Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 29. Januar 2018

Rezension: Die Ermordung des Commendatore - Band 1 (Haruki Murakami)


(Foto: © Markus Tedeskino / Agentur Focus)




Die Murakami Rezensionen 10

Japan 2017
Die Ermordung des Commendatore
Alternativ: Die Ermordung des Commendatore Band 1: Eine Idee erscheint
Originaltitel: Kishidancho Goroshi
Autor: Haruki Murakami
Veröffentlichung: 22.01.2018 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Künstlerroman, Drama, Mystery


Als Haruki Murakami im vergangenem Jahr meinte, sein neuer Roman sei eine "sehr, sehr seltsame Geschichte",  da hatte natürlich noch niemand, nicht einmal seine japanischen Leser, eine Idee davon, was sie hier erwarten wird. Doch ich kann diejenigen beruhigen, die es "sehr seltsam" nicht so gerne mögen. Murakamis neuester Roman "Die Ermordung des Commendatore" ist in allem Maßen zwar eine teils sehr surreale, nicht zu durchschauende Geschichte, aber nicht wirr oder unagenehm seltsam. Fans des japanischen Autors werden sich sofort zuhause fühlen, aber auch für Neuankömmlinge sollte die Geschichte über einen namenlosen Maler genug Anreize bieten, einmal eine Leseprobe in Angriff zu nehmen. Auch wenn die Geschichten unterschiedliche Wege gehen, so musste ich beim lesen von Murakamis neustem Roman des öfteren mal an "Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq denken. Ohne Fans von Houellebecq hier nun aber zu viele Hoffnungen machen zu wollen, es ist tatsächlich nur das äußere Gewand, wo die beiden Romane Ähnlichkeiten zueinander aufweisen, der Kern ist es jedoch, wo sich beide Romane sehr voneinander unterscheiden.

In "Die Ermordung des Commendatore" kehrt Haruki Murakami in einem Roman erstmals komplett nach "Sputnik Sweetheart" (1999 in Japan veröffentlicht) zum Ich-Erzähler zurück. Der Ich-Erzähler ist eine beliebte Form der Erzählung in der japanischen Literatur und seit "Kafka am Strand" (2002 in Japan veröffentlicht) entfernte sich Murakami immer weiter von diesem Stil. In "1Q84" setzte Murakami dann erstmals komplett auf einen Erzähler aus der dritten Person. Beide Stile bringen ihre Vor- und Nachteile mit sich. Sowohl in "Kafka am Strand" als auch in "After Dark" (2004 in Japan veröffentlicht) schuf Murakami einen Kompromiss als er die Stile seiner Roman aufteilte und sowohl den Ich-Erzähler als auch den Erzähler aus der dritten Person in seine Geschichten eingebunden hat. Die vollständige Rückkehr zum Ich-Erzähler in "Die Ermordung des Commendatore" war für mich anfangs überraschend, liest man den Roman allerdings, so wird man zustimmend nicken müssen, dass hier gar kein andere Erzählweise möglich gewesen wäre. Der Leser nimmt nicht nur wieder an den Gedankenspielen des Erzählers teil, er nimmt auch an seiner Unwissenheit gegenüber den mysteriösen Geschehnissen teil. Erzähler und Leser werden im Dunkeln über das gelassen, was als nächstes passiert und welche Wendungen die Geschichte einschlagen wird.

 >>Im Dschungel funktioniert das Internet nicht<<, sagte sie. >>Der Dschungel hat seine eigenen Kommunikationsmittel. Zum Beispiel Buschtrommeln. Oder man bindet einem Affen eine Botschaft um den Hals.<<
>>Ich kenne mich im Dschungel nicht aus.<<
>>Wo die Werkzeuge der Zivilisation versagen, lohnt es sich vielleicht, es mit Trommeln und Affen zu probieren.<<

Eine Kritik, die ich an Murakamis zuvor veröffentlichten Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" hegte war die etwas unterkühlte art, wie Murakami die Charaktere beschrieb und sie dabei einfach nicht wirklich sympathisch werden wollten. Es mangelte etwas am kruden Humor, den Murakami gerne immer mal wieder in seine Dialoge mit einbaut und auch Tsukuru, der Protagonist der Geschichte, hatte wenig von den sonst so bodenständigen Charakteren, die wir aus den Geschichten von Haruki Murakami kennen und schätzen. 
Von diesem distanziertem Stil nimmt er in "Die Ermordung des Commendatore" jedoch Abstand und obwohl er in dieser Geschichte viel neues probiert, müssen wir nicht auf die typische Murakami-Magie verzichten. Surrealismus geht Hand in Hand mit Musik, den Essgewohnheiten des Protagonisten bis hin zu seinen Frauengeschichten. Hier könnte ein langjähriger Leser meinen, Murakami wiederhole sich nur noch. Doch besonders nach seinen letzten beiden großen Romanen dürfte für viele Fans des Autors der Commendatore eine art Heimkehr sein. Eine Heimkehr zu einem Stil, wo viele vermutlich gedacht haben, Murakami werde nie wieder dorthin zurückkehren.

"Die Ermordung des Commendatore" ist die Geschichte eines Malers in seinen 30ern. In seiner sechsjährigen Ehe war für ihn immer alles in bester Ordnung. Eine Ehe, die zu einer einfachen Person wie ihm passte. Bis seine Frau aus heiterem Himmel die Scheidung einreichen will und ihm gesteht, sie habe schon seit längerem eine Affäre. Perplex, enttäuscht und dennoch entschlossen packt der junge Maler noch am selben Tag seine Sachen und fährt mit seinem Peugeot davon, Ziel unbekannt. Einige Wochen vergehen, bis der Erzähler seinem Roadtrip überdrüssig wird und wieder in einer festen Unterkunft sesshaft werden will. Ein ehemaliger Kommilitone aus der Studienzeit, Masahiko Amada, hilft dem gestrandeten Maler und bietet ihm an, für eine Zeit in dem alten Haus seines Vaters, dem bekannten Nihonga-Maler Tomohiko Amada, in einem abgeschiedenem Bergtal zu leben. Der Maler willigt sofort ein und bewohnt das große Haus, was ehemals auch als Amadas Atelier diente. Der große Künstler selbst ist aufgrund einer Demenz nämlich nicht mehr imstande, auch nur geringste Handgriffe selbst ausführen zu können. Der Maler lebt sich schnell in dem Haus ein und findet eines Nachts, als er störenden Geräuschen nachgeht, auf dem Dachboden ein altes, gut verstecktes Porträt von Amada. Ein blutrünstiges Porträt was sich von der ansonst so friedlichen Arbeit des Künstlers erheblich unterscheidet. Dieses Porträt trägt den Titel "Die Ermordung des Commendatore" und mit dem Fund des Gemäldes beginnen auch die mysteriösen, teils bizarren Ereignisse im Leben des jungen Malers und Erzählers des Romans.

>>Die Zivilisation schreitet voran, während du dich wie Urashima im Drachenpalast auf dem Meeresgrund mit den Seebrassen dein Mittagsschläfchen hältst. Na gut, ich werde mal ein bisschen für dich recherchieren. Wenn ich was rausfinde, rufe ich dich an.<<

"Die Ermordung des Commendatore" weist einige Parallelen zu älteren Werken Murakamis auf wie zum Beispiel "Wilde Schafsjagd" oder "Tanz mit dem Schafsmann". Anders als in "1Q84", wo die Phantastik Murakamis magischen Realismus beinahe komplett übernahm, steht sein magischer Realismus beim Commendatore wieder im Mittelpunkt. Es ist eine durchaus bodenständige, realistische Geschichte mit einem Erzähler, der einer relativ gewöhnlichen Tätigkeit nachgeht. Die unheimlichen, surrealen Elemente kommen im Verlaufe der Geschichte jedoch ins Rollen, nie aber verliert die Geschichte sich zu sehr in Traumsequenzen oder spielt gar komplett in einer Parallelwelt. Genau wie der Schafsmann damals ist der gesichtslose Mann in "Die Ermordung des Commedatore" eines von Murakamis phantastischen Wesen, was niemals zu sehr in die Geschichte eingreift.

Für Kontinuität hat Murakamis deutscher Verlag DuMont auch wieder in der Übersetzung gesorgt. Die erfahrene Japanologin Ursula Gräfe übersetzen zu lassen hat sich bei Haruki Murakami schon zu einer Tradition bei deutschsprachigen Lesern entwickelt. Jeder Leser wird die Arbeit zu schätzen wissen. Der Text liest sich leicht und unbeschwert während fremde Begriffe aus der japanischen Sprache zusätzlich ohne ausschweifende Fußnoten gekonnt im Dialog erklärt werden.



Resümee

Ein finales Urteil wird es von mir natürlich erst geben, sobald Band 2 im April erscheint. Doch bereits jetzt besitzt "Die Ermordung des Commendatore" für mich das volle Potential, Haruki Murakamis bester und ausgereiftester Roman seit "Kafka am Strand" zu werden. Eine menge dazu trägt die Rückkehr zum Ich-Erzähler bei, doch auch die sehr undurchschaubare Geschichte weiß komplett zu überzeugen. Murakami setzt hier sehr auf alte Stärken, doch vom Grundgerüst her ist auch der Commendatore mal wieder ein Roman von ihm, den man im Vorfeld sicherlich nicht erwartet hätte. Kaum startet man auf Seite 1, blättern sich die weiteren Seiten wie von selbst um und dieses doch recht üppige Werk von knapp 500 Seiten kommt einem auf einmal unglaublich leicht vor. Am Ende freut es mich, wieder einmal sagen zu können: "Ja, wir haben es hier mit einem typischen Murakami zu tun". Ein Zitat, welches gleichzeitig ein Qualitätsmerkmal ist. Zum Glück wird Band 2 nicht lange auf sich warten lassen.

Dienstag, 23. Januar 2018

Japanuary 2018 Teil 2: Filme 5-8



Mit einer (leider) dreitägigen Verspätung folgt nun Teil 2 des Japanuary-Special, wo ich mir Filme 5-8 angesehen habe und darüber nun ein wenig plaudern möchte. Den dritten Tag der Verspätung widme ich exklusiv Takashi Miikes Adaption zu Blade of the Immortal, den ich mir über zwei Tage hinweg angesehen habe. Dazu im dafür vorgesehenen separaten Eintrag jedoch mehr.

Ohne weitere Umschweife gehts also nun weiter!



5.


Ryuzo and the Seven Henchmen (2015)
Alternativ: Ryuzo and his Seven Henchem
Originaltitel: Ryûzô to 7 nin no kobun tachi
Regie: Takeshi Kitano
Genre: Gangster-Komödie
FSK: Ab 12

Sucht euch einen Titel aus, jeder wird wohl korrekt sein. Während der Film international auf "..... the Seven Henchmen" hört, taufte der deutsche Verleih Capelight ihn auf "..... his Seven Henchmen" was mir persönlich wesentlich besser gefällt (und bei diesem Titel in der Besprechung bleibe). Ryuzo and his Seven Henchmen ist ein Film, wie er vermutlich nur von Takeshi Kitano kommenkann. Kruder Offbeat Humor trifft eine irrwitzige Geschichte um eine Gruppe alter Männer, die einen Großteil ihres Lebens allesamt in der kriminellen Vereinigung der Yakuza verbracht haben (im Mittelpunkt der schroffe aber eigentlich liebenswürdige Anführer und Titelheld Ryuzo). Kitano wurde außerhalb seiner Heimat Japans durch seine ernsten und sehr blutrünstigen Yakuza-Dramen auf internationaler Bühne als erstklassiger Filmemacher bekannt. Das krasse Gegenteil zu dem, wie ihn die Japaner selbst sahen wo er als Person des öffentlichen Lebens in so ziemlich jeder Aktivität als Komiker bekannt war und die Japaner sich nur schwer an seine bierernsten Filme gewöhnen konnten. Kitano ist in jedem Genre daheim und als er seinen Geburtstag am 18.01 dieses Jahres feierte, ist das Multitalent 71 Jahre alt geworden. Auch im Alter will sich Kitano noch immer weiterentwickeln was seine Projekte angeht (gegen ende letzten Jahres verfasste er sogar einen romantischen Roman, den er selbst bald verfilmen möchte). Ryuzo and his Seven Henchmen ist ein Teil dieser Weiterentwicklung. Der Film ist kein Drama wie Brother und auch keine Tragikomödie wie Kikujiros Sommer. Ryuzo and his Seven Henchmen ist eine geradlinige Komödie, die zu keiner Sekunde mehr oder weniger sein will. Die Reaktion auf Kitanos Komödie konnte man als lauwarm bezeichnen und auch einen großen internationalen Release gab es für die alten Männer nicht. Schade drum, denn Ryuzo and his Seven Henchmen ist eine wundervolle Komödie wie sie nicht nur von Kitano selbst, sondern wie sie nur aus Japan stammen kann. Sicherlich nicht Kitanos bester Film (hier ist die Messlatte so hoch angesetzt, dass sämtliche Vergleiche unfair wären), aber ein Geheimtipp, der durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit verdienen könnte.



6.


Ran (1985)
Regie: Akira Kurosawa
Genre: Drama, Epos
FSK: Ab 12


"Ran" ist das japanische Wort für "Chaos". Und dieses Wort beschreibt Akira Kurosawas letztes Epos sehr gut. Ein hartnäckiges Gerücht hält sich bis heute, Ran sei der letzte Spielfilm von Kurosawa gewesen, was aber nicht korrekt ist. Nach Ran folgten noch Spielfilme wie "Träume" und "Rhapsodie in August", sein letzter Spielfilm folgte dann 1993 mit "Maadadayo". Ran war Kurosawas Abschied vom Samuraifilm und sein letztes großes Epos, welches er erschaffen hat. Ein Epos, was ihm nach dem kommerziellen Misserfolg wie aber auch von Kritik geprägtem "Kagemusha" keiner mehr zugetraut hätte. Obwohl man bei dem Name Kurosawa häufig an "Die Sieben Samurai" denken muss, ein Meisterwerk, welches Filmgeschichte schrieb, so ist es Ran, der bei vielen Fans des Regisseurs als seine größte filmische Errungenschaft angesehen wird. Und wenn man den Film gesehen hat, wird man auch wissen, wieso viele so denken. Trotz seiner großzügigen Laufzeit von 162 Minuten lässt Ran seine Zuschauer nicht ein einziges mal los. Ein Film, der mit vielen Weisheiten und der ein oder anderen flapsigen Situation beginnt und in einer großen Tragödie endet. Im Mittelpunkt steht hier der alternde Kriegsherr und Eroberer Hidetora Ichimonji, der seine Nachfolge auf seine 3 Söhne übertragen will. Ichimonji wird hier von Tatsuya Nakadai in seiner wohl stärksten Rolle seiner Karriere verkörpert. Ran ist eine direkte Hommage an Shakespeares König Lear, aber wesentlich zugänglicher. Doch auch wenn der Film zugänglicher sein mag als ein Werk von Shakespeare, so ist es dennoch kein Film von Kurosawa, den man sich ansehen sollte, wenn man sich noch nie etwas von dem Filmemacher zuvor angesehen hat. So gleicht Ran in der meisten Zeit mehr einem perfekt inszeniertem Theaterstück als einem Kinofilm. Mit so einem Werk darf man sich gerne von der Filmbühne verabschieden. Ein Kurosawa gab sich damit jedoch noch nicht zufrieden.
Wer den Film heute erstmalig genießen möchte, dem sei die neue deutsche Blu-ray wärmstens empfohlen, diese wurde von einem 4K Master aus restauriert und lässt den Film in einem Licht erstrahlen, welches zuvor nicht denkbar gewesen wäre.



7. Haze




Haze (2005)
Regie: Shinya Tsukamoto
Genre: Horror, Mystery
FSK: Ab 18


Was Ausnahmeregisseur Shinya Tsukamoto hier in 49 Minuten abgeliefert hat gelingt so manchem Regisseur nicht einmal in 2 Stunden (besonders mit Blick auf die moderne Horrorlandschaft). In Haze gibt es wenig Dialoge, eine kryptische Handlung und eine menge verstörende Bilder. All das bildet am Ende eine Einheit und wird Zuschauer, die mit diesem exotischem Werk etwas anfangen konnten, belohnen. Um die kryptische Handlung jedoch zu verstehen ist es eigentlich zwingend notwendig, einige von Tsukamotos Filmen im Vorfeld gesehen zu haben. Einsamkeit, Isolation und die Sehnsucht, der Großstadt zu entkommen sind ein zentrales Thema im Werk des Filmemachers und Schauspielers seit Beginn seiner Karriere. Tetsuo, Tokyo Fist und Vital sind der Schlüssel dazu, Haze ein wenig besser zu verstehen, die Ängste und die Probleme des Hauptcharakters nachvollziehen zu können. Gleichzeitig war es auch Haze, der Tsukamoto und Schauspielerin Kaori Fujii nach Tokyo Fist wieder als gemeinsame Darsteller zusammenführte. So gibt es auch hier ein paar beinahe schon unheimliche Gemeinsamkeiten beider Charaktere aus Tokyo Fist (ein nicht minder exotischer Film Tsukamotos aus dem Jahr 1995). Auch heute noch hat Haze nichts von seiner bedrückenden Atmosphäre und Faszination eingebüßt. Es ist ein Film, der sich einem weder beim ersten noch zehnten mal komplett erschließen wird. Genau deshalb übersteht er die Jahre und lädt mit seiner kurzen Laufzeit immer wieder dazu ein, angesehen zu werden.



8. Blade of the Immortal




Blade of the Immortal (2017)
Originaltitel: Mugen no jûnin
Regie: Takashi Miike
Genre: Action
FSK: Ab 16


Obwohl ich mich mit Miikes aktueller Filmkunst auseinandergelebt habe, so wäre ein Japanuary ohne den Meister der Absurdität kein "echter" Japanuary. Im nachhinein muss ich aber gestehen, dass ich es ein wenig bereue, Blade of the Immortal in meine Liste aufgenommen zu haben. Hier hätte ich "The World of Kanako" stattdessen wählen sollen oder einen von zahlreichen anderen Filmen von Miike, beispielsweise "Gozu". Kommen wir erstmal zu den positiven Aspekten: Blade of the Immortal ist eine Hochglanz Filmadaption eines Manga (original von Hiroaki Samura), wie man sie zuvor nur selten gesehen hat. Vollgepackt mit Action und einem rasanten Stil ist es nicht verwunderlich, dass der Film durchaus viele wohlwollende Kritiken international eingeheimst hat (in der Heimat jedoch gefloppt ist). Doch auch in diesen Punkten konnte Blade of the Immortal mich nicht überzeugen. Bei Takashi Miike war die Fallhöhe schon immer enorm hoch. Blade of the Immortal war sein 100. Spielfilm, eine beeindruckende Zahl für einen Regisseur, die vermutlich nicht mehr häufig getoppt werden wird (Miike steht mit nicht einmal 60 Jahren noch längst nicht am Ende seiner Karriere). Miikes Filme muss man unterscheiden zwischen Auftragsarbeiten und Filmen, die wirklich komplett aus seiner Feder stammen. In den 90ern und der frühen Zeit nach der Jahrtausendwende avancierte Takashi Miike nicht nur zum Provokateur des japanischen Films, er machte sich auch einen Ruf als Kult-Regisseur. Filme wie "Dead or Alive", "Audition" oder "Ichi the Killer" werden unvergessen bleiben. Miikes Yakuza-Filme wandelten stets von Trash bis hin zu stilvollen Unterweltdramen, die gerne auch mal mit dem Ende der Welt den Abspann des Films einleiteten. Von diesem sehr experimentellem Stil verabschiedete Miike sich nach und nach. Was man von Miike am wenigstens erwartete waren wohl epochale oder ernste Samuraifilme. Mit "13 Assassins" bewies Miike jedoch 2010 das Gegenteil und lieferte einen seiner handwerklich besten Filme ab. Nur 1 Jahr später bestätigte er sein Können erneut mit dem ruhigen Samurai-Drama "Hara-Kiri". Danach ging es mit Miikes Schaffen jedoch unbeständig weiter.

Angekommen sind wir also nun bei seinem 100. Film und es ist nach "Ace Attorney" und "Terra Formars" wieder einmal eine Adaption. Blade of the Immortal lässt dabei leider die Intensivität von 13 Assassins und das Drama aus Hara-Kiri vermissen. Beides versucht der Film irgendwie unter einen Hut zu bekommen, trotz einer Laufzeit von 140 Minuten schafft es Miike aber nicht, die Geschichte um den unsterblichen Samurai Manji mit seinem Schwesterkomplex und der jungen Rin zu einem befriedigendem Gesamtwerk zu formen. Startet der Film extrem vielversprechend mit einem Rückblick und Farbfilter in monochrom (der sehr an die Optik von "Sword of Doom" aus dem Jahre 1966 erinnert), geht der Film anschließend seines Weges und verläuft sich praktisch bis in eine Sackgasse. Die Geschichte bietet wenig Höhepunkte, die Action verläuft wesentlich unblutiger als angenommen und ein großer Teil der Handlung wirkt sowohl gestrafft als auch verkürzt, beinahe, als hätte man nachträglich noch um die 30 Minuten an Film entfernt. Bereits nach rund 20 Minuten werden diese seltsamen Sprünge im Film erstmals deutlich. Sein wahres Potential schöpft Blade of the Immortal nie aus und will zu viel auf einmal. Miikes Handwerk bleibt bis auf wenige Momente im Dunkeln. Im Verlaufe des Filmes blitzt das Potential oftmals kurz auf, schnell aber verfällt diese Adaption wieder in ihre gewohnt gehetzte Monotonie. Eine gehetzte Monotonie? Das beißt sich doch, oder?

Nach "The Villainess" aus Südkorea besiegelt Blade of the Immortal bereits die zweite Enttäuschung für mich in diesem Filmjahr und ein Blick auf Miikes kommende Projekte lässt mich ihm gegenüber auch leider nicht in Euphorie verfallen. Schade drum.



Obwohl mein Japanuary mit einer persönlichen Enttäuschung endete, hat mir dieses Filmprojekt eine menge Freude bereitet. Hoffen wir auf eine Fortsetzung. 
In diesem Sinne bleibt mir nur allen Bloggern, Podcastern und Filmfans aus sämtlichen Medien weiterhin viel Freude beim Japanuary 2018 zu wünschen!


Samstag, 13. Januar 2018

Ein Rückblick auf "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki"


Spoiler-Warnung! Hier wird intensiv auf den Roman eingegangen

Am 22 Januar 2018 beginnt ein Festtag für deutschsprachige Haruki Murakami Fans. Genau dann veröffentlicht der DuMont Verlag nämlich Band 1 (der finale zweite Band erscheint im April) von Murakamis neustem Roman, "Die Ermordung des Commendatore". Auch in Japan ist sein neuer großer Roman in zwei Teilen erschienen, allerdings direkt zum Verkaufsstart. Bei Murakamis Popularität in seiner Heimat kann sich dies wohl kaum ein anderer Autor erlauben.

(Anmerkung: Sämtliche Daten richten sich nach dem Veröffentlichungsdatum in Japan. Alle besprochenen Titel sind in deutscher Sprache erhältlich)
Blicke ich in Abseits 1 noch in eine sehr nahe Zukunft, möchte ich mich jetzt in Abseits 2 direkt der Vergangenheit widmen. Nun ist es beinahe 5 Jahre her, als in Japan Murakamis letzter Roman, "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki", veröffentlicht wurde. Bei Haruki Murakami herrscht eine strikte Ordnung was seine Veröffentlichungen angeht. Nach einem riesigen Werk wie "1Q84" folgte mit Tsukuru Tazaki ein Roman von eher schmaler Größe. Anschließend musste Murakami von den Romanen wieder Abstand nehmen und veröffentlichte 2014 mit "Von Männern, die keine Frauen haben" eine Sammlung an Kurzgeschichten, die sich alle um ein zentrales Thema (siehe Titel) drehten. 2015 folgte mit "Von Beruf Schriftsteller" eine große Essay-Sammlung mit biografischem Hintergrund (Sehr gelungen, um es noch einmal zu erwähnen). Folgt man diesem Muster, so musste nun wieder ein großer Roman her und wären damit zwar wieder beim Ausgangspunkt des ersten Absatzes, will ich mich hier aber Murakamis letztem Roman widmen.

"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" haben bei der Leserschaft ähnlich wie bei Murakamis letztem kleineren Roman, "After Dark", gemischte Gefühle hinterlassen. Anders als bei dem Dreiteiler 1Q84 fehlte es vielen Lesern an Umfang und einer befriedigen Auflösung der Geschichte. Der Roman umfasst einige heikle Themen und erinnert stilistisch manchmal sogar ein wenig an "Naokos Lächeln". Murakamis Surrealismus würde in dieser Geschichte komplett abwesend sein. Befremdlich für viele Leser. Doch ist das wirklich so? Ist der Surrealismus komplett abwesend bei "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki"? Und hier muss ich widersprechen. Ich blicke sogar sehr positiv auf den Roman zurück. Hat mir 1Q84 zwar gefallen, war ich dennoch der Meinung, dass Murakamis sogenanntes Magnum Opus vielleicht sogar ein komplettes Buch zu lang war. Im Vergleich dazu ist die Geschichte von Tsukuru Tazaki relativ schnell auf den Punkt gebracht. Protagonist ist der Titelträger des Roman, Tsukuru Tazaki. Die Geschichte wird erneut nicht aus der Ich-Perspektive sondern aus der dritten Person erzählt (was den Roman vielleicht etwas unpersönlich macht, hätte der Ich-Erzähler, bekannt aus vielen anderen Geschichten von Murakami, hier vielleicht dem Leser mehr Einblick in den Charakter verschafft). Genau zwei Zeitstränge werden erzählt: Tsukuru Tazakis Jugend und Studienzeit und der 36 Jahre alte Tsukuru Tazaki aus der Gegenwart. Ohne die Erzählung der Vergangenheit wäre die Geschichte selbstverständlich sinnlos und so erfährt der Leser, wieso der unglückliche und farblose Herr Tazaki zu dem wurde, was er ist.
Im Mittelpunkt steht hier die enge Bindung einer Clique von Freunden, in deren Namen (japanische Schriftart) sich eine Farbe versteckt. Tsukuru hingegen ist der einzige der Clique, bei dessen Name dies nicht der Fall ist. Der Freundschaft tat dieser Fakt natürlich nie einen Abbruch. Eines Tages, aus heiterem Himmel, brechen Tsukurus Freunde jedoch den Kontakt zu ihm ab und schneiden ihn, ignorieren ihn, drohen ihm sogar. Einen Grund dafür erfuhr Tsukuru nie und irgendwann verließ er unglücklich seine Heimat Nagoya, um in Tokio zu studieren (Züge sind seine große Leidenschaft und er will eine Karriere als Ingenieur für Bahnhöfe einschlagen). Auch weit über eine Dekade nach diesem Vorfall hat diese Geschichte schwere mentale Schäden an dem schweigsamen jungen Mann hinterlassen. Mit Sara tritt eine Frau in Tsukurus Leben, die eine Bedingung an ihm für eine gemeinsame Zukunft stellt: Er muss in die Vergangenheit reisen und erfahren, wieso seine damaligen Freunde den Kontakt zu ihm abbrachen. Eine Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki in die Vergangenheit.

In die "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" beschränkt sich der Surrealismus und somit auch der "Magic Realism" auf Träume und den Erzählungen von Fumiaki Haida, der immer wieder den mysteriösen Herrn Midorikawa (der grüne Fluss) ins Spielt bringt. Doch für mich war es die ganze Zeit Haida, einer der wenigen Studienfreunde Tsukurus, der nicht minder spurlos aus seinem Leben verschwindet wie seine Freunde damals und somit für den Leser ein großes Rätsel hinterlässt, der von Murakamis typischen Surrealismus geprägt ist. Der kompletten Beziehung zwischen Tsukuru und Haida haften sehr surreale Züge an. Das gleiche gilt aber auch für die gesamte Auflösung der wahren Geschehnisse, wieso Tsukurus Freunde den Kontakt so eiskalt abbrachen. Eine exakte Wahrheit wird es nie geben, die Charaktere entwickeln sich mehr und mehr zu unzuverlässigen Erzählern die allesamt entweder die Unwahrheit sagen oder aber sich nicht mehr richtig erinnern können. Die größte Kontroverse des Romans was die Charaktere angeht besteht wohl in Sara, der Partnerin von Tsukuru, die ihn auf seine persönliche Pilgerreise schickt. Murakamis Frauen waren zuvor immer mysteriös, aber immer warmherzig und auf eine angenehme weise geheimnisvoll. Bei Sara ist bei mir während des Lesens dieses Gefühl nie angekommen. Stattdessen fand ich sie unterkühlt und nahm sie eher als einen unangenehmen Charakter wahr. Als sogenannter Schlüssel für Tsukurus Reise war sie für die Geschichte wohl unabdingbar (in einem Interview erwähnte Murakami einmal, es wäre Sara gewesen, ein fiktionaler Charakter, die ihn durch die gesamte Geschichte geführt hätte). Doch auch Saras wahre Motive bleiben letztendlich völlig im dunkeln, auch ihre Geschichte findet keine echte Auflösung, was ich aber eher als neutral betrachte.

"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" ist insgesamt ein kurzweiliger Roman ohne Längen, allerdings nicht ganz ohne Macken. Tsukurus gesamter Aufenthalt in Skandinavien wirkt eher wie die Reise in ein Phantasieland und zusätzlich etwas gehetzt. Die gewollten Mysterien und unaufgelösten Plots fügen sich meiner Meinung nach relativ gut in das Gesamtwerk ein. Bis zum Ende war ich mit den Auflösungen mehr als zufrieden. Und so komme ich selbstverständlich nun zur nächsten Kontroverse, das Ende. Ist Sara ohne zweifel der kontroverseste Charakter, so dürfte das Ende für viele Leser natürlich ein ziemlicher Seitenhieb gewesen sein. Anstatt die Geschichte rund um Tsukuru und Sara zu einer Auflösung zu führen, verzichtet Murakami komplett darauf und lässt das Schicksal (und somit auch ein bevorstehender Freitod Tsukurus) völlig offen. Es ist auf einmal so, als hätte wer die Seiten des letzten Kapitel aus dem Buch gerissen und durch etwas völlig anderes ersetzt. In diesem Falle ersetzt durch einen Guide rund um das Thema Bahnhöfe und Züge. Murakami warf alles über Board und entschied sich dazu, den letzten Teil der Geschichte über Bahnhöfe und Züge zu schreiben. Ganz so drastisch war es natürlich nicht, denn trotz allem hat dieser ungeheure Themenwechsel noch immer was mit Tsukuru und somit auch der Geschichte zu tun. Wer Murakami liest muss häufig mal mit offenen Enden rechnen, nie aber mit einem Cliffhanger. Denn genau den hinterlässt der japanische Autor mit dem Ende von "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki".  Da die Geschichte rund um Tsukurus Vergangenheit größtenteils aufgelöst wird und der Leser über die wahren Hintergründe erfährt, so ist das Ende des Buches tatsächlich weniger bedeutend. Murakami hat seine Geschichte erzählt, wie es jedoch mit Tsukuru und Sara weitergeht ist nicht von großer Bedeutung. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ihm an dieser Stelle nicht etwas besseres hätte einfallen können. Vielleicht ein weiterer Traum der die Geschichte um Haida und Midorikawa noch einmal aufgreift. Hier wäre sicher mehr möglich gewesen, dennoch bin ich über den allgemeinen Ausgang der Geschichte nicht zu enttäuscht, auch, wenn das Ende weiterhin eine große Kontroverse bleiben dürfte.

Insgesamt erinnere ich mich gerne an "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" zurück. Es ist eindeutig nicht der beste Roman von Haruki Murakami, allerdings ist es ein typisches Werk, was zeigt, dass der Autor niemandem mehr etwas beweisen muss. Murakami koppelt sich von einigen Elementen ab die man von ihm gewohnt war. Somit verschwindet ein bisschen von der Vertrautheit, die man in den Romanen zuvor gespürt hat (allerdings fehlte dieses wohlige Gefühl auch schon bei 1Q84). "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" ist ein kurzweiliger, geheimnisvoller Roman der ein ruhiges Tempo fährt und ohne irgendwelche spektakulären Höhepunkte auskommt. Ich war sehr dankbar dafür, dass Murakami nach 1Q84 einige Gänge zurückgeschaltet und sich wieder auf alte Stärken besinnt hat. In diesem Falle ist es die Erzählung einer bodenständigen Geschichte mit bodenständigen Charakteren ohne übersinnlichen Fähigkeiten. Wer mit diesen Erwartungen den Roman gelesen hat oder es noch vor hat, der wird auch nicht enttäuscht werden. Würde ich "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" noch einmal lesen? Ganz sicher.

Mittwoch, 10. Januar 2018

Japanuary 2018 Teil 1: Filme 1-4



Ein Blick auf die Startseite dürfte dem Besucher der Seite folgendes verdeutlichen: Im Januar dreht sich bei mir alles um Japan und Filme. Eine Grundlage, auf die dieser Blog auch aufgebaut wurde. Wie versprochen folgt nun mein erstes von zwei Specials zum Thema Japanuary. In diesem Beitrag werden die ersten 4 von 8 Filme kompakt besprochen. Viel Spaß!




1.


Pulse (2001)
Originaltitel: Kairo
Regie: Kiyoshi Kurosawa
Genre: Mystery, Horror, Science-Fiction
FSK: Ab 16



Kiyoshi Kurosawa (nicht verwandt mit Akira Kurosawa) ist ein herausragender Filmemacher, der mit relativ einfachen Mitteln in seinen Filmen menschliche Dramen in einen packenden Mystery-Horrorfilm verwandeln kann. Kurosawa ist in Japan auch heute noch ein beliebter Regisseur, der viele neue Filme veröffentlicht. Im Westen hingegen hat man Versuche, sein komplexes Filmwerk zu veröffentlichen, beinahe komplett eingestellt. In Deutschland hat es bisher nicht einmal Kurosawas vermutlich bekanntestes Werk aus dem Jahr 2001 auf Blu-ray zu uns geschafft, "Pulse". Im Jahr 2006 brachte seinerzeit Splendid den Film in Deutschland erstmals auf DVD. Bei der britischen Blu-ray von Arrow Video, die der Verleih vergangenes Jahr veröffentlicht hat, handelt es sich vermutlich um einen DVD to HD Upscale als um ein Remaster. Zwar ist Bild und Ton eine Steigerung zur DVD, eine Offenbarung wird man hier aber nicht finden. Das Bild ist durchweg von Filmkörnung geprägt, überzeugt weder in den Innen- noch Außenaufnahmen besonders und der Gelbstich, dem der Film schon immer anhaftete, ist präsenter als je zuvor. Vermutlich ist hier aber auch das im letzten Artikel von mir erwähnte japanische Filmmaterial schuld, was zu dieser Zeit alles andere als hochwertig war.

Doch nun zum Film. Der japanische Titel von Pulse lautet "Kairo". Damit ist nicht die ägyptische Hauptstadt gemeint sondern übersetzt bedeutet dies soviel wie "Schaltkreis". Denn die Technik ist es, die das zentrale Thema im Film bildet. Verglichen zur heutigen Zeit war das Internet im Jahr 2000/2001 noch alles andere als ein Alltagsgeschäft. Die Charaktere im Film wählen sich noch mit einem Modem ein, um das WWW betreten zu können. Das Internet wird also als etwas exotisches präsentiert, etwas, was noch als relativ argwöhnisch angesehen wird. Und so ist es auch das Internet, was im Film für seltsame Vorkommnisse sorgt, die letztendlich zum Ende der Welt führen (auch wenn darauf am Ende nicht weiter eingegangen wird, wie es weitergeht). Stilistisch verbindet der Film Arthouse mit Mystery und Horror, driftet in der zweiten Hälfte aber auch in Science-Fiction Gefilde ab. Außerhalb Japans wurde Pulse gerne mal als Klon von Filmen wie "The Ring" oder "The Grudge" beworben, hinkt dieser Vergleich jedoch, sobald man sich den Film anschaut. Kurosawa setzt auf ruhige Töne. Die Bedrohung im Film wird nie richtig erklärt. Viele der Charaktere gehen eher als berüchtigte unzuverlässige Erzähler durch, die die Zuschauer mit ihren eigenen Theorien über Geister und Jenseits verwirren wollen. Eine genaue Erklärung zu den unheimlichen Geschehnissen in Pulse wird es nämlich nicht geben. Auf die ruhige Gangart von Pulse muss man sich einlassen können. Schafft man es, sich in den Film hineinzuversetzen, bekommt man auch im Jahr 2018 noch einen zeitlos unheimlichen Film geboten der nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird, und sehr zum nachdenken anregt. Bekannte japanische Gesellschaftskritik wie Einsamkeit, Isolation und Trauer ist eng mit dem Fortschritt der Technik verknüpft und Kiyoshi Kurosawa hat daraus ein beeindruckendes Gesamtpaket kreiert. Zurecht wurde Pulse viele Jahre später zu einem der einflussreichsten Horrorfilme aus Japan gekürt. Im Jahr 2006 folgte ein Remake aus den USA, welches von Presse und Zuschauer zerpflückt wurde und noch 2 Video-Fortsetzungen folgten.



2.



Loft (2005)
Originaltitel: Rofuto
Regie: Kyoshi Kurosawa
Genre: Mystery, Drama
FSK: Ab 12


Am ehesten kann man "Loft" mit Kurosawas TV-Spielfilm "Seance" aus dem Jahr 2000 vergleichen (ein wirklich sehr sehenswerter Film trotz des TV-Formats). Loft war nach Pulse Kurosawas zweiter Film der international sehr ordentlich vermarktet wurde. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen. Die Kritiken von Presse und Filmfans fiel aber weitestgehend ernüchternd aus. Bei meiner allerersten Sichtung des Filmes überhaupt vergangene Nacht kann ich mich der Kritik nur teilweise anschließen. Das größte Problem womit Loft zu kämpfen hat ist die relativ lange Laufzeit von 115 Minuten. Zu häufig gibt es Szenen, die stark in die länge gezogen wurden und in denen gar nichts passiert. Rund 10-15 Minuten an Ballast hätte man bei Loft abwerfen können, um den Film vielleicht etwas temporeicher zu machen. Aber genau das wäre nicht Kurosawas Stil. Langsam baut der Film Charaktere und Atmosphäre auf. Die Thematik des Films birgt eine menge an Potential und hat mir sehr gut gefallen. Übernatürliche Situationen gibt es in Loft dafür kaum. Viele der surrealen Szenen finden in Tagträume statt und die kryptische Erzählweise tut ihr übriges. An und für sich gesehen ist Loft aber weniger ein Horrorfilm als viel mehr ein gut durchdachtes Mystery-Drama. Die Geschichte um eine 2000 Jahre alte Mumie klingt auf dem Papier wesentlich kurioser als im Film tatsächlich umgesetzt. Kurosawa wählte eine perfekte ländliche Kulisse für den Film und hat einige sehr schöne Bilder eingefangen. Die allerletzten 20-30 Sekunden von Loft bescheren dem Zuschauer noch einmal ein Ende, welches definitiv in Erinnerung bleiben wird. Insgesamt hat mir Seance, der eine relativ ähnliche Thematik und den fast gleichen Stil besitzt, besser gefallen. Dennoch ist Loft durchaus sehenswert und kann durch seine Atmosphäre und einer schönen Cinematographie überzeugen.




3.


Suicide Circle (2001)
Originaltitel: Jisatsu sâkuru
Regie: Sion Sono
Genre: Independent Horrorfilm
FSK: Ab 18


Mit Suicide Circle von Sion Sono verbindet mich schon eine lange Geschichte. Ohne irgendwelche Vorkenntnisse bezüglich des Inhalts, sah ich den Film um 2003 herum mit ein paar Freunden im japanischen Original ohne Untertitel. Wir verstanden kein Wort und der Film war anders als alles, was wir je zuvor gesehen hatten. Trotz der Sprachbarriere übte der Film auf uns einen unglaublichen Reiz aus. Dafür waren überraschenderweise nicht einmal die teils drastisch blutrünstigen Szenen für verantwortlich. Es war der gesamte Film, der einfach alles so anders machte und somit diesen besagten Reiz ausübte. Für Regisseur Sion Sono, der sich in den vergangenen Jahren zu einen meiner liebsten Filmemacher mauserte, ist ein Film wie Suicide Circle keine Seltenheit. Eine ungewöhnliche Story verknüpft der Regisseur mit einzigartigen Charakteren. Bei Sion Sonos Filmen spielt außerdem ein origineller Soundtrack stets eine wichtige Rolle. In Suicide Circle wird dieser von der fiktiven Band "Dessart" dazugesteuert. Diese junge Idol Popgruppe scheint jedoch keine normale Mädchenband zu sein. Genau genommen scheinen sie der Drahtzieher einer Welle an mysteriösen Massenselbstmorden zu sein, die Japan in einem Zeitraum von 6 Tagen erwischt. Im Jahr 2005 brachte der deutsche Verleih I-On New Media den Film unzensiert nach Deutschland, was durchaus für eine Überraschung sorgte da Battle Royale zuvor mit ähnlicher Thematik mit großen Problemen in Deutschland zu kämpfen hatte (und erst seit einigen Monaten in Deutschland endlich unzensiert eine Freigabe besitzt). Bei meiner Sichtung von vor einigen Tagen bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass es bei Suicide Circle nichts ausmacht, ob es eine Sprachbarriere gibt oder nicht. Selbstverständlich sollte man den Film in einer Sprache schauen, die man versteht, aber zum Verständnis des Filmes wird auch die Muttersprache nichts beitragen. Ähnlich wie bei Kiyoshi Kurosawas "Pulse" erzählen die beiden Filmemacher aber eine relativ ähnliche Geschichte mit einer nahezu identischen Gesellschaftskritik. Genau wie auch der bereits erwähnte Battle Royale, entstanden alle 3 Filme in einem dicht angesiedelten Zeitraum von rund 2 Jahren. 
Suicide Circle hat auch jetzt noch nichts von seiner seltsamen Faszination auf mich eingebüßt. Für mich ein Beweis dafür, den Film als persönlichen modernen Klassiker nennen zu können.


4.


Tag (2015)
Originaltitel: Riaru onigokko
Regie: Sion Sono
Genre: Avantgardefilm
FSK: Ab 16



Was Marketing angeht, so war der deutsche Verleih I-On New Media noch nie wirklich auf der Höhe. Die Zielgruppe von "Tag" dürfte laut dem Verlieh dann bei Fans von japanischen Splatterfilmen im Stile von "Stacy" oder "The Machine Girl" liegen. Genau so etwas möchte man dann auch mit dem Cover ausdrücken was per se nicht schlecht ist, aber einen Film verspricht, den der Zuschauer am Ende nicht zu sehen bekommt. Auch verschweigt man auf dem Cover den Regisseur und auch nur irgendeine Bemerkung, dass es sich hier um eine unzensierte Fassung handelt, erschienen 90% aller japanischen Splatterfilme während des Booms (ab 2005 aufwärts) in Deutschland trotz 18er Freigabe ausschließlich stark gekürzt. Ein genauer Blick in die Datenbank der FSK verrät jedoch, dass Tag unzensiert für Zuschauer ab 16 Jahren freigegeben ist und die FSK 18 Freigabe vom Verleih künstlich erzwungen wurde. Doch auch darüber hinaus bekleckert man sich nicht mit Ruhm. Untertitel für den O-Ton gibt es nicht, die deutsche Vertonung kann als durchaus solide angesehen werden, wäre die deutsche Tonspur in Sachen Qualität nicht so ein Graus. Alles in Allem werden Fans des Regisseurs wohl nicht auf den Film aufmerksam wenn sie ihn im Geschäft sehen und die angepeilte Zielgruppe wird vermutlich maßlos enttäuscht sein.


Auch Tag habe ich mir vergangene Nacht angesehen und war mehr als angenehm überrascht. Genau wie Loft kein reinrassiger Horrorfilm ist, ist Tag kein Splatterfilm. Was nicht bedeutet, dass es im Film zimperlich zugeht (eine "echte" 18er Freigabe wäre gar nicht mal so eine Überraschung gewesen). Tag selbst kann man schlecht einem Genre zuordnen, daher wird man nichts falsch machen, den Film dem Genre Avantgardefilm zuzuordnen (dem sogenannten Experimentalfilm). Tag bietet von Horror, Drama bis hin zu Exploitation einfach alles, was die Filmwelt so hergibt. Der wirre Plot wird am Ende auf die nur denkbar absurdeste weise aufgelöst, so, dass der geneigte Zuschauer diese Auflösung für extrem logisch ansehen wird. Still habe ich mir gedacht: "Ja, genau so muss dieser Film enden. Etwas besseres hätte dem Regisseur und Autor nicht einfallen können". Die Absurdität am Ende als einzige logische Erklärung anzusehen ist etwas, was sich derzeit im japanischen Film nur Sion Sono leisten kann, ein Mann, der in keinem Genre so wirklich daheim ist und die Filmkunst eines Takashi Miike aus den 90ern und frühen 2000ern mehr als würdig fortsetzt. Das Zusammenspiel zwischen Story, Charaktere und Musik macht auch Tag zu einem harmonischen Gesamtwerk, was aber vermutlich nur eingefleischte Fans des Regisseurs zu schätzen wissen werden. Nach dem eher kommerziellen (aber nicht weniger abgedrehten) "Tokyo Tribe" kehrte Sion Sono mit Tag zu einem Film zurück, den wohl nur die wenigsten genießen werden. Aber damit war er bei mir mal wieder genau an der richtigen Adresse.








Und damit endet Teil 1 des Japanuary. Teil 2 mit den vier verbleibenden Filmen Ryuzo and the Seven Hechmen, Ran, Haze und Blade of the Immortal (diesmal somit auch von vier verschiedenen Filmemachern) folgt in einem neuen Post am 20.01.2018 23.01.2018. Würde mich freuen, euch dann wieder hier begrüßen zu dürfen!

Freitag, 5. Januar 2018

Japanuary 2018: Die Auswahl




Obwohl ich Animationsfilme bereits aus meiner Auswahl ausgeschlossen habe, so war es immer noch schwer, mich für 8 japanische Filme zu entscheiden. In letzter Sekunde haben es somit "Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidora" und "The World of Kanako" leider nicht mehr auf meine Liste geschafft. Über meine Auswahl bin ich dennoch sehr zufrieden, da es sich hier um Titel handelt, die ich noch gar nicht gesehen habe, schon lange nicht mehr gesehen habe oder aber noch nie in HD gesehen habe.

Die Liste sieht also wie folgt aus (von links oben angefangen):

1: Pulse (Kiyoshi Kurosawa)
2: Loft (Kiyoshi Kurosawa)
3: Suicide Circle (Sion Sono)
4: Tag (Sion Sono)
5: Ryuzo and the Seven Henchmen (Takeshi Kitano)
6: Ran (Akira Kurosawa)
7: Haze (Shinya Tsukamoto)
8: Blade of the Immortal (Takashi Miike)

Was haben wir denn da? Viele Kurosawas, viele Sonos und nur ein einziger Film der vor dem Jahr 2000 entstanden ist. Tatsächlich waren die 90er der japanischen Filme geprägt von sehr experimentellen Filmen, die teilweise auf unglaublich schlechtem Filmmaterial gedreht wurden (und sich auch noch eine Zeit durch die 2000er zog). Natürlich ist dies nicht der Grund, wieso ich mich fast ausschließlich für Filme aus der 2000er Ära entschieden habe. Mit Miikes "Blade of the Immortal" ist sogar ein Film dabei, der brandneu ist und erst in einigen Tagen in Deutschland erscheint. Mit "Blade of the Immortal" werde ich also das Finale des Japanuary einleiten.

Wann wird denn nun über die Filme diskutiert? Auch da gab es in meinem letzten Beitrag ja schon eine Andeutung, allerdings war ich mir noch nicht sicher. Ich habe mich jedoch für die Variante mit 2 Blog-Einträgen entschieden, wo ich jeweils über 4 Filme schreiben werde (Reihenfolge ebenfalls von links oben nach rechts unten).

Termin? Teil 1 geht am 10 Januar Online. Der Termin für Teil 2 folgt, sobald Teil 1 Online ist.

Mittwoch, 3. Januar 2018

2018: Eine letzte Zugabe für "Am Meer ist es wärmer"



Liebe Leserinnen und Leser von "Am Meer ist es wärmer", ich hoffe, ihr habt alle einen berauschenden/entspannten/vollendeten Jahresausklang 2017 genossen. Der Jahreszyklus beginnt von neuem im kalten Januar. Als Januarkind habe ich leider die besondere Ehre, meinen Geburtstag zusammen mit Väterchen Frost zu feiern. Wichtig ist es jedoch, die ersten 2 Monate des Jahres unbeschadet zu überstehen. Zieht euch also weiterhin warm an, denn es soll ziemlich kalt werden!
Gerne würde ich sagen, auf meiner kleinen Insel bleibe ich davon verschont, aber man muss der Realität ins Auge blicken, so gerne ich hier bin, sie ist nur Fiktion ;(

Auch 2018 möchte ich weiter über besondere Werke aus den Bereichen Film und Literatur berichten. Ich habe noch die ein oder andere spezielle Idee, die ich gerne im laufe der Monate umsetzen möchte. Einen besonderen Fokus möchte ich in diesem Jahr auf japanische Filme legen. In einigen Tagen wird es zum Beispiel mit dem Japanuary losgehen. Doch soll es auch in den kommenden Monaten noch mehr zu diesem Thema hier zu lesen geben.

Aktuell sieht es so aus, als würde diesmal tatsächlich zum Ende des Jahres der letzte Vorhang für mein Blog-Projekt nach fast 8 Jahren fallen. Rückblickend hat das letzte Jahr sehr viel Kraft gekostet und fand mit dem Tod meines Vaters ende November einen bedrückenden Tiefpunkt. Dementsprechend möchte ich in diesem Jahr noch einmal alles raushauen, was meine Kreativität zu bieten hat und danach noch einmal über das erlebte resümieren. Doch bis dahin ist es noch einige Zeit hin und ich freue mich, wiederkehrende wie neue Leser begrüßen zu dürfen.

Bleibt gesund und geht die ersten Wochen des Jahres entspannt an!


Bis Bald,
Aufziehvogel