Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 16. Dezember 2013

Evangelion Quickening: Der verschollene Evangelion Film?






Wie ich es bereits in der Rezension zu You Can (Not) Redo erwähnt habe, will ich mich diesem Thema mit einem komplett neuen Beitrag widmen. Denn hier wird es kompliziert. Es wird nicht nur kompliziert, sondern es ist vermutlich nicht einmal zu erklären. Das einzige, was den Fans bleibt, sind zahllose Gerüchte und Theorien über einen dritten Rebuild Film, der sich komplett von dem finalen Produkt unterscheidet, wie wir es nun kennen. Nennen wir diesen nicht verwirklichten Film einmal Evangelion Quickening. Ich weiß das Evangelion Q oder das japanische Kyu auch Heute noch in Japan für die aktuelle Version des Filmes verwendet wird, von dem Titel Quickenig jedoch diatnzierte man sich immer mehr. Ich werde den Film also, lediglich für diesen Artikel, Evangelion Quickening nennen.



Da ich vermutlich bereits mein halbes Leben ein exzentrischer, unsympathischer Film-Fanatiker bin, ist mir durchaus bewusst, dass ein Trailer nie das Endprodukt widerspiegelt. In Trailern zu Filmen, die sich noch in der Postproduktion befinden, findet man häufig Szenen, die letztendlich im Schneideraum noch aus dem Film geworfen werden. Man findet auch häufig mal Szenen, die noch nicht einwandfrei bearbeitet sind und im Kino dann wesentlich aufwendiger aussehen. Meistens werden solche Szenen in einem Directors Cut oder Extended Cut wieder in den Film eingefügt. Manchmal bleiben Szenen aus dem Trailer aber auch für immer verloren. Ein Fakt ist, zu Filmen wird unendlich viel Material produziert, manches davon wird sogar exklusiv nur für Teaser und Trailer verwendet.

Einen Trailer, oder eine Preview zu einem Film, wo es letztendlich keine Szene des gezeigten Materials in den Film schafft, so etwas kannte ich bisher noch nicht. Die Evangelion Previews sind seit der TV-Serie Kult und verraten dem Zuschauer mit hektischen Schnitten, was in der nächsten Episode passiert. Für die Rebuild Kinofilme hat man dieses Konzept übernommen. Die Filme sind aufgebaut wie eine Episode von Neon Genesis Evangelion. Somit gibts auch am Ende der Rebuild Filme immer eine Preview für den nächsten Film. Die Preview die man am Ende von You Are (Not) Alone findet machte die Zuschauer neugierig auf das, was in der Fortsetzung passieren wird, die sich erstmal von den Geschehnissen der TV-Serie abkoppelt. Nach dem fiesen Cliffhanger am Ende von You Can (Not) Advance war man auf die Preview zum kommenden Rebuild 3.0 natürlich sehr gespannt. Und diese anschließende Preview, die Evangelion Quickening bewirbt, versprach Großartiges. Anscheinend sollten die Ereignisse des Vorgängers nahtlos fortgeführt werden. Diesmal, so die Preview, wolle man sich der mysteriösen EVA Pilotin Mari ein wenig genauer annehmen. Kaji scheint, genau wie in der TV-Serie, erneut ein gefährliches Doppelagent Spiel zu spielen.

Natürlich machte das lust auf mehr, und umso ärgerlicher war es, dass man nun über 3 Jahre auf Evangelion Quickening, der letztendlich zu You Can (Not) Redo umbenannt wurde, warten musste. Und You Can (Not) Redo scheint wohl auch ganz gut die Entwicklung die zu zeigen, die dieser Film letztendlich genommen hat. Denn keine der gezeigten Szenen aus der Preview hat es letztendlich in den nun vollständigen Film geschafft. Die gezeigten Szenen aus Evangelion Quickening werden nun ausgiebig debattiert, und bleiben dennoch ein einziges Rätsel. Was war der Grund für die Änderungen? Hat Hideaki Anno sich im letzten Moment dazu entschieden, einen bereits fertiggestellten Film einzustampfen, weil ihm die Geschichte nicht gefallen hat? Oder wollte er mit einer Fake-Preview die Zuschauer auf eine falsche Fährte locken? Im Internet machen folgende Gerüchte die Runde, die ich mal kurz zusammenfassen will:

- Die gezeigten Szenen aus der Preview spielen alle vor dem 14 Jahre Timeskip, den wir nun aus Evangelion: 3.33 You Can (Not) Redo kennen. Aus unbekannten Gründen wurden die Szenen jedoch aus dem fertigen Film entfernt.

- Der Timeskip ersetzte die ursprünglich geplante Story zu Evangelion Quickening. Es wurde ein komplett neues Drehbuch und Szenario geschrieben, was auch dafür gesorgt haben könnte, dass der Film mit einer erheblichen Verspätung in die japanischen Kinos kam.

- Die Preview soll bereits als Brücke zu den Ereignissen in Evangelion 3.33: You Can (Not) Redo dienen (Anmerkung des Verfassers: Was völliger Blödsinn wäre).

- Seit längerem kursieren Gerüchte, Studio Khara hätte mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Das Rebuild-Projekt ist zu kostspielig, so das auch die Laufzeit der kommenden Filme getrimmt werden muss, um Kosten einzusparen.

- Die Szenen aus der Preview stammen aus einem bereits kompletten fertiggestellten Film, mit dessen Story Hideaki Anno jedoch unzufrieden war.

- Die Rückblende-Szenen wurden aus Evangelion 3.33: You Can (Not) Redo entfernt um den Zuschauer zusätzlich zu verwirren, und werden in Evangelion 4.0: Final wieder eingefügt oder als zusätzliche OVA veröffentlicht, um eine weitere Verzögerung von Evangelion 4.0: Final erträglicher zu gestalten.

Die meisten dieser Theorien (größtenteils zu finden auf Evageeks oder 4Chan) machen einen recht plausiblen Eindruck. Man kann sich recht sicher sein, dass all die Szenen aus Evangelion Quickening vor dem Timeskip spielen. Die Ereignisse, die dazu führen, warum sich alle Leute von WILLE, darunter auch Shinjis Freunde, wie die letzten Arschlöcher benehmen. Eine neue Theorie macht auch die Runde, dass You Can (Not) Redo auf einer komplett anderen Timeline spielt. Soll heißen, Evangelion 3.33 ist nicht die Fortsetzung zu Evangelion 2.22. In der Welt von Evangelion 2.22 soll Kaworu Nagisa den Third Impact verhindert haben. In Evangelion 3.33 jedoch wurde der Third Impact ja eindeutig nicht verhindert. So soll also jener Kaworu Nagisa anscheinend ein Zeitreisender sein, der seine Lehren aus der missratenen Zukunft aus Evangelion 3.33 gezogen hat, und mit allen Mitteln die Welt vor dem Third Impact bewahren will. Und genau das tut er in Evangelion 2.22. Und dies mit den Worten: "Diesmal will ich wenigstens dich glücklich machen, Shinji Ikari Kun". Man möge es mir verzeihen falls dies nicht der exakte Dialog aus dem Film ist. Nun, betrachtet man seine Worte mal genauer, in Evangelion 3.33 hat Kaworu Shinji alles andere als glücklich gemacht. Es ist eher alles komplett aus dem Ruder gelaufen. So absurd die Theorie über eine alternative Timeline und Zeitreisen auch klingen mag, so würde sie zumindest Evangelion 3.33 besser erklären, ein Film, der in einer alptraumhaft dystopischen Zukunft spielt.

All das erklärt natürlich immer noch nicht, wieso man die mysteriöse Preview zu Evangelion Quickening in Evangelion 2.22 mit eingebaut hat. Hideaki Anno ist zu schlau dafür, sich so viele Ungereimtheiten wie in 3.33 zu leisten.

Ich will noch einmal auf Mari zurückkommen. Wie bereits in der Rezension von mir erklärt, ist sie in Evangelion 3.33 zu einem unbedeutenden Nebencharakter verkommen. Wir erfahren weder Hintergründe, noch etwas von ihren Absichten. Ihren wahren Charakter versteckt sie immer noch unter kindlichem Getue. Unmöglich das die Konzipierung des Charakters, der so dermaßen verheizt wurde, geplant war. In der Preview ist in eine der hektischen Einblendungen folgendes zu lesen: Keept Out: Private Conference Between Makinari Mari Illustrious & $#&$#
Do Not Enter.
Ein Name wurde für diese Einblendung zensiert. In der Preview ist eine verärgerte Mari zu sehen, die sich anscheinend vor irgendwem (mit aller Voraussicht nach Ritsuko Akagi) entkleiden muss. Eine logische Schlussfolgerung, sollte NERV sie nach den Ereignissen aus Evangelion 2.22 gefangen genommen haben. Ein nicht unbedeutender Teil des Filmes wird sich vermutlich mit Mari befasst haben. Mit wem Mari nun dieses private Gespräch geführt haben soll wird wohl weiterhin ein Geheimnis bleiben, sollte der kommende Film diese Ereignisse nicht mehr aufgreifen.

Als nächstes möchte ich auf Kaji eingehen, dem James Bond der Evangelion Saga. Es wurde nie geklärt, wer Kaji in der TV-Serie erschossen hat (nein, es war nicht Misato). Kaji schien diese Person jedoch zu kennen. In Evangelion 2.22 spielt Kaji, der als Doppelagent zwischen NERV und SEELE agiert, und vermutlich sogar noch ein Spion der japanischen Regierung ist, erneut eine recht geheimnisvolle Rolle. Die sollte in Evangelion Quickening wohl weiter ausgebaut werden. In der Preview sehen wir Kaji bewaffnet, und diesmal scheint er, im Gegensatz zur TV-Serie, nicht zu wissen mit wem er es zu tun hat. Dies verrät zumindest sein erschrockener Gesichtsausdruck. Von Kaji selbst fehlt in Evangelion 3.33 jegliche Spur. Er wird nur ein einziges mal erwähnt. Man kann also sehr wohl davon ausgehen, dass Kaji längst tot ist. Könnte Kaji somit ebenfalls einer der Gründe für Misatos abweisende und strenge Haltung gegenüber Shinji sein? Auch zu diesem Thema bekommen wir keinerlei Infos geliefert.

Schaut man sich auch mal die Untertitel zur Preview von Evangelion Quickening an, so wird schnell klar, dass auch die Geschichte des Filmes absolut nichts mit den seltsamen Geschehnissen in Evangelion 3.33 zu tun hat. Egal wie man es auch dreht und wendet, wir haben es hier mit einem völlig anderen Film zu tun. In welche Richtung Evangelion Quickening nun gegangen wäre bleibt weiterhin fraglich. Aber es macht eindeutig den Anschein, als wäre Evangelion Quickeing das fehlende Puzzlestück zu Evangelion 3.33: You Can (Not) Redo. Nur Anno und sein Team selbst wissen, warum dieses Puzzlestück entfernt wurde. Vielleicht ja auch genau aus diesen Gründen, dass wir nun darüber diskutieren können. Ebenfalls ist auch interessant, in Japan wurden damals Evangelion 3.0: Q und Evangelion 4.0: Final als Double Feature für die Kinos angekündigt. Das Studio Khara mit ihrem Zeitplan nicht hinterherkommen haben sie ja schon glanzvoll bewiesen, doch irgendwas muss während der Produktion passiert sein, dass man das Double Feature gestrichen hat, und mit reichlich Verspätung Evangelion 3.0 allein in die Kinos brachte.

Ob das verschollene Material als OVA nachgereicht wird, im Vierten und letzten Film wieder eingefügt wird, oder auf immer verschollen bleibt, wird sich also erst einmal noch zeigen müssen. So lange darf weiter diskutiert werden.

Rezension: Evangelion 3.33 - You Can (Not) Redo



Japan 2012

Originaltitel: Evangerion Shin Gekijōban: Kyū
Konzept: Hideaki Anno (Story), Yoshiyuki Sadamoto (Designs)
Regie: Hideaki Anno (leitender Regisseur), Kazuya Tsurumaki, Masayuki, Mahiro Maeda
Sprecher: Megumi Ogata, Megumi Hayashibara, Yuko Miyamura, Maaya Sakamoto, Akira Ishida
Lauflänge: 95 Minuten (mit Abspann)
Genre: Anime, Science-Fiction, Mystery, Endzeit-Drama
Deutscher Verleih: Universum
FSK: 16



Trailer






Diese Rezension könnte durchaus Spoiler enthalten!

Für viele Fans des Evangelion-Kanon dürfte der 13. Dezember 2013 ein vorgezogenes Weihnachten gewesen sein. Warum? Na da hat es Universum endlich geschafft nach einer weiteren Verzögerung den neuen Evangelion Film You Can (Not) Redo auf BluRay und DVD zu veröffentlichen. Und diese Fans, die sind ja praktisch zu einer Familie zusammengewachsen. Seit 1995 bestehen diese Bände. Zur Zeit seiner Veröffentlichung prägte Neon Genesis Evangelion die Moderne japanische Popkultur von neuem. Und dieser Kult sollte den Fernen Osten schon bald verlassen, und zu einem weltweiten Megahit werden. Schöpfer Hideaki Anno, der in der 26 teiligen TV-Serie viele persönliche Erlebnisse mit eingebunden hat, konnte sich von seinem Lebenswerk nie so ganz trennen. Und als 1997 dann The End Of Evangelion in die Kinos kam, und somit die letzten beiden Episoden der Serie ersetzte, konnten viele nicht glauben, dass es sich hier tatsächlich um das Ende von Evangelion handelte. Zu viele Fragen blieben unbeantwortet, so viele Geschehnisse wurden nicht aufgelöst.
Es sollte bis Ende 2007 dauern, bis Hideaki Anno sich noch einmal seinem Lebenswerk widmen sollte. Und wie es bei vielen großen Visionären so ist, stehen einem Filmemacher im Jahr 2007 einige technische Hilfsmittel zur Verfügung, die man in den Neunzigern nicht hatte. Mit Rebuild of Evangelion erschuf Anno etwas, was es im Anime Genre noch nicht gab. Denn seine Fans rätseln auch nach der Veröffentlichung des dritten Rebuild Kinofilms noch über folgendes: Ist die Rebuild-Reihe nun ein Remake, ein Reboot oder sogar eine Fortsetzung von The End of Evangelion? Diese Frage wird sich wohl erst mit der Veröffentlichung des Vierten und letzten Films klären.



War der erste Rebuild Film (You Are (Not) Alone) noch eine optisch aufpolierte Spielfilm-Version des ersten Episoden der TV-Serie, führte die geniale Fortsetzung (You Can (Not) Advance) die Geschichte komplett eigenständig fort. Auch spendierte uns Character Designer Yoshiyuki Sadamoto einen völlig neuen Charakter. Eine neue Pilotin. Mari. Mysteriös wurde sie in die Geschehnisse eingeführt, spielte aber dennoch lediglich eine kleine Rolle, die aber eindeutig lust auf mehr machte.
Dies sollte sich jedoch in der Fortsetzung ändern, so viel verriet bereits die Preview zum dritten Film, die man sich nach dem Abspann von Evangelion 2.22 ansehen konnte. Die Preview machte jedoch nicht nur lust auf mehr von Mari, sondern auf die komplette, geheimnisvolle Geschichte des kommenden dritten Films. Doch der geneigte Evangelion-Fan sollte bitter enttäuscht werden. Statt das es mit den Szenen aus der Preview von Evangelion 3.0 weitergeht, bietet die finale Fassung des neuen Evangelion 3.33 (bei der Heimkino Version wird die Zahl immer noch einmal angehoben) ein komplett anderes Szenario. Letztendlich hat es keine der Szenen aus der Preview in den Film geschafft. Dazu mehr in einem kommenden Artikel.

Evangelion: 3.33 - You Can (Not) Redo dürfte als der wohl kontroverseste Evangelion Ableger in die Geschichte der Saga eingehen. Von völlig erbosten, bis hin zu völlig verdutzten Fans, die Mehrheit ist sich einig: Was ging bei diesem Film schief? Würde man dem Film wirklich böses wollen, so könnte man sagen, er zerstört alles, was man sich so mühsam im Vorgänger aufgebaut hat. Grund für diese erbosten Fans ist ein sogenannter Timeskip von 14 Jahren, auf den im Film kaum eingegangen wird. Nicht einmal der größte Evangelion Theoretiker wird damit gerechnet haben. Der Zuschauer nimmt praktisch selbst als Darsteller im Film, in der Gestalt von Shinji Ikari, teil. Genau wie Shinji fragt der Zuschauer sich, ob er sich, im wahrsten Sinne des Wortes, im falschen Film befindet. Fragen gibt es viele, doch genau wie Shinji selbst erhält man keine Antworten.



Die Frage ist nun, wieso tut Anno seinen Fans das an? Praktisch alles, die gesamte Evangelion Formel/Atmosphäre, wurde hier über Board geworfen. Der Evangelion typische Humor, und all die kleinen Spielereien aus dem Vorgänger wurden komplett gestrichen. Stattdessen bekommt man es mit einem ziemlich harten, anscheinend alternativen Universum zu tun. Die charmanten Charaktere, die man in den vergangenen Fünfzehn Jahren lieb gewonnen hat (wir lachten und weinten gemeinsam mit ihnen) kommen einem fremd, kühl und abweisend vor. Automatisch wird man sich fragen, in welchen Horror ist Shinji nun wieder geraten? Doch Shinjis neuster Horrortrip soll noch ganz andere Ausmaße annehmen.

Die Idee hinter dem Timeskip, die düstere Atmosphäre und die neuen Designs der Charaktere sind Aspekte, die ich sogar ziemlich cool finde. Aber dann sind da auch Aspekte, die darf man keineswegs einfach so hinnehmen. Denn einen wirklich kompletten Eindruck macht der Film nicht. Ein Grund dafür dürfte die enttäuschende Lauflänge von gerade einmal 90 Minuten Spielzeit sein. Da habe ich bereits knapp 5 Minuten für den Abspann abgezogen. Bei rund 108 Minuten (ohne Abspann) hatte der Vorgänger wesentlich mehr Zeit, um sich mit den Charakteren beschäftigen zu können. Man muss auch die Einführung in Evangelion 3.33 eher kritisch betrachten. Rund 20 Minuten verschwendet man an einer prunkvoll in Szene gesetzten Kampfszene. Und genau in diesen 20 Minuten wird der Boden wackelig durch die vielen Plot Holes, die dadurch entstanden sind. Dies könnte gleichzeitig eine Retourkutsche der Macher sein, da sich viele Zuschauer beim letzten Film über zu ausufernde Teenager-Romanzen beschwerten. Dies darf aber keine Entschuldigung dafür sein, was man in You Can (Not) Redo geboten bekommt. Ich will die Entwicklungen der Charaktere kurz und knackig mal zusammenfassen:

- Shinji ist verdutzt über seine Lage, zerfließt in Selbstmitleid und das ausnahmsweise mal berechtigt
- Asuka ist durchgeknallter und herablassender denn je
- Mari entwickelte sich von einem interessanten Nebencharakter zu einem völlig belanglosen Nebencharakter ohne Hintergrundgeschichte
- Ayanami ist nur noch eine seelenlose Puppe
- Ritsuko agiert ungefähr so wie immer
- Misato hingegen machte die negativste Entwicklung aller Charaktere. Sie agiert arrogant und streng. Feuerte sie Shinji für seine letzten Taten im Finale des Vorgängers noch an, verachtet sie ihn nun genau dafür und würdigt ihm keines Blickes, oder hält es für angebracht, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.

Daraus würden sich dann aber weitere Fragen ergeben, ich würde abdriften und all das gehört nicht in diese Rezension. Worauf ich hinaus will- die Charaktere agieren völlig übertrieben, sind nicht besonders ausgearbeitet und verspielen sich so ziemlich jeden Kredit, den sie sich mühsam in all den Jahren erarbeitet haben.

Während die Plot Holes und die etwas unausgereiften Charaktere ein Fakt sind, so punktet der Film aber alleine schon in der Hinsicht was den Mut angeht, das Evangelion-Konzept so drastisch zu verändern. Praktisch alle Elemente in Evangelion 3.33 wurden exklusiv für diesen Film entworfen. Seine größten Momente feiert der Film in den Szenen zwischen Shinji und dem immer noch sehr geheimnisvollen Evangelion Pilot Kaworu Nagisa. Und genau darauf, so kommt es mir auch vor, ist der Film ausgelegt. Kaworu kam in den meisten Evangelion Interpretationen, sei es die TV-Serie oder der Manga, grundsätzlich zu kurz. Das Verhältnis zwischen Shinji und Kaworu, ihre Freundschaft zueinander, wird in Evangelion 3.33 noch wesentlich verständlicher.


Auch wenn es Kritik im Bezug auf Ungereimtheiten in der Geschichte gibt, so liefert Studio Khara jedoch Perfektion in Sachen Animationen hin. Der Film glänzt auf BluRay wie ein scharfes Messer, was nicht nur poliert, sondern auch gerade geschliffen wurde. Obwohl CGI Elemente sich in Evangelion mittlerweile etabliert haben, bleibt Evangelion 3.33 sich treu was die aufwendigen Zeichnungen angeht. Die Animationen sind extrem flüssig und farbenfroh, Standbilder werden nur noch als Stilmittel eingesetzt. You Can (Not) Redo gehört mit zu den optisch imposantesten Titeln, den die Anime-Branche in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat.

Infos zur deutschen Fassung: Wie gewohnt liegt dem Film eine hochwertige deutsche Synchronisation bei. Die Sprecher achten auf die japanische Aussprache der Namen (das machen sie mittlerweile sogar recht anständig im Gegensatz zu den beiden Vorgängern). Nicht das komplette Ensemble konnte jedoch seit der TV-Serie bestehen bleiben. So wurde nun (aus mir nicht bekannten Gründen) Kaworu Nagisas Sprecher Robin Kahnmeyer durch Dirk Petrick ersetzt. Im Gegensatz zu dem Verlust von Julia Ziffer (Misato) und dem leider 2009 verstorbenen Hans-Werner Bussinger (Fuyutsuki) fällt diese Änderung hier weniger ins Gewicht.
Präsentiert werden die Inhalte mit dem mageren Bonusmaterial (die enttäuschende Preview auf den vierten und letzten Film ist mittlerweile nur noch unter dem Bonusmaterial zu finden) lediglich auf einer Single Sided BluRay Disc. Ob es Abstriche in Sachen Qualität dadurch gibt, weiß ich nicht, da ich keine andere Veröffentlichung zum Vergleich habe (dies wäre aber Nörgeln auf extrem hohen Niveau). Die DVD kommt wie zuvor in einem Steelbook daher, während die BluRay in einem Pappschuber ausgeliefert wird. Den Erstauflagen beider Editionen liegt außerdem noch ein Booklet bei.
Technisch, sowohl Bild und Ton, befindet sich die von mir gesehene BluRay von Universum auf einem sehr hochwertigem Niveau. Die deutsche Tonspur überzeugte mich bei meiner Sichtung am meisten.


Resümee

Eine Rezension zu You Can (Not) Redo zu verfassen ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Man könnte ewig so weiterschreiben und würde vermutlich zu keinem Fazit kommen. Der Film macht es einem aber auch wahrlich nicht leicht. Größtenteils macht Evangelion 3.33 aber dennoch mehr richtig als falsch. So bietet der Film genügend Stoff, um mindestens bis zur Veröffentlichung des Finales weiter zu diskutieren und zu theorisieren. 
Evangelion 3.33 ist Fortschritt und Rückschritt (im Bezug auf den gelungenen Vorgänger) zugleich. Anno hat viel gewagt, vieles richtig gemacht, sich aber auch etliche male verzockt. Plot Holes und wenig ausbalancierte Charaktere werden Anno wohl ein paar Drohbriefe erboster Fans mehr bescheren. Aber die kennt er ja mittlerweile nur zu gut und wird damit umzugehen wissen. Auch ist der Film kurzweilig genug, um ihn sich noch sehr viele weitere male ansehen zu können. Und ich garantiere, egal wie oft man ihn sich anschauen wird, immer wieder wird man etwas neues entdecken.

Kombiniert mit Animationen der Güteklasse Perfektion und einem wie immer mitreißendem Soundtrack wird man You Can (Not) Redo irgendwann von selbst zu schätzen wissen. Eine Wertung verkneife ich mir, denn noch kann man den Status, den dieser Film einmal haben wird, nicht genau einschätzen. Das volle Potential von Evangelion 3.33 wird sich erst entfalten, wenn die Saga abgeschlossen ist oder dem Film irgendwann Material angehängt wird, um welches er höchstwahrscheinlich beraubt wurde. So hat man momentan ein etwas seltsames und wackeliges, aber dennoch recht interessantes Konstrukt, welches wie immer mehr Fragen im Evangelion-Universum aufwirbelt, als es beantwortet. Nur eines dürfte bereits relativ sicher sein- dieser fürchterliche Albtraum wird im nächsten Film ein Ende finden. 

Oder auch nicht.


Dienstag, 12. November 2013

Am Meer ist es wärmer jetzt auf Bloglovin


Ich halte von aktuellen Trends nicht wirklich viel, Bloglovin scheint jedoch recht praktisch zu sein. Blogspot selbst ist nicht wirklich eine ideale Plattform dafür, interessante Blogs zu finden, da alles sehr unübersichtlich aufgebaut ist, und keine wirkliche Verknüpfung untereinander stattfindet (ich diese Möglichkeit auch fast nie genutzt habe, über Blogspot andere Blogs zu finden).

Die einfache Verknüpfung mit Bloglovin funktioniert nach dem Prinzip von Twitter und könnte sich noch als durchaus praktisch erweisen. Wer dort angemeldet ist muss nur auf das Widget, welches sich über dem Twitter-Vögelchen befindet, klicken, und schon kann er Am Meer ist es wärmer hinzufügen. Fortan wird man über sämtliche neue Beiträge des hinzugefügten Blogs ohne penetrante Werbung des Eigentümers über sein Bloglovin Profil informiert.

Murakami in Shorts: Die unheimliche Bilbiothek und Samsa in Love (Rezensionen)

Wer tatsächlich nun erwartet hat, Japans Bestsellerautor in diesem Beitrag in Shorts vorzufinden, war entweder zu gutgläubig oder hat etwas zu hart in den Karneval reingefeiert. Oder aber hat noch nie eine seiner Kurzgeschichten gelesen! Das wäre aber eine Sünde, denn "Kurz" kann Murakami eigentlich genau so gut wie "Lang". Haruki Murakamis Anthologien von Kurzgeschichten und phantastischen Erzählungen sind Kult und stehen teilweise seinen großen Romane wie aktuell 1Q84 in nichts nach. Einfach, weil er die Fähigkeit besitzt, etwas, wofür er 1500 Seiten braucht, auch in 50 ausdrücken kann.

Am 10. Januar 2014 erscheint Haruki Murakamis neuer Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki auf Deutsch beim DuMont Verlag. Mit den Rezensionen zu den beiden Kurzgeschichten Die unheimliche Bilbiothek und der brandneuen Veröffentlichung Samsa in Love kann man sich schon einmal auf den neuen Roman einstimmen. Viel Spaß beim lesen (natürlich beim lesen der Kurzgeschichten)!


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Die Murakami Rezensionen 6

Japan 2005

Die unheimliche Bibliothek
Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Fushigi Na Toshokan
Erscheinungsjahr: 2005 (Kodansha, Japan), 2013 in deutscher Übersetzung bei DuMont
Illustrationen: Maki Sasaki (japanische Ausgabe), Kat Menschik (deutsche Ausgabe)
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Grusel, Magic Realism



"Der Schafsmann hat seine Schafsmannwelt. Ich habe meine Welt. Und du hast deine. Nicht wahr?
>>Da magst du recht haben.<<
Man kann also sagen, dass ich in der Schafsmannwelt nicht existiere, was aber nicht heißen muss, dass ich überhaupt nicht existiere.
>>Das heißt<<, sagte ich, >>dass die verschiedenen Welten sich hier treffen. Deine Welt, meine Welt und die vom Schafsmann. Es gibt Orte, an denen sie sich überschneiden. So ist es doch, oder?<<
Das Mädchen nickte zweimal kurz."


Haruki Murakami und Kat Menschick funktioniert. Bereits zwei ausgewählte Kurzgeschichten (Schlaf und die Bäckereiüberfälle) brachte der DuMont Verlag als schicke Hardcover-Sammelbände in die Buchhandlungen, die allesamt bezaubernde wie surreale Zeichnungen der Berliner Illustratorin Kat Menschick zu Murakamis genau so bezaubernden und surrealen Geschichten beinhalteten. Beide Ausgaben wurden meines Wissens sogar bereits in Japan veröffentlicht.
Sowohl Schlaf als auch die Bäckereiüberfälle erschienen jedoch schon in deutscher Übersetzung in der Anthologie Der Elefant verschwindet. Mit der unheimlichen Bibliothek zauberte man aber nun eine im Westen noch recht unbekannte Kurzgeschichte Murakamis aus dem Hut, zu der Kat Menschicks Zeichnungen besser als je zuvor passen dürften.

Protagonist der kleinen Gruselgeschichte ist ein namenloser Jugendlicher. Nichtsahnend mit seiner beinahe noch kindlichen Unschuld, betritt der Junge die Stadtbibliothek um sich nach Bücher über "Steuereintreibung im Osmanischen Reich" zu erkundigen. Die knurrige Angestellte weist den Jungen in den Keller der Bibliothek, wo man ihm Antwort auf seine Frage geben würde. Da der Junge Stammgast in der Bibliothek ist, kam es ihm seltsam vor, dass es anscheinend noch ein Untergeschoss geben soll. Ungläubig steigt er die Treppen hinab und findet eine Tür vor, die in einen kleinen Raum führt. Beherbergt wird dieser Raum von einem schaurigen Bibliothekar, der genau die Bücher auf Lager zu haben scheint, die der Junge sucht. Schüchtern und verängstigt lässt der Junge sich darauf ein, die Bücher im Keller der Bibliothek zu lesen. Was der Junge noch nicht weiß, er darf den Keller nicht eher verlassen, bis er alle drei Bücher auswendig gelernt hat, und sie dem alten Bibliothekar anschließend vorträgt. Der Alte hat den Teenager reingelegt. Aus der unheimlichen Bibliothek scheint es kein Entkommen zu geben.

Als ein wenig kafkaesk, kann man diese Kurzgeschichte bezeichnen. Inklusive dem namenlosen Protagonist, sind alle Charaktere dieser Geschichte skurril. Ein Wiedersehen gibt es obendrein mit dem Schafsmann. Der wird, wie es scheint, von dem Alten als Sklave (eher als Prügelknabe) gehalten. Tief unten in der Bibliothek, backt dieser für alle neuen Insassen frische Donuts. Wer also schon immer mal von einem kleinen gedrungenen Mann in einem Schafkostüm bedient werden wollte, der wird in Murakamis Bibliothek wohl genau richtig sein. Ob die Geschichte aber tatsächlich zum Schafsmann-Kanon gehört (Wilde Schafsjagd, Tanz mit dem Schafsmann), wird bei der unheimlichen Bibliothek nicht ganz klar.

Der typische Murakami-Stil fehlt in dieser Geschichte natürlich nicht. Es gibt herrlich schräge, kryptische Dialoge und sogar einen Ausflug ins Osmanische Reich. Murakami ist ein begnadeter Erzähler und auch wenn die Kurzgeschichte nicht viel Spielraum für eine komplexe Story bietet, so schöpft der Japaner wieder all sein Potential aus, alles so surreal und geheimnisvoll wie möglich zu gestalten. Leider ist es mir aufgrund der eben nicht komplexen Story möglich, näher auf die einzelnen Details, wie die schrägen Charaktere zum Beispiel, einzugehen. All das würde den Spaß daran nehmen, die Kurzgeschichte selbst zu lesen.

Worauf ich aber sehr wohl eingehen kann, und auch hier möchte ich nichts vorab posten, sind die Zeichnungen von Kat Menschik. Die teilweise sehr bizarren Illustrationen passen einfach perfekt zu der Geschichte. Jedes einzelne Bild ist ein kleines Kunstwerk. Die Illustratorin saugt die Geschichte förmlich in ihre Zeichnungen ein. Das hat mir sehr gut gefallen. Sollte man das Buch ungelesen noch im Regal stehen haben, so sollte man das durchblättern jedoch lassen, denn sonst ruiniert man sich die Überraschungen. Übrigens, im krassen Kontrast dazu stehen die Illustrationen der japanischen Ausgabe von Maki Sasaki. In der japanischen Ausgabe sieht alles ein wenig freundlicher, humoristischer aus. Man kann also davon ausgehen, Murakamis Intention war es, die Geschichte weniger ernst erscheinen zu lassen. Einen genaueren Vergleich findet ihr dazu in diesem Link auf Japanliteratur. Somit kann die deutsche Ausgabe durchaus als gruselige Neuinterpretation angesehen werden. Finde ich äußerst gelungen.

Wie immer muss ich auch die Übersetzung von Ursula Gräfe loben. Wie in den bereits veröffentlichten Übersetzungen importiert sie Murakamis Stil butterweich in in die deutsche Sprache. Man kann sich schon jetzt auf ihre Übersetzung zu Murakamis neuen Roman im Januar freuen.


Resümee

Die unheimliche Bibliothek ist eine stimmungsvolle, surreal geschriebene Kurzgeschichte. Der Ausflug in dieses düstere Labyrinth war gruselig und zeitgleich amüsant. Schräge Charaktere, wundervolle Dialoge und brillante Illustrationen machen das Buch unverzichtbar für Murakami-Leser. Neulinge werden sich vermutlich mit dieser Kurzgeschichte recht schwer tun. Was aber nicht heißt, dass diese Kurzgeschichte nicht auch als Einstieg ins Murakami Universum dienen kann.


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Japan 2013

Samsa in Love
Autor: Haruki Murakami
Erscheinungsjahr: 28 Oktober 2013 bei The New Yorker (kostenlos lesen)
Übersetzung: Ted Goosen
Genre: Mystery


Samsa looked down again at the bulge. “I don’t know how to explain it, but that has nothing to do with my feelings. It must be some kind of heart problem.”

“No kidding,” she said, impressed. “A heart problem, you say. That’s an interesting way to look at it. Never heard that one before.”

“You see, it’s out of my control.”

“And it has nothing to do with fucking?”

“Fucking isn’t on my mind. Really.”

“So let me get this straight. When your thing grows big and hard like that, it’s not your mind but your heart that’s causing it?”

Samsa nodded in assent.

“Swear to God?” the woman said.

“God,” Samsa echoed. Another word he couldn’t remember having heard before. He fell silent.

The woman gave a weary shake of her head. She twisted and turned again to adjust her brassiere. “Forget it. It seems God left Prague a few days ago. Let’s forget about him.”


The New Yorker gehört wohl zu den angesehensten Kulturmagazinen der Metropole. Ob Stephen King, Nobelpreisträgerin Alice Munro oder auch Haruki Murakami. Zahlreiche Kurzgeschichten der bekanntesten Autoren wurden in dem englischsprachigen Magazin bereits veröffentlicht. Dank des Internets sind viele davon völlig kostenlos auf der offiziellen Website nachlesbar. So sieht es auch mit Haruki Murakamis neuster Kurzgeschichte, Samsa in Love aus. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte seinen eReader oder Tablet in die Mangel nehmen, um für das bestmögliche Lesevergnügen zu sorgen.

Wer sich über den Titel wundert, und meint, dieser komme ihm bekannt vor, liegt er nicht ganz falsch. Denn Samsa in Love ist eine Neuinterpretation von eine der wohl Seinerzeit gruseligsten, seltsamsten und meist gelesenen Geschichten. Die Rede ist von Franz Kafkas "Die Verwandlung". Bis auf einen ähnlichen Prolog samt Protagonist und die Thematik haben die Geschichten aber nicht viel miteinander zu tun. Die Geschichte mag zwar Kafkaesk sein, aber Murakamis unvergleichlicher Stil ist es, der diese Kurzgeschichte prägt. Und gleichzeitig ist diese Kurzgeschichte wohl schriftstellerisch das beste, was Murakami seit Kafka am Strand veröffentlicht hat.




Ein junger Mann wacht in einem ihm unbekannten Raum auf. Er kann seine Räumlichkeiten nicht zuordnen und alles um ihn herum macht einen befremdlichen Eindruck. Seltsamerweise weiß er nur eines, oder etwas, woran er sich erinnern kann. Gregor Samsa. Ein Name. Sein Name? Er ist sich beinahe sicher, dies ist sein Name. Samsa mustert das Zimmer. Das einzige Fenster wurde mit Brettern zugenagelt. Wieso sollte jemand wollen, dass er nicht sieht, was draußen vor sich geht? Als Samsa versucht, sich allmählich aufzurichten, bemerkt er jedoch, etwas ist nicht so, wie es sein sollte. Sein Körper fühlt sich verkrüppelt an. Etwas scheint da nicht richtig angeordnet zu sein. Er betrachtet seinen Körper, bemerkt, er ist komplett nackt. Jedoch scheinen all seine Körperteile verformt und zerbrechlich. Er ist so blass, man kann jede einzelne Vene sehen, die sein Körper schmückt. Sorgen bereitet Samsa übrigens auch, dass er von den wichtigsten Gliedmaßen jeweils zwei Paare hat. Nach einem harten Kampf, das Bett zu verlassen, realisiert Samsa, dass er sich in einem völlig verlassenem Hotel befindet. Wo sind alle Besucher hin? Und was geht wohl draußen vor sich? Da klingelt es plötzlich an der Haustür, und eine junge Dame vom Schlüsseldienst will eines der Schlösser im Hotel austauschen. Die Frau mit dem frechen Mundwerk erzählt Samsa nicht nur einige interessante Details über die Außenwelt, sondern er bemerkt auch noch etwas anderes, so ein Gefühl, wie es eigentlich nur bei Menschen zu finden ist, die Verliebt sind.

Ich habe die meisten von Murakamis Kurzgeschichten-Anthologien gelesen. Oft, und besonders im eigenen Land, wird er kritisiert, seine Geschichten hätten einen zu großen westlichen Einfluss. Dieser Meinung konnte ich mich aber nicht ein einziges mal anschließen. All seinen Geschichten haftet trotz einiger westlicher Einflüsse ein enormes Maß an japanischer Popkultur an. Murakamis Geschichten sind japanisch, vom Stil als auch von der Denkweise. Bei Samsa in Love bin ich jedoch überrascht worden. Die markante Übersetzung von Ted Goosen mag zwar einen Teil dazu beitragen, aber es ist größtenteils Murakamis Erzählstil, der diese Geschichte so westlich erscheinen lässt. Diesen Aspekt sehe ich übrigens in keinster Weise als Kritik. Im Gegenteil. Die Geschichte spielt zwar, und das erfährt man während des Lesens, in Prag, viel mehr könnte sie aber auch in einem New York der Nachkriegszeit spielen. Der Geschichte haftet weniger Kafka als viel mehr Philip K. Dick an. Man glaubt, man lese gerade den Auftakt zu einem mysteriösen Endzeit-Roman. Murakami entführt uns in eine sehr geheimnisvolle Welt. Mit dem Eintreffen des buckligen Mädchens bekommt der Leser nur einen kleinen Eindruck davon, welch seltsame Ereignisse gerade in der Welt außerhalb des Hotels Samsa vorgehen. So stellt man sich zwangsläufig die Frage, wie es zu Gregor Samsas Verwandlung kam, wer das bucklige Mädchen vom Schlüsseldienst gerufen hat und was in der Außenwelt vor sich geht.

1Q84, Murakamis letzten auf deutsch veröffentlichen Roman haftete ein Problem an. Das große Werk umfasste viele Erzählstränge, doch fast keiner davon wurde zufriedenstellend aufgelöst. Bei 1Q84 konnte man dies durchaus als Manko sehen. Bei einer so überschaubaren Geschichte wie Samsa in Love jedoch tragen all diese vielen Geheimnisse zur Atmosphäre der Geschichte bei. Auch nach dem lesen resümiert man noch ein wenig über die Geschehnisse. Murakami hat hier in Höchstform geschrieben.

“Ah, Gregor Samsa, sometimes you make me want to die,” she said.

Die große Stärke sah ich aber wieder einmal in den Dialogen der Charaktere untereinander. Ich muss erwähnen, es gibt nur zwei Protagonisten und einen Erzähler in dieser Geschichte. Mit dem Mädchen vom Schlüsseldienst präsentiert Murakami mal wieder einen Charakter, der eindeutig seinen Stempel trägt. Ähnlich wie Ushikawa in 1Q84 ist das bucklige Mädchen, in der Geschichte als Hunchback Girl bekannt, das Prunkstück unter den Protagonisten. Im Gegenzug zu ihr scheint Gregor Samsa sich fast normal zu benehmen. Im Vergleich zu Kafkas Samsa gleicht Murakamis Protagonist übrigens weniger einem Insekt als viel mehr einer missgestalteten Person, zu der das Leben nicht gerade gnädig war. Das Mädchen hingegen ist bucklig, und ständig muss sie ihren Büstenhalter richten. Ihr Mundwerk ist frech und Respekt scheint sie kaum zu haben. Den Leser erwarten einige großartige Dialoge zwischen den beiden. Es ist ein regelrechtes Kuriositätenkabinett und doch scheinen diese beiden Charaktere menschlicher zu sein als die Welt um sie herum.


Resümee

Samsa in Love hat mir sehr gut gefallen. Genau wie 1Q84 ist auch diese Kurzgeschichte kein typischer Murakami, aber dennoch funktionierte diese Story wesentlich besser als vieles, was er bei 1Q84 so probierte (was nicht heißen soll, ich fände 1Q84 schlecht). Ich habe mir auch nach dem Lesen von Samsa in Love noch einige Gedanken zu der Geschichte gemacht. Sie ist eine wundervolle Hommage an das Werk Kafkas, und irgendwie auch eine Rückkehr zu Kafka am Strand (Roman). Auch wenn beide Geschichten sehr unterschiedlich sind, so sind doch gewisse Ähnlichkeiten zu erkennen.
Ich wünsche mir natürlich eine neue Anthologie mit mehr Kurzgeschichten in dem Stil von Samsa in Love. So eine Anthologie von Murakami ist, ehrlich gesagt, auch mal wieder längst überfällig.
Was Samsa in Love nun angeht, da kann ich nur eine ganz große Empfehlung aussprechen.



Anmerkung: Mit Onna no Inai Otokotachi (Man Without Women) und Samsa in Love hat Haruki Murakami bereits zwei Kurzgeschichten in diesem Jahr veröffentlicht. Wie The Guardian nun berichtete, veröffentlichte das japanische Magazin Bungeishunju am 09. November eine weitere Kurzgeschichte mit dem Titel Drive My Car, benannt nach dem gleichnamigen Song der Beatles.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Rezension: Ghost in the Shell - Solid State Society


 


Japan 2006

Stand Alone Complex: Ghost in the Shell - Solid State Society
Originaltitel: Koukaku Kidoutai Stand Alone Complex: Solid State Society
Idee/Manga: Shirow Masamune
Regie: Kenji Kamiyama
Musik: Yoko Kanno
Studio: Production I.G
Sprecher: Akio Otsuka, Atsuko Tanaka, Kouichi Yamadera, Osamu Saka, Yutaka Nakano
Lauflänge: 108 Minuten
Genre: Science-Fiction, Cyberpunk, Mystery
Verleih: Manga Entertainment
FSK: Ungeprüft/BBFC: 15



Trailer



Im Jahr 1995 erschuf der japanische Filmemacher Mamoru Oshii eine Adaption zu einem Manga eines gewissen Shirow Masamune. Das Originalwerk umfasste gerade einmal 2 Sammelbände und war weder äußerst hübsch gezeichnet, noch leicht zu verstehen. Vollgepackt mit philosophischen Sprüchen und viel Science-Fiction, machte Regisseur Oshii aus jener Vorlage (aber mit der Hilfe von Mangaka Masamune) sein ganz eigenes Werk. In einer Ära, als Cyberpunk absolut angesagt war, traf der Anime-Stil den Geschmack des Publikums im Westen. Selbst ein James Cameron war von Ghost in the Shell maßlos begeistert. Auch die Fortsetzung, Innocence, aus dem Jahr 2004 stieß auf viel Lob und Anerkennung und Ghost in the Shell etablierte sich zu einem lukrativen Franchise. Allerdings lieferte Oshii auch immer nur ein Konstrukt ab. Spielfilme mit einem mysteriösen Plot und wunderschönen Bildern, die Charaktere blieben dabei aber doch meistens so künstlich wie ihr Cyberkörper.
Als das Studio Production I.G aber eine TV-Serie im Ghost in the Shell Universum plante, war es 2002 der damals noch unerfahrene junge Filmemacher Kenji Kamiyama, der mit seinen Drehbüchern und kreativen Ideen das Franchise zum Kult machte, und ihr eine riesige Fanbase bescherte.

Das alternative Stand Alone Complex Universum kommt bei 2 Staffeln auf 52 Episoden, 2 Staffel-Zusammenfassungen und eine OVA in Spielfilmlänge. Seit Jahren fordern Fans eine dritte Staffel oder eine weitere OVA, Production I.G entschied sich mittlerweile aber dagegen und, zur Verwunderung der meisten Fans, gaben sie bekannt, dass mit Ghost in the Shell: Arise ein Reboot des Franchise ansteht. Geplant sind 4 OVA's (von denen bereits eine erschienen ist) mit einer Laufzeit von weniger als 60 Minuten pro Film. Die Filme legen ihren Fokus mehr auf Action und sollen gleichzeitig ein neues Publikum ansprechen.

Doch gehen wir zurück ins Jahr 2006. Nach der erfolgreichen Beendigung der zweiten Stand Alone Complex Staffel (2nd GIG) bewilligte Production I.G dem eingespielten Team um Kenji Kamiyama eine äußerst kostspielige OVA (ein Budget von knapp 3 Millionen Euro) zu Stand Alone Complex. Diese trägt den Titel Solid State Society. Konzipiert wurde die OVA dabei nicht unbedingt als das Ende der Stand Alone Complex Story. Man machte sich vor allem durch das Ende des Films Platz für etwas mehr Spielraum, und die Verantwortlichen wollten die Entscheidung über eine Fortsetzung des Universums eher in Zukunft diskutieren. Die Entscheidung dürfte getroffen sein, und somit ist Solid State Society tatsächlich das Ende der Stand Alone Complex Story. Und noch einmal hat es Sektion 9 krachen lassen.

Wenn man auf den Inhalt schaut, und in der Inhaltsangabe den Namen Puppeteer sieht, könnte man meinen, Solid State Society sei ein Remake oder eine Neuinterpretation des Original Ghost in the Shell aus dem Jahre 1995. Bis auf einen ähnlichen Namen der Gegenspieler (Puppetmaster heißt er im Film von 95), haben die Filme aber nichts miteinander zu tun. Solid State Society ist eine direkte Fortsetzung der zweiten Staffel, die rund 2 Jahre nach deren Ereignisse spielt. Major Motoko Kusanagi hat Sektion 9 verlassen und vieles hat sich bei den Profis geändert. Togousa übernahm den Posten des Majors, musste dafür aber Veränderungen an seinem Körper vornehmen um das Pensum erfüllen zu können. Batou macht der seltsame Abgang des Majors zu schaffen und kapselte sich von den anderen ab. Chief Aramaki gibt sich resigniert und denkt an eine Auflösung der gesamten Abteilung nach. Und auch von Batous geliebten Tachikoma fehlt jede Spur. Die Gesellschaft ist nach den Ereignissen aus der zweiten Staffel auch noch recht angeschlagen. Die Anzahl an Neugeborenen gingen zurück, und Kinder sowie Pflegefälle kosten dem Staat Unsummen. Läuft es bei Sektion 9 bereits ohne die Genialität des Majors nicht wirklich gut, finden nun auch noch am laufenden Bande mysteriöse Selbstmorde statt, und eine Gestalt namens Puppeeteer wird dafür verantwortlich gemacht. Und alle beteiligten sprechen ständig von einer sogenannten Solid State Society. Selbst der Major gerät dabei unter Verdacht, hinter dem mysteriösen Terrorist namens Puppeteer zu stecken.


Der Grundton von Solid State Society kommt wesentlich düsterer rüber als noch in der Serie. Die Charaktere benehmen sich reifer, haben sich äußerlich sogar verändert. Der Humor, den es des öfteren in der Serie gab (meistens ausgeführt von Batou oder den Tachikoma), wurde regelrecht auf Eis gelegt. Im Hauptfokus steht eine mysteriöse Story, bei der, wie auch schon in der Serie, der Sinn dahinter erst nicht so ganz klar wird. Der Kern der Serie, der wurde jedoch beibehalten. Die Macher haben sich einen Arc aufgebaut, wie sie es in der großen TV-Serie mit dem Laughing Man und der Individual Eleven getan haben. Das alles diesmal jedoch verpackt auf Spielfilm-Format. Und das ist Kenji Kamiya, der hier für Drehbuch und Regie verantwortlich war, extrem gut gelungen. Es gibt kaum Abstriche in Sachen Story oder Charaktere. Verzichtet wurde, und das ist keine große Überraschung, auf Nebenplots die dem Hauptplot die Show stehlen könnten, oder aber einfach unbrauchbar für einen Film sind. Man konzentriert sich auf die wesentlichen Ereignisse, und das funktioniert in Solid State Society einfach super.

Für die Musik war erneut die meisterhafte Yoko Kanno verantwortlich. Und wie auch schon in der TV-Serie steuert die Band Origa den Titelsong dazu. Die Synchronsprecher, allen voran Akio Otsuka (der japanische Synchronsprecher von Solid Snake und Big Boss in Metal Gear Solid) als Batou und Atsuoko Tanaka als Major Motoko Kusanagi liefern hier eine gewohnt professionelle Performance ab. Schade ist lediglich, dass es keine deutsche Lizenzierung für Solid State Society gab und eine deutsche Synchronisation somit wegfiel. Die Stargate Synchonisation von Panini ist immer noch mein Favorit, und eine der ganz wenigen Dubs, die ich dem japanischen Original vorziehe. Die fehlende Lizenzierung rührt übrigens daher, dass Panini Anime vom Pleitegeier zerrupft wurde.

Die britische BluRay kommt gleich in doppelter Ausführung daher, und beinhaltet neben der anständigen BluRay Restaurierung (soweit ich weiß gab es kein Original HD-Master) auch gleich noch einmal den Film auf DVD. Das ebenfalls recht interessante Bonusmaterial beläuft sich auf über 100 Minuten. Neben der japanischen Originalsprache befindet sich auch noch ein englischer Dub auf den Discs. Freunde von Imports können die BluRay bereits für circa 10 Euro (ohne mitgerechnete Versandkosten) bei Amazon.de bestellen. Der Verlust einer deutschen Version ist aber eindeutig sehr schade.


Resümee

Solid State Society ist ein mehr als gelungener Abschluss des Stand Alone Complex Universums. Die Charaktere sind bestens ausgearbeitet, und die Story lässt noch einiges an Spielraum für Interpretationen. Die Animationen glänzen besonders nun auch auf BluRay in hoher Qualität. Für den Soundtrack gilt natürlich das gleiche. 
Das Production I.G sich für ein Reboot mit einem komplett neuen Team entschieden hat, und gegen eine Fortsetzung, ist letztendlich dem aktuellen Trend gegenüber Reboots zu verdanken. Aber das sollte für die Fans der beiden Stand Alone Complex Staffeln erst recht ein Grund sein, den Abschluss der Geschichte zu sehen. Deutsche Fans müssen leider in die Röhre schauen, sollte ein Import für sie nicht in Frage kommen. Es wäre zu wünschen, wenn sich irgendwann noch einmal ein deutscher Verleih dem Film annehmen würde.

Dienstag, 15. Oktober 2013

Hayao Miyazaki wird seine Karriere beenden



Von einem großen Filmemacher gehts zum nächsten. Hayao Miyazaki (mittlerweile auch schon 72 Jahre alt) ist der Osamu Tezuka des Anime. Tezuka machte Seinerzeit Manga international salonfähig und wird wohl auch in Zukunft noch das Vorbild zahlreicher Mangaka sein. Hayao Miyazaki spielt da aber noch einmal in einer viel größeren Dimension. Der Mitbegründer des Studio Ghibli erschuf Filme die ohne jegliche Debatten allesamt als Meisterwerke der Filmkunst gelten. Bereits zweimal war er für einen Oscar nominiert, den er schließlich sogar mit Chihiros Reise ins Zauberland gewinnen konnte. Eben jener geniale, charismatisch und bescheidende Mann verkündete nun im September, dass sein aktueller Film Kaze Tachini (Englisch: The Wind Rises) sein letzter sein wird, bei dem er selbst Regie geführt hat. Ungewöhnlich ist lediglich die Tatsache, dass Miyazaki sich ausgerechnet mit einem Kriegsfilm (wobei der Film viel mehr die Chronik einer Person ist, die etliche schwere Zeiten in Japan miterlebt) verabschiedet (und nicht gerade unumstritten in seinem Heimatland). Miyazaki lässt in dieser Verfilmung einer Manga-Kurzgeschichte noch einmal seine komplette Karriere praktisch einfließen. Joe Hisaishi ist selbstverständlich wieder als Komponist dabei und seine große Leidenschaft, die Luftfahrzeuge, haben auch noch einmal einen großen Auftritt. Aber auch romantisch wird es (aus nostalgischer Sicht). Evangelion Schöpfer Hideaki Anno hat dem männlichen Protagonisten seine Stimme geliehen. Anno arbeitete als Charakterdesigner an Nausicaä mit, Miyazakis Filmdebüt.

Man kann nur hoffen, dass Universum den Film auch demnächst in einige deutsche Kinos bringen wird.



Zwar kündigte Miyazaki schon oft das Ende seiner Karriere an, diesmal scheint er es aber ernst zu meinen (es soll wohl auch eine große Verabschiedung geben). Das Studio Ghibli wird selbstverständlich weiter bestehen, und mit Hiromasa Yonebayashi (Arrietty) und Sohn Goro Miyazaki (Die Chroniken von Erdsee, From Up on Poppy Hill) ist bereits für Nachwuchs gesorgt. Wie groß der Verlust des Talents eines Hayao Miyazaki allerdings ist, nun, so etwas ist kaum in Worte zu fassen.

Ich habe vor Ewigkeiten mal eine Interessante Rezension zu einem Miyazaki Film gelesen (ich weiß gar nicht mehr, welcher Film es war). Dort schrieb der Rezensent, er sei froh, dass es neben all den Trick-Magiern aus Las Vegas mit Hayao Miyazaki noch einen echten Zauberer gibt.
Ich glaube, diesen Worten kann man sich kommentarlos anschließen. In diesem Sinne möchte ich den Taktstock an Joe Hisaishi weitergeben, der alleine mit Musik Hayao Miyazaki besser beschreiben kann, als ich es mit 20.000 Worten schaffen würde.

Rezension: Träume (Akira Kurosawa)




Japan 1990

Originaltitel: Yume
Regie: Akira Kurosawa
Darsteller: Akira Terao, Mitsuko Baisho, Toshie Negishi, Mieko Harada, Mitsunori Isaki, Martin Scorsese
Lauflänge: Circa 119 Minuten
Genre: Magical Realism
Verleih: Warner
FSK: 12


Trailer




Akira Kurosawa ist vermutlich nicht nur einer der brillantesten Regisseure Japans, er ist auch einer der großen Visionäre, der die Sichtweise der bekanntesten westlichen Filmemacher beeinflusst hat. Ob Sergio Leone, George Lucas oder Steven Spielberg, sie alle verehrten den Japaner und, recht interessant, arbeiteten teilweise sogar mit ihm zusammen. Im hohen Alter von 88 Jahren verstarb Kurosawa 1998 und hinterließ ein bis Heute unumstrittenes Erbe. Ein Erbe, welches ihm praktisch nur noch einmal Hayao Miyazaki mit seinem Lebenswerk streitig machen könnte.

Eine Rezension zu Träume könnte dem Filmemacher somit nicht ganz gerecht werden. Sein drittletzter Film aus dem Jahr 1990 zählt ganz eindeutig zu den eher schwächeren seiner Karriere. Doch selbst ein schwächerer Kurosawa ist eigentlich immer noch ein fantastischer Film. Das Thema aber, dies setzte Takeshi Kitano rund 12 Jahre später mit seinem Meisterwerk Dolls aber wesentlich besser um.

Die Geschichte dieses in Deutschland recht unbekanntem Kurosawa Filmes ist als besonders ärgerlich zu bezeichnen. Vor etlichen Jahren sollte bzw. ist eine DVD erscheinen, die vom Warner Verleih angekündigt wurde, aber nur sehr limitiert veröffentlicht wurde. Grund dafür waren weniger Lizenzprobleme als vielmehr ein Eklat der Käufer. Warner legte etliche ältere Filme neu auf, und veröffentlichte diese, beinahe komplett ohne Restauration, erneut auf DVD. Ich habe eine dieser umstrittenen DVD's damals gesehen (Tommyknockers) und war weder überschwänglich begeistert, noch komplett enttäuscht von der gezeigten Qualität. Abgesehen davon ist Tommyknockers eine TV-Produktion die an sich nicht teuer produziert war. Die Geschichte endete letztendlich damit, dass die Produktionen aufgrund mangelhafter Qualität eingestellt wurden.

Der Inhalt von Träume ist relativ fix zusammengefasst. Immerhin sind Dialoge, gewollt, Mangelware in diesem Film (und dennoch sind es immer noch zu viele). In knapp 2 Stunden präsentiert Kurosawa 8 unterschiedliche Kurzfilme, die allesamt auf den Träumen des Regisseurs basieren. Wie viel da letztendlich dran ist, kann man natürlich nicht so genau sagen. Die Idee dahinter ist fantastisch, die Umsetzung jedoch weniger befriedigend. Alle 8 Geschichten (nur die Kurzfilme Sunshine through the Rain und The Peach Orchard sind inhaltlich miteinander verknüpft) sind fantasievoll gestaltet, und unterscheiden sich sehr voneinander. Auch thematisch zeigt jeder Traum eine andere Welt. Neben den teils wunderschön surrealen Bildern, haben die Kurzgeschichten aber recht wenig zu bieten. In vielen Geschichten, wie zum Beispiel The Tunnel, eine Geschichte über einen Soldat, der aus dem Krieg heimkehrt und von den Geistern seiner gefallenen Kameraden heimgesucht wird, wo ein beinahe schon penetranter Pathos mitschwingt, und Mount Fuji in Red, ein Kurzfilm, der ein in Japan immer wieder aktuelles Thema wie Nuklearkatastrophen aufgreift, haftet eine seltsame Moralpredigt an. Beinahe, kam es mir vor, war es, als wollte Akira Kurosawa vor dem Ende seiner Karriere noch einmal auf die Fehler in der modernen Gesellschaft hinweisen. Gelungen ist ihm das nicht wirklich gut. Ich hätte mir eher gewünscht, wenn es neben den grandiosen Bildern überhaupt keine Dialoge gegeben hätte. Jeder Kurzfilm folgt dann aber doch einem Plot, und genau dieser Plot tut dem Film als Ganzes nicht ganz so gut.



Träume lässt ein wenig Kurosawas Perfektion und Ehrgeiz vermissen. Das war bereits bei Kagemusha schon so, der, genau wie Träume, international produziert war. Zu den Geldgebern gehörten sowohl George Lucas als auch Steven Spielberg. Und, obwohl die Hollywood Giganten Kurosawa völlige künstlerische Freiheiten gaben, floppten sowohl Kagemusha als auch Träume an den Kinokassen.

Zieht man die Plots aber von der Summe ab, dann können alleine die gezeigten Bilder überzeugen. Träume ist sehr ruhig gehalten, was auch für die gut gewählten Klangeffekte gilt. Es gibt auch einige schöne und entspannende Musikstücke. Wer sehr experimentierfreudig ist, der kann den Hauptfilm ja mal auf stumm schalten und zu den gezeigten Bilder die Musik von Joe Hisaishi laufen lassen. Selbstverständlich nur, wenn man sich Träume einmal komplett im Original angeschaut hat.


Resümee

Nicht einmal ein Martin Scorsese als Vincent van Gogh (eindeutig aber ein gelungener Auftritt) schafft es, Träume zu einem Film zu machen, der in Erinnerung bleiben wird. Obwohl alle Kurzfilme auf Träume des Regisseurs basieren, folgen sie doch einem Plot (was bei Träumen und Albträumen ja völlig absurd wäre), und obendrauf ein ziemlich moralischer dazu. Wunderschöne Bilder wie in The Peach Orchard oder eher verstörende Bilder wie bei Mount Fuji in Red werden meistens durch langweilige, wie aber auch unterdurchschnittlich geschriebene Dialoge zunichte gemacht. Das macht die so vielversprechende Idee dann doch sehr fade und für einen Kurosawa Film wenig interessant. Und dennoch sage ich nicht, Träume ist ein schlechter Film. Wer die Filme des Japaners verehrt, der wird auch Träume mögen. Das gleiche gilt natürlich für alle Fans der japanischen Filmkunst. Westliche Zuschauer dürften aber überfordert oder gelangweilt sein, sollten sie Träume dann doch komplett gesehen haben. Aber all die Kritik kann jedem Kurosawa Fan auch egal sein. Denn beweisen musste der Mann mit diesem Film sicherlich nichts mehr.

Samstag, 12. Oktober 2013

DuMont: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki erscheint im Januar 2014



Eine gute Nachricht für alle Fans von Haruki Murakami. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse verkündete der DuMont Verlag, der neue Roman des Japaners erscheine am 10. Januar 2014 in Deutschland. Das wären zwei Tage vor Murakamis Geburtstag.

Amazon gibt einen Preis von 22,99 Euro und eine Seitenzahl von 350 an. Für die Übersetzung ist erneut Ursula Gräfe verantwortlich, die, ich muss es eigentlich gar nicht mehr erwähnen, die beste Wahl ist, wenn es um die Übersetzung in die deutsche Sprache geht.

Von dem eher langen Titel des Originals (Shikisai o Motanai Tazaki Tsukuru to, Kare no Junrei no Toshi) verabschiedete man sich (da es an sich schwer zu übersetzen war) und wählte dafür eine wirklich gelungene Variante. Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. Ein Kompliment geht ebenfalls an das Cover.

Damit dürfte der Roman erneut vor der englischen Übersetzung erscheinen.

Alle Angaben die ihr hier findet sind selbstverständlich ohne Gewähr.

Vorbestellen könnt ihr das Buch hier: Amazon

Nobelpreis für Literatur geht an Alice Munro



Der Nobelpreis für Literatur geht 2013 an Kanada. Die 82 jährige Alice Munro hat die wohl wichtigste Literatur Auszeichnung am Donnerstag dem 10.10.2013 vom Gremium in Stockholm erhalten. Wie von vielen Fans bereits erwartet, ging Topfavorit Haruki Murakami aus Japan erneut leer aus.

Persönlich freut mich die Vergabe an Alice Munro, weil man in Stockholm endlich wieder auf Belletristik setzte. Als Fan von Kurzgeschichten freut mich daher noch einmal umso mehr, dass die Kanadierin fast ausschließlich Kurzgeschichten schreibt. Am Meer ist es wärmer gratuliert Alice Munro herzlichst für den Gewinn dieser Auszeichnung. Besonders nach den etwas umstrittenen Vergaben an den Schweden Tomas Tranströmer und dem Chinesen Mo Yan in den vergangenen zwei Jahren dürfte die Vergabe des Preises an Alice Munro nur wenig Gegenstimmen mit sich ziehen.

Montag, 23. September 2013

Marcel Reich-Ranicki verlässt die Bühne des Lebens



Deutschlands einflussreichster Literaturkritiker verstarb im hohen Alter von 93 Jahren am 18 September 2013. Der polnisch stämmige Marcel Reich-Ranicki gehörte wohl zu den wenigen noch lebenden Personen, die den Holocaust selbst miterlebt haben. Sowohl seine Eltern als auch Brüder kamen dabei um.

Mit Marcel Reich-Ranicki hat uns ein Mann verlassen, der sein Leben den gedruckten Buchstaben in den Millionen von Büchern widmete (und ich mir manchmal denke, er hat vermutlich alle Bücher dieser Welt gelesen), die wir in unseren Buchläden kaufen. Von 1988-2001 leitete er das Literarische Quartett auf dem ZDF in der Originalbesetzung. Das Quartett trennte sich letztendlich nach einem Krach, in dem es um Haruki Murakamis Südlich der Grenze, westlich der Sonne (damals noch Gefährliche Geliebte bekannt) ging. Ein Krach, wo Ranickis unverfälscht markante Art bestens zur Geltung kam.

Marcel Reich-Ranicki hat sich von niemandem den Mund verbieten lassen. Und kaum eine andere Person in Deutschland, tat in der Vergangenheit so viel für die Weltliteratur wie er. Mit einem großen Vermächtnis hat er die Bühne des Lebens verlassen.

In Gedenken an Marcel Reich Ranicki: 02.07.1920 - 18.09.2013

Freitag, 13. September 2013

Liebe Grüße aus Disney World: Escape from Tomorrow



Auf dem Sundance Filmfestival 2013 gab es einen Film, der für eine Kontroverse gesorgt hat. Erstaunlicherweise aber mehr als ordentliche Kritik eingeheimst hat. Die Rede ist von Escape from Tomorrow. Vielleicht der beste Disney Film der letzten Jahre, den Disney nie gedreht hat. Oder so ähnlich.
Ich habe mir schon länger keinen Trailer mehr häufiger angeschaut. Aber bei Escape from Tomorrow habe ich doch eine Ausnahme gemacht. Denn das Gesehene, ich kann es einfach nicht richtig in Worte fassen. Was ist das? Wieso ist das so? Worum gehts da? Nicht einmal ein David Lynch könnte auf so viel Surrealismus und seltsame Bilder wohl eine Antwort geben.

Escape from Tomorrow wurde teilweise heimlich (ich werde nicht das Wort illegal benutzen) auf dem Gelände von Disney World gefilmt. Die Rechte dafür hatte Regisseur Randy Moore selbstverständlich nicht, und, seien wir ehrlich, er hätte sie auch nie bekommen. Moore verwandelt das quietschbunte Disney World mal eben in eine Welt des Schreckens und der Albträume (je nachdem ob man Disney mag oder nicht, könnte es für manche auch ohne Moores Film bereits ein Albtraum sein). Ziemlich beeindruckend muss ich gestehen.

Aufgrund der unklaren Rechtslage war nicht klar, ob es der Film nach Sundance jemals in die Kinos, geschweige ins Heimkino schafft. Aber, Disney scheint wohl nichts weiter zu unternehmen. Wieso auch, eine bessere Promotion kann man sich kaum für einen Freizeitpark wünschen.

Escape from Tomorrow läuft ab dem 11. Oktober in amerikanischen Kinos. Hoffen wir mal, dass dieser verstörende Film es auch zu uns schaffen wird.


Trailer


Es war einmal ein Filmemacher: Sergio Leone



Man muss nicht darüber diskutieren, ob Sergio Leone (03.01.1929 - 30.04.1989) zu den besten Filmemachern aller Zeiten gehört. Die Frage ist längst geklärt. Die Frage ist eher, ist Sergio Leone der beste Filmemacher aller Zeiten? Unter gerade mal 7 Filmen prangert der Titel "Directed by Sergio Leone", und doch übte er nicht nur Einfluss auf viele der Heute bekanntesten Regisseuren aus, er revolutionierte auch das damals angestaubte Filmgeschäft in den USA und Europa. Vergessen waren die Zeiten eines Orson Welles oder John Wayne. Western waren nicht mehr salonfähig und all die glatten Helden waren mittlerweile verstorben oder zu alt, sich auf ein Pferd zu schwingen.
Die Geschichte von Sergio Leone, man mag es kaum glauben, begann in Japan. Denn ohne Akira Kurosawas Yojimbo wäre dem römischen Regieassistent wohl niemals dieser Geistesblitz gekommen. Die Moderne amerikanische Filmgeschichte wurde im Jahr 1964 neu geschrieben. Und das, obwohl nur wenige Amerikaner an diesem Erfolg beteiligt waren. Mit der sogenannten Dollar-Trilogie lieferte Leone den Krieg der Sterne der Western ab. Drei Filme, gedreht von einem Mann, der kaum ein Wort Englisch sprach, noch jemals einen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Dieser Italiener sollte es sein, der den Spaghetti-Western weltberühmt machen sollte. Ob es nun die unverkennbaren Nahaufnahmen von Gesichtern waren, die langen Mäntel oder Enno Morricones unverkennbare Musik, all diese Eigenschaften machten Leones Filme zu den Einflussreichsten seiner Zeit und machten ihn unsterblich.

Lange habe ich mir überlegt, welchen Prolog ich mir nun für diesen Artikel ausdenken soll. Das Thema Leone ist so umfangreich, ich könnte vermutlich meinen kompletten Blog damit füllen. Das faszinierende an Leones überschaubarer Filmografie ist, er war in den 60ern vermutlich einer der ersten Regisseure, die Stilmittel sinnvoll genutzt haben. Dazu bereits die angesprochenen Trenchcoats, Nahaufnahmen und Morricones Musik. Nicht zu vergessen die Weitwinkel-Aufnahmen und den mittlerweile legendären Mexiacan Standoff. All das waren Stilmittel, die seine Filme so einzigartig machten (besonders zur damaligen Zeit). Doch Sergio Leone setzte auf ein weiteres Stilmittel. Gewalt. Leone benutzte die Gewalt nicht zur Abschreckung, wie es zum Beispiel etliche Kriegsdramen vorher taten. Er benutzte Gewalt ganz klar als eine stilvolle Zutat. Seine Charaktere, selbst seine Helden, waren käuflich und handelten nicht vorbildlich. Sie waren unrasiert, schweigsam und schmutzig. Entweder wollten sie an das große Geld kommen, oder waren auf Rache aus. All diese Stilmittel beeinflussten zum Beispiel die komplette Sichtweise von Regisseuren wie Quentin Tarantino oder John Woo. Bis Heute zollt Tarantino dem großen Meister in jedem seiner Filme Respekt. Und daran sieht man, wie weitreichend Leones Einfluss noch Heute ist, bedenkt man, dass sowohl Tarantino als auch Woo ihre größten Erfolge in den 90ern feierten (mal abgesehen von dem neuen Tarantino Hype, der durch Django entstanden ist).

Man muss immer wieder bedenken, zieht man den Koloss von Rhodos ab, ein Film, wo Leone nur die Arbeit eines anderen Regisseurs übernahm, besteht die Filmografie des Römers lediglich aus zwei Trilogien. Schaut man sich Es war einmal in Amerika an, und kann diesen Film in aller Ruhe genießen, so muss man am Ende traurig feststellen, welch meisterhafte Werke er noch hätte erschaffen können (etliche Ideen und unvollendete Drehbücher tauchten nach seinem Tod ja noch auf).

In meinem Special möchte ich, angefangen bei Für eine Handvoll Dollar, ein wenig auf die Filme von Sergio Leone eingehen. Einfach, weil das auf meinem Blog schon längst überfällig ist.

Genau 20 Jahre sollte die Vision des Filmmachers halten.




1964: Für eine Handvoll Dollar (A Fistful of Dollars/Per un pugno di dollari)





In den 60ern galten Western/Spaghetti-Western als angestaubt und langweilig. Und, ganz besonders, sie wurden als billig angesehen. Was auch stimmte. Als Leone im Jahr 62 oder 63 Akira Kurosawas Yojimbo (Japan 1961) sah (dt. Die Leibwache mit Toshiro Mifune), wurde er sozusagen erleuchtet. Der Film ist eigentlich ein Western, dachte sich Leone und mobilisierte Freunde aus seiner Zeit im Filmgeschäft um sich, und erzählte von seiner Idee, er könnte dieses Konzept für einen Italowestern verwenden. Von da an ließ sich Leone nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen. Er plante und organisierte. Letztendlich wurde der Film mit italienischem, spanischem und deutschem Geld finanziert. Praktisch für eine Handvoll Dollar, denn mehr hatte Leone nicht zur Verfügung. Gedreht wurde in Spanien, weil es dort kostengünstig war (und, ganz praktisch, die Landschaften auch noch an Texas bzw. Arizona erinnerten). Leone bewegte sich nicht nur bereits auf dünnem Eis, da er unrechtmäßig die Idee eines bereits vorhandenen Films geklaut hat, auch seine Wahl der Darsteller überstieg den Level seiner Reputation in den USA. Er wollte seinen Helden aus Jugendzeiten, Henry Fonda für die Rolle engagieren. Der lehnte ab. Seine zweite Wahl, Charles Bronson, las nicht einmal das Drehbuch (was er, wie er später sagte, extrem bereut hatte).

Als Leone ein Bild des damals noch recht unbekannten Clint Eastwood gezeigt wurde, erheiterte sich
sein Temperament wieder. Eastwood stand damals bei CBS unter Vertrag und spielte in der TV-Serie Rawhide mit. Solch eine Aalglatte Rolle sollte Eastwood zum letzten mal spielen. Denn als Leone dem geleckten Burschen auf dem Foto Bartstoppeln und eine Zigarre zeichnete, erschuf er gleichzeitig damit einen ikonischen Charakter, der Eastwood zu Weltruhm verhelfen sollte.



Eastwood war vertraglich dazu bestimmt, nicht in den USA zu drehen. Das sollte kein Problem darstellen, da Eine Handvoll Dollar in Spanien gedreht wurde.
Das Budget war so beschränkt, Eastwood musste seine eigenen Klamotten mitbringen, die er, teilweise, bereits in Rawhide trug. Desweiteren verwunderte es Eastwood, dass eine internationale Zunge am Set herrschte. Der Regisseur selbst konnte sich lediglich über einen Übersetzer verständigen. Eastwood zweifelte an dem Erfolg des Filmes, dachte sich aber: Zumindest habe ich mal Italien und Spanien gesehen. Der Erfolg war für Eastwood praktisch nur ein Bonus.

Für Eine Handvoll Dollar sollte es aber ganz anders kommen. Leone hat sein Können bewiesen und aus Kurosawas Film ein komplett eigenständiges Werk gemacht. Der westliche Stil, den Leone Kurosawas Yojimbo eingehaucht hatte, war beachtlich. Für ein Remake funktioniert Für eine Handvoll Dollar sehr eigenständig. Nichtsdestotrotz bleibt der erste Dollar Film ein Remake. Ein Remake, wofür Leone nie die Rechte erhalten hatte. Akira Kurosawa war erbost, dass sein Name nicht einmal im Vorspann erwähnt wurde. Der Schachzug von Leone, nicht Clever. Einen großen Filmemacher wie Kurosawa verärgert man nicht. Schon gar nicht, wenn die Vorlage so grandios ist. Kurosawa erhielt eine Entschuldigung des Studios, eine Entschädigung und sogar etliches der Einnahmen, die der Film einspielte. Leones Erfolg sollte dies allerdings nicht schmälern. In Italien wurde er als neuer Held des italienischen Kinos gefeiert. Für eine Handvoll Dollar kam gleichermaßen in den USA, wie aber auch Europa gut an. Für einen Film aus Italien war das nicht unbedingt selbstverständlich, herrschte in den 60ern auch dort eine Dürre.


1965: Für ein paar Dollar mehr (For a few Dollars more/Per qualche dollaro in più)






Man möge mir schon im Voraus das schlechte Wortspiel verzeihen, denn, 1965 finanzierte man Leone für ein paar Dollar mehr die Fortsetzung zu A Fistful of Dollars. Die wieder einmal größtenteils multikulturelle Finanzierung sah natürlich eine Goldgrube im neuen Aufschwung des angestaubten Italowestern Genre. Wenn man nur ein paar Dollar mehr drauf legt, zu was ist Leone dann wohl fähig? Das wollte man ausprobieren, und, auch wenn viele Fans The Good, The Bad, And The Ugly wohl als Leones großen Durchbruch ansehen, ist Für ein paar Dollar mehr sogar vermutlich nicht nur einer von Leones lukrativsten Filmen, sondern auch der Schlüssel zum Leone Stil. Denn erst hier etablierte sich jener einzigartige Stil. Sowohl die Nahaufnahmen, als auch der nahezu perfekte Umgang mit der Musik und Gewalt als Stilmittel kommen in der Fortsetzung so richtig zur Geltung. Und das bei einer teils alt, wie aber auch einer Neubesetzung des Ensembles. Gesetzt waren nämlich erneut Clint Eastwood als namenloser Kopfgeldjäger, und Gian Maria Volonté als psychopathischer Outlaw El Indio. Auch Mario Brega kehrte als Bad Boy zurück und sollte fortan immer wieder eine Rolle bei Leone spielen. Das all diese Schauspieler wieder auftauchen, deren Charaktere, bis auf den namenlosen Kofpgeldjäger von Clint Eastwood, im Vorgänger das zeitliche segneten, bedeutete auch, dass Für ein paar Dollar mehr für sich selbst stand.

Eastwoods Schauspielkunst verfeinerte sich selbstverständlich. Auf ihn war diese Rolle zugeschnitten. Und, recht ungewöhnlich, eignete sich Eastwood den langsamen Sprachstil seines italienischen Synchronsprechers an. Eastwood und Volonté brillierten (trotz Volontés Theatralik), allerdings bekam Leone erneut nicht seine Wunsch Ensemble zusammen. Erneut musste er auf große Namen aus Hollywood verzichten. In der Liste musste er also etwas weiter unten suchen, und fand letztendlich Lee Van Cleef. In Hollywood zwar ein gestandener Schauspieler, kam er jedoch nie an die großen Hauptrollen. Leone Biograf Sir Christopher Frayling bezeichnete Van Cleef als den brillanten Bösewicht der bereits in der ersten Hälfte des Filmes von der Bildfläche verschwand. Und so kam es, dass Lee Van Cleef im reifen Alter zu Weltruhm kam. Natürlich war ihm dies beim Dreh zu Für eine Handvoll Dollar mehr noch nicht bekannt. Sergio Leone war jedoch enttäuscht, weil Van Cleef im wahren Leben praktisch das komplette Gegenteil von den zwielichtigen Charakteren war, die er in seinen Rollen verkörperte. Er war ein charismatischer und sympathischer Typ, und extrem bescheiden. Leone war sich nicht sicher, ob er einen abgebrühten Kopfgeldjäger spielen könnte, von dem man bis zum Ende des Filmes nicht die wahren Absichten erfährt. Van Cleef konnte alle Zweifel schnell beseitigen, vermutlich hätte es keine bessere Alternative für diese Rollen geben können.

Zum Schluss engagierte Leone sogar noch einen echten Psychopathen. Mit Klaus Kinski, der hier in einer überschaubaren Rolle als kleiner Glöckner von Notre Dame in El Indios Crew auftritt, besorgte sich Leone ein Unikat. Denn Dank eines grandiosem Zusammenspiels von Kinski und Van Cleef entstand die vermutlich längst legendäre Streichholz Szene im Saloon.




Für alle Beteiligten dürfte Für ein paar Dollar mehr einige Dollars in die Taschen gespielt haben. Übrigens, ganz interessant, in Spiel mir das Lied vom Tod beweist Leone, wie man Ideenlosigkeit mit viel Stil auch zu seinem Vorteil verwandeln kann. Denn die Auflösung der Geschehnisse in Leones vermutlich bekanntestem Film sind beinahe identisch mit denen aus Für ein paar Dollar mehr.
Doch dieser Film sollte insgesamt noch viel lukrativer sein, als es sich Sergio Leone je hätte vorstellen können. Der komplette Film war praktisch ein Bewerbungsvideo. Und beworben hat man sich für richtig viele Dollars sogar. Mit The Good, The Bad, And The The Ugly krönte Leone mit einem Grande Finale seine Dollar Trilogie.


1966: Zwei glorreiche Halunken (The Good, The Bad And The Ugly/Il buono, il brutto, il cattivo)







Der Deutsche Titel ist, und wird wohl auch weiterhin kontrovers bleiben. Denn praktisch repräsentiert er einen Film, den es gar nicht gibt. Zwei glorreiche Halunken lässt sogar viel mehr auf eine Komödie schließen. Im englischen würde sich das mit Two glorious Scoundrels sogar noch ganz kultig anhören. Allerdings ist es auch recht kompliziert, The Good, The Bad And The Ugly schmackhaft in die deutsche Sprache zu übersetzen. Fans bleiben daher dem Originaltitel aus der englischen beziehungsweise der italienischen Sprache treu.

Zwei glorreiche Halunken zählt mitunter zu den wichtigsten amerikanischen Filme der Sechsziger, und hat mit amerikanischer Filmkunst so viel am Hut wie Coca Cola mit Sake. Leone mag zwar ebenfalls Coke servieren, aber da ist in Wahrheit italienischer Rotwein mit untergemischt. Zwei Glorreiche Halunken ist praktisch nichts weiter als eine Nacherzählung der Vorgänger, nur ausgelegt auf knapp 3 Stunden Lauflänge und purem Perfektionismus. Der Film taucht selbstverständlich nicht nur in meiner Liste der Lieblingsfilme auf, sondern auch in denen von Millionen anderen Filmfans. Der Film macht den Eindruck, als hätte Leone mit den Vorgängern lediglich darauf gewartet, auf dieses Finale hinzuarbeiten. Erstmals präsentiert der Italiener nicht nur einen typischen Spaghetti-Western, er serviert einen Cocktail aus Spaghetti-Western und Historienfilm. Zwar ist Leones Aufarbeitung des amerikanischen Bürgerkriegs recht umstritten, doch darauf kommt es gar nicht an. Der Bürgerkrieg in Zwei glorreiche Halunken läutet nicht nur das Ende der Dollar Trilogie und die des Wilden Westens ein, er ebnet ebenfalls den Weg zu Leones zweiter Trilogie, der Amerika Trilogie.

Mit einem Budget von knapp 1.000.000 Dollar war Leones Vision recht teuer, sollte aber in den USA ungefähr das fünffache wieder einspielen. Auf einen bekannten Cast setzte Leone dabei weniger. Denn ihm gefiel das Zusammenspiel zwischen Eastwood und Van Cleef so gut, dass er beiden erneut ihre Rollen zurückgab. Zwar agiert Zwei glorreiche Halunken erneut unabhängig, gewisse Ähnlichkeiten zu den Charakteren aus dem Vorgänger kann Leone selbstverständlich nicht abstreiten. Wenn auch Lee Van Cleef als Sentenza wesentlich skrupelloser und brutaler agiert, als noch in Für ein paar Dollar mehr. Van Cleef selbst hatte Probleme damit, einen so fiesen Kerl zu spielen, gab er einmal selbst zu (und unter diese Aussage unterschreibe ich mal kommentarlos).
Mit ins Boot holte sich Leone für Zwei glorreiche Halunken aber noch einen der begabtesten Charakterdarsteller Amerikas, Eli Wallach (mittlerweile stolze 97 Jahre alt). Als schmieriger, fluchender Kleinkrimineller, der auf der Suche nach dem ganz großen Geld ist, wird er auf Ewigkeiten in Erinnerung bleiben. Denn, so fies und unsympathisch der Charakter des Tuco auch ist, er ist vermutlich der, dem man die Kohle am meisten wünscht. Die Rolle des Tuco, und wie Eli Wallach ihn verkörpert, fasziniert mich immer wieder. Er macht dem Zuschauer ganz eindeutig klar, wie sehr Tuco die Dollars will, und welche Umwege und Torturen er dafür in Kauf nimmt.

Sowohl vor als auch hinter der Kamera war ein eingespieltes Team am Werk, welches mittlerweile seit drei Filmen miteinander arbeitete. Leone und Morricone agierten dabei als Dirigenten, beide auf ihre jeweils eigene art. Zwei glorreiche Halunken ist zwar ein klassischer Italowestern, und beinhaltet Leones Stil aus den Vorgängern, aber dennoch ist der Film so viel mehr. Er zeigt ein Amerika im Umbruch, ein Amerika im Krieg. Zwei glorreiche Halunken ist zugleich spannend, lustig und rührend. Aber Leone spielt sofort mit offenen Karten. Jeder ist sich selbst am wichtigsten. Und die Dollars helfen ungemein dabei, bequem leben zu können.



1968: Spiel mir das Lied vom Tod (Once upon a Time in the West/C'era una volta il West)







Nach seiner Dollar Trilogie wollte Leone keinen weiteren Western mehr machen. Wieso tat er es doch? Zum einen wäre da ein vorzügliches Budget Angebot von Paramount gewesen. Aber so einfach konnte man den Römer auch nicht locken. Man versprach ihm also einfach Henry Fonda. Sein Idol aus der Jugend. Jener Mann, den, hätte er gekonnt, vermutlich in all seine Filme eingesetzt hätte. Paramount wollte einen großen Western, und Leone sollte der Regisseur sein. Da gab es nichts zu rütteln. Mit seinem Lieblings Schauspieler in Petto, konnte selbst Leone nicht mehr widerstehen. Da gab es jedoch ein Problem, Henry Fonda war überhaupt nicht angetan von dieser Idee. Fonda musste sich erst von Kumpel Eli Wallach überzeugen lassen, der, wie er Fonda sagte, am Set zu The Good, The Bad And the Ugly die Zeit seines Lebens verbrachte. Leones Überredungskünste, welch vorzüglichen Bösewicht Fonda mit diesen Eisblauen Augen abgeben würde, taten dann sein übriges. Fonda selbst sollte später einmal erwähnen, dass die Rolle des Frank die größte war, die er je gespielt hat.

Auch Charles Bronson, der sich immer noch über seine vergebene Chance ärgerte, war nun endlich mit an Board. Auch wenn er selbst nur zweite Wahl war. Harmonika sollte von Clint Eastwood gespielt werden, der jedoch die Rolle ablehnte, weil es für ihn, so sagte er, Zeit war, neue Rollen zu probieren. Noch immer gibt es Gerüchte, das Eastwood in der ursprünglichen Eröffnungssequenz mit am Bahnhof stehen sollte. Die legendäre Szene, wo Harmonika die Outlaws in den Trenchcoats willkommen heißt. Dies hätte mit dem Ableben von Eastwoods Charakter geendet, und, hätte das klare Ende der Dollar Saga eingeleitet. Ob wirklich etwas dahinter steckt, weiß ich letztendlich auch nicht.

Spiel mir das Lied vom Tod (das Drehbuch wurde unter anderem von Horror/Suspence Meister Dario Argento, der damals noch fast komplett neu im Geschäft war, mit verfasst) gehört für mich zu den komplettesten Filmen, die ich je schauen durfte. Bei keiner persönlichen Aufzählung lasse ich diesen Film aus. Ein Grund dafür ist, wie Leone ein paar Meter zurückrudert. Es gibt keine extravaganten Schlachtszenen wie noch im Vorgänger. Auch so wortgewandt ist Spiel mir das Lied vom Tod nicht. Es gibt einfach wieder die volle Packung Leone. Das Schweigen, die Nahaufnahmen und Morricones Musik. Den Rest erledigt ein Cast, der Seinesgleichen sucht. Denn zusätzlich traten dem Ensemble auch noch Jason Robards und die bezaubernde Claudia Cardinale bei. Das faszinierende erneut ist, in Leones Filmen gibt es eigentlich keine netten Menschen. Bei Spiel mir das Lied vom Tod ist das nicht anders. Es gibt keine aalglatten Western-Helden. Leones Charaktere sind auch hier schmutzig, unrasiert und dreist. Sie Fragen nicht, sie nehmen sich, was sie wollen. Und so betonte Leone immer wieder, der Hauptcharakter in diesem Film ist Frank (auch wenn es eher den Anschein macht, dass es ganz klar Bronson ist, der hier Harmonika verkörpert). Der Bösewicht. Frank ist praktisch das Böse in Person. Der Henker. Und auch hier schafft es Leone, diesem Charakter etwas menschliches einzuverleiben.


Wenn man es genau nehmen will ist Frank das Original zu Quentin Tarantinos Bill. Charmant, eiskalt, skrupellos. Wenn man einen Star wie Fonda an der Angel hat, der aber fast ausschließlich immer den Saubermann spielte, ist es schwer, solch einen Mann zu überzeugen, das er in seiner nächsten Rolle Kinder erschießt und Witwen erpresst. Es muss eine unglaubliche Faszination gewesen sein, eine fanatische Überzeugungskraft, die Sergeo Leone hier an den Tag legte, um einen Henry Fonda zu solch einer Rolle zu überreden.

Obwohl aber Paramount unglaublich viel Geld in dieses Projekt steckte, kam der Film nicht wirklich gut beim Publikum in Nordamerika an. Nach dem Erfolg von The Good, The Bad, And The Ugly war das eine Enttäuschung. Nichtsdestotrotz war Spiel mir das Lied vom Tod ein umso größerer Erfolg in Europa. Ohne zu übertrieben kann man wohl behaupten, es ist vermutlich der bekannteste Western in Europa. Mittlerweile sind aber auch die Amerikaner endlich auf den Geschmack gekommen.

Spiel mir das Lied vom Tod (ein Spruch, der in der Originalfassung nicht ein einziges mal genannt wird, und somit für deutsche Zuschauer völlig neue Theorien zulässt) ist Leones Start seiner Amerika Trilogie. Gleichzeitig läutet er mit seinem letzten Western das Ende des Wilden Westens ein. Leone verabschiedet sich mit einem Knall. Auch wenn der Kern der Geschichte praktisch eine Nacherzählung von Für ein paar Dollar mehr ist, so fungiert Spiel mir das Lied völlig eigenständig. Von Leones Western ist es vielleicht der Film, in den er den meisten Perfektionismus gelegt hat. Stark geprägt vom ruhigen Stil Akira Kurosawas. Der Film ist ein beinahe schon sentimentaler Abschied von Leones Western. Zwei Filme sollten noch kommen, und mit einem davon sollte Leone in die Geschichtsbücher eingehen.






1971: Todesmelodie (Duck, You Sucker/A Fistful of Dynamite/Giù la testa)






Todesmelodie ist wie ein nicht geplantes Baby. Man hatte keinen Kinderwunsch, aber nun muss man sich doch irgendwie mit dem Nachwuchs arrangieren. So erging es Leone wohl mit Todesmelodie. Regie wollte er bei diesem Film nicht führen. Er wollte sich nach Spiel mir das Lied vom Tod etwas zurücklehnen und sich auf ein viel größeres Projekt konzentrieren (ungefähr zu dieser Zeit wurde Leone angeboten, bei dem Paten Regie zu führen, was er eben für jene großen Planungen absagte). Das Drehbuch zu Todesmelodie war allerdings schon im Kasten. Ein Regisseur fand sich jedoch nicht, und so musste Leone einmal mehr zur Kamera greifen.
Fälschlicherweise wird Todesmelodie häufig als Italowestern bezeichnet, was jedoch nicht stimmt. Zwar gibt es noch eine ähnliche Atmosphäre wie in den Vorgängern, aber als Italowestern kann man den Film nicht mehr ansehen. Todesmelodie ist ein Abenteuerfilm, beinahe schon ein Gangsterfilm mit zwei recht humorvollen Protagonisten. Sergio Leone setzte diesmal auf ein komplett neues Ensemble und verpflichtete Hollywoods alte Helden Rod Steiger und James Coburn für die Hauprollen.

Todesmelodie spielt zur Zeit der mexikanischen Revolution und allmählich wird auch Leones Thematik zeitgenössischer. Die Revolver wurden alle durch automatische Ballermänner ersetzt, und das F Wort kommt ebenfalls zum Zuge. Allerdings kommt es mir so vor, als hänge Leone ein wenig im Clinch mit sich selbst. Er klammert noch ein wenig zu sehr an die Vorgänger. Überhaupt ist es bei solch extrem starker Konkurrenz aus seinem eigenem Repertoire schwer, Todesmelodie einzuordnen. Zwar ist die Geschichte recht interessant, die Laufzeit konnte Leone aber erstmals nicht so brillant ausfüllen wie sonst. Der Film kommt schwer in die Gänge, und nach jedem Höhepunkt folgt wieder ein recht lahmer Part. Das zieht sich auch so bis zum Showdown des Filmes hin. Zwar lernen wir Leone hier mal mit einem anderen Stil kennen, so recht hatte er ihn aber auch noch nicht gefunden gehabt. Er wollte einen anderen Weg gehen, allerdings vermisste man vieles aus den Vorgängern. Zwar ist das immer noch ein hohes Niveau, auf dem man hier nörgelt, aber so ganz wollte das Dynamit nicht zünden. Und bei vielen anderen auch nicht, denn sowohl die Kritik als auch die Besucherzahlen für diesen eher ungewollten Film waren recht enttäuschend.

Somit bleibt der zweite Teil von Leones Amerika Trilogie recht unbekannt (nach meinem Wissen gibt es bisher nicht einmal eine Veröffentlichung auf BluRay). Und als Regisseur sollte er auch erst wieder Mitte der Achtziger in Erscheinung treten. Und das zum letzten mal.


1984: Es war einmal in Amerika (Once upon a Time in America/C'era una volta in America)






Es war einmal in Amerika ist nicht nur Sergio Leones Lebenswerk, es ist auch sein letzter Film als Regisseur. Denn rund 5 Jahre nach der Veröffentlichung verstarb der Filmemacher. Die Ärzte warnten Leone bereits bei den Dreharbeiten davor, dass sein Herz einer solchen Belastung vermutlich nicht mehr standhält. Die Jahre der Hektik und Stress und des ausgiebigen Essens zerrten an Leones Gesundheit. Aber auf diesen Film hat er hingearbeitet. Ein Projekt, welches so wichtig war, dass er dafür Mario Puzo's Paten den Rücken gekehrt hat.

Leone plante bereits seit den 70ern. Denn er war so fasziniert von dem autobiografischen Roman des jüdischen Gangsters Harry Grey (Titel: The Hoods), dass er seine Vision des Filmes schon nach den Dreharbeiten von Spiel mir das Lied vom Tod umsetzen wollte. Aber Leones Vision war groß, und nicht ganz billig (seine eigentliche Eröffnungssequenz konnte er sogar nie realisieren).
Knapp 20 Jahre sollte es dauern, bis er die meisten seiner Planungen in die Tat umsetzen konnte. Sein finaler Akt einer langen Reise durch Amerika. Mit Schauspielern wie Rober De Nero und James Woods (und den ein oder anderen bekannten Gastauftritt wie den von Danny Aiello) konnte Leone aus dem Vollen schöpfen. Noch Heute spricht Woods in voller Ehrfurcht von seiner Zusammenarbeit mit Sergio Leone (mittlerweile hatte er Englisch gelernt und konnte sich mit seinen Schauspielern verständigen). Laut Woods hätte Leone praktisch jede Rolle selbst spielen können, die er geschrieben hat. Sein Schauspielerisches Talent (er wies alle Schauspieler immer persönlich in ihre Rollen ein) soll beachtlich gewesen sein.

Wie einen Opium Rausch bezeichneten manche europäische Zuschauer damals den Film. Und gewiss, Es war einmal in Amerika ist surreal und geheimnisvoll. Auch das Genre ist unglaublich schwer einzuschätzen. Ganz sicher kann man sich bei dem Film aber, im Gegensatz zu Todesmelodie sein, es ist kein Italowestern. Es ist ein Coming of Age Drama, welches sich über mehrere Dekaden erstreckt (Leone nahm sich diesmal die Prohibition als Thema). Die Bezeichnung Gangsterfilm wäre daher auch dementsprechend herablassend. Sowohl von Thematik als auch von der Atmosphäre unterscheidet sich der Film beinahe komplett von den Vorgängern. Und doch erkennt man irgendwie, dass man es mit einem Sergio Leone Film zu tun hat. Viel mehr als es bei Todesmelodie der Fall war. Leone hatte somit keine Schwierigkeiten, das Genre zu wechseln. Und wie in keinem Film von ihm zuvor, agierten hier Sex und Gewalt das Geschehen.

Als der Film letztendlich in den amerikanischen Kinos anlief, endete dies für Sergio Leone in einem Desaster. Von den ursprünglichen 269 Minuten musste er sich bereits von 40 Minuten trennen. Die Internationale Fassung war also 229 Minuten lang. Nicht die gewünschte Fassung von Leone, aber eine, mit der er sich anfreunden konnte. Denn es mussten lediglich noch Szenen dran glauben, die ein wenig mehr auf die Charaktere eingingen. Das amerikanische Studio jedoch (ich glaube das Warner da am Werk war), meinte aber, man könne dem amerikanischen Publikum auch keinen Film zutrauen, der 229 Minuten lang ist. Ein Film der 229 Minuten lang ist, nicht linear erzählt wird und durch Rückblenden zusätzlich an Aufmerksamkeit erfordert. Gegen den Willen des Regisseurs kürzte man den Film auf 139 Minuten herab und ordnete die Szenen chronologisch an (zumindest versuchte man es). Da praktisch der halbe Film fehlte, ergab dieser auch nur noch wenig Sinn. Während die Leute die Internationale Fassung in Cannes noch feierten, war die Kritik aus den USA niederschmetternd. Das gleiche galt für die Besucherzahlen. Der Film war ein kommerzieller Flopp. In Europa hingegen lief Leones abgesegnete Internationale Version, mit guten Kritiken, aber ebenfalls nur mäßigen Erfolgen an den Kinokassen.

Sergio Leone war, verständlicherweise, am Boden zerstört. Fast unter Tränen erzählte er seiner Familie, Freunden und Kollegen aus dem Filmgeschäft, man habe ihm seinen Film geraubt. De Niro und Woods waren unzufrieden über die amerikanische Schnittfassung, hatten jedoch keinen Einfluss auf die Entscheidung des Studios.

Leider sollte Sergio Leone den nachträglichen Erfolg seines Filmes nicht mehr miterleben. Erst als der Film auch in den USA in der Internationalen Fassung auf DVD erschienen ist, begannen Kritiker ihre Meinungen zu ändern. Es war an sich schon ein hartes Vergehen, dass der Film überhaupt erst zur der Veröffentlichung auf einem digitalen Medium in seiner Internationalen Schnittfassung vorlag.

Mittlerweile ist Leones finaler Beitrag zu seiner Amerika Trilogie Kult und wird als nachträgliches Meisterwerk gefeiert, welches häufig mit dem Paten verglichen wird (schmeichelhaft, aber ein schlechter Vergleich). Leones Töchter hingegen versuchen mittlerweile den Film in seiner ursprünglichen Fassung zu präsentieren. Was ihnen auch halbwegs gelungen ist. 2012 präsentierten sie gemeinsam mit Robert De Niro eine 251 Minuten lange Fassung auf dem Cannes Filmfestival. Aus rechtlichen Gründen gibt es aber immer noch Szenen, die nicht in dieser Fassung enthalten sind. Somit ist die exklusiv in Italien erhältliche Edizione Estesa immer noch nicht Leones gewünschte Fassung des Filmes und von der Qualität der neu eingefügten Szenen lässt sie ebenfalls zu wünschen übrig. Ob jemals die komplette 269 minütige Fassung aufgeführt wird, bleibt also weiterhin unbekannt.


Besonders mit seinen letzten Filmen hatte es Sergio Leone in den USA nicht leicht gehabt. Aber es war die Verstümmlung seines Meisterwerkes, was ihm letztendlich das Herz gebrochen hat. Und gerade, als er sich so einigermaßen mit dieser Ohrfeige abfinden konnte, wieder Filme machen wollte, zwang ihn die Gesundheit letztendlich in die Knie. Für solch einen großen Mann war dies ein sehr unwürdiger Abgang von der großen Bühne. Es wäre sicherlich interessant gewesen, einen Sergio Leone Film zu sehen, der in den 90ern entstanden ist. Leider sollte es nicht mehr dazu kommen. Aber, noch immer übt der vor mehr mehr als 20 Jahren verstorbene Filmemacher einen so großen Einfluss auf Filmemacher und Filmfreunde aus, dass zumindest sein Werk auf Ewigkeiten unsterblich sein wird.


Bemerkungen


Der hier vorliegende Text ist aus meiner persönlichen Sicht, der eines Fans, geschrieben. Daher ist es gut möglich, dass sich hier und da einige Fehler eingeschlichen haben. Mein Wissen basiert auf Interviews, Dokumentationen und Texten. Angaben zu Daten stammen aus der IMDb und Wikipedia.