Spoiler-Warnung! Hier wird intensiv auf den Roman eingegangen
Am 22 Januar 2018 beginnt ein Festtag für deutschsprachige Haruki Murakami Fans. Genau dann veröffentlicht der DuMont Verlag nämlich Band 1 (der finale zweite Band erscheint im April) von Murakamis neustem Roman, "Die Ermordung des Commendatore". Auch in Japan ist sein neuer großer Roman in zwei Teilen erschienen, allerdings direkt zum Verkaufsstart. Bei Murakamis Popularität in seiner Heimat kann sich dies wohl kaum ein anderer Autor erlauben.
(Anmerkung: Sämtliche Daten richten sich nach dem Veröffentlichungsdatum in Japan. Alle besprochenen Titel sind in deutscher Sprache erhältlich)
Blicke ich in Abseits 1 noch in eine sehr nahe Zukunft, möchte ich mich jetzt in Abseits 2 direkt der Vergangenheit widmen. Nun ist es beinahe 5 Jahre her, als in Japan Murakamis letzter Roman, "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki", veröffentlicht wurde. Bei Haruki Murakami herrscht eine strikte Ordnung was seine Veröffentlichungen angeht. Nach einem riesigen Werk wie "1Q84" folgte mit Tsukuru Tazaki ein Roman von eher schmaler Größe. Anschließend musste Murakami von den Romanen wieder Abstand nehmen und veröffentlichte 2014 mit "Von Männern, die keine Frauen haben" eine Sammlung an Kurzgeschichten, die sich alle um ein zentrales Thema (siehe Titel) drehten. 2015 folgte mit "Von Beruf Schriftsteller" eine große Essay-Sammlung mit biografischem Hintergrund (Sehr gelungen, um es noch einmal zu erwähnen). Folgt man diesem Muster, so musste nun wieder ein großer Roman her und wären damit zwar wieder beim Ausgangspunkt des ersten Absatzes, will ich mich hier aber Murakamis letztem Roman widmen.
"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" haben bei der Leserschaft ähnlich wie bei Murakamis letztem kleineren Roman, "After Dark", gemischte Gefühle hinterlassen. Anders als bei dem Dreiteiler 1Q84 fehlte es vielen Lesern an Umfang und einer befriedigen Auflösung der Geschichte. Der Roman umfasst einige heikle Themen und erinnert stilistisch manchmal sogar ein wenig an "Naokos Lächeln". Murakamis Surrealismus würde in dieser Geschichte komplett abwesend sein. Befremdlich für viele Leser. Doch ist das wirklich so? Ist der Surrealismus komplett abwesend bei "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki"? Und hier muss ich widersprechen. Ich blicke sogar sehr positiv auf den Roman zurück. Hat mir 1Q84 zwar gefallen, war ich dennoch der Meinung, dass Murakamis sogenanntes Magnum Opus vielleicht sogar ein komplettes Buch zu lang war. Im Vergleich dazu ist die Geschichte von Tsukuru Tazaki relativ schnell auf den Punkt gebracht. Protagonist ist der Titelträger des Roman, Tsukuru Tazaki. Die Geschichte wird erneut nicht aus der Ich-Perspektive sondern aus der dritten Person erzählt (was den Roman vielleicht etwas unpersönlich macht, hätte der Ich-Erzähler, bekannt aus vielen anderen Geschichten von Murakami, hier vielleicht dem Leser mehr Einblick in den Charakter verschafft). Genau zwei Zeitstränge werden erzählt: Tsukuru Tazakis Jugend und Studienzeit und der 36 Jahre alte Tsukuru Tazaki aus der Gegenwart. Ohne die Erzählung der Vergangenheit wäre die Geschichte selbstverständlich sinnlos und so erfährt der Leser, wieso der unglückliche und farblose Herr Tazaki zu dem wurde, was er ist.
Im Mittelpunkt steht hier die enge Bindung einer Clique von Freunden, in deren Namen (japanische Schriftart) sich eine Farbe versteckt. Tsukuru hingegen ist der einzige der Clique, bei dessen Name dies nicht der Fall ist. Der Freundschaft tat dieser Fakt natürlich nie einen Abbruch. Eines Tages, aus heiterem Himmel, brechen Tsukurus Freunde jedoch den Kontakt zu ihm ab und schneiden ihn, ignorieren ihn, drohen ihm sogar. Einen Grund dafür erfuhr Tsukuru nie und irgendwann verließ er unglücklich seine Heimat Nagoya, um in Tokio zu studieren (Züge sind seine große Leidenschaft und er will eine Karriere als Ingenieur für Bahnhöfe einschlagen). Auch weit über eine Dekade nach diesem Vorfall hat diese Geschichte schwere mentale Schäden an dem schweigsamen jungen Mann hinterlassen. Mit Sara tritt eine Frau in Tsukurus Leben, die eine Bedingung an ihm für eine gemeinsame Zukunft stellt: Er muss in die Vergangenheit reisen und erfahren, wieso seine damaligen Freunde den Kontakt zu ihm abbrachen. Eine Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki in die Vergangenheit.
In die "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" beschränkt sich der Surrealismus und somit auch der "Magic Realism" auf Träume und den Erzählungen von Fumiaki Haida, der immer wieder den mysteriösen Herrn Midorikawa (der grüne Fluss) ins Spielt bringt. Doch für mich war es die ganze Zeit Haida, einer der wenigen Studienfreunde Tsukurus, der nicht minder spurlos aus seinem Leben verschwindet wie seine Freunde damals und somit für den Leser ein großes Rätsel hinterlässt, der von Murakamis typischen Surrealismus geprägt ist. Der kompletten Beziehung zwischen Tsukuru und Haida haften sehr surreale Züge an. Das gleiche gilt aber auch für die gesamte Auflösung der wahren Geschehnisse, wieso Tsukurus Freunde den Kontakt so eiskalt abbrachen. Eine exakte Wahrheit wird es nie geben, die Charaktere entwickeln sich mehr und mehr zu unzuverlässigen Erzählern die allesamt entweder die Unwahrheit sagen oder aber sich nicht mehr richtig erinnern können. Die größte Kontroverse des Romans was die Charaktere angeht besteht wohl in Sara, der Partnerin von Tsukuru, die ihn auf seine persönliche Pilgerreise schickt. Murakamis Frauen waren zuvor immer mysteriös, aber immer warmherzig und auf eine angenehme weise geheimnisvoll. Bei Sara ist bei mir während des Lesens dieses Gefühl nie angekommen. Stattdessen fand ich sie unterkühlt und nahm sie eher als einen unangenehmen Charakter wahr. Als sogenannter Schlüssel für Tsukurus Reise war sie für die Geschichte wohl unabdingbar (in einem Interview erwähnte Murakami einmal, es wäre Sara gewesen, ein fiktionaler Charakter, die ihn durch die gesamte Geschichte geführt hätte). Doch auch Saras wahre Motive bleiben letztendlich völlig im dunkeln, auch ihre Geschichte findet keine echte Auflösung, was ich aber eher als neutral betrachte.
"Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" ist insgesamt ein kurzweiliger Roman ohne Längen, allerdings nicht ganz ohne Macken. Tsukurus gesamter Aufenthalt in Skandinavien wirkt eher wie die Reise in ein Phantasieland und zusätzlich etwas gehetzt. Die gewollten Mysterien und unaufgelösten Plots fügen sich meiner Meinung nach relativ gut in das Gesamtwerk ein. Bis zum Ende war ich mit den Auflösungen mehr als zufrieden. Und so komme ich selbstverständlich nun zur nächsten Kontroverse, das Ende. Ist Sara ohne zweifel der kontroverseste Charakter, so dürfte das Ende für viele Leser natürlich ein ziemlicher Seitenhieb gewesen sein. Anstatt die Geschichte rund um Tsukuru und Sara zu einer Auflösung zu führen, verzichtet Murakami komplett darauf und lässt das Schicksal (und somit auch ein bevorstehender Freitod Tsukurus) völlig offen. Es ist auf einmal so, als hätte wer die Seiten des letzten Kapitel aus dem Buch gerissen und durch etwas völlig anderes ersetzt. In diesem Falle ersetzt durch einen Guide rund um das Thema Bahnhöfe und Züge. Murakami warf alles über Board und entschied sich dazu, den letzten Teil der Geschichte über Bahnhöfe und Züge zu schreiben. Ganz so drastisch war es natürlich nicht, denn trotz allem hat dieser ungeheure Themenwechsel noch immer was mit Tsukuru und somit auch der Geschichte zu tun. Wer Murakami liest muss häufig mal mit offenen Enden rechnen, nie aber mit einem Cliffhanger. Denn genau den hinterlässt der japanische Autor mit dem Ende von "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki". Da die Geschichte rund um Tsukurus Vergangenheit größtenteils aufgelöst wird und der Leser über die wahren Hintergründe erfährt, so ist das Ende des Buches tatsächlich weniger bedeutend. Murakami hat seine Geschichte erzählt, wie es jedoch mit Tsukuru und Sara weitergeht ist nicht von großer Bedeutung. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ihm an dieser Stelle nicht etwas besseres hätte einfallen können. Vielleicht ein weiterer Traum der die Geschichte um Haida und Midorikawa noch einmal aufgreift. Hier wäre sicher mehr möglich gewesen, dennoch bin ich über den allgemeinen Ausgang der Geschichte nicht zu enttäuscht, auch, wenn das Ende weiterhin eine große Kontroverse bleiben dürfte.
Insgesamt erinnere ich mich gerne an "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" zurück. Es ist eindeutig nicht der beste Roman von Haruki Murakami, allerdings ist es ein typisches Werk, was zeigt, dass der Autor niemandem mehr etwas beweisen muss. Murakami koppelt sich von einigen Elementen ab die man von ihm gewohnt war. Somit verschwindet ein bisschen von der Vertrautheit, die man in den Romanen zuvor gespürt hat (allerdings fehlte dieses wohlige Gefühl auch schon bei 1Q84). "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" ist ein kurzweiliger, geheimnisvoller Roman der ein ruhiges Tempo fährt und ohne irgendwelche spektakulären Höhepunkte auskommt. Ich war sehr dankbar dafür, dass Murakami nach 1Q84 einige Gänge zurückgeschaltet und sich wieder auf alte Stärken besinnt hat. In diesem Falle ist es die Erzählung einer bodenständigen Geschichte mit bodenständigen Charakteren ohne übersinnlichen Fähigkeiten. Wer mit diesen Erwartungen den Roman gelesen hat oder es noch vor hat, der wird auch nicht enttäuscht werden. Würde ich "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" noch einmal lesen? Ganz sicher.
Einen murakami in ein paar worten zusammenzufassen ist mit das schwerste überhaupt :D ich empfehle: darauf einlassen, mitnehmen was gefällt und es als gegeben hinnehmen statt zu zerpflücken. Nichtsdestotrotz ist murakami einfach der bessere Kurzgeschichtenautor. Meiner bescheidenen meinung nach :)
AntwortenLöschenDanke für ihren blick auf die geschichte von tazaki <3