Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 26. Dezember 2019

Wühlkiste: Gaming The System - Um jeden Preis (Brenna Aubrey)





USA 2015

Gaming The System - Um jeden Preis (Die Gaming The System Serie, Band 1)

Autorin: Brenna Aubrey 
Verlag: Silver Griffon Associates 
Format: eBook 
Genre: New Adult



Lavandula hat sich eingeloggt.

Da bin ich wieder, ich darf nochmal!

Lavandula wählt ein Item aus ihrem Inventar aus.

Und ich habe etwas Besonderes im Gepäck: „Gaming the System – Um jeden Preis“, den Auftakt einer derzeit sechsbändigen Reihe, von der USA TODAY-Bestsellerautorin Brenna Aubrey. Nun sind allerdings viele Folgebände oder die Bezeichnung „Bestsellerautor/in“ nicht unbedingt ein Zeichen von Qualität.

Ich habe mit Vorsicht zu diesem Buch gegriffen. Es ist zwar richtig, dass man ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen sollte … dennoch hätte ich im Regal nicht zugegriffen. Das tat ich tatsächlich wegen der Computerspiele-Thematik, das hat mich neugierig werden lassen. Auch wenn ich meine Erwartungen aufgrund es Genres eher nicht zu hoch geschraubt habe.

Und nun ist Schluss mit dem Hin und Her, denn zu diesem Buch gibt es ganz klare Worte zu sagen.

Mia Strong – ist das etwa schon ein Hinweis, dass da jemand ganz stark sein wird? – ist Computerspiele-Bloggerin und anscheinend gar nicht mal so unbekannt. Zumindest nicht vor dem Hintergrund, dass sie durch die Werbeeinnahmen durch ihren Blog mehr verdient als durch ihren Nebenjob im Krankenhaus. Was genau sie da macht, erfahren wir allerdings nicht so richtig. Bringt die Story aber auch nicht voran. Genug Geld, um ihren Lebensunterhalt zu bezahlen, sowie ihrer krebskranken Mutter finanziell unter die Arme zu greifen, hat sie allerdings dennoch nicht. Ein Medizinstudium ist da schon lange nicht drin, wenn nicht mal genug Essen da ist.

Deshalb kommt Mia auf die Idee, ihre Jungfräulichkeit zu versteigern, denn eigentlich ist sie aus eigenem Antrieb Single, hat keine Lust auf Beziehungen und den ganzen Quatsch. Und das mit 22.

Liebe Mia, halt noch acht Jahre durch, dann wirst du ein Zauberer! Oder gilt das nur für männliche dreißigjährige Jungfrauen? Herausfinden werden wir es in Mias Fall nicht.

Mit flammenden Worten über die Reinheit der Frau, die ja so viel an Wert verloren habe, bietet sie sich, genauer: ihre Unberührtheit, an den Meistbietenden. Die Reinheit der Frau ist schließlich das höchste Gut.

… Sag mal, geht’s noch?! Wir leben in einer relativ (alles ist relativ, meine Lieben) aufgeklärten und fortschrittlichen Welt. Und dann kommt da jemand daher, möchte uns wieder ins Mittelalter zurück katapultieren und sich prostituieren? Gut, nein, vielleicht nicht das Mittelalter, da wäre sie bereits zehn Jahre zuvor verheiratet worden und hätte keine Aussicht auf irgendwelche (finanziellen) Vorteile für sich selbst.

Wir befinden und übrigens noch auf den ersten drei Seiten. Und ich begann mich zu fragen, ob es nicht ein Fehler war, dieses Buch überhaupt anzufangen. Meine armen Nerven.

Zum Abkürzen spulen wir vor: Der Millionär Adam Drake – Adam, der erste Mann, er soll also auch Mias … wisst ihr was, ich lasse das, ihr versteht schon – gewinnt die Auktion. Er ist CEO einer Computerspielefirma, noch keine 30, sieht so wahnsinnig gut aus, dass natürlich auch Mias obligatorischer schwuler bester Freund ihm verfällt und Mia ist schockverliebt.

Und hier wird es wieder seltsam. Es kommt relativ schnell heraus, dass Adam Drake CEO/Chefentwickler des MMORPG Dragon Epoch ist. Das ist das Spiel, in dem Mia ihre gesamte Freizeit verbringt und über das sie lange und regelmäßig bloggt. Trotzdem klingelt nichts bei ihr, als sie seinen Namen hört. Wenn ich mich so intensiv mit einem Spiel oder auch einem anderen Medium auseinandersetze, sind mir zumindest ein paar Namen ein Begriff, und ein solcher wie der des Mannes, der das alles ins Leben gerufen hat, sollte dazu gehören.

Ich möchte weder langweilen noch spoilern. Alles Weitere ist aber im Grunde ohnehin 08/15. Sie will ihn nicht, da sein Auftreten für sie gar nicht ging, er kommt zu ihr, sie entscheidet sich um, sie fliegen nach Europa in die Niederlande, da Prostitution (hoppla, das ist also bereits durchdacht … unsere liebe Mia kapiert es allerdings immer noch nicht, dass sie genau das tut mit ihrem Jungfräulichkeit-gegen-Geld-Quatsch) dort legal ist, sie werden unterbrochen, sie ist immer noch Jungfrau. Sie fliegen zurück, nicht ohne sich gründlich zu zoffen, der Vertrag ist nicht erfüllt, also müssen sie sich wiedersehen, obwohl Mia einen Kontaktabbruch nach dem Vollzug wollte …

Es ist einfach ein wahnsinniges und zähes Ringen. Mia wirkt dabei bei Weitem nicht wie ihre 22 biologischen Jahre, sondern eher wie ein kleines 12jähriges Mädchen. Mal will sie Adam, findet die Glitzermärchenwelt mit dem ganzen Geld absolut toll, dann glaubt sie wieder daran, dass Adam sie nur ausnutze. Außerdem ist es furchtbar vorhersehbar. Zumindest mir war die wirkliche Identität von „FallenOne“, einem Spieler aus Mias Gruppe, der ihre Auktion ziemlich bescheuert fand, und der dann beleidigt verschwindet, direkt klar. Offensichtlicher ging es einfach nicht.

An vielen Stellen wirkt es außerdem, also wolle die Autorin ihre eigenen Ansichten auf plumpe Art und Weise durch Mia transportieren. Diese regt sich in ihren Blogs nämlich wahnsinnig über die Darstellung von Frauen in der Computerspielewelt auf. Oh nein, sexy Kriegerinnen im Kettenbikini! Dass an anderer Stelle von einem lendenschurzbekleideten Barbaren gesprochen wird, ist aber nicht weiter erwähnenswert. Da schützt der Kettenbikini allerdings besser als ein Tüchlein.

Lavandula wirft den Lendenschurz weg und legt den Kettenbikini zurück in ihr Inventar.

Ehrlicherweise muss man anfügen: vielleicht mokiert sich auch deshalb niemand, weil es zu einer Spontanerblindung kommt, sobald man den knapp bekleideten Barbaren erblickt.

Und ich bin noch immer nicht fertig mit Mia. Bezeichnet sie sich einerseits als Hardcore-Gamerin, lässt sie doch an anderer Stelle ihren besten Freund im Spiel einfach verrecken, weil er etwas sagte, was sie nicht hören wollte. Solche Zicken – weibliche wie männliche – fliegen ganz schnell aus der Gilde oder zumindest möchte keiner mehr mit ihnen gemeinsam spielen. Solches Verhalten führt übrigens zu Vorurteilen zockenden Frauen gegenüber, also sollte sich tatsächlich eine tiefere Botschaft der Autorin dahinter verbergen (Gamerinnen aller Länder, vereinigt euch!), geht das nach hinten los, da hier ein Klischee bestätigt wird.

Auch nach dem „Nerd-Kram“ habe ich vergeblich gesucht. Da ist wirklich sogar noch weniger drin als das Mindeste, das Möchtegernerds so von sich geben. Keine Nerdwitze (gut, ein Han Solo-Spruch kommt, wird aber sogleich erläutert, statt ihn einfach mal so stehen zu lassen), kein Nerdkram … nur der Herr der Ringe wird geschaut. Den die Autorin einfach mal direkt fett spoilert, sie haut ohne mit der Wimper zu zucken das Ende raus. Naja, sicherlich hat diese klasse Reihe ihre 20 Jahre schon fast auf dem Buckel – ich fühle mich alt, wenn ich an das kleine Mädchen zurückdenke, das Heiligabend 2003, eigentlich noch ein paar Monate zu jung, ins Kino ging, um diesen Film, den dritten, zu schauen – aber ich kenne genug Leute, die ihn noch nicht gesehen haben, es aber gerne noch wollen, und … man macht sowas einfach nicht!

Die Autorin bezeichnet sich selbst übrigens als Gamerin. Hat dann allerdings nicht mal die Basics drauf, was Begrifflichkeiten angeht. So leid es mir tut, aber nur, weil man Flappy Bird oder ähnliche gespielt hat, ist man noch lange kein Gamer.

Tatsächlich kann ich allerdings ein einzelnes etwas besseres Haar an diesem Buch lassen: Sprachlich ist es erstaunlich ertragbar. Es ist zwar weder besonders gut noch besonders schlecht, aber man wird nicht mit katastrophaler Grammatik oder einem Übermaß an Wortwiederholungen traktiert. Selbst in den – allerdings eintönig geschriebenen – Erotikszenen wird nicht in die tiefste Gossensprache zurückgegriffen und solche Horrorwörter wie „Schwengel“ tauchen glücklicherweise erst gar nicht auf.



Abschließende Gedanken

Ich glaube, dieses Buch kann ich getrost als einen Trittbrettfahrer von der Reihe um einen gewissen Mr. Grey einordnen: Armes Mädchen trifft reichen, jungen,
gutaussehenden, erfolgreichen Mann, der sie auch direkt für sich will, sie misstraut seinen Absichten, und so weiter. Jenes Buch brauchen wir nicht noch einmal aufwärmen. Gulasch und so – wobei es schon vorher nicht schmeckte.

Es ist schade, dass anscheinend heutzutage und besonders in diesem Genre die eigene Fantasie so sehr auf der Strecke bleibt. Stattdessen wird etwas aufgegriffen, das mal Erfolg hatte, ein wenig umgemodelt und dann als etwas Eigenes, total Tolles verkauft. Tatsächlich kann sowas in Ausnahmen gelingen, aber meist, wie auch hier, tut es das nicht.

Wir haben ein Buch, das gern die Gaming-Thematik aufgreifen und mit einer Art Liebesgeschichte verbinden möchte. Nette Idee. Doch der genauere Blick in den Quellcode enttarnt dieses Produkt doch wieder nur als schlechten Klon, der in fremdem Gewand daherzukommen versuchte. Dann wurde rumgejammert wie schlecht und gemein doch alles sei, vor allem in der Gaming-Welt gegenüber den armen Frauen.

Weder die Figuren noch die Handlungen sind authentisch, das ganze Buch ist es nicht, und auf die Art, wie sie ihre Botschaft transportiert, hat auch die Autorin viel davon eingebüßt. Es ist zäh, ein absolut vorhersehbares und unnötiges Hin und Her, und von dem, was ich erwartet habe – Gaming, Nerdkram, sowas eben – habe ich leider sehr wenig gefunden, und das wenige, das ich fand, war ein solch oberflächlicher und teilweise schlicht falscher Kram, dass es mir eher den Blutdruck in die Höhe trieb, statt mich zu erfreuen.

Das Buch habe ich geschafft, und zwar kurz bevor es mich geschafft hat, aber weder werde ich davon ein weiteres lesen noch es wieder in die Hand nehmen. Leere Versprechungen, vorhersehbare Handlungen, unsympathische Protagonistin. Eine große Enttäuschung, und das sogar bei deutlich heruntergeschraubten anfänglichen Erwartungen.

Lavandula bietet das Buch auf dem Markt zum Verkauf an.

Ja, ich hatte etwas Besonderes versprochen.

Lavandula legt den Kettenbikini an.

Das Buch war jedenfalls nichts Besonderes. Schade. Da wäre wirklich viel herauszuholen gewesen.

Lavandula hat sich ausgeloggt.
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Gastrezensentin: Lavandula



Lavandula gehört zum Kult der Bibliophilen und ist neben dem Studium selbst immer mal wieder als Autorin unterwegs, sofern die Zeit es zulässt. Ungefähr in einem Spektrum wie die Zeitsprünge in "Lumera Expedition: Survive" versuche ich sie bereits für einen Beitrag auf "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich hoffe, mit ihrem frischen Schreibstil wird sie den Blog noch häufiger bereichern.

Dienstag, 24. Dezember 2019

Rezension: Der Sprung (Simone Lappert)

(Foto: Aufziehvogel)





Schweiz 2019

Der Sprung
Autorin: Simone Lappert
Verlag: Diogenes
Veröffentlichung: September 2019
Genre: Gesellschaftsdrama




"Durch die saubersten Flure hatte er schon die übelsten Kerle abgeführt, und in den schicken Wohnungen waren einfach nur die Teppiche feiner, unter die der Dreck gekehrt wurde. Schweinereien waren Schweinereien, und Blut war ihm zuwider, ob es nun auf Linoleum oder Marmor vergossen wurde."



"Der Sprung" der jungen Schweizer Autorin Simone Lappert beginnt mit einem Sprung. Hatte ich es in meiner letzten Besprechung noch mit einem Revolver zu tun, ist es in diesem Roman nun ein Sprung. Ein Sprung, der aber so eine Wucht hat wie eine abgefeuerte Kugel aus einem Revolver. Es ist nur ein kurzer Prolog, eine minimale Einführung. Eine Einführung, die dem Leser nichts anderes als einen grandiosen Sprung beschreibt. Ein Sprung, so die Dame, die gerade fällt, der sich lohnen muss. Ein Sprung der sitzen muss, denn man kann ihn, logischerweise, nur ein einziges mal ausführen.

Als ich den Roman vor einigen Tagen ausgelesen habe zeigte mir Spotify in meinem Mix der Woche den Song "Time Rider" von den Chromatics an. Und schon musste ich wieder an den Roman von Simone Lappert denken, der mir noch immer so lebhaft im Gedächtnis sitzt, es sich dort regelrecht bequem gemacht hat. Ich dachte mir, der Song wäre der perfekte Soundtrack für diese Geschichte.
Die Autorin macht ihren Titel zum Programm. Nach dem Sprung folgt bekanntlich der Aufprall. Der Aufprall ist in diesem Sinne die Wucht oder besser gesagt sind es die Worte, die diesen Roman verfasst haben.

"Der Sprung" ist alle voran erst einmal ein Point of View Roman. Mehrere Charaktere, die allesamt ihre eigene Geschichte besitzen, erzählen die Rahmenhandlung des Romans. Menschen, die auf den ersten Blick alle relativ wenig miteinander zu tun haben stellen sich dem Leser kurz vor und der Stein kommt ins Rollen. Schon ganz zu Beginn bekommen wir es mit zwei recht starken Figuren zu tun. Felix, ein grimmig dreinschauender aber herzensguter Polizist. Ein muskulöser, furchtlos dreinblickender Typ. Doch scheint er sich laut seinen eigenen Aussagen eher als Kind zu sehen, das es immer noch nicht verstanden hat, wie es in diesen kräftigen Körper gelandet ist. Ein Junge, der in Wahrheit ängstlich ist und von pessimistischen Gedanken verfolgt wird. Ein ähnlich melancholisches Schicksal erwartet einige Seiten später Maren, eine etwas pummelige Frau ende dreißig, die ihren Mann, ihren Seelenverwandten, an einen Fitnesswahn verloren hat und sich beide immer weiter auseinanderleben. All diese kleineren wie größeren Nebenschauplätze führen selbstverständlich alle zu jener Frau aus dem Prolog, die so spektakulär gesprungen ist. Und ganz genau hier liegt die große Stärke des Romans. Man hat nicht nur eine etwas mysteriöse Rahmenhandlung die dem Leser das "Wie" und "Warum eigentlich" schmackhaft macht. Es sind auch die einzelnen Schicksale der POV-Charaktere, die hier so wunderbar funktionieren. Normalerweise vermag es nur Haruki Murakami mich direkt von der ersten Seiten an abzuholen. Simone Lappert versteht es anscheinend so gut wie der Japaner, die magischen Worte, die Zauberformel zu sprechen, die mich sofort in den Bann einer Geschichte zieht. Und jeder, der meinen Blog verfolgt der weiß, wie sehr ich auf Autoren und Autorinnen stehe, die eine gute Geschichte zu erzählen haben.

Obwohl "Der Sprung" mit etwas über 300 Seiten nicht unbedingt dünn ist schafft die Autorin es nahezu mühelos, ein flottes Tempo beizubehalten. Nie verfallen die Charaktere dabei in unangenehmes Selbstmitleid, was solchen Geschichten gerne schon einmal anhaftet. "Der Sprung" wirkt dabei sogar überraschend filmisch, verspielt und ausgestattet mit gut gewählten Referenzen auf die Populärkultur, ohne peinlich zu wirken. Die Geschichte profitiert enorm durch den Erzählstil und wie die einzelnen Schicksale miteinander verwoben sind. All das geschieht auf einer Ebene, wo eine anspruchsvolle Geschichte erzählt wird, aber nie zu kompliziert wirkt oder mit steif geschwollenen Worten gespickt wurde.





Abschließende Gedanken

Life is Strange. Simone Lappert erzählt von ganz normalen Menschen und macht daraus für mich ein literarisches Highlight im Jahr 2019. "Der Sprung" ist für mich ein Roman, den ich mir am heutigem 24.12 noch einmal in Form einer Rezension unter dem virtuellen Weihnachtsbaum lege. Sprachlich absolut treffsicher und mit interessanten Charakteren ausgestattet, hat die Schweizer Autorin eine Geschichte auf Lager, die es wert war, erzählt zu werden. Vielleicht die letzte Rezension in diesem Jahrzehnt auf "Am Meer ist es wärmer", die von mir verfasst wurde. Aber wenn ich mit so einem Roman das Jahrzehnt abschließe, dann ich entspannt zur Winterpause die Türen schließen.

Montag, 18. November 2019

Rezension: Der Revolver (Fuminori Nakamura)





Japan 2002/2003 (Neuerscheinung im deutschsprachigen Raum)

Der Revolver
Originaltitel: Jū
Autor: Fuminori Nakamura
Verlag: Diogenes
Übersetzung: Thomas Eggenberg
Genre: Noir-Thriller



"In meinen Augen war der Revolver vor allem dazu da, Leben zu zerstören, und dies möglichst effizient. Eine Emanation von Thanatos sozusagen. Aber warum fand ich Gefallen an einem solchen todbringenden Objekt? Weder hatte ich den Wunsch, jemanden umzubringen, noch die Absicht, mich selbst zu töten. Dass ich jemals mit einer Schusswaffe zu tun haben könnte, hätte ich nie geglaubt. Vielleicht war ich wie ein kleines Kind, das über sein ausgefallenes Spielzeug entzückt war? Der Gedanke gefiel mir. Es war nicht nötig, weiter zu grübeln. Was auch immer der Grund sein mochte - der Revolver gehörte jetzt mir, und das Hochgefühl über diese Tatsache machte meinen Alltag erträglicher, abwechslungsreicher. Jemanden einschüchtern oder auch beschützen. Jemand anderen oder mich selbst töten, kinderleicht. Unabhängig davon, ob ich es irgendwann tun würde oder nicht - wichtig war, dass ich die Möglichkeit in der Hand hatte, erfüllt vom kribbelnden Gefühl der Verlockung."



Was haben Isildur und der Protagonist von Fuminori Nakamuras Debüt gemeinsam? Nun, sie beide sind besessen nach einem kleinen Objekt. War es der Ring der Macht der Isildur ins Verderben stürzte, so ist es in dieser durch und durch in der Gegenwart angesiedelten Geschichte von Nakamura-San ein Revolver, der das Objekt der Begierde darstellt.
Ich war sehr glücklich darüber, als bekannt wurde, Diogenes würde die hauseigene Bibliothek um den Debüt-Roman von Fuminori Nakamura in deutscher Übersetzung erweitern. "Der Revolver" verhalf dem Autor in seiner Heimat damals zum Durchbruch und wurde nach einer Veröffentlichung in einem Magazin im Jahr 2002 abgedruckt und anschließend im Jahr 2003 auch als eigenständiges Buch publiziert. Und so begann die Karriere des Schriftstellers und seinen sehr düsteren Geschichten, mit denen er auch International mittlerweile Erfolge feiert.

"Der Revolver" ist vom Aufbau her typisch japanisch gestrickt. Die Geschichte lebt nahezu ausschließlich von den Gedankengängen des Ich-Erzählers (Boku - nennt man diese erzählerische Variante in Japan). Und der Titel ist hier Programm. "Der Revolver" erzählt die Geschichte eines jungen Mannes namens Nishikawa, der an einem verregneten Abend unter einer Brücke die Leiche eines Mannes entdeckt. Nach dem ersten Schock entspannte sich der introvertierte Nishikawa relativ schnell wieder und sein Blick gewann die Aufmerksamkeit eines Objektes, welches sich neben der Leiche des Mannes befand. Ein Revolver. Ein Colt-Magnum. Wie von einem bösen Geist beseelt wird Nishikawa von dem glänzendem Objekt angezogen, kann ihm nicht widerstehen. Er weiß, sobald er den Revolver berührt, bringt er sich automatisch in Schwierigkeiten. Nishikawas Pflicht als Bürger wäre es den Pfund der Leiche umgehend der Polizei zu melden und den Revolver nicht anzufassen. Doch kann er sich der kleinen Tötungsmaschine nicht widersetzen. Nishikawa greift sich den Revolver und mit ihm soll sich fortan sein komplettes Leben verändern.

Mit nicht ganz 200 Seiten kommt Fuminori Nakamura in seinem Debüt schnell zum Punkt. Beeindruckend bedient sich der Gewinner des Akutagawa-Preises aus dem Jahr 2005 hier an klassischen Elementen der Literatur, ohne dabei von bekannten Größen zu kopieren. Sachlich und gesellschaftskritisch wie Dostojewski, mysteriös und spannend wie ein Werk von James Sallis. Der Revolver dient in dieser Geschichte als klassischer MacGuffin. Er führt Nishikawa durch die Geschichte wie es der Ring in "Der Herr der Ringe" tut. Der Revolver verleiht ihm Macht. Das bloße anschauen des gefährlichen Objekts reicht aus, um ihn zu motivieren, einen Sinn in seiner Monotonie zu finden und sogar dabei die eigene Libido etwas aufzufüllen. Es ist ein Rausch, der seinen Körper durchströmt. Doch wie lange hält dieser Kick an? Wie lange kann sich der Protagonist damit zufrieden geben, den Revolver lediglich anzuschauen? In der Trommel befinden sich noch wenige Patronen. Und getreu nach Anton Checkhov muss eine Waffe, wenn sie in einer Geschichte vorkommt, auch abgefeuert werden. Oder etwa nicht?

"Der Revolver" ist schnell gelesen wenn man einmal dran ist. Man sollte sich den Roman etwas dosieren und ihn auf sich wirken lassen. In der Geschichte finden sich bereits viele Stilmittel, die mich in Nakamuras Roman "Der Dieb" so begeistert haben. Ein unscheinbarer Protagonist der durch ein nahezu zufälliges Ereignis in den Strudel der Unterwelt gerät. Den Thrill sucht Nishikawa in der Geschichte aus eigenem Antrieb heraus. Immer weiter dringen wir in die finstere Gedankenwelt von ihm ein und man weiß irgendwann nicht mehr, ob es einzig und allein der Revolver ist der Nishikawa so handeln lässt oder ob der Revolver lediglich der Dosenöffner für seine an sich schon finsteren Gedanken war.

"Der Revolver" ist zwar schon einige Zeit auch als englische Übersetzung erhältlich, ich kann aber auch hier einmal wieder Entwarnung geben: Die deutschsprachige Übersetzung von Diogenes stammt einmal mehr von Thomas Eggenberg, der hier direkt aus dem Japanischen übersetzt hat. Die Ausgabe ist als Hardcover erschienen und was mir besonders daran gefallen hat ist mal wieder das subtil schicke Motiv von Diogenes für das Cover, die sich hier für ein Werk von Andy Warhole entschieden haben (Gun). Die ersten Seiten sollte man nicht überspringen, hier findet man nämlich noch ein sehr schönes Vorwort von Fuminori Nakamura, welches ausschließlich an seine deutschsprachigen Leser gerichtet ist (und sehr positiv auf seine Lesereise durch Deutschland, Österreich und der Schweiz zurückblickt).





Abschließende Gedanken

Einen Roman von Fuminori Nakamura zu lesen ist für mich mittlerweile zu einem Leckerbissen geworden. Die Seiten blättern sich wie von selbst und das finstere Abenteuer ist schneller vorbei, als einem lieb ist. "Der Revolver" ist nach "Der Dieb" und "Die Maske" bereits die dritte deutschsprachige Übersetzung des Autors, und wie immer drücke ich fest die Daumen, dass das Repertoire an deutschen Übersetzungen von Nakamura-San erweitert wird. "Der Revolver" ist sicherlich keine Feel-Good Story für die düsteren Tage, aber sicherlich auch kein als Folter-Porno getarnter Krimi, wie es bei vielen bekannten deutschen Autoren derzeit leider im Trend liegt. "Der Revolver" ist eine Achterbahnfahrt, die uns einen ähnlichen Rausch beschert wie das gefährliche Objekt in der Geschichte und unseren Erzähler so sehr in Ekstase versetzt. Erstklassig.

Mittwoch, 30. Oktober 2019

Besprechung: Dao De Jing (Lao Zi)




Anmerkung: Bei den verschiedenen Schreibweisen des Werkes sowie des Autors berufe ich mich auf die vereinfachte Schreibweise, die auch der Verlag für diese Veröffentlichung benutzt. Besonders die Formatierung hier auf dem Blog leidet bei Sonderzeichen sehr, ich bitte diesen Umstand also vorab zu entschuldigen.



China

Dao De Jing
道德經 / 道德经
Verfasser: Lao Zi
Verlag: Manesse
Übersetzung, Herausgeber, Vorwort, Nachwort, Erläuterungen: Michael Hammes
Genre: Klassische Literatur, Philosophie



Aus dem Vorwort: "Obwohl dieses weitverbreitete Werk also seit jeher Sprengstoff für die etablierten Systeme der Macht und Deutungshoheit liefert, ist es nicht indiziert, sondern schlummert harmlos auf den entlegensten Bücherborden. Dass bislang keine detonationsauslösenden Zündungen stattgefunden haben, liegt einerseits an der erwähnten esoterischen Kodierung, andererseits an der grundlegenden Intention einer friedlichen inneren Wandlung und nicht einer gewaltsamen äußeren Revolte."



Als die Germanen ihre Kriege praktisch noch mit Steinschleudern ausgefochten haben, existierte bereits Weltliteratur im fernen China und im römischen Reich. Das Dao De Jing von Lao Zi wird als Gründungsschrift für den Daoismus gesehen und gilt als Vorreiter für andere bekannte Schriften wie die von Marx oder der Chuch'e Ideologie. Auch wenn die Vergleiche weit hergeholt sind, als einen symbolischen Vergleich finde ich sie nicht unpassend. Dass all diese Werke voneinander jedoch grundverschiedene Ansichten teilen, dürfte aber auch dem Laien klar werden.

Genau wie bei den alten Griechen und ihrem Homer gibt es keine eindeutigen Beweise dafür, dass es jemals einen alten Weisen namens Lao Zi gab (was auch viel mehr ein Titel sein könnte) und ob ihm auch wirklich eine der bekanntesten und ältesten chinesischen Schriften zugeschrieben werden kann. All das trägt zu der an sich geheimnisvollen, ja, auch ein wenig kryptischen Natur des Dao De Jing bei. Eine klassische Rezension zu verfassen, also diese Schrift zu bewerten, ist kaum möglich. Aber man kann sie besprechen. Was das Dao De Jing nämlich immer noch für sein Alter so zugänglich macht sind die immer noch zeitgenössischen Themen in den Texten, die auch in der heutigen Gesellschaft noch fantastisch funktionieren.

Das größte Problem an den deutschen Übersetzungen waren bisher immer eigenwillige Interpretationen, die jedoch nie ausführlich erklärt wurden oder interessierten Lesern zugänglich gemacht wurden. Auch hier muss man wieder bedenken, für den perfekten Zugang zu dem Werk in der altchinesischen Sprache sollte man mit großer Wahrscheinlichkeit die Sprache verstehen und bestens in der chinesischen Kultur bewandert sein. Genau wie bei der japanischen Literatur entfaltet sich der volle Sinngehalt nur, wenn man die Schriftzeichen lesen kann. Die symbolische Sprache verwandelt sich während man liest in Bilder und diese Bilder bieten noch ein wesentlich besseres Verständnis des Textes. Für diese zweisprachige neue Ausgabe vom Manesse Verlag war ein Mann mit beeindruckender Vita zuständig, der den Text übersetzt, interpretiert und kommentiert hat. Dr. Michael Hammes. Dieser ist gleichzeitig auch noch als Neurologe und Arzt für chinesische Medizin tätig. Ein Mann vom Fach. Doch wie liest sich seine Interpretation? Die liest sich einfach ausgezeichnet. Auch wenn ich das Buch noch immer nicht als eine gemütliche, entspannte Lektüre bezeichnen würde, hier hat der Übersetzer sein möglichstes getan, um diesen alten Text in eine moderne, deutsche Sprache umzuwandeln. Und das funktioniert. Und das funktioniert gar nicht mal auf Anhieb. Doch hier beruhigt Herr Hammes gleichzeitig auch und verweist darauf, dass man ein Gefühl für das Werk bekommen muss und die teils komplexen Wortspiele selbst in Bildersprache umsetzen muss. Es dauert eine Weile, doch dann bekommt man für die kurzen Passagen allmählich ein Gefühl und besonders ein Gefühl dafür, sich in diese Texte hineinversetzen zu können. Ein generelles Interesse für das Dao De Jing mitzubringen ist hier also unabdingbar.

Das Dao De Jing an sich ist ein relativ kurzer Text, der aus vielen kleinen Passagen, sogenannten "Eröffnungen", besteht. Diese Eröffnungen sind von unterschiedlicher Länge und unterscheiden sich thematisch stark voneinander. Die Texte bringen zwar allesamt eine gewisse Mystik mit sich und klingen teilweise sehr kryptisch, aber nach einer weile ist es faszinierend zu erkennen, wie sehr die kleinen Texte auch aus heutiger Sicht noch funktionieren. Und nein, ich rede hier nicht von irgendwelchen Weisheiten aus Glückskeksen oder dem Hokuspokus eines Horoskop von nächster Woche. Diese Texte haben auf mich, einen absoluten Laien was dieses Werk angeht, einen zeitlosen Eindruck gemacht. Es spielt dabei absolut keine Rolle, ob die Texte nun einer einzelnen Person zugeschrieben worden sind oder ob vielleicht mehrere chinesische Philosophen daran beteiligt waren. Die immer noch sehr geheimnisvolle Entstehungsgeschichte des Dao De Jing ist nicht minder interessant als die gesammelten Texte selbst.

Der Manesse Verlag liefert hier gewohnt gute Qualität ab und präsentiert wie immer das Buch auch optisch in einer schönen, kleinen Hardcover-Ausgabe mit Schutzumschlag und Lesebändchen. Garniert ist die Ausgabe noch mit einem umfangreichen Register mit zahlreichen Erklärungen des Herausgebers.




Abschließende Gedanken

Das Dao De Jing von Lao Zi ist keine Unterhaltungsliteratur. Aber es ist ein interessantes Werk der klassischen Weltliteratur, was heute nicht weniger relevant ist als vor über 2000 Jahren. Ob man die Werte, die in diesem Text verankert sind, für sich verinnerlicht oder ob man einfach neugierig ist, jeder soll diese Texte so angehen, wie er es für richtig hält. Wenn ich aber trotzdem eine Empfehlung abgeben darf: Ich empfehle, das Buch zuerst mit den Erklärungen und Interpretationen von Dr. Michael Hammes zu lesen und anschließend die einzelnen Eröffnungen des Dao De Jing noch ein weiteres mal ohne Erklärungen und Interpretationen. Hier muss man nun nicht zusammenzucken, denn, wie bereits geschrieben, das eigentliche Werk ist verhältnismäßig kurz. Und dennoch steckt in dieser Kürze eine solche Wucht, dass man kaum glauben mag, es hier mit einer so alten Schrift zu tun zu haben. Zu verdanken hat man dies auch der modernen Übersetzung und Interpretation von Michael Hammes. Auf jeder Seite kann man die Passion und Hingabe für dieses Projekt aus jeder Zeile herauslesen. Da macht es große Freude, diese Zeilen als Leser aufrichtig zu verfolgen.

Dienstag, 22. Oktober 2019

Einwurf: Abschließende Gedanken zum finalen "The Rise of Skywalker" Trailer




Star Wars Episode IX: The Rise of Skywalker - Finaler Trailer





So ziemlich alles, was mit der neunten Episode des kommenden Star Wars Abenteuers zu tun hat klingt endgültig. Und so ist es beim Abschluss der Saga rund um die Skywalkers nicht verwunderlich, dass noch im Oktober, rund zwei Monate bevor der Film offiziell startet, der finale Trailer veröffentlicht wurde.

Die Prämisse des Trailers könnte dabei kaum besser in Szene gesetzt sein. Eine durchgehend melancholische Stimmung die nach Abschied klingt. Bombastische Optik die exotische Planeten und Raumschiffe zeigt die sich für eine letzte Schlacht wappnen und ein Ausblick auf das personifizierte Böse: Imperator Palpatine. Doch anstelle eines Knalls verpuffte der Effekt irgendwie am Ende wie ein kleiner Feuerwerkskörper. Woran es nun wirklich lag, kann ich nur schwer erklären. Für mich hat Episode VIII zwar auch einen signifikanten Schaden angerichtet, den man, meiner Meinung nach, nicht mehr reparieren kann, aber dennoch stand ich Abrams letzter Star Wars Episode immer relativ neutral gegenüber. Natürlich war es von vornherein unmöglich gewesen, mit einem weiteren Film das auszubügeln, was der Vorgänger angerichtet hat. Die neuen Charaktere stagnierten und die alten, so beliebten Charaktere fanden kaum Erwähnung oder aber segneten das Zeitliche. Doch damit begann bereits Abrams in Episode VII.

Die geringe charakterliche Entwicklung sowie das fehlen ikonischer Charaktere stellt den neuen Trailer vor ein Problem: Ich habe zu diesen Figuren keinerlei Bezug. Sämtliches Potential, was in Episode VII aufgebaut wurde, verpuffte im letzten Film. Interessante Charaktere wie Poe wirken nur noch wie ein unbedeutender Statist während das Potential von Finn schon in Abrams erster Star Wars Episode erloschen ist. Noch viel schlimmer ist es, während ich diesen Text schreibe, habe ich einen anderen Tab für Google geöffnet, um die korrekte Schreibweise der neuen Charaktere nachzuschlagen. Von Rey will ich also eigentlich gar nicht erst anfangen. Egal ob J.J. Abrams oder Rian Johnson und vermutlich auch Produzentin Kathleen Kennedy; mit diesem Charakter schien nie jemand so wirklich zu wissen, was nun aus dem Schicksal dieser Frau wird. Auch hier gabs durchaus noch Potential da Rey per se kein schlechter Charakter ist. Die Möglichkeiten, mit dieser Figur etwas anzustellen waren durchaus gegeben. Im neuen Trailer wirkt aber auch Rey weiterhin wie ein unkontrollierbarer MacGuffin, der von Planet zu Planet gescheucht wird, um seine Bestimmung zu finden. Eine Bestimmung, die noch immer unweigerlich an einen weiteren, leeren Charakter geknüpft ist: Kylo Ren aka Ben Solo. Getreu dem Motto "Halte dir deine Freunde nah bei Dir, aber Deine Feinde noch näher" kämpfen sie Seite an Seite und doch gegeneinander vor dem tosenden Meer eines noch unbekannten Planeten.

In einer rührenden Rede signalisiert C3PO im Trailer noch einmal, wie endgültig diese finale Episode der Skywalker-Saga sein wird. Sowohl C3PO als auch R2D2 kommen in den letzten beiden Episoden auf eine unbedeutende Screentime. Hier appelliert der geschwätzige Droide noch einmal an die Freundschaft mit dem neuen Cast und deutet gleichzeitig sein wohl bevorstehendes Ableben an.
Wenn #KillThePast, dann so richtig. Aber die Vergangenheit zu töten ist unmöglich ohne vorher noch einmal den Nostalgie-Regler aufzudrehen. Im Trailer wirkt die Szene auf mich bisher unfreiwillig komisch und traurig zugleich. Zum einen, weil C3PO hier eine Rede schmettert die er genau so wenig verdient hat wie Tyrion Lannister in der letzten Folge von Game of Thrones. Zum einen finde ich es traurig, wie wenig mich diese Szene berührt. Wie ich schon geschrieben habe stand ich Episode IX bisher immer relativ neutral gegenüber. Bin nun aber unglaublich erstaunt, wie wenig mich auch nur irgendein Moment im Trailer wirklich erreicht hat. Noch nie habe ich aus dem Star Wars Universum etwas mit einer solch erdrückenden Gleichgültigkeit wahrgenommen wie hier.

Handwerklich haben wir es hier mit einem typischen Trailer von J.J. Abrams zu tun. Seine Spielereien sind bekannt und dennoch gibt es selbst für seine Verhältnisse unglaublich wenig Überraschungen in dem Trailer. Selbst Abrams klassisch vorhersehbare Überraschungen wie einen dramatischen Plot Twist anzudeuten, der in Wahrheit aber nur ein Traum oder die Vision eines Charakters ist, war hier nicht vorhanden. Stattdessen wurde auf überladene CGI-Effekte gesetzt die durchaus ihre Wirkung entfalten, aber halt auch nichts bahnbrechendes offenbaren, was mich auf diese finale Episode etwas neugieriger macht.
Am Ende bleibt eine Leere zurück, die durchaus mit den Charakteren vergleichbar ist. Dinge, die in dem Vorgänger etabliert wurden wie zum Beispiel alberne Charaktere wie DJ oder Casino-Planeten scheinen glücklicherweise in "The Rise of Skywalker" keinerlei Bedeutung zu finden. Aber all das reicht auch nicht wirklich aus, um mich hier abzuholen und auf eine epische Reise mitzunehmen. Die neue Trilogie wird enden, ohne Frage. Die Skywalker-Saga wird nach Jahrzehnten ein Ende finden. Viele Fans werden diesen Film herbeisehnen, viele werden sich bis die Haare grau werden über den Film und seine Vorgänger echauffieren und viele wiederum, und das ist das eigentlich traurige an der neuen Trilogie, vielen wird der Abschluss dieser monumentalen Saga schlicht und ergreifend mittlerweile völlig egal sein.

Sonntag, 13. Oktober 2019

Ein Einwürfchen zur Vergabe des Nobelpreises für Literatur 2018/2019





Seit es "Am Meer ist es wärmer" gibt, berichte ich über den Nobelpreis für Literatur. Obwohl die Verleihung für viele Jahr für Jahr an Bedeutung verliert und es durchaus wesentlich angesehenere Preise gibt, wo nicht politische, sondern allein literarische Entscheidungen im Sinne der Literatur von den Gremien gefällt werden. Nicht selten sind die Entscheidungen für den Literaturnobelpreis von kontroverser Natur. Aber man kann ihnen auch nicht vorwerfen, nur kontroverse Entscheidungen getroffen zu haben. Rückblickend muss ich gestehen, es gab mehr Entscheidungen für die Literatur als Medium anstatt kontroverse, politische Auswahlen getroffen wurden. Doch auch Entscheidungen, die mehr in eine politische Richtung gingen wie bei Herta Müller im Jahr 2009, so stellte sich heraus, dass das Werk der deutschen Schriftstellerin, die in Rumänien aufgewachsen ist, eine unglaubliche Relevanz besitzt. Mit Mario Vargas Llosa wurde nur ein Jahr später ein klassischer Romancier für sein gefühlvolles Werk ausgezeichnet. Alice Munro folgte 2013 und Patrick Modiano 2014. Alles klassische Romanciers die eine menge von der Schriftstellerei verstehen. Mit Kazu Ishiguro, der britische Schriftsteller japanischer Herkunft, traf man 2017 sogar eine ausgezeichnete Wahl, die insofern überraschte, weil er erst 1954 geboren ist und genau wie der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk aus dem Jahr 2006 noch als relativ jung gilt.

Doch dann gibt es auch immer wieder die kontroverseren Entscheidungen des Gremiums. In dieser Kritik stehen oftmals die weniger bekannten Autoren. Die Autoren, die sich beispielsweise der Lyrik verschrieben haben. In Fachkreisen bejubelt, bei der breiten Masse an Lesern völlig unbekannt gewesen und schwer an sein Werk zu kommen: Thomas Tranströmer aus Schwerden (1931-2015) im Jahr 2011. Es folgte 2012 eine wesentlich umstrittenere Entscheidung, als der Chinese Mo Yan den Preis erhielt. Besonders, da sein Werk im Westen relativ unbekannt war und es immer noch ist, fragte man sich schon, wie das schwedische Gremium auf diesen Namen kam wenn nicht vielleicht eine politische Entscheidung dafür ausschlaggebend war. Gleiches gilt für die Preisträgerin aus dem Jahr 2015 Swetlana Alexijewitsch, die allerdings vorab in Literaturkreisen weltweit anerkannt war.

Im Jahr 2016 kam es dann zu einer Entscheidung, die bis heute eher belächelt wird. Ob es daran lag, den Wettbüros einfach mal in die Karten zu spielen oder ob man sich mit der Entscheidung an eine jüngere Generation heranwagen wollte, aber mit Bob Dylan einen Künstler zu wählen, der nie ein eigenes Buch geschrieben hat und ihn dennoch mit dem Nobelpreis für Literatur zu adeln, dies ging vielen dann doch eine ganze Nummer zu weit. Anscheinend sogar dem Folk-Singer selbst, der den Preis in erster Instanz nicht entgegennehmen wollte. Die Grundidee, einen Musiker für seine Musiktexte zu adeln ist nicht einmal eine schlechte Idee. Doch dafür gibt es genügend angesehene Musikpreise, die so etwas ehren. Eine Entscheidung des Gremiums, die hoffentlich eine Ausnahme bleibt.

2018 habe ich nicht über den Nobelpreis für Literatur berichtet. Warum? Nun, da gabs keine Verleihung. Vielleicht wollte man auch hier, allerdings relativ ungewollt, an jüngere Menschen herantreten denn auf einmal war das Komitee rund um den Nobelpreis für Literatur in die #MeToo Initiative verwickelt. Was genau dahinter steckte ist für diesen Einwurf völlig belanglos. Das Thema an sich ist sehr interessant und sollte zum nachdenken anregen, wer sich da gerne informieren will, dem wird Google oder Wikipedia sofort zur Seite stehen.

Obwohl die Vergabe des Preises 2018 nicht stattfand, wurde diese nun bei der Verleihung im Jahr 2019 nachgereicht. Ausgezeichnet wurde hier nachträglich die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk. Auch hier fiel die Wahl wieder auf eine klassische Schriftstellerin, die mit Prosa überzeugt, der Name leider aber auch vielen wieder kein Begriff sein dürfte. Ohne das Werk von Frau Tokarczuk degradieren zu wollen, es ist wirklich schwer an in die deutsche Sprache übersetzte Werke von ihr zu kommen. Der Kampa Verlag scheint sich ihrer nun anzunehmen, preislich werden hier aber interessierte Leser vielleicht nun zusammenzucken, die sich einfach mal ein Buch der Schriftstellerin aus Neugier nun durchlesen wollen.

Der Nobelpreis für Literatur war im Jahr 2019 so etwas wie ein Adventskalender, wo man zwei Türchen auf einmal öffnen darf. Denn auch der Preisträger für 2019 wurde selbstverständlich gekürt. Hier wurde ein Nachbar aus Österreich ausgezeichnet, nämlich Peter Handke. In Literaturkreisen sehr bekannt, aber nicht unumstritten und auch für seine politischen Bewegungen in den Jugoslawienkriegen sowie seine Verbindung und Unterstützung gegenüber Slobodan Milošević, zudem hier nichts weiter geschrieben werden muss. Handke selbst entschuldigte sich damals mit bewegenden Worten auf der Beerdigung von Milošević für seine politische Sichtweise. Die Verleihung des Preises an Handke sorgte jedoch für Empörung in zahlreichen Balkanländern.

Handke selbst feierte seine größten Erfolge in den 60er/70er Jahren. Besonders die sogenannten "Millennials" (zu denen ich mit 32 selbst gehöre) dürften weder sein Werk, noch ihn selbst kennen. Hier muss man jedoch unterscheiden zwischen den Gruppen, die stark in der literarischen Szene bewandert sind und diejenigen, die sich für Literatur interessieren, aber nicht in solche Kreise vorgedrungen sind bisher. Wie intellektuell muss man denn sein, um sich für die aktuellen Gewinner des Nobelpreises für Literatur interessieren zu können? Ich selbst kenne die polnische Preisträgerin überhaupt nicht und Handke war mir bisher größtenteils durch seine politische Vergangenheit ein Begriff.

Und hier kommen wir zum Problem der diesjährigen Gewinner. Was möchte man mit der Vergabe erreichen? Sollte Literatur nicht ein Medium sein, welches eine Vielzahl von Menschen erreicht? Sollte ein Preisträger nicht ein Schriftsteller sein, der oder die mit seinem/ihren Werk viele Leser für sich eingenommen hat? Natürlich kommen hier einige Faktoren dazu. Bekanntermaßen werden populäre Autoren, wie auch der Jahr für Jahr gehandelte japanische Autor Haruki Murakami oder der Brite Ian McEwan, nicht für den Preis berücksichtigt, obwohl ihr Werk anspruchsvoll genug ist, um von einer Bereicherung für das Medium zu sprechen. Weiterhin muss man sich auch sicher sein, weder Stephen King oder Adler Olsen werden jemals für den Nobelpreis für Literatur in Frage kommen.

Man scheint hier noch keine ausgewogene Mischung gefunden zu haben. Besonders mit der Wahl von Peter Handke verfehlt man es, das Medium Literatur gebührend zu ehren. Auch hier möchte ich nicht Herrn Handkes schriftstellerische Fähigkeiten in Frage stellen, aber die Frage, die ich mir stelle, ist, bewegt sein Werk in der modernen Literatur noch irgendwas? Ein Autor, der vor mehreren Jahrzehnten seine größten Erfolge feierte, können dessen Werke auch noch die heutige Generation erreichen und bereichern? Wer wird denn nun in den Buchhandel gehen oder die virtuellen Händler aufsuchen und nach Büchern von Olga Tokarczuk und Peter Handke fragen und suchen? Was möchte man mit dem Nobelpreis für Literatur erreichen? Dieser schmale Spagat, einen relevanten Autor zu küren der noch immer aktiv mit seiner Literatur viele Menschen erreicht, so jemand sollte das Ziel des Gremiums sein, zu finden und auszuzeichnen. Einen Mann wie Kazuo Ishiguro zum Beispiel. Ich wette, davon gibt's in der modernen Literaturwelt noch einige.

Der Nobelpreis für Literatur schafft es nicht, im Gegensatz zu seinen gleichnamigen Gegenstücken in anderen Kategorien, relevant genug zu wirken. Mein Ziel ist es nicht, die Werke der jetzt ausgezeichneten Schriftsteller abzuwerten sowie ihre Leser, die sicherlich vielzählig sein werden. Aber mir fehlt hier eine klare Verbindung zu zeitgemäßen Themen und Autoren. Bereits im nächsten Jahr kann der Trend schon wieder in eine ganz andere Richtung gehen. Dies macht die Entscheidungen natürlich jedes Jahr teilweise so unberechenbar. Der derzeitige Trend geht aber leider wieder in eine Richtung, die mir persönlich nicht ganz zu gefallen weiß. Ich halte die Auszeichnung weiterhin für sehr relevant, aber damit das so bleibt, müsste sich hier schon etwas ändern. Als einfacher Leser hat meine Stimme natürlich keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Gremiums. Es bleibt also weiterhin sehr spannend, für welche Schriftsteller man sich in den kommenden Jahren entscheiden wird. Und wer weiß, vielleicht fällt die Wahl nächstes Jahr auf Houellebecq. Dann kann man sich zumindest sicher sein, dass die ganze Literaturwelt heiß und euphorisch diskutieren wird. Und vielleicht dabei in Anarchie versinken würde.

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Gastrezension: Lumera Expedition: Survive (Jona Sheffield)





Deutschland 2019

Lumera Expedition: Survive
Autorin: Jona Sheffield
Verlag: Selbstverlag
Format: eBook
Genre: Science-Fiction



Eine Gastrezension von Lavandula für "Am Meer ist es wärmer"



Mit ihrem Debüt-Roman „Lumera Expedition: Survive“, dem ersten Band einer geplanten Trilogie, hat Jona Sheffield auf Anhieb den Sprung in die Bestsellerlisten Space Opera und Dystopien bei Amazon geschafft. Dass dies geschehen ist, liegt meiner Meinung nach nicht nur an dem angenehmen, flüssig zu lesenden Schreibstil, sondern mindestens genauso an der düsteren Zukunftsvision, die sie in ihrem Roman zeichnet – und von der es gar nicht mal so abwegig erscheint, dass sie wahr werden könnte.

Auslöser für die Ereignisse, die Jona Sheffield hier beschreibt, ist, platt gesagt, der Klimawandel. Sie denkt die Ereignisse weiter, die er zur Folge haben kann: Immer schneller schmelzende Pole, Überflutungen, schließlich Nahrungsmittelknappheit, eine zusammenbrechende Wirtschaft, Gewalt auf den Straßen, der reine Kampf ums Überleben. Die Hoffnung: Riesige Raumschiffe, die die Menschen nach Lumera, einem Planeten in einem anderen Sonnensystem, bringen sollen, damit sie dort neu anfangen können. Mittendrin sind Julia, Peter und John, die die Ereignisse jeweils aus ihrer ganz eigenen Sichtweise erleben und damit umgehen.

Im Prolog werden wir in das Jahr 2042 geworfen. Wir befinden uns auf der Erde und werden, wie uns bereits die Überschrift verrät, etwas über Julia lesen. Julia befindet sich auf einer Mission, die offensichtlich gewaltig schief gelaufen ist und ist auf der Flucht. Der Leser wird mit Begriffen wie „BID“ oder „Nantech“, einer Firma offensichtlich, beworfen, ohne, dass es hierzu an dieser Stelle weitere Erklärungen gibt. Die braucht es allerdings auch nicht.

Der Prolog endet damit, dass Julia mit recht großer Wahrscheinlichkeit ums Leben kommt. Hm. Na gut, aber vielleicht war sie auch nicht weiter wichtig, obwohl zumindest ich sie schon auf den wenigen ersten Seiten liebgewonnen hatte. Und obwohl sie im Klappentext erwähnt wird. Hm.

Der Eindruck verstärkt sich zunächst, als wir ins Jahr 2384 zu Peter katapultiert werden, der sich an einem Ort names „Platon“ befindet. Hatte er noch vor fast 370 Jahren unheilbar an Krebs gelitten, erwacht er nun aus dem Kryoschlaf und ist geheilt. Den Wundern der modernen – nun ja, der zukünftigen – Medizin sei Dank. Langsam kommt Licht ins Dunkel, denn Peter hat natürlich von den technologischen Fortschritten, wie auch von allem anderen, was in den letzten Jahrhunderten geschehen ist, nichts mitbekommen. Jona Sheffield wählt hier einen sehr eleganten Weg, den Leser mit allerlei wichtigen Informationen zu versorgen: Sie lässt es durch Jason, Peters Sohn, an Peter gerichtet berichten, anstatt ihre Erzählung immer wieder durch erklärende Einschübe zu unterbrechen.

Moment, Peters Sohn?

Richtig, Peters Sohn. Doch hierfür bekommen wir schon bald eine schlüssige und stimmige Erklärung geliefert.

Danach befinden wir uns im Jahr 2041, bei Julia – ist sie also doch nicht so unwichtig. Und die übrigens Peters Tochter zu sein scheint, Jasons Schwester.

So geht es weiter: Mal befinden wir uns Jahrhunderte in der Zukunft, mal befinden wir uns bei Julia, wo erklärt wird, wie sie in die Situation aus dem Prolog geraten ist, und dann tritt auch noch John
auf, ein FBI-Agent, der auf der anderen Seite steht. Dadurch werden nach und nach viele Puzzleteile der Geschichte offenbart und schließlich auch Stück für Stück an den richtigen Platz gerückt.

Wie eingangs bereits gesagt, wird hier eine Zukunftsvision aufgezeigt, die so unwahrscheinlich gar nicht ist. Mit teilweise dramatischen Bildern wird eine Zukunft gezeigt, in der mit Sicherheit niemand von uns leben möchte. Das Buch rüttelt auf, und das soll es auch.

Die Geschichte – oder vielmehr: die Geschichten, da aus der Sicht verschiedener Protagonisten zu teilweise Jahrhunderte auseinander liegenden Zeitpunkten erzählt wird – wirkt auf mich in sich stimmig. Es gibt keine an den Haaren herbeigezogenen Lösungen für Probleme oder Ereignisse. Sogar die einzelnen Schicksale laufen irgendwann zusammen, und das wirkt nicht konstruiert oder zu gewollt.

Die Protagonisten handeln realistisch, sie haben Tiefe und – haltet Euch fest! – Gefühle. Etwas, das viel zu viele Helden und Heldinnen aus Film und Literatur nicht haben. Hier jedoch haben wir es nicht mit Übermenschen zu tun, die bestenfalls ein dramatisches Erlebnis aus ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten haben und nur deshalb heute so sind, wie sie sind, sondern mit normalen Menschen. Menschen mit ihren ganz normalen Sorgen, Menschen mit einem Gewissen, Menschen im Zwiespalt. Menschen, die im Laufe des Buches eine Entwicklung durchlaufen. Und nicht nur Menschen. Zu meinem ganz persönlichen Lieblingscharakter möchte ich an dieser allerdings Stelle nichts verraten, da er erst spät auftaucht, und ich keine Spoiler verbreiten werde.

Der Erzählstil ist flüssig und lässt sich angenehm lesen. Selten stolperte ich hier oder da mal über ein Satzkonstrukt, aber das lässt sich verzeihen und tut dem Spaß am Lesen auch keinen Abbruch.

Zum Ende hin kommt es zu der einen oder anderen überraschenden Wendung. Vielleicht kam der Anfang vom Ende des Buches sogar etwas zu schnell, nachdem so viel Vorbereitung in den Weg dahin gesteckt wurde – aber wie gesagt, es ist realistisch. Und die Realität ist eben nicht unbedingt, dass ein ausgeklügelter Plan auch wirklich funktioniert. Nein, da kommt dann die Grätsche von links und – ätsch – Plan hinüber.

Das mochte ich im Übrigen auch sehr, dass das Buch im Großen und Ganzen unvorhersehbar wurde. Natürlich hatte ich hier und da eine Vermutung, die wurde auch manchmal in ähnlich bestätigt, aber es waren mehr als genug überraschende Momente dabei. Inklusive Cliffhanger am Ende.




Abschließende Gedanken

Jona Sheffield möchte mit „Lumera Expedition: Survive“ auf ein ganz akutes Thema aufmerksam machen: Den Klimawandel. Hierzu hat sie auch die Bewegung #ScifiForFuture gestartet und leistet unter anderem mit ihrem Buch ihren Beitrag dazu. Ich bin auch gar nicht sicher, inwieweit ihr Buch überhaupt noch „Fiktion“ ist. Es rüttelt auf, keine Frage. Und es schafft eine lockere, um nicht zu sagen spielerische Annäherung an das Thema, indem uns der Ernst in einer hübschen Verpackung (das beziehe ich nun nicht auf das Cover, das unverdienter Weise allerdings noch gar nicht zu Wort kam, denn es ist wirklich schön und war das Erste, wodurch ich an diesem Buch hängen blieb), in einem Medium, dass selbst in heutiger Zeit noch viele Menschen verstehen, überreicht wird. Lesen ist für viele Menschen eine Art der Entspannung, der Ablenkung oder schlicht ein Hobby. Weshalb also nicht das Angenehme mit dem, das unbedingt gesagt werden muss, verbinden?

Für mich ist dies auf jeden Fall gelungen. Es ist ein sehr lesenswertes Buch, gut geschrieben, aufrüttelnd. Ich freue mich auf den zweiten Band und hoffe, dass da die Verbindung zu den Ursprüngen nicht gekappt wird.
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Gastrezensentin: Lavandula


Lavandula gehört zum Kult der Bibliophilen und ist neben dem Studium selbst immer mal wieder als Autorin unterwegs, sofern die Zeit es zulässt. Ungefähr in einem Spektrum wie die Zeitsprünge in "Lumera Expedition: Survive" versuche ich sie bereits für einen Beitrag auf "Am Meer ist es wärmer" zu gewinnen. Ich hoffe, mit ihrem frischen Schreibstil wird sie den Blog noch häufiger bereichern.

Montag, 30. September 2019

Rezension: Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden (Genki Kawamura)

Foto: Aufziehvogel




Japan 2012

Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden
Originaltitel: Sekai kara neko ga kieta nara
Autor: Genki Kawamura
Übersetzung: Ursula Gräfe
Verlag: C.Bertelsmann
Genre: Tragikomödie, Mystery



"Die Welt ohne Telefone.
Wenn ich es mir recht überlegte, waren Telefone (insbesondere Mobiltelefone!) die absolute Nummer eins unter den Dingen, auf die man verzichten konnte.
In letzter Zeit hatte ich mein Smartphone vom Aufstehen bis zum Schlafengehen kaum noch aus der Hand gelegt und ständig im Auge behalten. Die Anzahl der Bücher, die ich las, hatte sich stark verringert. Zeitung las ich auch nicht mehr. Selbst die Liste der Filme, die ich mir anschauen wollte, aber nicht nicht gesehen hatte, war bedenklich angewachsen.
In der Straßenbahn starrten alle Leute auf ihre Handys. Nicht einmal im Kino konnten sie es lassen. Oder beim Essen. Es kam so gut wie nie vor, dass ich in der Mittagspause nicht auf mein Telefon sah. Sogar wenn ich Weißkohl auf dem Schoß hatte, fummelte ich daran herum, statt mit ihm zu spielen. Dieses Ding, um das sich alles drehte, war mir gründlich zuwider."




Mit einem kuriosen Buchtitel melde ich mich aus einer längeren Pause zurück. Gleichzeitig möchte ich mit "Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" des jungen japanischen Autors und Produzent Genki Kawamura auch zu den Anfängen von meinem Blog zurückkehren. Denn in allen Belangen ist der Roman in jeder Hinsicht japanisch. Es gibt den namenlosen Ich-Erzähler der in eine fast schon absurde Situation gerät, es gibt surreale Elemente und es gibt Katzen. All das gibt es und der Autor heißt nicht Haruki Murakami.

"Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" ist in Japan bereits 2012 erschienen. International machte der Roman erst einige Zeit später auf sich aufmerksam als zum Beispiel eine englische Übersetzung erschienen ist. In Japan war der Roman ein beachtlicher Erfolg und ist natürlich zu einer Zeit erschienen, die für die Japaner sehr schwer war. Nach dem Erdbeben aus dem Jahr 2011 und dem Tsunami sowie der Kernschmelze der Atomreaktoren von Fukushima, drei Katastrophen die alle auf einmal stattfanden, hat sich bei den Japanern etwas verändert. Die Leute suchten Trost und fanden sie in Büchern, Filmen und Musik, die sich alle auf eine sehr subtile weise mit dem Thema befassten, ohne direkt darauf einzugehen. Traurige Geschichten die auf ihre ganz eigene Geschichte auch Hoffnung versprühten. Genki Kawamura (einer der ausführenden Produzenten des weltweiten Hits "Your Name") wird als einer dieser Post-Tsunami Autoren bezeichnet. Ich denke, eine genaue Bezeichnung ist hier an sich völlig unangebracht. Viele junge, vielversprechende Künstler haben zu dieser Zeit kreativ ihre Gedanken und Emotionen in den jeweiligen Medien verarbeitet.

Die Prämisse von "Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" liest sich auf den ersten Blick sehr trübselig. Junger Mann erfährt, dass er tödlich krank ist und am nächsten Tag stirbt. Teufel unterbreitet ihm Angebot, sich von einer Sache auf dieser Welt zu trennen, dafür aber jeweils einen Tag länger leben darf. Doch bereits auf der ersten Seiten wird diese trübselige Prämisse zerschlagen. Mit viel Galgenhumor geht der Ich-Erzähler, von Beruf Briefträger, auf die verheerende Diagnose ein, die sein Arzt ihm gestellt hat. Ein Gehirntumor. Die Lebenserwartung? Extrem gering. Dem Erzähler gehen sämtliche seltsame Dinge durch den Kopf. Er erstellt eine nahezu kitschige Liste von Dingen, die er noch vor seinem Tod erleben möchte und die wichtigste Frage von allen, was aus seinem Kater wird, sobald er das Zeitliche gesegnet hat. Anschließend besucht ihn der Teufel im Hawaiihemd und Shorts und zufällig auch noch in der Gestalt unseres Erzählers, bei ihm Daheim. Der Teufel kommt schnell auf den Punkt. Unser Erzähler hat nur noch einen Tag zu leben. Der Deal des Teufels: Eine Sache verschwindet von der Welt, der Teufel darf entscheiden, welche (eigentlich alles außer Schokolade) und unser Erzähler muss sein Okay dafür geben. Für jede Sache, die von der Welt verschwindet, erhält der Erzähler für einen weiteren Tag Lebenszeit. Was für den Erzähler anfänglich noch nach einem sicheren Deal klingt, entwickelt sich wenige Seiten später schon zu einer ziemlich kniffligen Angelegenheit.

Fast schon ein wenig naiv und verspielt beginnt der Roman. Genki Kawamura scheint seinen Roman nicht ganz ernst zu nehmen, wird man sich vermutlich denken. Wer in der japanischen Unterhaltungsliteratur aber etwas bewandert ist, der weiß, die japanischen Schriftsteller sind sehr gekonnt darin, die Stimmungen zu kippen. Von der Grundidee und dem verspielten Tonfall war ich ein wenig an eines der Märchen von Akutagawa erinnert, der ähnlich fantasievoll und sehr gerne humoristisch ernste Themen verarbeitet hat. Ein wenig vorausschauend ist der Titel "Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" natürlich schon. Der Leser dürfte halbwegs wissen, worauf die Geschichte hinausläuft. Dennoch sollte man sich nicht zu schnell zurücklehnen, denn die Geschichte hat noch einige Überraschungen auf Lager.

Ein wenig ungewöhnlich ist hier der Werdegang des 1979 geborenen Autors. Der ist eigentlich hauptsächlich für bekannte Anime-Produktionen bekannt, aber auch für kontroverse Filme wie "Geständnisse" aus dem Jahr 2010. Beim lesen von "Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" fällt aber auch relativ schnell auf, dass es eine Geschichte ist, die sich natürlich ausgesprochen gut als Film eignen würde. Wenig überraschend aber dennoch einige Jahre später ist 2016 unter der Regie von Akira Nagai dann die gleichnamige Verfilmung in Japan erschienen. Genki Kawamura war überraschenderweise hier nicht als Produzent tätig.

Ein großes Lob geht dieses mal an den C.Bertelsmann Verlag für die Übersetzung direkt aus dem Japanischen. Meine Kritik galt bei der deutschen Übersetzung zu "Geständnisse" damals nicht der Übersetzung an sich, die ich zwar gut fand, aber leider aus der bereits vorhandenen englischen Übersetzung entstanden ist. Eine willkommene Einsicht und hoffentlich eine Einsicht, die der Atrium Verlag noch einmal erlangen wird.
Für die Übersetzung von "Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" war Ursula Gräfe verantwortlich, die ich hier eigentlich gar nicht weiter besprechen muss da ihr Name unter deutschsprachigen Lesern der japanischen Literatur nicht weniger bekannt ist als der oder die Autor(in) selbst.





Abschließende Worte

"Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" ist ein so kurzweiliges Leesevergnügen, die nicht ganz 200 Seiten hat man an circa 2 Abenden ausgelesen. Die Geschichte aus der Feder von Genki Kawamura lädt zum lachen, nachdenken und vielleicht sogar zu ein paar Tränen ein, ist aber kein klassischer Tear-Jerker der Mitleid generieren will. Wir haben es hier mit einem japanischen Roman in Reinkultur zu tun und dies spürt man einfach auf jeder Seite. Die Botschaft der Geschichte kommt an und hinterlässt auch nachträglich noch seine Spuren. Ein Debüt, welches einem nur selten so souverän gelingt. Und ganz eindeutig auch einer meiner Tipps für den Herbst ist.

Mittwoch, 25. September 2019

Einwurf: Im Schneckentempo zurück ans Ufer

Foto: Aufziehvogel Bildrechte: Von Schnecke zur Nutzung genehmigt




Der Sommer geht in den Urlaub, am Himmel wird das Licht spätestens ab 19 Uhr gedimmt und der Herbst hat es sich bereits in den Bäumen gemütlich gemacht. Ein Jahr geht mal wieder seines Weges und ob der Sommer im Oktober dann nochmal die klassische Zugabe geben wird, wird sich zeigen.
Die herbstliche Stimmung hat sich bei mir jedoch überraschend schnell breit gemacht.

Meine Planung, für eine gewisse Zeit etwas weniger zu schreiben wurde zudem durch den absurd heißen Sommer noch etwas bekräftigt. Wenn das Thermometer die 40 Grad Marke sprengt ist ein gemütlicher Abend mit einem Buch wohl das letzte, was mir vorschwebt. Doch untätig war ich auch nicht. In den noch verbleibenden Monaten des Jahres 2019 soll es hier auch endlich wieder lebhafter zugehen. Ich habe mir einige interessante Titel rausgesucht, die ich gerne besprechen und für die kommende kalte Jahreszeit empfehlen möchte. Noch in den letzten Septembertagen möchte ich eine dieser Besprechungen Online stellen.

Während die Vögel zurück in den Süden fliegen, kam ich mir die letzten Monate wie eine Schnecke im Meer vor, die zurück ans Ufer will. Um nicht zu philosophisch zu werden, das Ufer war ein ganzes Stück entfernt und der Weg durchs Meer war kräftezehrend. Ich hoffe jedoch, das Ergebnis meiner Pause auf "Am Meer ist es wärmer" wird sich in meinen kommenden Beiträgen wiederspiegeln, die sich dann hoffentlich kompakter und vitaler lesen als je zuvor.

Für Liebhaber von Büchern beginnt nun wieder eine aufregende Zeit. Die Schnecke und ich würden gerne ihren Teil dazu beitragen, kostbare Lebenszeit mit guten, ungewöhnlichen Geschichten zu verbringen. Ich freue mich bereits und wünsche allen Lesern des Blogs einen guten Start in die kalte, gnadenlose sowie unwirtliche Jahreszeit!

Freitag, 23. August 2019

Review: Once Upon a Time in Hollywood

Poster: Alphaville Design






USA 2019

Once Upon a Time in Hollywood
Drehbuch und Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Mike Moh, Margaret Qualley, Timothy Olyphant
Laufzeit: Circa 161 Minuten inklusive Abspann
Genre: Komödie
Verleih: Sony
Premiere: 15.08.2019 (DE)
FSK: Ab 16




Onkel Quentin hat mal wieder ein Märchen zu erzählen: Es war einmal.....


Seit "The Hateful 8" im Jahr 2015 seine Premiere feierte, so scheint es zumindest, hört sich bei Quentin Tarantino alles danach an, egal ob es die Filme selbst sind oder Interviews, als sei das, was kommt, alles ein großer Prolog für den Höhepunkt seiner Filmkarriere. Der berüchtigte finale und zehnte Film von Tarantino steht schon lange im Rampenlicht und ich wette ein bisschen Kupfergeld darauf, dass dieser finale zehnte Film nicht Star Trek heißen wird. Und wenn "The Hateful 8" der Prolog war, dann ist "Once Upon a Time in Hollywood" bereits der Mittelteil, der geradewegs auf das große Finale des Regisseurs zusteuert. Es scheint alles nach Drehbuch zu laufen, er hat alles im Griff und in circa 4-5 Jahren haben wir eine Antwort darauf, wie das Tarantino-Verse enden wird.

Bis dahin müssen wir uns noch mit dem Mittelteil dieser Geschichte begnügen. Lange, bevor bewegtes Material zu "Once Upon a Time in Hollywood" zu sehen war, gab Tarantino Umrisse der Story bekannt. Es war viel mehr ein kleiner Ausblick. Ein Ausblick auf das Leben von Charles Manson und seiner Manson Family und den Morden an die Schauspielerin Sharon Tate und ihrem Anhang. Und irgendwie in diese Geschehnisse geraten ein Schauspieler und sein Stunt Double. Ich erwartete hier eine art zynische Satire die zu Tarantinos frühsten Anfängen wie Natural Born Killers zurückgeht. Eine art Roadmovie durch Hollywood, blutig, sarkastisch und düster. Ein Szenario, welches ich mir ehrlich gesagt nicht gewünscht habe. Tarantino ist ein Typ, der sich, trotz immer wiederkehrender Elemente und Stilmittel, nur ungerne wiederholt. Obwohl beide Kill Bill Filme von ihm immer wieder als ein einziger Film angesehen werden, könnten beide Ausgaben sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Was ich sehen wollte war keine düstere Geschichte über Manson und seinen verwirrten und zugedröhnten Anhängern, sondern etwas originelles was die Zuschauer von der düsteren Realität hinter diesen Ereignissen ablenkt.

Als im vergangenem Jahr der erste Trailer gezeigt wurde war ich mehr als überrascht. Es machte den Anschein, als bekommen wir es hier mit einem waschechten Buddy-Movie zu tun, der sich mit der goldenen Ära Hollywoods auseinandersetzt und ich mich die ganze Zeit fragte, wo die Story rund um Chales Manson und Sharon Tate noch ihren Platz finden würde. Mein Interesse ist durch das bewegte Material deutlich gestiegen und "Once Upon a Time in Hollywood" entwickelte sich zu einem Film, den ich ernsthaft herbeisehnte. Das Fundament für einen unterhaltsamen Film schien gelegt zu sein und man hatte nun endlich einen ungefähren Ausblick darauf, was einen bei diesem Film erwarten könnte.

Wenn ein Film mit "Once Upon a Time" im Titel beginnt denkt man als Filmfan vermutlich unweigerlich an Sergio Leones meisterhafte Amerika-Trilogie (Spiel mir das Lied vom Tod, Todesmelodie und Es war einmal in Amerika). Aber man denkt auch an Robert Rodriguez und sein Machwerk, welches sich "Once Upon a Time in Mexico" schimpft. Wenn man dem großen Zampano aus Italien Tribut zollen will, sollte man es besser ernst meinen oder besser ganz bleiben lassen. Natürlich gibt es noch viele weitere Filme die alle mit "Es war einmal....." beginnen. 
Aber keinem dürfte es vermutlich ernster sein als Quentin Tarantino. Seine Verehrung für das Werk von Sergio Leone kennt keine Grenzen. Tarantino ist großer Fan der goldenen Ära Hollywoods, doch kein anderer Filmemacher prägte ihn vermutlich so sehr wie Sergio Leone (1929-1989). Dabei würde es Tarantino jedoch nie einfallen, Leone zu kopieren. Er möchte seine eigene Geschichte erzählen und vermutlich war es nie eine persönlichere Geschichte als in "Once Upon a Time in Hollywood". Und hier könnte man schnell denken, Tarantino möchte lediglich seine persönlichen Ergüsse sammeln und mit Musik unterlegen während er sich den Film im privaten Kino dann täglich ansehen kann. Aber genau das ist "Once Upon a Time in Hollywood" nicht, und, dennoch, liege ich mit meiner Vermutung auch nicht falsch. "Once Upon a Time in Hollywood" ist kein Film, den Tarantino nur zum persönlichen Vergnügen gedreht hat. Es ist ein Film für Fans. Es ist ein Film für die Film-Geeks, für Fans von Italo-Western, Fans verstorbener Filmlegenden, Fans von guter Musik und einer kompletten Ära. Um diese Liebe zum erwidern, muss man in dieser Zeit nicht einmal geboren sein (als die besagte goldene Ära endete war Tarantino selbst gerade einmal sieben Jahre alt).

Mit einer Laufzeit von fast drei Stunden und der Aussicht auf eine noch längere Fassung, an die sich bereits Netflix die Rechte in Gestalt einer Mini-Serie gesichert haben soll, sollte man ordentlich Sitzfleisch ins Kino mitbringen. Dabei würde ich "Once Upon a Time in Hollywood" anders als so manch andere Filme von Tarantino nicht einmal als klassischen Film bezeichnen, der fürs Kino gemacht wurde. Besonders da der Film alte amerikanische TV-Serien aufs Korn nimmt und ihnen gleichzeitig Tribut zollt, eignet sich die Adaption als Mini-Serie unglaublich gut.
Diese etwas über 160 Minuten dürften die Zuschauer aber ungefähr so spalten wie das Rote Meer in einer bekannten Bibelgeschichte. Für die einen könnte "Once Upon a Time in Hollywood" ein Filmfest werden, die anderen könnten hier auf in 35mm Film gebannte Zeitverschwendung stoßen. War "Django Unchained" noch ein Film, der große Massen an Kinogängern angesprochen hat, so ist "Once Upon a Time in Hollywood" das komplette Gegenteil. Man wird eindeutig nicht den Film sehen, mit dem man in den Trailern lockt. Es reicht hier auch nicht lediglich Tarantinos Filmografie zu kennen, es kommt all das zusammen, was ich im letzten Abschnitt angesprochen habe. "Once Upon a Time in Hollywood" ist eine Liebeserklärung für einen selektierten Kreis an Zuschauern. Eine großflächige Empfehlung für "Once Upon a Time in Hollywood" auszusprechen ist einfach unmöglich und Enttäuschungen bei etlichen Zuschauern sind hier wohl auch vorprogrammiert (obwohl Kritiken, Zuschauerreaktionen und Einspielergebnisse durchaus beachtlich sind).

Quentin Tarantino schreibt hier mal wieder seine eigene Geschichte. Er schreibt die Geschichte viel mehr um durch die Magie des Medium Films. Ein Schwarzer lehnt sich gegen die gesamte Sklaverei auf, Adolf Hitler wird im Kino erschossen und die Manson Familie ist ein inkompetenter Haufen Hippies der die Aufträge seines Gurus nicht ausführen kann. Es ist beinahe schon ein Kuriosum, wie wenig "Once Upon a Time in Hollywood" mit Chales Manson zu tun hat und dennoch die ganzen Ereignisse im Film darauf aufbauen.
Tarantino ist ein Filmemacher, der das große Glück hatte schon zu Beginn seiner Karriere mit namhaften Darstellern zusammenzuarbeiten. Mit Brad Pitt und Leonardo DiCaprio treffen sich hier zwei Ausnahmekönner aus Tarantinos neueren Filmen wie Inglourious Basterds und Django Unchained. Doch wie immer kratzt man hier nur an der Oberfläche, denn es sind mal wieder die Gastauftritte, auf die man ein besonderes Augenmerk legt. So drücken sich langjährige Tarantino-Kollaborateure und andere bekannte Gesichter hier die Klinke in die Hand. In winzigen Rollen sieht man hier (erstmals in einem Film von Tarantino) Al Pacino, Kurt Russell, Timothy Olyphant, Michael Madsen, Bruce Dern, Luke Perry (in seiner letzten Rolle) sowie Zoë Bell. Und über allen wacht praktisch die Australierin Margot Robbie, die Tarantino für die Rolle der Sharon Tate auswählte.

Bereits im Vorfeld gabs Kritik seitens Shannon Lee, der Tochter von Bruce Lee, der Film würde respektlos mit dem Erbe ihres Vaters umspringen. Damit liegt sie, zumindest auf den ersten Blick, nicht komplett falsch. Bruce Lee (im Film verkörpert von Mike Moh) wird hauptsächlich als überheblicher Martial Arts Guru dargestellt, der irgendeinen philosophischen Kauderwelsch von sich gibt. Aber auf den gesamten Film gesehen ist diese völlig überzogene Darstellung einer Legende nicht ungewöhnlich. "Once Upon a Time in Hollywood" hat nichts mit der unseren bekannten Realität zu tun. Sämtliche Charaktere im Film, ob fiktiv oder real sind bis zur völligen Absurdität überzogen. Diese Absurdität geht so weit, dass selbst die Ereignisse um Charles Manson und seinen Anhängern kaum ernst genommen werden können. Nicht nur Altmeister Bruce Lee wird hier so comichaft dargestellt, es ist der gesamte Film der diesen Weg geht. Dieser spielt wie die Filme davor in Tarantinos eigenem Universum in dem einfach nichts so ist, wie es sich wirklich einmal abgespielt hat. Und dennoch kam es mir nie vor, als behandle man den Filmlegenden, die in "Once Upon a Time in Hollywood" vorkommen, respektlos.

Was die Musik angeht verlässt sich Tarantino diesmal nahezu komplett auf einen lizenzierten Soundtrack. Bestand die Musik zu "The Hateful 8" noch aus epochalen Stücken von Ennio Morricone, besteht die Musik in "Once Upon a Time in Hollywood" größtenteils aus mehr oder weniger bekannter Musik aus den 60ern. Und wie immer nimmt die Musik bei einem Film von Tarnatino wieder einen wichtigen Stellenwert ein. Viele Szenen funktionieren am besten mit der Musikuntermalung, das furiose Finale würde ohne die Musikuntermalung vielleicht überhaupt nicht zünden oder nur bedingt, hätte Tarantino hier den falschen Song ausgewählt. Wieder einmal muss der fantastische Soundtrack hervorgehoben werden.




Fazit


Onkel Quentin hat mal wieder eine Geschichte erzählt. Und sie wirkt beinahe wie eine mehr als zweistündige Einleitung für das Finale, was man wieder einmal kaum in Worte fassen kann. Oh ja, am Ende werden die Ketten sämtlicher Logik gesprengt, es wird blutig, ja, beinahe schon sadistisch. Die in LSD eingetauchte Filterzigarette fängt zu dieser Zeit dann auch bei den Zuschauern an zu wirken. Das Medium Film wird erneut zum ultimativen Held der Geschichte und schreibt sie gleichzeitig neu. Eigentlich alles wie immer bei Tarantino und dennoch ist dieser vorletzte Film von ihm ein bisschen verspielter und reifer zugleich und als alles, was er zuvor so abgeliefert hat. Allerdings ist "Once Upon a Time in Hollywood" auch ein Film, den viele Zuschauer als kaum zugänglich und anschaubar betrachten könnten. Ein provokanter Film der eigentlich gar nicht provokant sein will sondern bis über den Abspann hinaus lediglich am laufenden Band Tribut zollt. Ein Film, auf den man sich erst einmal einlassen muss. Wenn das möglich ist, dann macht dieses Märchen eine menge Freude und reiht sich mit zu Tarantinos besten Werken ein. Ein sehr netter Zeitvertreib bis zum zehnten Film.