. Juli 2023

Rezension: Boogiepop and Others (Kouhei Kadono)

 



Japan 1998

Boogiepop and Others
Alternativ: Boogiepop Doesn't Laugh
Originaltitel: Boogiepop wa Warawanai
Autor: Kouhei Kadono
Illustrationen: Kouji Ogata
Übersetzung: Andrew Cunningham
Verlag: Seven Seas
Format: Taschenbuch, E-Book
Genre: Mystery, Slice of Life, Science-Fiction, Psychologischer Horror



Light Novels ist ein Begriff, der in Japan heimisch ist und die Welt mittlerweile darüber hinaus erobert hat. In Wahrheit ist "Light Novel" praktisch nur ein anderer Begriff für "Young Adult", da sich die Geschichten häufig an jüngere Leser richten. Und dennoch wäre es zeitgleich auch falsch, Light Novels als "Young Adult" zu bezeichnen. Es ist halt mal wieder ganz japanisch. Bekannt und doch anders. Auch Light Novels setzen sich mit Themen auseinander, die bei Jugendlichen durchaus von Belang sind. Unsicherheiten, die erste große Liebe und das Erwachsenwerden. Was sich in den Light Novels aber vermischt sind klassische Elemente der japanischen Literatur, der japanischen Populärkultur sowie aber auch Manga/Anime. So sind die Romane stets mit Illustrationen untermalt, die in einem Band mal weniger, mal mehr vorkommen. Oftmals aber beschränken sich diese Illustrationen lediglich auf den Beginn des Buchs und gelegentlich wenn ein neues Kapitel startet oder es einen sehr wichtigen Schlüsselmoment zu sehen gibt, der den geschriebenen Worten auch ein Bild vermitteln soll.

In Japan sind Light Novels seit den 80ern beliebt. So gehörte Ryo Mizunos "Lodoss to Senki" (Record of Lodoss War) zu den frühsten Werken dieser Art. Mittlerweile, so viele Jahre später, befinden wir uns im Zeitalter von weltweiten Millionensellern wie Sword Art Online. Light Novels sind unlängst nicht mehr nur exklusiv für japanische Leser verfügbar, sie genießen internationalen Kultstatus und es gibt sogar komplette Verlage, die sich ausschließlich auf die Lizensierungen und Übersetzungen von Light Novels fokussieren. Und wer keine Lust auf lesen hat, der muss meistens nicht lange warten, bis es eine Manga- und/oder Anime-Adaption gibt.

Doch irgendwie muss dieser Trend ja auch mal so richtig ins Rollen gekommen sein. Wie ist aus einer Nische ein riesiger Markt geworden? Genau wie Neon Genesis Evangelion die heute bekannte Anime-Kultur mitgeprägt hat, so ist die Boogiepop-Reihe aus der Feder von Kouhei Kadono praktisch das Light Novel äquivalent zu NGE. Mittlerweile bringt es die Reihe auf über 22 Bände. Der literarische Output von Kouhei Kadono ist massiv, hat er sein eigenes Universum gesponnen in dem all seine Reihen spielen (auch Kadono-Verse genannt). All das ist für westliche Leser kaum relevant, haben es nur etwas mehr als eine handvoll Romane von Kadono zu uns geschafft. Genau genommen insgesamt 6 Bände aus seiner Boogiepop-Reihe sind in einer englischen Übersetzung erschienen, Band 1 bereits sogar schon 2006. Im Jahr 2019 legte Seven Seas die Lizenz neu auf, verpasste den Büchern einen Re-Run, ein neues Cover, neue Illustrationen, Omnibus-Editionen sowie E-Books. Doch genau wie schon bei Lodoss War bleibt die Reihe beim US-Verlag unvollständig und laut eigenen Aussagen sei auch nicht geplant, diese Reihen fortzusetzen.

Bei uns ist Boogiepop somit immer noch exotischerer Herkunft, aber als der erste Band in Japan erschienen ist traf Kadono einen Nerv. Und zwar einen Nerv bei der angepeilten Zielgruppe. "Boogiepop wa Warawanai" (übersetzt heißt das so viel wie "Boogiepop der niemals lacht") ist zu einer Zeit erschienen, als in Japan große Unruhen in den Schulen und Klassenzimmern herrschten. Der Autor hat selbst eine komplizierte Schulzeit hinter sich (daher sollte man unbedingt das kurze Nachwort des Bandes lesen und worauf ich gegen Ende der Rezension auch noch eingehen werde) und kennt die Sprache derer, die sich in einem schwierigen Alter befinden, sich nicht zugehörig fühlen, unglücklich verliebt sind, abgewiesen werden, gemobbt werden oder einfach schlicht und ergreifend keinen Bock auf Schule haben. Die Themen, die im Buch angesprochen werden, umfassen all das von mir erwähnte und noch viel mehr. Dabei geht Kadono aber nicht mit roher Gewalt/Splatter/Gore im Buch voran und auch auf explizite Sexszenen wird konsequent verzichtet. Man darf halt nicht vergessen, es handelt sich hier immer noch um einen Jugendroman. Doch geht Kadono viel weiter als so manch andere Autoren in der japanischen Jugendliteratur und was häufig besonders im Bereich Manga/Anime undenkbar wäre. Die Beziehungen unter den Teenagern im Buch werden relativ offen und detailliert beschrieben. Die Shinyo Academy, eine etwas elitäre Schule die diese Schüler besuchen, untersagt Liebesbeziehungen. Doch die verbotene Frucht schmeckt am besten. Die Schüler halten sich nicht wirklich an diese Regel. Themen wie Sex oder auch Drogen sind in Boogiepop and Others kein Tabuthema, Kouhei Kadono verschweigt sie nicht oder redet sich um den heißen Brei herum. Dies sind auch die expliziten Details, die in der neuen Anime-Adaption von 2019 keinerlei Beachtung finden und den Romanen vorbehalten sind.

Kommen wir nun aber zum Teil, der durchaus kompliziert ist: Worum geht es in Boogiepop eigentlich?
Besonders Band 1 der Romanreihe wurde nun schon relativ häufig adaptiert. Zum Beispiel als zweiteiliger Manga. Im Jahr 2000 erschien auch eine Live-Action-Adaption, die sich, so gut es halt bei der Laufzeit möglich ist, an die Vorlage hält. Ebenfalls erschien im Jahr 2000 eine 12 teilige Anime-Adaption von Madhouse, die sich jedoch viele Freiheiten nahm und den Stil der Romane praktisch komplett über Board geworfen hat und für einen recht einzigarten Stil ersetzt, der den Werken von David Lynch sehr nahe kommt. 2019 dann die aktuelle Anime-Adaption, erneut von Madhouse produziert und mit 18 Folgen den ersten Bänden der Romanvorlage sehr genau folgt und trotzdem noch immer sehr "anders" ist, besonders was chronologische Abläufe und Charakterentwicklung angeht.
Jede Adaption hat jedoch ihre Probleme, die Geschichte der Romane wirklich schlüssig widerzugeben. Dies dürfte allen voran in der Natur der Geschichte liegen, die gefühlt keinen wirklich roten Faden hat. Die Geschichte um den Shinigami Boogiepop, der immer wieder von der Schülerin Touka Miyashita Besitz ergreift, ist abenteuerlich. Im Grunde haben wir es hier mit einer Coming of Age Geschichte zu tun, die mit Elementen aus Mystery, Science-Fiction sowie Psychologischem-Horror angereichert ist. An der Shinyo Academy gibt es seltsame Vorkommnisse; es verschwinden am laufenden Band Schüler und dann ist da auch noch eine gefährliche Droge im Spiel, die unter den Schülern die Runde macht. Der eigentliche Protagonist selbst, Boogiepop, nimmt besonders im Debütroman eine ziemlich passive Rolle ein (im Anime hat er bedeutend mehr Auftritte). Fungiert er meistens nur als Beobachter und tritt erst am Ende so richtig in Erscheinung. Doch sein Ziel ist schnell klar: Er will sich um die wirren Geschehnisse kümmern und alles wieder ins Gleichgewicht bringen. Die eigentliche Handlung wird aber von mehreren POV-Charakteren vorangetrieben, die allesamt als klassischer Ich-Erzähler fungieren.

Auch wenn es am Anfang noch nicht so erscheint, so gibt es den roten Faden in der Geschichte jedoch und bereits Band 1 steuert am Ende auf einen spannenden Showdown zu. Doch viel beeindruckender an Boogiepop and Others ist jedoch, wie der Autor es schafft, die vielen Genres miteinander zu verknüpfen und daraus eine explosive Mischung zu kreieren. Der eigentliche Star der Geschichte ist nicht einmal der titelgebende Anti-Held sondern das Kollektiv. Und dieses Kollektiv sind die vielen Charaktere, die hier das Wort ergreifen und ihre Geschichte erzählen. Natürlich kann es durch die vielen Namen und verschiedenen Ereignisse durchaus mal verwirrend und unübersichtlich werden, aber beim lesen habe ich immer relativ schnell den Zugang zur Geschichte zurückgefunden.

Am Ende sollte man für ein kurzes Nachwort des Autors dranbleiben. So beschreibt er hier doch sein eigenes, recht schweres Verhältnis zur Schulzeit. Diese Worte waren für mich wie ein Spiegel aus meiner eigenen Schulzeit, in der ich mich so oft verloren, deplatziert und allein gefühlt habe, obwohl ich nahezu immer von wundervollen Menschen umgeben war. Doch der, der sich am meisten im Weg stand war am Ende vermutlich ich selbst. Der Autor hat immer wieder diesen Traum, zurück in der Schule zu sein. Im vollen Wissen, dass er seinen Abschluss seit Jahrzehnten hinter sich hat. Die Shinyo Academy hat er nach diesem immer wiederkehrenden Traum gestaltet.

So, even now, I don't really get the idea of going to school. I was twenty-eight when I wrote this nove, and over ten yyears have passed since I graduated. Even if I try to find the answer, I no longer have a school to go to, so the whole thing is permanently out of reach. It's all too late now. It's one of many, but this "what did I do in school?" question is a pretty big trauma for me. It's like my first love that I never asked out. Augh! I was a dirty little angst-ridden idiot without a single thought for love. I imagine the reason behind the dreams is my conviction that I would be much better at being a high school student now. - Kouhei Kadono


 Fazit

"Boogiepop and Others" ist ein herausragender Auftakt in eine fantastische Light Novel Reihe. Der Roman lebt von seinen traumartigen Szenarien und strickt eine mysteriöse Geschichte ohne Comedy-Elemente, die der Geschichte die Ernsthaftigkeit nehmen. Kouhei Kadonos Sprache ist klar, philosophisch angehaucht und seine Charaktere bekommen genug Freiraum, ihre Gefühle zu entfalten. Hier liegen die vielen verborgenen Stärken der Story und all das fügt sich mit diesen traumartigen, surrealen Szenen zusammen und ergibt eine starke Einheit. Es ist wirklich enorm schade, dass der Verlag die Reihe über Band 6 hinaus nie fortgesetzt hat. Man muss nehmen, was man kriegen kann. Jeder Roman ist mehr oder weniger in sich abgeschlossen. Aber es darf halt nicht verheimlicht werden, die Geschichte rund um Boogiepop ist nach den hier erhältlichen Bänden noch längst nicht am Ende angekommen.

Während die Printausgabe mittlerweile deutlich schwerer zu bekommen ist, ist auch hier das E-Book wieder als günstige Alternative verfügbar. Und wer weiß, vielleicht wird die Reihe bei einer neuen Adaption für Seven Seas nochmal interessant. Aber ich schiele nicht nur auf den US-Markt. Mit Dokico startet auch ein deutscher Verlag in Sachen Light Novels nun durch (auch wenn die Hoffnung da sicherlich mehr als gering ist, da der Verlag sich vorerst auf kürzere Reihen konzentriert und Boogiepop nicht wirklich in das Programm passt, was man aktuell anscheinend so verfolgt). Derzeit sieht es also so aus, als würde es keine neuen Bände der Boogiepop-Reihe in unseren Gefilden geben. Aber als Fans exotischer Serien sind wir doch unlängst daran gewöhnt mit dem zu arbeiten, was uns zur Verfügung gestellt wird!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen