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Mittwoch, 30. Januar 2019

Rezension: Die allertraurigste Geschichte (Ford Madox Ford)





Großbritannien 1915

Die allertraurigste Geschichte
Originaltitel: The Good Soldier
Autor: Ford Madox Ford
Verlag: Diogenes
Übersetzung: Fritz Lorch, Helene Henzel, Gertraude Krueger (Nachwort)
Nachwort: Julian Barnes
Genre: Klassiker, Drama




"Wenn ich neun Jahre lang einen schönen Apfel habe, der im Innern faul ist, und seine Fäulnis erst nach neun Jahren und sechs Monaten minus vier Tage entdecke, darf ich dann nicht sagen, ich hätte neun Jahre lang einen schönen Apfel gehabt?"


Normalerweise ist es bei deutschsprachigen Ausgaben seit jeher Usus, den Titel des Buches zu verändern. Bei dem wohl bekanntesten Roman des britischen Schriftstellers Ford Madox Ford (geb. Ford Hermann Hueffer 1873-1939) war es jedoch genau umgekehrt. Der ursprüngliche Titel des Buches lautete "The Saddest Story", wurde aber aufgrund der Wirren des 1. Weltkrieges in "The Good Soldier: A Tale of Passion" umbenannt. In englischsprachigen Territorien ist das Buch häufig unter beiden Titeln bekannt.

"Die allertraurigste Geschichte" könnte auch als Vorreiter für den Unzuverlässigen-Erzähler und großen amerikanischen Romane wie "Der große Gatsby" angesehen werden. Obwohl sprachlich ein wenig in die Jahre gekommen, so steckt in diesem Klassiker immer noch eine solche Wucht, dass es schwer ist, dieses Buch aus den Händen zu legen. Besonders für die damalige Zeit war das Konzept einer Geschichte, die nicht immer chronologisch erzählt wird und der Erzähler gerne mal die Tatsachen vertauscht, ziemlich frisch und in dem Stil, wie es Ford Madox Ford tut, gar revolutionär. Doch auch die hier angeschnittenen Themen wirken für das Jahr 1915 (Ford schrieb das Buch seit 1913) nicht nur unverbraucht, sie können auch problemlos in unsere heutige Zeit importiert werden.

Der Roman wird aus der Sicht von John Dowell erzählt, der sich direkt an den Leser wendet. Hier kann man eigentlich schon Metafiktion reden, denn der Erzähler wendet sich mehrmals ganz klar an den Leser und geht sogar auf seine Stimmungslage ein. John möchte dem Leser die, seiner Meinung nach, allertraurigste Geschichte erzählen. Die Geschichte über die vermeintliche Freundschaft zweier Ehepaare. Der Erzähler schwelgt in Erinnerungen die sich lesen, als hätte er die letzten rund 10 Jahren im Garten Eden gelebt. Doch bereits während des Prologs wird dem Leser schnell klar, dass die bunten Erinnerungen des Erzählers nichts weiter als eine Fassade sind. Das Viergespann selbst spielt die Hauptrolle in einem inszeniertem Theaterstück, was sie sich über Jahre selbst aufgebaut haben. In dieser Geschichte, wo es um Verlustängste und Einsamkeit, sowie Heuchelei, Intrigen und Misstrauen geht, entfaltet der Erzähler eine Geschichte, über dessen Ausgang der Leser nur staunen wird. Die Frage, die bleibt, ist, kann man als Leser dem Erzähler überhaupt trauen?

Gleich zu Beginn des Buches wurde dieser Ausgabe ein Brief von Ford Madox Ford abgedruckt, den er damals an seine Lebenspartnerin Stella verschickt hat (im Verzeichnis wird diese zwar als Ehefrau bezeichnet, ich bin mir da allerdings nicht ganz sicher, ob dem wirklich so war). Nachträglich widmet Ford dieses Buch Stella mit beeindruckenden Worten. Er selbst resümiert noch einmal über die Entstehungsgeschichte des Buches und es hat mir sehr imponiert, diese Worte zu lesen. Ford sieht "Die allertraurigste Geschichte" als sein persönliches Opus Magnum, auf das er stolz ist und dieses Werk als den Höhepunkt in seiner Karriere als Schriftsteller verzeichnet. Diese Worte jedoch nicht arrogant oder erheblich zu verfassen ist die eigentliche Kunst dieses Briefes.

Tatsächlich könnte man meinen, der Brief an Fords Lebenspartnerin gehöre zur Geschichte. Der Roman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten, allerdings ist "Die allertraurigste Geschichte" größtenteils pure Fiktion die aus der Feder eines Schriftstellers stammt. Besonders gefallen haben mir die philosophischen Passagen, die mich des öfteren zum nachdenken angeregt haben. Die hier überarbeitete Übersetzung in die neue deutsche Rechtschreibung liest sich sehr flüssig, wirkt aber in so mancher Wortwahl gerne mal etwas angestaubt. Zugrunde liegen hier aber auch die teils komplizierten Begriffe der englischen Ausgabe, die bewusst von Ford so gewählt wurden. Besonders, wenn der Erzähler in seiner eigentlichen Geschichte immer weitere Anekdoten einbaut und somit abdriftet, machen diese Eskapaden den Reiz des Romans aus, können aber auch dafür sorgen, dass man als Leser öfters mal aus dem Konzept kommt. Da der Erzähler sich immer wieder an den Leser richtet, kann man auch davon ausgehen, dass einige dieser Irrfahrten des Erzählers absichtlich so gewählt sind.

Die Neuauflage des Diogenes Verlag beinhaltet zusätzlich noch ein Nachwort des britischen Schriftstellers Julian Barnes (1946*). Das in schickem Leinen gebundene Buch (kein Lesebändchen, leider) befindet sich in einem sehr robusten Pappschuber, der das Buch anstelle eines Schutzumschlags trägt.




Fazit (Das allerkürzeste Fazit dieses Blogs)

"Die allertraurigste Geschichte" ist ein beeindruckender Klassiker eines Autors, den ich praktisch nie auf dem Radar hatte. Ford Madox Ford schwingt in diesem Drama eine feine Feder und präsentiert einen Inhalt, der auch heute nichts von seiner Relevanz eingebüßt hat. Eine schöne Lektüre für die eisigen Tage.

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