Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 31. Januar 2019

Japanuary 2019 Teil 2: Filme 5-8





Mein zweiter Japanuary ist auch schon wieder vorüber und wird hoffentlich im nächsten Jahr eine Fortführung finden. Die japanischen Filme, die wirklich mein Interesse wecken, werden von Jahr zu Jahr weniger da sich das japanische Kino kontinuierlich verändert (ob Spielfilme mit realen Darstellern oder Anime). Nicht unbedingt in eine kreative, einzigartige Richtung wie es noch vor rund zehn Jahren der Fall war, sondern eher in eine Einbahnstraße, aus der es wohl vorerst kein Zurück gibt. Auf diese Thematik will ich demnächst in einem gesonderten Artikel eingehen. Dies ist aber auch einer der Gründe, wieso ich für mein Japanuary-Special einige ältere Filme ausgewählt habe. Dennoch habe ich erneut einen ausgewogenen Mix an verschiedenen Genres und Entstehungsjahren gefunden, der vielleicht noch den ein oder anderen Geheimtipp für Fans der japanischen Filmkunst bereithält.

Viel Spaß nun mit Teil 2 des Japanuary! Mein Dank geht erneut an SchönerDenken und Spätfilm, die dieses Event besonders auf Twitter gefördert und sich wieder einmal viele Leute mit interessanten Empfehlungen dem Japanuary angeschlossen haben!

Filme werden aufgelistet nach dem Datum ihrer Veröffentlichung. Diesmal macht der älteste Film den Anfang.





#5



Akira Kurosawa's Träume
Originaltitel: Yume
Regie: Akira Kurosawa
Genre: Fantasy
FSK: Ab 12


Bereits 2013 hatte ich mich mit "Träume" von Akira Kurosawa schon einmal hier auf "Am Meer ist es wärmer" auseinandergesetzt. Mein Fazit einige Jahre später fällt gar nicht mal so anders aus als damals (Link). Was sich aber geändert hat, ist die Bildauflösung des Films. Auf Blu-ray kommen viele Facetten zum Vorschein, die mir meine damals geschaute Fassung verwehrte. Die abstrakten Bilder und die aufwendig gestalteten Sets kommen hier sehr schön zur Geltung und machen den Film zumindest visuell zu einem Genuss.

Inhaltlich bleibt dieses Spätwerk weiterhin einer von Kurosawas schwächeren Filmen. Natürlich sollen hier allen voran die Bilder einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Doch auch das Film-Pacing passt nicht so ganz. So wirkt die dritte Geschichte um die Bergsteiger künstlich ziemlich in die Länge gezogen. Leider aber haftet den meisten Episoden auch eine ziemlich aufgesetzte Moral an. Etwas, was man von Kurosawa eigentlich nicht gewohnt ist. Doch am Ende von Träume ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich positiv auf den Film zurückblicke. Er scheint also etwas zu haben, was zumindest nachhaltig einen bleibenden Eindruck hinterlässt.





#6



Charisma (1999)
Originaltitel: Karisuma
Regie: Kiyoshi Kurosawa
Genre: Drama, Mystery
FSK: Ab 16


Filme wie Cure, Charisma oder Pulse dreht Regisseur Kiyoshi Kurosawa (noch immer nicht verwandt oder verschwägert mit Akira Kurosawa) heute nicht mehr. Kurosawa ist auch wieder ein exemplarisches Beispiel eines japanischen Filmemachers, der seinen Stil über die Jahre komplett umgekrempelt hat und anstatt aus seiner eigenen, großartigen Kreativität eine Story für einen Film zu erschaffen, lieber auf eine Adaption setzt. Charisma stammt aus einer Zeit, wo Kurosawa eine menge außergewöhnlich gute Filme gedreht hat. Immer wieder setzte der Filmemacher dabei auf Hauptdarsteller Koji Yakusho, der mit seiner Präsenz jeden Film Kurosawas bereicherte. Kurosawa bezeichnete den Schauspieler einst als Seelenverwandten, ein Grund für die vielen Zusammenarbeiten.

Charisma ist sicherlich einer von Kurosawas kompliziertesten Filme. Im Grunde handelt es sich hier um einen Kunstfilm der auf viele philosophische Themen eingeht. Die deutsche DVD, die damals von AFN veröffentlicht wurde, befindet sich schon lange in meinem Besitz, allerdings habe ich den Film in all den Jahren aufgrund der unterirdischen Bildqualität nicht geschaut. Etwas, worüber ich mich nun ziemlich ärgere denn, obwohl die Bildqualität so unterirdisch ist wie ich sie in Erinnerung hatte, ist der Film, der sich dahinter versteckt, umso sehenswerter. Im Vordergrund steht hier ein Baum namens "Charisma", der für das Ende der Welt verantwortlich sein könnte. Die Frage nach dem "Wieso" und "Warum" bekommt man nicht auf einem Silbertablett serviert, aber umso wichtiger ist es, dem Film aufmerksam zu folgen um einige wirre Enden später miteinander zu verknüpfen (besonders mit dem Anfang). Charisma ist sicherlich kein massentauglicher Film, aber allen voran erst einmal eine wundervolle Idee, die für mich den Geist des japanischen Kinos beherbergt und woran so viele amerikanische Studios bei all den Remakes gescheitert sind, diesen Geist für ihre Filme einzufangen.




#7



Children Who Chase Lost Voices (2011)
Alternativ: Die Reise nach Agartha
Originaltitel: Hoshi o ou kodomo
Regie: Makoto Shinkai
Genre: Fantasy, Anime
FSK: Ab 12


Mit "Your Name" hat Filmemacher Makoto Shinkai zweifelsohne sein wohl bekanntestes Werk abgeliefert. Doch auch die Filme, die vor diesem Welthit entstanden sind, weisen eine beeindruckende Schaffenskraft auf. Der Vorteil von Shinkais Filmen ist denkbar einfach, all seine Werke basieren auf ein Original-Script. Somit muss kein bereits erhältliches Werk wie ein Manga oder ein Roman adaptiert werden und in einen denkbar kürzeren Anime-Spielfilm gepresst werden.

"Children Who Chase Lost Voices" oder auch "Die Reise nach Agartha" könnte durch den Erfolg von "Your Name" etwas in Vergessenheit geraten. Ich selbst hatte, als ich den Film vor einigen Tagen erstmals sah, keine großen Erwartungen. Häufig setzt Shinkai auf reale Settings (zieht man die kurze OVA Voices of a Distant Star mal ab), in einem Fantasy-Setting konnte ich mir kein Werk von ihm so recht gut vorstellen. Zumal die Chance groß ist, einfach ein erfolgreiches Konzept von Hayao Miyazaki zu kopieren. Doch Makoto Shinkai ist es mit "Children Who Chase Lost Voices" überraschend gelungen, dem großen Studio Ghibli lediglich Tribut zu zollen, aber nichts zu kopieren. Thematisch setzt sich der Film sehr intensiv und auf eine interessante art mit dem Thema Leben und Tod auseinander. Bildgewaltig und von beachtlicher Lauflänge wird hier die Geschichte einzelner Schicksale erzählt, die alle mit Verlusten in ihrem Leben umgehen müssen. Was hier in einem vor Kitsch triefendem Klischeefest hätte ausarten können, hat Shinkai unglaublich seriös und reif gemeistert. Auch ein Grund, wieso der Film vermutlich nicht gerade ein idealer Film für Kinder ist (die Altersfreigabe ist hier sogar mal wegweisend). Auch mit einigen grafischen Spitzen geht der Film nicht gerade zimperlich um, weshalb wohl eine ältere Zielgruppe, wie bei allen Filmen von Shinkai, hier mehr ihre Freude finden wird. Eine sehr angenehme Überraschung und geplant ist demnächst sicherlich auch eine weitere Sichtung.




#8



Fires on the plain (2014
Originaltitel: Nobi
Regie: Shinya Tsukamoto
Genre: Kriegsdrama
FSK: In Deutschland (noch) nicht erschienen


Im Gegensatz zu prominenten japanischen Filmemachern wie Takashi Miike oder Kiyoshi Kurosawa ist Shinya Tsukamoto seinem Stil treu geblieben. Tsukamoto ist mit "Fires on the plain" bereits zum dritten mal in meiner Japanuary Liste seit 2018 dabei. Bereits mit "Kotoko" hat er bewiesen, dass er seinen brachialen Stil nicht verändert hat. Ein Fakt, der mich sehr erfreut denn ich schätze die Filmkunst des Japaners sehr. "Fires on the plain" ist Shinya Tsukamotos ganz eigenes Remake von Kon Ichikawas gleichnamigen Film aus dem Jahr 1959 (der wiederum eine Adaption des Romans von Shohei Ooka ist).

Inhaltlich von der Machart her ähnlich paranoid und wahnsinnig wie "Aguirre" von Werner Herzog, setzt Shinya Tsukamoto hier in jeder Rubrik noch einmal einen drauf. Entstanden ist ein schonungsloser Antikriegsfilm, der den Wahnsinn zum Ende des 2. Weltkriegs in bewegten Bildern dokumentiert, die einem Fiebertraum gleichkommen. "Fires on the Plain" ist gespickt mit den surrealen Halluzinationen des Protagonisten (wieder einmal verkörpert von Tsukamoto selbst) die einen Wimpernschlag später wieder in der blutigen Realität andocken. Wenn "Kotoko" laut Tsukamotos eigenen Aussagen der geistige Nachfolger zu "Vital" ist, dann ist "Fires on the Plain" der geistige Nachfolger zu seinem beeindruckendem Kurzfilm "Haze". In weniger als 90 Minuten schafft Shinya Tsukamoto es, die Hölle auf Filmmaterial zu bannen. Nachdem er selbst nicht komplett mit seinem Zweiteiler Nightmare Detective zufrieden war, läuft der Japaner mit diesem Remake wieder zur Höchstform auf. "Fires on the Plain" zählt für mich zu den stärksten Werken, die Tsukamoto in seiner langen Karriere abgeliefert hat. Eine ganz klare Empfehlung und zudem sehr schade, dass sich für seine neusten Filme kein deutscher Verleih zu finden scheint. Das Werk von Shinya Tsukamoto findet man derzeit in Großbritannien im Programm des Verleihs Third Window Films (Link).

Mittwoch, 30. Januar 2019

Rezension: Die allertraurigste Geschichte (Ford Madox Ford)





Großbritannien 1915

Die allertraurigste Geschichte
Originaltitel: The Good Soldier
Autor: Ford Madox Ford
Verlag: Diogenes
Übersetzung: Fritz Lorch, Helene Henzel, Gertraude Krueger (Nachwort)
Nachwort: Julian Barnes
Genre: Klassiker, Drama




"Wenn ich neun Jahre lang einen schönen Apfel habe, der im Innern faul ist, und seine Fäulnis erst nach neun Jahren und sechs Monaten minus vier Tage entdecke, darf ich dann nicht sagen, ich hätte neun Jahre lang einen schönen Apfel gehabt?"


Normalerweise ist es bei deutschsprachigen Ausgaben seit jeher Usus, den Titel des Buches zu verändern. Bei dem wohl bekanntesten Roman des britischen Schriftstellers Ford Madox Ford (geb. Ford Hermann Hueffer 1873-1939) war es jedoch genau umgekehrt. Der ursprüngliche Titel des Buches lautete "The Saddest Story", wurde aber aufgrund der Wirren des 1. Weltkrieges in "The Good Soldier: A Tale of Passion" umbenannt. In englischsprachigen Territorien ist das Buch häufig unter beiden Titeln bekannt.

"Die allertraurigste Geschichte" könnte auch als Vorreiter für den Unzuverlässigen-Erzähler und großen amerikanischen Romane wie "Der große Gatsby" angesehen werden. Obwohl sprachlich ein wenig in die Jahre gekommen, so steckt in diesem Klassiker immer noch eine solche Wucht, dass es schwer ist, dieses Buch aus den Händen zu legen. Besonders für die damalige Zeit war das Konzept einer Geschichte, die nicht immer chronologisch erzählt wird und der Erzähler gerne mal die Tatsachen vertauscht, ziemlich frisch und in dem Stil, wie es Ford Madox Ford tut, gar revolutionär. Doch auch die hier angeschnittenen Themen wirken für das Jahr 1915 (Ford schrieb das Buch seit 1913) nicht nur unverbraucht, sie können auch problemlos in unsere heutige Zeit importiert werden.

Der Roman wird aus der Sicht von John Dowell erzählt, der sich direkt an den Leser wendet. Hier kann man eigentlich schon Metafiktion reden, denn der Erzähler wendet sich mehrmals ganz klar an den Leser und geht sogar auf seine Stimmungslage ein. John möchte dem Leser die, seiner Meinung nach, allertraurigste Geschichte erzählen. Die Geschichte über die vermeintliche Freundschaft zweier Ehepaare. Der Erzähler schwelgt in Erinnerungen die sich lesen, als hätte er die letzten rund 10 Jahren im Garten Eden gelebt. Doch bereits während des Prologs wird dem Leser schnell klar, dass die bunten Erinnerungen des Erzählers nichts weiter als eine Fassade sind. Das Viergespann selbst spielt die Hauptrolle in einem inszeniertem Theaterstück, was sie sich über Jahre selbst aufgebaut haben. In dieser Geschichte, wo es um Verlustängste und Einsamkeit, sowie Heuchelei, Intrigen und Misstrauen geht, entfaltet der Erzähler eine Geschichte, über dessen Ausgang der Leser nur staunen wird. Die Frage, die bleibt, ist, kann man als Leser dem Erzähler überhaupt trauen?

Gleich zu Beginn des Buches wurde dieser Ausgabe ein Brief von Ford Madox Ford abgedruckt, den er damals an seine Lebenspartnerin Stella verschickt hat (im Verzeichnis wird diese zwar als Ehefrau bezeichnet, ich bin mir da allerdings nicht ganz sicher, ob dem wirklich so war). Nachträglich widmet Ford dieses Buch Stella mit beeindruckenden Worten. Er selbst resümiert noch einmal über die Entstehungsgeschichte des Buches und es hat mir sehr imponiert, diese Worte zu lesen. Ford sieht "Die allertraurigste Geschichte" als sein persönliches Opus Magnum, auf das er stolz ist und dieses Werk als den Höhepunkt in seiner Karriere als Schriftsteller verzeichnet. Diese Worte jedoch nicht arrogant oder erheblich zu verfassen ist die eigentliche Kunst dieses Briefes.

Tatsächlich könnte man meinen, der Brief an Fords Lebenspartnerin gehöre zur Geschichte. Der Roman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten, allerdings ist "Die allertraurigste Geschichte" größtenteils pure Fiktion die aus der Feder eines Schriftstellers stammt. Besonders gefallen haben mir die philosophischen Passagen, die mich des öfteren zum nachdenken angeregt haben. Die hier überarbeitete Übersetzung in die neue deutsche Rechtschreibung liest sich sehr flüssig, wirkt aber in so mancher Wortwahl gerne mal etwas angestaubt. Zugrunde liegen hier aber auch die teils komplizierten Begriffe der englischen Ausgabe, die bewusst von Ford so gewählt wurden. Besonders, wenn der Erzähler in seiner eigentlichen Geschichte immer weitere Anekdoten einbaut und somit abdriftet, machen diese Eskapaden den Reiz des Romans aus, können aber auch dafür sorgen, dass man als Leser öfters mal aus dem Konzept kommt. Da der Erzähler sich immer wieder an den Leser richtet, kann man auch davon ausgehen, dass einige dieser Irrfahrten des Erzählers absichtlich so gewählt sind.

Die Neuauflage des Diogenes Verlag beinhaltet zusätzlich noch ein Nachwort des britischen Schriftstellers Julian Barnes (1946*). Das in schickem Leinen gebundene Buch (kein Lesebändchen, leider) befindet sich in einem sehr robusten Pappschuber, der das Buch anstelle eines Schutzumschlags trägt.




Fazit (Das allerkürzeste Fazit dieses Blogs)

"Die allertraurigste Geschichte" ist ein beeindruckender Klassiker eines Autors, den ich praktisch nie auf dem Radar hatte. Ford Madox Ford schwingt in diesem Drama eine feine Feder und präsentiert einen Inhalt, der auch heute nichts von seiner Relevanz eingebüßt hat. Eine schöne Lektüre für die eisigen Tage.

Donnerstag, 24. Januar 2019

Im Rückblick: Unterwerfung (Michel Houellebecq)





Am 04.01.19 erschien in Frankreich Michel Houellebecq's neuster Roman "Serotonin" (Rezension folgt bald). Nur drei Tage später am 07.01.19 veröffentlichte der DuMont Verlag das Werk auch in deutscher Übersetzung. In Europa wandelt der Franzose damit mal wieder auf sämtlichen Bestsellerlisten, er selbst verzichtet seit den Ereignissen aus dem Jahr 2015 auf öffentliche Auftritte.

Nun sind exakt 4 Jahre verstrichen, seit Houellebecq "Unterwerfung" veröffentlicht hat. Eine Buchveröffentlichung, die wohl europäische Geschichte geschrieben hat. Unterwerfung ist zu unruhigen politischen Zeiten in Frankreich erschienen und leider auch an dem Tag, als das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo von radikal-fanatischen Terroristen angegriffen wurde und 12 Todesopfer und viele verletzte forderte. Unter den Opfern der Redaktion befand sich auch ein guter Freund Houellebecq's, weshalb er anschließend eine große Promo-Tour für sein Buch absagte und sich anschließend immer weiter zurückgezogen hat.

Ich selbst entschied mich damals dazu, das Buch nicht auf "Am Meer ist es wärmer" zu besprechen sondern dieses privat zu lesen und stattdessen im Freundeskreis darüber zu diskutieren. Doch die Jahre, die verstrichen sind, sind eine recht lange Zeit und zumindest einen kleinen Rückblick auf meine Eindrücke zum Buch möchte ich nun gerne mal in Worte fassen.

Grundsätzlich kann man Unterwerfung als Dystopie sehen. Mit einem Augenzwinkern sogar als Science-Fiction. Aber keine sorge, es geht hier nicht um Aliens, die eine Invasion auf Paris geplant haben. Die Geschichte siedelt im Jahr 2022 an und spielt mit einer Idee. Eine Idee, die durchaus Substanz besitzt. Wie würde sich ein westliches Land verändern, wenn ein Präsident islamischer Herkunft an die Macht kommt? Natürlich ist Houellebecq viel zu klug dafür, hier einen plumpen islamfeindlichen Roman abzuliefern, der einzig und allein Islamophobie verbreitet. Stattdessen spielt der Autor hier lediglich mit einer Idee, einem Konzept und siedelt seinen Roman daher in einer nahen Zukunft an. Realität und Fiktion vermischen sich in Unterwerfung und verschmelzen zu einer Einheit. Im Mittelpunkt steht jedoch wieder einer von Houellebecqs melancholischen Protagonisten, ein Literaturprofessor mittleren Alters, der aufgrund der Veränderungen an seiner Universität mitten in den Strudel der Unruhen gesogen wird. Der größte Teil des Romans befasst sich mit dem Ich-Erzähler, der seine Ereignisse als Privatperson relativ nüchtern erzählt.

So nüchtern wie Erzähler François seine Erlebnisse schildert, so nüchtern endet die Geschichte auch. Es ist mal wieder Houellebecqs eigene art, wie er ein kontroverses Thema behandelt und abschließt. Viele Leser werden hier sicher auf der Suche nach Tabubrüchen gewesen sein, doch meiner Meinung nach wurde man da wohl nicht so fündig, wie manche es gerne gehabt hätten. Viel interessanter als die ausgeprägten Sexszenen (die traditionell vorhanden und pikant beschrieben sind) war für mich die bedrückende Atmosphäre, die Houellebecq makellos in seinen Text eingefangen hat. Es war die art, wie er mit diesem Konzept experimentierte ohne alte Klischees oder erzwungene Tabubrüche aus der Schatulle zu kramen. Für einige mag dieser nüchterne, melancholische Erzählstil nicht das gehalten haben, was die Inhaltsangabe vielleicht versprochen hat, aber wer genau danach geht, der ist bei Houellebecq grundsätzlich falsch aufgehoben.

Ich blicke weiterhin sehr zufrieden auf Unterwerfung zurück. Natürlich wird man auch in Zukunft den Roman mit den fürchterlichen Ereignissen verknüpfen, die zur gleichen Zeit nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa erschütterten. Doch hat sowohl der Roman als auch die vielen Reaktionen der Menschen bewiesen, die künstlerische Freiheit ist immer noch eine unserer wertvollsten Güter. Und diese Botschaft vertritt der Roman auch heute noch bravurös.

Mittwoch, 23. Januar 2019

Japanuary 2019 Teil 1: Filme 1-4




Ohne große Umschweife folgt nun der erste Teil meines Beitrags zum diesjährigen Japanuary! Von den hier präsentierten vier Filmen war mir einzig und allein Takashi Miikes Gozu ein alter Bekannter. Doch alte Bekannte hinterlassen mit der Zeit oftmals veraltete Erinnerungen. Wie sich Miikes surrealer Trip nach erneuter Sichtung schlägt und ob mir die anderen drei Filme gefallen haben, erfahrt ihr im Beitrag. Die Filme sind geordnet nach ihrem Veröffentlichungsjahr (der neuste Film zuerst).




#1


Silence (2016)
Regie: Martin Scorsese
Genre: Historienfilm
FSK: Ab 12


Silence ist wohl ein Film, den man von vielen Regisseuren erwarten würde, nicht aber unbedingt von dem Paten des Gangster-Kinos, Martin Scorsese. Obwohl Scorseses Handschrift natürlich deutlich erkennbar ist, so kam mir Silence vor wie ein Film, der eine gemeinsame Arbeit von Akira Kurosawa und Werner Herzog ist. Hätten in dem Film noch Toshiro Mifune und Klaus Kinski mitgespielt, hätte ich daran keinen Zweifel mehr gehabt. Aber da weder Kurosawa, noch Mifune und Kinski mehr unter uns weilen, hätte solch ein Projekt natürlich in dieser Zeit nie zustande kommen können. Scorseses Faszination von Kurosawas Filmkunst ist bekannt. Scorsese selbst übernahm in Kurosawas abstraktem Spätwerk aus dem Jahr 1990 "Träume" (ein Film, der bei diesem Japanuary noch eine Rolle für mich spielen wird) die Rolle des Vincent Van Gogh.

Silence, wie der Name schon sagt, ist ein ruhiger Film der fast komplett ohne Musikuntermalung auskommt. Von der technischen Seite her hat man es hier quasi mit einem Akira Kurosawa Film zu tun, es ist förmlich eine Liebeserklärung an die Filmkunst des Altmeisters. Prominent besetzt sowohl von der westlichen, als auch der japanischen Schauspielgilde, handelt Silence von einem Thema, an das sich bisher nur wenige Filmemacher herangetraut haben. Das Christentum in Japan. Anders als bei Ridley Scotts neueren Filmen, wo der "Glaube" des Regisseurs dem Zuschauer aufgezwungen wird, geht Martin Scorsese in Silence mit dem Thema behutsam um. Die beachtliche Laufzeit von 160 Minuten schadet dem Film überraschenderweise nicht. Überraschend hingegen ist, wie wenig Zeit sich Scorsese (der hier auch fürs Writing zuständig war) für den finalen Akt des Filmes genommen hat. Strotzt so ziemlich alles bis zu den letzten 30 Minuten vor perfektionierter Filmkunst, wirkt das Ende des Films übereilt und hastig in Szene gesetzt. Schlüsselfiguren verschwinden einfach so, Jahre vergehen und auch der Erzähler wird ausgetauscht und wechselt zu einer Figur, die der Zuschauer den ganzen Film über nicht ein einziges mal vorher gesehen hat. Dieses etwas unbefriedigende Ende war es dann auch, die Silence die höchste Wertung bei mir gekostet hat. Wer so einen Film abliefert, der muss Perfektion bis zum letzten Schnitt abliefern. Vermutlich weiß das kaum ein Filmemacher besser als Scorsese.



#2




Kotoko (2011)
Regie: Shinya Tsukamoto
Genre: Mystery, Drama
FSK: In Deutschland (noch) nicht erschienen


Regisseur und Schauspieler Shinya Tsukamoto (der übrigens auch eine recht große Rolle in Silence hat), dessen filmisches Schaffen ich mehr als schätze, ist bei den Filmfestspielen von Venedig ein Dauergast. Erstmals gewann aber nicht nur Tsukamoto mit Kotoko einen Preis in der Orizzonti Kategorie, es war der erste japanische Film überhaupt, dem das gelang.

Kotoko ist allen voran harter Tobak. Ein Film, der sich grundsätzlich mal wieder allem widersetzt, was der Zuschauer gewohnt ist. Besonders aufgrund der drastischen grafischen Darstellungen, aber auch die schwere Zugänglichkeit der Handlung gegenüber ist es überraschend, dass der Film einen Preis in dieser Kategorie gewonnen hat. Das erste, was Kotoko tut, er reist den Zuschauer aus seiner Komfortzone. Dabei besteht der Film nicht bloß aus den surrealen Halluzinationen der Protagonistin, es gibt durchaus auch immer mal wieder auflockernde Momente dank Tsukamotos skurrilen Charakter, den er selbst verkörpert. Doch auch diese erheiternden Momente können in nur einem Wimpernschlag wieder vorüber sein. Diese Unberechenbarkeit macht Kotoko zu einem Erlebnis, wenn auch nicht zu Shinya Tsukamotos bestem Film. Dafür hat er der Hauptdarstellerin Cocco vielleicht etwas zu viel Freiraum bei der Gestaltung des Filmes gelassen. Im Mittelpunkt steht hier die erfolgreiche japanische Popsängerin Cocco, die bereits zu Tsukamotos Film Vital den Titelsong abgeliefert hat. Die Künstlerin ist bereits einmal von ihrer Karriere zurückgetreten und es war mehr oder weniger Tsukamoto, der sich als großer Fan entpuppte und sie zurückholte. Lauscht man einem Interview, welches sich auf der Blu-ray befindet, so kann man Kotoko durchaus als Fortsetzung des Filmes Vital sehen, der 2004 mit Tadanobu Asano in der Hauptrolle erschienen ist. Aber eigentlich sind an und für sich sowieso alle Filme Tsukamotos stark miteinander verknüpft. Elemente wie Paranoia, Einsamkeit und Isolation finden sich in Kotoko wieder. Es ist jedoch ein Film, der stark von der aktuellen Stimmung des Zuschauers abhängig ist. Hat man mal einen sehr schlechten Tag erwischt, würde ich schleunigst davon abraten, diesen Film zu schauen. Von der technischen Seite hat man es hier trotz des geringen Budgets wieder einmal mit einer kleinen Glanzleistung zu tun. Größter Kritikpunkt ist aber die enorm starke Wackelkamera, die besonders für Zuschauer, die unter Motion Sickness leiden, zum Albtraum werden kann.

Insgesamt war Kotoko ein Erlebnis, welches ich schwer beschreiben kann und mir ganz sicher noch ein weiteres mal ansehen werde. Ein Fakt, der bei einem Shinya Tsukamoto Film immer gegeben ist. Wenn man ein Fan seiner Filmkunst ist, will man all seine Filme mehrmals sehen. Nicht, um sie besser zu verstehen, sondern einfach um tiefer in seine seltsamen Welten einzutauchen.




#3



Gozu (2003)
Originaltitel: Gokudô kyôfu dai-gekijô: Gozu
Regie: Takashi Miike
Genre: Mystery, Horror
FSK: Ab 16


Takashi Miike's Gozu habe ich erstmals vor so vielen Jahren gesehen, dass ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern kann, wann meine Synapsen zum ersten mal bei der Sichtung dieses Filmes durchgebrannt sind. Rund 16 Jahre nach der Veröffentlichung dieses verrückten Filmes hat sich daran auch nichts geändert. So sehr ich selbst über diesen Fakt überrascht bin, so ist Gozu einer der letzten experimentellen Filme von Miike. Miike galt grundsätzlich in seiner früheren Karriere als Auftragsfilmer, der Drehbücher von hoffnungsvollen Schreiberlingen verfilmt. Gozu (was wörtlich glaube ich Kuh bedeutet) ist eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Miike und einem langjährigen Weggefährten, Sakichi Sato. Bei Sato müssen Fans von Kill Bill aufpassen, dort spielt er im finalen Kapitel des Filmes des ersten Teils den unbeholfenen glatzköpfigen Charakter Charlie Brown. Was Gozu betrifft, so ist es genau der verrückte Film der dabei rauskommt, wenn zwei verrückte Typen einen Film drehen. Miike selbst distanzierte sich von solch surrealen Werken von Jahr zu Jahr mehr.

Was wir hier haben ist selbst für Fans von David Lynch sehr schwere Kost. Die Geschichte über zwei verbrüderte Yakuza Ganoven, endet als eine wirre, völlig abgedrehte und skurrile Tour de Force durch die japanische Provinz. Obwohl relativ wenig Blut fließt, lässt Miike stattdessen sämtliche bekannte Körperflüssigkeiten von Männlein und Weiblein fließen. Ein Ausgleich dafür, dass in diesem Film auf den roten Lebenssaft größtenteils verzichtet wird. Miike selbst bezeichnete Gozu einst als Liebesfilm. Doch er merkte auch an, wenn so ein seltsamer Kerl wie er auf einmal einen Liebesfilm drehen würde, würde man ihn wohl nur schräg ansehen. Miike fühlte sich viele Jahre in Live-Action Adaptionen zu erfolgreichen Manga und Anime wohl. Zuletzt adaptierte er einen Roman von Keigo Higashino. Ich selbst wünsche mir aber sehnlichst, dass Takashi Miike in seiner schier wahnwitzig langen Filmografie von über 100 Filmen noch einmal ein so irres Meisterwerk wie Gozu aus dem Hut zaubert. Relativ unwahrscheinlich vermutlich. Vermutlich auch genau so unwahrscheinlich wie jemals eine Blu-ray von Gozu zu entdecken.




#4




Escaflowne - The Movie (2000)
Regie: Kazuki Akane, Yoshiyuki Takei
Genre: Anime, Fantasy
FSK: Ab 16


Für diese Ausgabe des Japanuary nahm ich mir vor, 1-2 Anime Filme in die Liste aufzunehmen. Ein Film, der von der Lauflänge weder zu kurz noch zu lang war, ist der Film zur bekannten Anime TV-Serie The Vision of Escaflowne aus dem Jahr 1996. In den meisten Fällen sind Kinofilme zu bekannten Anime-Serien eher von mäßiger Qualität. Etliche Filme aus dieser Zeitspanne wurden aus Restmaterial nicht verwendeter Szenen der TV-Serie zusammengeschustert, andere Filme führten die Handlung einer erfolgreichen Serie eher lieblos fort. Der Kinofilm zu Escaflowne, welcher aus dem Hause Bones und Sunrise stammt und einige der Macher der TV-Serie zurückholte, ist eine erfrischende Ausnahme. Weder setzt der Film die Handlung der abgeschlossenen Serie fort, noch ist es ein Zusammenschnitt der Serie mit neuen Szenen. Der Film erzählt praktisch eine komplett neue Geschichte. Zwar haben wir es hier immer noch mit den bekannten Charakteren aus der Serie zu tun, jedoch agieren diese nicht nur anders, auch das Setting rund um den Planet Gaia wurde völlig auf Null zurückgesetzt. Statt einer bunten Teenie-Romanze setzt der Film sich mit Themen wie Selbstmordgedanken und Selbstzweifel auseinander, ist ein ganzes End düsterer und blutiger als die Serie und lässt viele Charaktere in einem neuen Licht erstrahlen.

Besonders aber was Umfang und Charakterisierung angeht kann der Film nicht mit der TV-Serie mithalten, versucht dies aber auch gar nicht erst. Beliebte Charaktere wie Allen werden zu einer unbedeutenden Nebenfigur degradiert. Eher kontrovers nervige Figuren wie Merle sind hingegen wesentlich erträglicher. Unter den Straffungen musste auch Dilandau leiden. Stattdessen konzentriert sich der Film auf die Brüder Van und Folken sowie die mental labile Hitomi. Sämtliche romantischen Elemente wurden auf ein Minimum reduziert, was man durchaus begrüßen kann, den Film aber auch vielleicht eine Nummer zu kühl und düster machen. Weitere Probleme gibt es auch in der Geschichte selbst, die zwar ohne Vorwissen aus der Serie nicht zu kompliziert ist, aber dennoch fragmenthaft und kryptisch wirkt. Spätestens das Ende dürfte dann den einen oder anderen Zuschauer ein wenig überfordern, wenn er mit der TV-Serie im Vorfeld nicht wirklich vertraut ist/war. Auch die Kämpfe mit den Guymelefs (den monströsen Mech-Robotern) wurden auf wenige Szenen reduziert. All das mag nach erheblichen Einbußen klingen, was es, grob gesagt, auch ist, aber die enorme Kurzweil des Films gepaart mit dem hinreißendem Soundtrack von Yoko Kanno und Hajime Mizoguchi machen den Escaflowne Film zu einer äußerst sehenswerten Angelegenheit. Dabei spielt es am Ende überhaupt keine Rolle, ob man die Serie zuvor gesehen hat oder nicht. Doch beides bezahlt man natürlich auch mit einem Preis. Hat man die Serie nicht gesehen, fehlt das Verständnis zur Welt und zu etlichen Charakteren. Hat man die TV-Serie gesehen, wird einem schnell der raue Stil des Films auffallen und man wird so einiges aus der Serie vermissen.

Letztendlich überwiegten für mich aber die angenehmen Aspekte im Film. Würde ich mir auch bedenkenlos noch einmal ansehen. Daher war der Escaflowne Film für mich ein sehr angenehmer Ausklang des ersten Teils meines Japanuary.



Teil 2 des Japanuary mit den Filmen 5-8 geht zwischen dem 30. oder 31. Januar Online. Die Bekanntgabe der nächsten Filme erfolgt am 25. Januar über meinen Twitter-Account. Bis Bald!

Freitag, 18. Januar 2019

Blame!

Master Edition


Ich habe länger nach einem Titel für diesen Beitrag gesucht als mir über den Inhalt dieses Beitrags Gedanken zu machen. Ganz im Stile der kryptisch gehaltenen Serie von Mangaka Tsutomu Nihei entschied ich mich jedoch für die schlichte Variante. Keine weiteren Erklärungen als der Titel des Manga sind nötig um zu beschreiben, worum es in diesem Eintrag geht. Doch worum es geht, darüber habe ich mir ja noch gar keine Gedanken gemacht, da ich über den Titel dieses Beitrags sinniert habe. Man steckt schon in einem kleinen Dilemma, wenn man über Blame! berichten will. Ich will gar nicht erst damit beginnen, diesen Manga zu erklären. Doch es gibt so viel drumherum, worüber es sich lohnt, zu schreiben!

Beginnen wir doch einfach mal mit der einfachen frage, wie und woher das erneute Interesse an Tsutomi Niheis älteren Werken wieder entfacht ist. Ob im deutschsprachigen oder englischsprachigen Verlagswesen, Niheis Werke sind bei den Publishern von Manga wieder angesagt. Blame! galt besonders hierzulande als schwer zu vermarkten und obwohl Egmont Manga alle 10 Bände in Deutschland veröffentlichte, scherten sich zur Zeit der Veröffentlichung nur wenige Leser um das Cyberpunk-Werk. Es gab keine Neuauflage und die Ausgabe von Egmont war irgendwann komplett vergriffen bzw. nur noch als Antiquariat-Ware erhältlich.


Alte deutsche Ausgabe

Über diese zwei Bände aus dem Hause EMA (6,10 Euro pro Band, westliche Leserichtung) kam ich nie hinaus. Ich hätte noch Band 3-5 ergattern können, doch damit hatte es sich dann auch. Die Exemplare, die ich als Gebrauchtware in meinen Händen hielt, eigneten sich leider nicht einmal mehr als extravagante Untersetzer für wackelige Tischbeine.

Blame! war Niheis erste fortlaufende Serie und wurde zwischen 1997-2003 in Japan veröffentlicht. In Interviews blickt Nihei immer wieder auf die Serie und seine auf den ersten Blick eher schwer zugängliche art zurück. Als Nihei mit seinem erfolgreichen Science-Fiction Manga "Knights of Sidonia" (2009-2015) bei einem breiteren Publikum auf sich aufmerksam machte, versprach er, nicht mehr zu anfänglichen Werken wie Blame! zurückzukehren. Doch schaut man sich mal seine neueste Serie "Aposimz - Im Land der Puppen" an, kann man dieser Aussage nur schwer etwas abgewinnen. Trotz der Erfolge die Knights of Sidonia feierte, waren viele Leser von Niheis älteren Werken enttäuscht, besonders über die Dreingabe eines männlichen Hauptcharakters, der von einem Harem an Frauen (was sie, hochoffiziell, gar nicht sind) umworben wird. Obwohl die Grundstimmung von Sidonia nicht minder kryptisch und geheimnisvoll ist wie die von Blame!, so wird die Stimmung in der Serie immer mal wieder von humorvollen Passagen aufgelockert oder durch zusätzliche Erklärungen der Geschehnisse verständlicher gestaltet.

Kehrt man nach Sidonia zurück zu Blame!, so fällt der Unterschied schnell und deutlich auf. Blame! verfügt über enorm wenig Dialoge und wird praktisch komplett über die Illustrationen erzählt, was die eigentliche Faszination des Werkes ausmacht. Die Bildersprache benötigt keine weiteren Dialoge. Die Beweggründe des Hauptcharakters Killy ist in den ersten Bänden kaum nachvollziehbar, allerdings für die Story vorerst nicht wirklich relevant. Der Leser weiß, dass die Reise, die Killy auf sich nimmt, eine brutale, gnadenlose Irrfahrt durch ein Konstrukt ist, welches man kaum mit Worten beschreiben kann. Man muss es sehen, um es halbwegs verstehen zu können. Dialoge oder Erklärungen über die Megastruktur würden alles verkomplizieren, das Bauwerk allerdings zu illustrieren erübrigt sämtliche Fragen.

Doch woher stammt nun das neu entfachte Interesse für Tsutomu Nihei speziell her? Einerseits trägt die Anime-Adaption zu Knights of Sidonia einen großen Anteil daran. Der Manga selbst wird in Deutschland erneut von EMA vertrieben, allerdings mit so mäßigem Erfolg, dass auch hier etliche Bände nur noch schwer zu bekommen sind. Die Anime-Adaption aus den Jahren 2014/2015 besteht aus zwei Staffeln und erlangte besonders durch seine Veröffentlichung auf Netflix zu großer Bekanntheit, die den Anbieter dazu antrieb, weitere Anime ins Programm aufzunehmen.

Bereits im Jahr 2003 erschien zu Blame! eine Web-Serie, die aus 6 Mini-Episoden bestand. Nach dem Erfolg von Sidonia entstand 2017 Ein CGI-Animierter Spielfilm, der für einige Zeit exklusiv auf Netflix (und von Netflix auch produziert wurde) zu sehen war (und es immer noch ist, mittlerweile aber auch auf Blu-ray erhältlich ist). Der Verzicht auf traditionelle Animationen schien eine schnelle Entscheidung gewesen zu sein, denn erneut ist für diese Adaption Polygon Pictures verantwortlich, die auch den Sidonia Manga als CGI-Adaption umsetzten. Obwohl der Spielfilm zu Blame! positiv aufgenommen wurde, kamen die inhaltlichen Änderungen alles andere als gut an. Der Anime Spielfilm folgt größtenteils einer Original-Storyline und wirft die Schweigsamkeit des Manga völlig über Board. Auch von sämtlichen blutigen Auseinandersetzungen nahm man in der neuen Adaption zugunsten eines Publikums in verschiedensten Altersklassen Abstand. Mit anderen Worten trägt der neue Film zwar noch den bekannten Titel und präsentiert die gleichen Hauptcharaktere, inhaltlich nimmt der Anime sich jedoch zu viele Freiheiten, um ihn noch eine  originalgetreue Adaption nennen zu dürfen.




Eine weitere schwere Hüde für die Anime-Studios ist es, Niheis skizzenartigen Zeichenstil zu übernehmen. Zwar wäre es vermutlich möglich, den Stil für einen Anime treu zu adaptieren, allerdings könnte die Umsetzung auch Risiken mit sich bringen und potentielle Zuschauer abschrecken. Desweiteren würde Niheis Stil auch nur durch handgezeichnete Animationen richtig zur Geltung kommen.

Allerdings legte Tsutomu Nihei nie den größten Wert auf die Detailverliebtheit seiner Figuren. Nihei begann seine Karriere als Student für Architektur. Hierin liegt seine Passion. Die Gebäude und Umgebungen strotzen nur so vor Details. Es gibt sogar so viel Liebe zum Detail, dass selbst kleinste Schräubchen in den Zeichnungen noch zu erkennen sind. So ist es vermutlich gar nicht verwunderlich, dass das Cover-Artwork für den finalen sechsten Band der neuen Master Edition die Megastruktur deutlich zeigt, während Protagonist Killy eher eine unbedeutende Rolle auf dem Cover einnimmt.

Die neue Master Edition umfasst statt 10 nur noch 6 Bände. Somit finden nun rund zwei Bände des Originals Platz in einer einzigen Ausgabe der Master Edition, die hier im Großformat und erstmals in japanischer Leserichtung präsentiert wird. Und tatsächlich sah Blame! nie beeindruckender aus. Die Megastruktur wirkt durch das große Format gewaltiger als je zuvor. Die Detailverliebtheit ist auf jeder Seite zu spüren. Man könnte meinen, wenn man gleich etwas sagt, könnte durch die gewaltigen illustrierten Hallen ein Echo ertönen.

Die Master Edition ist in den USA aber auch in Deutschland erschienen. In Deutschland erscheint die Edition jedoch als Hardcover-Ausgabe von beeindruckender Qualität. Die Rechte für die Ausgabe liegen nicht mehr bei EMA sondern bei dem noch recht jungen Label Manga Cult (die allerdings zum etablierten Comic-Label Cross Cult gehören). Mit Blame! hat das Label gleich seinen Standpunkt klar verdeutlicht, welche art von außergewöhnlichen Titeln man ins Programm fortan aufnehmen wird. Der Erfolg der Master Edition (die auch komplett neu übersetzt wurde) und auch der sehr wahrscheinliche Gewinn einer neuen Zielgruppe schienen jedoch noch mehr positive Effekte zu haben, denn ende 2018 veröffentlichte EMA eine Luxury Edition zu Niheis Endzeit Manga "Biomega". Die Luxury Edition beinhaltet auf über 1000 Seiten die gesamte Serie. Ein weiteres Werk welches zur Zeit seiner Veröffentlichung in Deutschland von Manga-Fans nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hat.

Blame!, das ist übrigens auch der SFX-Sound im Manga, der von Killys Waffe ausgeht. Allerdings macht die Waffe im Manga eigentlich nur Blam und nicht Blame!. Wenn Wolverines Klingen aus Adamtium aus seinen Fingerknöcheln fahren machen sie Snikt! Nihei sah hier wohl interessante Parallelen zu Blame! als er diesen Wolverine Comic 2004 zeichnete. Nach SFX-Sounds benennt Tsutomu Nihei seine Werke nicht mehr. Es erfreut mich jedoch, dass er weiterhin mit neuen Werken aktiv der Manga-Szene erhalten bleibt, Verlage aber auch wieder auf seine älteren Werke aufmerksam geworden sind. Ein Trend, der sich gerne so fortsetzen darf.


Mehr Blame!: Das Prequel NOISE erscheint am 09.04.19 als Hardcover bei Manga Cult

Dienstag, 15. Januar 2019

Japanuary 2019 Teil 1: Filme 1-4 in der Vorschau



Ursprünglich für den 16. Januar geplant, verschiebt sich besonders durch die Laufzeit des ersten Filmes, Scorseses Silence, Teil 1 des Japanuary ein wenig nach hinten. Je nachdem wie die Zeit es zulässt, wird das Special noch diese Woche Online gehen. Falls nicht, dann direkt zu Beginn der kommenden Woche.

Kommen wir nun aber zu meiner Auswahl. Mit Silence hat es ein westlicher Film in meine Liste geschafft und mit Escaflowne auch ein Anime. Folgende Filme werden besprochen:


1: Silence (2016). Regie: Martin Scorsese

2: Kotoko (2011). Regie: Shinya Tsukamoto

3: Gozu (2003). Regie: Takashi Miike

4: Escaflowne (2000). Regie: Kazuki Akane, Yoshiyuki Takei


Eine ausgewogene Mischung, wie ich selbst finde. Bisher gesehen habe ich nur Miikes Gozu, wo die letzte Sichtung allerdings schon wieder einige Jahre zurückliegt. Da es jedoch ein Werk ist, welches mir immer in Erinnerung bleiben wird, kann ich es kaum erwarten, mich ein weiteres mal auf diesen irren Trip einzulassen.

Sobald Teil 1 Online geht, verkünde ich auch die Filme für Teil 2. Für weitere Infos und Wasserstandsmeldungen könnt ihr mir wie immer auf Twitter folgen!

Donnerstag, 3. Januar 2019

Einwurf: 2019 in Sichtweite!




Liebe Leser von "Am Meer ist es wärmer". Wie jedes Jahr hoffe ich, dass ihr die Feiertage relativ kalorienarm und den Start ins neue Jahr unbeschadet überstanden habt. Immerhin profitiere ich schließlich auch von eurem Wohlbefinden, muss ich mal egoistisch zugeben. Denn wer würde sonst meine emotionalen Ergüsse hier auf dieser kleinen Insel lesen?

Erneut ist ein weiteres Jahr rum. Noch immer schüttel ich 2018 von mir. Gefühlt muss ich sagen, hänge ich noch im Jahr 2018 fest. Doch im Nebel scheint sich etwas zu offenbaren. Eine Zahl. Ich denke, es ist das Jahr 2019, eindeutig auch von meiner Position nun in Sichtweite. Wobei ich wohl eher noch einmal meine Augen reiben muss, damit ich es auch realisiere.

Leider musste ich einige geplante Dezember-Artikel in der Hektik der Zeit verschieben. Der Januar war eigentlich komplett für den diesjährigen "Japanuary" vorgesehen. Leser, die meinen Blog verfolgen, werden wissen, was gemeint ist. Beim letztjährigen Japanuary hatte ich nicht nur viel Freude an dem Blog-Event, ich habe auch eine menge positives Feedback erhalten und einige interessante Kontakte geknüpft. Wer mehr dazu erfahren will, der klickt einfach auf den verlinkten Artikel oder wartet, bis in einigen Tagen ein dazugehöriger Artikel für den diesjährigen Japanuary Online geht. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: War der Januar ursprünglich für den Japanuary gedacht, so werde ich desweiteren noch zwei Dezember-Artikel nachreichen.

Von Februar bis März wird es eine verspätete Winterpause geben. Neue Beiträge wird es dann wieder in aller Frische ab ungefähr Mitte März wieder geben.

"Am Meer ist es wärmer" wird also auch 2019 bestehen. Unglaublich aber wahr, wir gehen nun ins achte Jahr und mittlerweile kann ich mich als alteingesessener Blogger betiteln (auch, wenn ich relativ wenig darauf gebe). Obwohl ich mir jährlich Gedanken mache, ob es hier noch weitergehen wird, so komme ich immer wieder zum Schluss, dass es hier noch einige unerledigte Aufhaben für mich gibt. So werde ich dieses Jahr zwar kein Programm für den Blog auffahren, aber wie gewohnt möchte ich über besondere Werke aus Literatur und Film berichten. Und vielleicht habe ich dieses Jahr Glück, ein wenig Unterstützung für meinen Blog zu erhalten.

Ob als Gast-Autor oder vielleicht sogar als feste zweite Stimme, wer sich von den Inhalten auf "Am Meer ist es wärmer" angesprochen fühlt, etwas Kreativität besitzt und Dann und Wann ein wenig Zeit entbehren kann, kontaktiert mich, wenn Ihr mithelfen wollt, diesen Blog noch umfangreicher zu gestalten.

Mit diesem kleinen Aufruf bin ich auch schon am Ende meines Neujahrs-Einwurf angelangt. Wie immer freue ich mich auf ein kreatives Jahr und interessante neue Titel. Bis dahin, gehabt Euch wohl und bis bald!



Aufziehvogel