Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Freitag, 31. Dezember 2021

Meercast Episode 4: Heaven von Mieko Kawakami

 




Was lange währt, wird nicht zwangsläufig gut. Der Start in mein neues Meercast-Format ist ein wenig ruppig verlaufen und der einzige Grund, wieso ich die Episode nun doch veröffentlicht habe ist vermutlich ein Vorsatz, an dem ich mich in meinem Jahr 2021 als Blogger geklammert habe, in diesem Jahr doch noch eine Episode zustande zu bringen. Das Endergebnis ist ein kieseliges Reboot mit Überlänge. Bereits seit einigen Jahren habe ich meine eigene Variante eines Podcasts geplant und es gab mit der Präsentation zur Gesamtausgabe von Erdsee, der Gesamtausgabe des Herrn der Ringe und der Besprechung der Neuauflage des Aufziehvogels von Haruki Murakami schon 3 Ausgaben des Meercasts. Der neue Meercast soll häufiger erscheinen und verschiedenste Themen abdecken, über die ich gerne plaudern möchte.

In Folge 4 wollte ich mir einen Titel vornehmen, der mich ausgesprochen gut gefallen hat und die dazugehörige Rezension der meistgelesene Artikel im Jahr 2021 auf "Am Meer ist es wärmer" war. In Folge 4 des Meercast spreche ich über das neue Format und plaudere anschließend über den Roman von Mieko Kawakami. Da ich hier mit neuem Equipment gearbeitet habe, wirkt alles noch etwas ungeschliffen. So gibt es kleinere Tonsprünge, hörbares Klicken der Maus sowie eine zu laute Hintergrundmusik gegen Ende. Technische Probleme sind somit vorab zu entschuldigen.

Wenn ihr das Video direkt anklickt, findet ihr in der YouTube-Beschreibung zudem Zeitstempel, mit denen ihr euch durch das Video navigieren könnt.

Der Aufziehvogel stottert sich in das neue Jahr 2022! Mit diesen Worten möchte ich allen Lesern und Leserinnen von "Am Meer ist es wärmer" einen entspannten Jahresausklang wünschen. Kommt gut ins neue Jahr und stottert euch bitte nur mit einem guten Schluck rein, um das furchtbare Jahr 2021 ordentlich weg zu spülen!


-Meercast Episode 4 enthält erhebliche Spoiler zum Buch "Heaven"-


Sonntag, 19. Dezember 2021

Special: Durchgeschaut und durchgelesen - Das ABC der Videospiele (Gregor Kartsios)

 



Deutschland 2021

Autor: Gregor Kartsios
Erscheinungsdatum: 21.10.2021 beim Lappan Verlag
Format: Hardcover, E-Book
Genre: Sachbuch



Obwohl es Videospiele seit einigen Jahrzehnten gibt, so ist das Fachgebiet immer noch relativ jung. In kaum einer anderen Industrie für Unterhaltungsmedien gab es in den vergangenen 30 Jahren solch technische Sprünge wie in der Videospielindustrie. Dies ruft wiederum ganz spezielle Historiker auf den Plan: Videospiel Historiker oder Gaming Historians sind mittlerweile fest verankert auf YouTube oder auch in der Literatur. Besonders via Kickstarter haben hier so manche Historiker der virtuellen Medien ihr literarisches Projekt realisiert. In den vergangenen 10 Jahren waren Videospiele kein großes Thema auf "Am Meer ist es wärmer", aber es ist ein Hobby, welches mich noch länger begleitet als Literatur und Filme. Ich bin mehr oder weniger mit einem NES-Controller in der Hand geboren. Gut, eine kleine Übertreibung aber meine Eltern schafften sich circa 1991 ein NES an, ich war also ungefähr 4 Jahre alt, als ich das erste mal Super Mario Bros. und Zelda spielte. Die Liebe zum Medium war eine heiße Flamme, die bis heute nicht verglüht ist, obwohl die Branche alles dafür tut, diese Flamme zu löschen.

Im deutschsprachigen Raum sieht es hier, was Videospielhistorie angeht, ein wenig mauer aus. Aber es gibt hier ein Kleinod, welches ich, nachdem ich etwas ausgeholt habe, gerne hervorheben möchte. Vom Alter her gehöre ich zur Giga-Generation, bin aber in diesen Kosmos erst mit dem Ableger GIGA Games eingestiegen. Die Jungs, die dort täglich 2 Stunden live über Videospiele berichteten, wurden zu guten Freunden, die ich nie persönlich kennengelernt habe. Dann kam der Moment, als der Vermieter NBC Europe aus dem Kabelprogramm geschmissen hat und somit für über 3 Jahre GIGA TV nicht mehr empfangen konnte. Als der Sender dann wieder ins Kabelfernsehen zurückkehrte, konnte diese Freundschaft nicht neu entfacht werden, da bereits ein Teil des Teams den Sender verlassen hatte. 2006 startete auf MTV das Format Game One welches von 2006-2014 lief und es auf stolze etwas über 300 Episoden brachte. Game One wiederum bestand aus Mitgliedern des GIGA Games Kernteam. Eine Sendung, die auch in meinem Freundeskreis wieder recht beliebt war. Und bis zum heutigen Tage habe ich keine einzige Folge Game One gesehen. Als 2015 dann der Online-TV Sender Rocket Beans als eine Art geistiger Nachfolger zu Giga Games und Game One startete und ein langjähriger Freund mich darauf aufmerksam machte, wurde die alte Liebe doch wieder entfacht. Die Jungs von damals waren zurück, deutlich älter, genau wie ich selbst, aber sie waren es, unverkennbar. Da ich Game One nie geschaut habe, kannte ich viele der Formate, Mitarbeiter und Insider nicht. Und ich hatte zu dem Zeitpunkt absolut noch keine Ahnung, wer Gregor Kartsios war, der bereits bei Game One öfter zu sehen war und größtenteils redaktionell hinter der Kamera stand.

Es dauerte aber nicht lange, bis ich den Autor des hier präsentierten Buches über Rocket Beans besser kennenlernen konnte, er war nämlich auf einmal in verdammt vielen Shows zu sehen. Und hier kommt nun das Kleinod ins Spiel, von dem ich gerade schon berichtete. Der Retro Klub. Ich denke anhand des Namens muss ich das Format nicht groß erklären, aber tue es dennoch. Der gute Gregor moderiert hier im Alleingang oder auch mal mit Gästen eine Show über alte Videospiele. Und da ich ein Nostalgiker bin, war diese Show genau das richtige für mich. Der Retro Klub (Link führt zur offiziellen YouTube Playlist) läuft nun auch schon seit 2015 und wird auch seit der großen Rocket Beans Umstellung von November 2021 noch immer produziert. Ein weiterer Ableger des Retro Klubs ist der Future Klub (Link führt erneut zu einer offiziellen Playlist auf YouTube).

Der selbe Gregor Kartsios, der diese beiden Retro-Formate moderiert, hat nun also ein Buch veröffentlicht. Als Zuseher eines beliebten Formats horche ich hier automatisch etwas skeptisch auf. Sich gut vor der Kamera im heimischen Becken zu präsentieren bedeutet nicht automatisch, ein gutes Buch schreiben zu können und umgekehrt. Das Buch wurde auf den Titel "Das ABC der Videospiele" getauft und ist nicht über Kickstarter entstanden, sondern in Zusammenarbeit mit dem Lappan Verlag, der zur Carlsen Verlag GmbH gehört.




 

Die wichtigste Frage, die ich mir hier stelle, ist, ob so ein Buch noch Trivias/Fakten/Anekdoten präsentieren kann, die ich selbst noch nicht kenne. Erstmal muss ich aber anmerken und sehr positiv hervormerken, es ist schön, solch ein Buch endlich auch mal in deutscher Sprache verfasst lesen zu dürfen. Was die deutsche Sprache angeht, so befinden wir uns hier in einer kleinen Nische. Sprachlich fällt, unverkennbar, schnell der Stil von Gregor auf, den man aus seinem Retro Klub kennt. Und genau so funktioniert "Das ABC der Videospiele" nach einer ganz einfachen Formel. Das Buch ist kein Sammelsurium an abgedroschenen Trivias, die man sich über Wikipedia oder Did You Know Gaming zusammengesucht hat, wir haben es stattdessen hier mit dem Retro Klub im Literaturformat zu tun. Hier schreibt ein Autor, der in jedem Kapitel Bock darauf hatte, etwas zu erzählen. Und hier überwindet Gregor die Startschwierigkeiten, die man haben kann, wenn man sich vornimmt, solch ein Buch in Angriff zu nehmen. Dies kann oftmals schnell in selbstverliebten Ergüssen enden. Etwas ähnliches fiel mir hier zum Beispiel in einem ähnlichen Buch ("Itchy, Tasty" zum Thema der Historie von Resident Evil) des Autors Alex Aniel auf, wo es vorab und auch immer mal wieder sehr häufig Selbstbeweihräucherung gab (die das Buch nicht einmal nötig hatte, da ich es höchst interessant fand). In "Das ABC der Videospiele" gibt es so etwas, glücklicherweise, nicht. Das Buch liest sich mehr wie ein passioniertes Projekt anstatt einer Flex-Maschine, die damit prahlt, welch fundiertes Wissen man hier auflistet und wie viel Vitamin B man vielleicht in der Szene hat.

Der Titel des Buches ist natürlich nicht minder selbsterklärend wie das Motto des Retro Klubs. Gestartet wird bei A wie Atari, allerdings endet das rund 200 Seiten befüllte Buch nicht mit C wie Commodore. Das Buch ist stattdessen eine bunte Reise durch die Videospielwelt, die tatsächlich bei Atari beginnt, aber nur ein kleiner Teil einer großen Videospielhistorie ist, die in diesem Buch abgedeckt wird. So befasst sich das Buch nicht nur mit den großen und exotischen Systemen, sondern auch mit zahlreichen Videospielmarken und Genres. Der Schreibstil sollte dabei für alle Zielgruppen leicht verständlich, aber dennoch äußerst informativ sein. Zudem gibt es unzählige Bilder, die im Buch abgedruckt wurden. Allerdings überwiegt hier ganz klar der Text, denn das Buch ist kein Kunstbuch mit ein paar textlichen Erläuterungen sondern ein Sachbuch mit etlichen Abbildungen.


 



Ein großes Lob gibt es auch für die Aufmachung des Buches. Wir haben es hier mit einem robusten Hardcover mit einem hübsch gestalteten Buchdeckel zu tun. Das Papier ist von exzellenter Qualität und die Bildqualität der abgedruckten Bilder, obwohl sie teilweise sehr klein sein können, ist exzellent und gut zu erkennen. Ein Lesebändchen oder Schutzumschlag hätte die Aufmachung noch einmal gekrönt, aber hier muss man natürlich einmal absolut ehrlich sein: Der Verlag bietet den Titel bereits für 14 Euro an (das E-Book liegt übrigens bei 9,99 Euro), was ein unfassbar sympathischer Preis ist für die gebotene Qualität. Somit wird "Das ABC der Videospiele" auch automatisch zu einem schicken Sammelgegenstand, der sich auch gut verschenken lässt. Ich muss zu meiner großen Überraschung aber sagen, dass das Buch deutlich mehr ist als "nur" ein Merchandise-Artikel unter dem Rocket Beans Banner. Viel mehr ist es für mich etwas, wovon in Zukunft gerne noch mehr hätte, da wir es hier, wie bereits geschrieben, mit einer Nische zu tun haben, die noch nicht ausreichend beackert wurde.




Abschließende Gedanken

Der Ausflug von Gregor Kartsios in die Welt der Autoren ist mit "Das ABC der Videospiele" gelungen. Ich hatte hier einige Zweifel über die Qualität des Buches, wurde aber bereits nach dem Vorwort bereits eines besseren belehrt. Ich war vorab wirklich sehr neugierig, aber es gab auch Bedenken, die darauf gefasst waren, dass das Buch vermutlich nicht so gut wie der Retro Klub funktioniert. Der Retro Klub funktioniert sehr wohl als Buch und vielleicht funktioniert so etwas ähnliches ja auch noch für den Future Klub. Schaut man sich die Resonanz zum ABC der Videospiele an, so wäre es ja beinahe schon fahrlässig, da in Zukunft nicht nochmal was nachzulegen. Ich war sehr angetan, mich durch die vielschichtige Themenwelt des Buches zu lesen und kann daher auch ganz entspannt eine Empfehlung für das Buch aussprechen und ist zeitgleich auch auf meiner Liste für Überraschungshits des Buchjahres 2021 gelandet.

Donnerstag, 2. Dezember 2021

Einwurf: OFM at Amazon - Noch eine Retoure, dann Platzverweis!

 




Guten Tag,


wir haben Sie bereits aufgrund mehrfacher Rücksendungen von Ihrem Konto kontaktiert, bei denen die zurückgesendeten Artikel Beschädigungen bzw. Gebrauchsspuren aufwiesen oder nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand waren. Wir sind uns dessen bewusst, dass es bei Rücksendungen gelegentlich zu Problemen kommt, haben bei Ihrem Konto jedoch ein Häufung derartiger Rücksendungen beobachtet. Wiederholte Verstöße gegen unsere Richtlinien können dazu führen, dass Sie nicht mehr bei Amazon.de kaufen dürfen.


Am 22.12.2004 gab ich mit meinem ersten eigenen Account meine erste Bestellung bei dem Onlineriese Amazon auf. Das sind beinahe 20 lange Jahre. Ich blicke auf "Am Meer ist es wärmer" gerne auf das zurück, was sich in der Zeit seit der Gründung meines Blogs so verändert hat. Glücklicher oder unglücklicherweise, nicht so viel. Unzählige Bestellungen und Rezensionen später erhalten treue Kunden meistens Einladungen, Produkttester bei Amazons Vine-Programm zu werden. Ich hingegen erhalte seit einigen Monaten Mails vom sogenannten "Kontospezialist". Einer allmächtigen Erscheinung im Amazon-Universum. Anonym, streng und anscheinend konsequent. Wer sich hinter den "Kontospezialisten" versteckt, können mir nicht einmal die Mitarbeiter vom Kundenservice sagen. Angeblich verberge sich hier eine weitere Instanz, was ich jedoch anzweifle, da ich, wie auf Knopfdruck, eine weitere Droh-Mail vor einigen Wochen direkt nach einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Kundenservice erhalten habe. Wirklich nur ein sehr ungünstiger Zufall oder ist die gesonderte Instanz doch nur eine weitere Abteilung beim Amazon Kundenservice? Ich war neugierig und wollte mehr recherchieren, wer und warum mir ständig damit droht, meinen langjährigen Account mit zahlreichen Abos und digitalen Inhalten zu schließen. Was mir vorgeworfen wird habe ich relativ schnell auch noch einmal auf Nachfrage erfahren: Missbrauch von Amazons Rücksenderichtlinien. Ich kann unmöglich der einzige sein, der solche Mails erhält und habe mich wie in einer klischeeüberladenen Reportage auf die Suche gemacht nach Leuten, die nicht nur solche Mails erhalten haben, sondern ihr Konto bereits aufgrund von Rücksendungen gesperrt wurde.

Es ist viele Jahre her, wo ich zuletzt einen Einwurf über Amazon verfasst habe. So kontrovers Amazon sein mag, den heimischen Buchmarkt zu unterstützen ist für mich kaum noch möglich, da die Pandemie mittlerweile sogar selbst größere Ketten in den Ruin getrieben hat. Auch wenn ich mein Kaufverhalten bei Amazon inzwischen reduziert habe was Bücher angeht (und aus Platzgründen sowieso mittlerweile sehr oft auf E-Books ausweiche), so führt manchmal kein Weg um den Onlineshop vorbei, wenn die Sammlung um ein heißbegehrtes Buch, Comic oder Manga erweitert werden soll. Man bestellt also bei Amazon, weil es schnell und unkompliziert geht. So schnell und unkompliziert es auch geht, besonders Bücher werden in Eile hektisch in zu kleine oder große Pakete verpackt oder aber durch Amazons internen Lieferdienst "Amazon Logistic" zusätzlich beschädigt. Der Klassiker bei mir: Die zu großen Pakete oder die zu kleinen Pakete mit den viel zu dicken Büchern werden in den Briefschlitz gequetscht. Die Fahrer werden dabei kreativ und falten die Pakete und quetschen sie anschließend so lange, bis so ein Paket dann auch in diesen kleinen Briefschlitz passt. Das Endergebnis resultiert meistens in beschädigte Ware. Diese wurde entweder schon beim verpacken demoliert oder aber spätestens dann bei dem Versuch, das Paket in den Briefschlitz zu quetschen.

Als Kunde der für Neuware bezahlt, reklamiere ich diese Ware und bin dabei noch deutlich großzügiger als manch andere Rezensenten, die in den Amazon-Rezensionen ihre demolierten Artikel zur Schau stellen. In Gesprächen mit Mitarbeitern vom Kundenservice lege ich grundsätzlich meine Sicht der Dinge offen, schreibe Mails und sende Bilder der beschädigten Ware mit. Auf meine Frage, ob es in meinem Kundenkonto irgendwelche Abmahnungen gibt, wurde dies stets ausdrücklich verneint und man motivierte mich dazu, Amazons kulantes Rücksendesystem zu nutzen da ich ein stetes Anrecht auf perfekte Ware habe. Denn Amazon könne Missbrauch einiger dreister Kunden von Bestandskunden, die beschädigte Ware erhalten, unterscheiden. Dies war anscheinend eine Lüge oder dieses Statement ist nicht mehr aktuell. Zuerst sperrte man mich für Ersatzlieferungen. Später folgten dann die Mails des sogenannten Kontospezialist. Es beginnt mit einer sanften Ermahnung, die darauf aufmerksam macht, dass es überraschend viele Rücksendungen im Kundenkonto gibt. Schickt man dann noch einmal beschädigte Bücher (in meinem Falle) zurück, wird der Tonfall bereits schroffer und erhält die äußerst motivierende Drohung, dass das Konto bei weiteren Verstößen gesperrt wird. Ob damit dann auch sämtliche digital erworbene Inhalte futsch sind, konnte man mir nicht mitteilen.

Man solle sich zu diesen Mails äußern. Ungefähr so, wie ein Straftäter vor Gericht. Diese anscheinend mächtige Instanz scheint diese Antworten auch zu lesen. Die Mails selbst sind automatisch erzeugt, aber unverkennbar stecken hier echte Menschen hinter, die diese Fälle bearbeiten und anscheinend auch wie Cäsar im Kolosseum den Daumen nach unten oder oben zeigen. Darf der Kunde noch etwas weiter Geld bei Amazon ausgeben oder nicht?






Eine zufriedenstellende Antwort bekommt man übrigens nicht, wenn man auf diese Mails antwortet. Die Antwort ist ein automatisch generiertes "Zur Kenntnis genommen". Telefonisch teilte man mir mit, diese Instanz würde sich nicht weiter mit mir in Verbindung setzen, noch sei es möglich, bei einem klärenden Gespräch telefonisch seine Sicht der Dinge mitteilen zu können.

Aber ich dachte, Amazon könne Betrüger von aufrichtigen Bestandskunden unterscheiden? Hier habe ich bei Herrn D. aus Niedersachen nachgefragt (Kunde seit 2007), ein leidenschaftlicher Sammler von Graphic Novels, dessen Account temporär für mehrere Monate nach einigen Rücksendungen gesperrt wurde:

"Meine Konto wurde 2020 für circa 3 Monate gesperrt. Allerdings habe ich keine zweite Abmahnung erhalten sondern nur eine, habe mir nicht viel dabei gedacht da ich weiter das Rücksendezentrum nutzen konnte und erhielt dann eines Tages die Mail, mein Konto sei für weitere Bestellungen gesperrt. Da war ich baff. Telefonisch teilte man mir mit, man habe keine Befugnis dazu, das Konto wieder freizuschalten. Ich fragte, was genau der Grund für die Sperrung sei und ob es hier vielleicht um ausstehende Zahlungen ginge (was eigentlich unmöglich war). Die Mitarbeiterin teilte mir in gebrochenem deutsch mit, die Sperre sei auf eine Missachtung von Amazons Rücksende-Politik zurückzuführen. Ohne eine Benachrichtigung hatte ich aber nach mehreren Trial & Error Versuchen irgendwann Glück und mein Konto war wieder zugänglich. Bestellen tue ich nur noch das wirklich Allernötigste bei Amazon, erst recht aber keine Bücher oder Comics mehr. Alles, was in meine Sammlung kommt, würde nämlich nicht in einem einwandfreiem Zustand eintreffen. Diese Zeiten sind bei Amazon lange vorbei. Ich hatte mich nach meiner Freischaltung länger mit ein paar anderen Kunden Online ausgetauscht, die ebenfalls betroffen waren. Wir waren uns zwar einig, dass man das Retourensystem bei Amazon leicht austricksen kann und es eine menge Leute gibt, die sich daraus einen Jux machen, Amazon selbst scheint aber nicht mehr darauf zu achten, ob hinter den Rücksendungen tatsächlich beschädigte Ware steckt oder ob jemand dieses System missbraucht. Man will denke ich ein Exempel an unbequeme Kunden statuieren, die ihr Kaufverhalten anpassen sollen da man in der Öffentlichkeit ja stetig wegen den Retouren angeprangert wird, die viel Müll bei den Amazon Lagern verursachen. Da spielt es keine Rolle ob man viel bestellt, Amazon Prime Kunde ist oder jede Reklamation telefonisch meldet. Diese ausgewählten Kundenkonten stehen unter Beobachtung und man sollte nicht erwarten, dass man in der Kunden-Hierarchie wieder ein besseres Ansehen erlangen wird."


Und da hat Herr D. recht. Bei meiner zweiten Verwarnung telefonierte ich erneut mit dem Kundenservice, dort bestätigte man mir wieder, mit meinem Konto sei alles in bester Ordnung. Ich sollte am besten bei künftigen Problemen mit beschädigten Artikeln immer den telefonischen Kundenservice anrufen (der übrigens kostenlos ist). Man sei immer für mich da und höre sich aufrichtig das Feedback der Kunden an, hieß es. Als ich nach weit über 2 Monaten nach etlichen Bestellungen mal wieder ein zerfleddertes Buch reklamierte, erhielt ich meine dritte und vermutlich letzte Ermahnung. Ich telefonierte erneut mit dem Kundenservice, diesmal war man aber ehrlich zu mir: Dunkelrot sei der Status meines Kundenkontos. Auf meine Frage, ob mein Konto nach der nächsten Reklamation dann gesperrt wird, konnte er mir nicht sagen. Es kann nach der nächsten Reklamation passieren, nach der übernächsten oder vielleicht auch gar nicht. Aber er würde mir raten, nichts mehr zu reklamieren.

Inoffiziell teilte mir Amazon hier also mit, nicht mehr von meinem Rückgaberecht gebrauch zu machen und vielleicht auch mal einige beschädigte Artikel, die von Amazon selbst oder Amazon Logistics beschädigt werden, hinzunehmen. Offiziell hat mir der Mitarbeiter dies natürlich nicht so mitgeteilt.

Frau L. aus Bayern hatte sich auch auf meine kleine PN-Anfrage gemeldet. Frau L. aus Bayern (Kundin seit 2011) wurde noch nicht gesperrt, hat aber nun ebenfalls schon zwei Ermahnungen von OFM[at]Amazon erhalten.


 "Ich bestelle bei Amazon keine Bücher, aber hatte nun eine Reihe an beschädigten Elektroartikel erhalten, die durchaus auch teurer waren. Ein neues Smartphone wurde an einem regnerischen Tag von Amazon Logistics in meinem Garten abgelegt, komplett schutzlos. Verpackung und auch Gerät hatten einen Wasserschaden. Kurz darauf habe ich einen Kindle Paperwhite erhalten, der sich nicht anschalten ließ. Um mir weiteren Frust zu ersparen habe ich eine Erstattung angefordert. Einige Tage später erhielt ich eine Mail von dem Kontospezialist, der mir auffallend hohe Mengen an Erstattungen vorwarf und dass die Artikel bei Amazon nicht im ursprünglichem Zustand wieder angekommen seien. Natürlich kamen die Rücksendungen bei Amazon nicht in ordnungsgemäßem Zustand an, immerhin waren es Retouren, die mich selbst nie in einem guten Zustand erreichten, sonst hätte ich sie ja nicht zurückschicken müssen. Ich bestelle seit diesen Mails nicht mehr bei Amazon, da ich mir nicht weiter drohen lasse."


 

 

Ich denke, wieder normal bei Amazon einzukaufen macht für mich nicht mehr viel Sinn. Wer als langjähriger Kunde nun jedes mal mit einem Nervenkitzel bestellen muss, lästige Droh-Mails erhält zu denen man sich am besten auch noch äußern soll, der weiß, dass man hier nicht mehr wirklich willkommen ist. Ich konnte bei meiner kleinen Recherche aber glücklicherweise einige Leidensgenossen kennenlernen, die dafür gesorgt haben, dass ich die ganze Nummer deutlich entspannter sehen kann. "Einfach nicht mehr dort bestellen" ist im Jahr 2021 zu Zeiten einer Pandemie leichter gesagt, als getan. Aber es ist ein erster Schritt, den Onlineriese zu meiden. Ich habe mir mein eigenes Kundenkonto nochmal genauer angesehen und komme wie meine Gesprächspartner zum Schluss, dass wir nicht zu dem Klientel gehören, welches Amazon hier eigentlich mit diesen bösen Mails verfolgt. Aber auch hier sollte ehrlich und fair angemerkt werden: Wer solche Mails erhält, sollte sie ernst nehmen. Tut man dies nicht, wird das Kundenkonto temporär gesperrt oder wird vielleicht für immer von neuen Bestellungen ausgeschlossen. Ob man sich von Amazon vorschreiben lässt, beschädigte Ware hinzunehmen, dies ist jedem selbst überlassen, wie er hier agiert. Sich großartig drüber aufzuregen bringt nicht viel. Diese Mails werden weltweit versendet und wie mein Gesprächspartner, Herr D. schon sagte, steht man einmal auf der Liste unbequemer Kunden und Kundinnen, kommt man da wohl nicht mehr runter. Lasst euch also nicht zu sehr von Amazons kulantem Rücksendezentrum einlullen: Die Lauferei habt ihr sowieso immer für die Rücksendungen und im schlimmsten Falle könnte euer Kundenkonto dabei gesperrt werden.
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* Aufgrund der Anonymität werden die Identitäten von Herrn D. und Frau L. hier natürlich nicht namentlich genannt. Ich traf beide Amazon-Kunden auf einer Plattform für Amazon-Geräte und möchte mich vielmals bedanken, dass ihr auf meine Direktnachrichten geantwortet und euch zu dem Thema geäußert habt.

Donnerstag, 25. November 2021

Einwurf: Eine Wolkenstudie in Grau und die Eroberung des Nutzlosen

Foto: Aufziehvogel



Dortmund, 2 Grad (gefühlt -1 Grad nach App)

Bei meinem Herbst/Winter Einwurf möchte ich mich eigentlich nicht mit dem Wetter beschäftigen. Aber ein Blick nach draußen reicht, die graue Suppe zu beurteilen. Bei meinen kläglichen Versuchen mich mit Nord Walking fit zu halten, lud die Szenerie am gestrigen späten Nachmittag ebenfalls nicht dazu ein, weiter zu gehen, als notwendig. Statt einen Gold schimmernden Wald vorzufinden (immerhin haben wir ja noch Herbst, auch wenn die Temperaturen was anderes sagen), erblickte ich einen tristen Acker und der anschließende Blick in den Himmel war mindestens genau so grau, wie der immer gleiche Anblick der Innenstadt. Mit der Macht der Technik hätte man den Wald auf dem Foto grün und saftig einfärben können. Doch da hätte ich mich selbst betrogen, denn als ich das Foto schoss, war da nichts weiter als Tristesse vor mir. Den Wald Violet einzufärben hatte hingegen einen gewissen Charme. Es erinnert mich weniger an die französische Provence mit ihren Lavendelfeldern. Da ich mich aber auf meinem Blog in den meisten Fällen mit Fantasiewelten befasse, könnte der violette Farbton durchaus auch zu irgendeinem Wald in einem Paralleluniversum passen.

Aber letztendlich bleibt die Tristesse, die die Kameralinse eingefangen hatte, da helfen auch keine Filter. Doch wo herrscht derzeit keine Tristesse? Das Wetter macht es vor, Politik, Weltgeschehen und unkaputtbare Viren und Besserwisser machen es nach. Die Aussichten? Sehr grau. Das Bier? Sehr kalt. Der Whisky? Auf Zimmertemperatur. Doch wie sieht es mit dem Lesestoff aus, den ich mir für die trübe Jahreszeit vorgenommen habe? Dazu möchte ich ganz gerne einen kleinen Ausblick liefern:






Eine wie Alaska
Original: Looking for Alaska
Autor: John Green


Ich habe eine anfällige Seite für Young Adult. Oder doch nicht? Es gab zwei Romane, die ich gerne lesen wollte bevor ich mir die Serien dazu ansehe. Vielleicht habe ich ja auch eher eine anfällige Seite für Teenanger-Dramen. Mit "Tote Mädchen lügen nicht" (13 Reasons Why) von Jay Asher wurde diese anfällige Seite, der sogenannte Soft Spot, nicht befriedigt. Ein holpriger Debütroman mit anstrengenden Charakteren und besonders anstrengenden Protagonisten (Rezension folgt demnächst). Jon Green kann mit seinem Debütroman hier eigentlich nur gewinnen, immerhin hatte mich die Leseprobe einst überzeugt. Die Themen der beiden Werke sind sich nicht komplett unähnlich. Beide Romane setzen sich mit dem Tod eines jungen Mädchens und dem, was sie hinterlassen hat, auseinander. Ein Debüt darf gerne holprig sein, aber auf eine Rally bin ich nicht scharf.



Eroberung des Nutzlosen
Englischer Titel: Conquest of the Useless
Autor: Werner Herzog


Vor einigen Jahren erst bin ich auf das filmische Schaffen von Werner Herzog aufmerksam geworden. Das schlechte daran: Warum nicht eher? Das gute: Besser spät als gar nicht. Ich hörte über die wenigen literarischen Werke des Filmemachers eine menge positives Feedback und "Eroberung des Nutzlosen" soll ein fantastischer Begleiter für Herzogs vermutlich ambitioniertestem Film sein, Fitzcarraldo. Fitzcarraldo (ursprünglich war hier mal Mick Jagger in der Hauptrolle geplant, am Ende wurde es, wie sollte es auch anders sein, wieder Klaus Kinski) gilt als der "Unmögliche Film". Überambitioniert und wenig Budget sind Tugenden, an die moderne Filmemacher und Studios zugrunde gehen. Werner Herzog nutzte dies zu seinem Vorteil und erschuf einen gewaltigen Film über Ambitionen - über Überambitionen und Größenwahn - entstanden ist dabei ein unterschätztes Meisterwerk. "Eroberung des Nutzlosen" ist Herzogs Rückkehr zu der einsamen Zeit im Dschungel. Weit über 20 Jahre nach seiner Entstehung wandte Herzog sich noch einmal den unzähligen Journaleinträgen zu, die er vor und während des Drehs verfasst hatte. Entstanden ist eine Chronik, die nicht weniger beeindruckend als der Film selbst sein soll. Leider gibt es beim Fischer Verlag kein E-Book, weshalb ich hier auf die englische Ausgabe zurückgegriffen habe, was einer Sünde gleichkommt, wenn man die bildgewaltige Sprache von Werner Herzog aus seinen Dokumentationen zu schätzen weiß.





Das Dämmern der Welt
Englischer Titel: The Twilight World
Autor: Werner Herzog


Und noch einmal Werner Herzog. Diesmal mit einem brandneuem Buch. "Das Dämmern der Welt" ist 2021 erschienen (Ende August) und Herzogs erstes literarisches Werk nach vielen Jahren. In diesem verhältnismäßig kurzem Buch von knapp 130 Seiten erzählt Herzog die Geschichte des japanischen Kriegsveteran Onoda Hiroo, der nach der Kapitulation Japans nie vom Kriegsende erfahren hat und für weitere rund 30 Jahre Stellung auf den Philippinen gehalten hat. Onoda war eine reale Person, der ehemalige Soldat verstarb im Jahr 2014 im stolzen Alter von 91 Jahren. Herzog vermischt hier also Realität mit Fiktion und erschafft eine Art Fake-Reportage über die verschwendete Lebenszeit von Onoda auf den Philippinen. Ja, diese unglaubliche Geschichte ist typischer Stoff für Herzog und ich kann es daher kaum erwarten, dieses Buch zu lesen. "Die Eroberung des Nutzlosen" wäre auch hier sicher ein geeigneter Titel gewesen.



Ich bin mir aktuell nicht sicher, ob man von allen 3 Büchern etwas auf "Am Meer ist es wärmer" lesen wird, aber ich versuche, so gut es geht, meine Impressionen zu teilen. Ich hoffe, ihr habt euch für die kalte Jahreszeit ebenfalls schon ein paar Bücher rausgesucht, die euch durch den Winterschlaf bringen werden. Hier geht es demnächst weiter mit etwas, was ich nun schon seit vielen Monaten vor mich herschiebe und eigentlich häufiger erscheinen soll: Der Meercast.




Habt einen angenehmen Jahresausklang und seht zu, dass ihr gesund bleibt
Euer Aufziehvogel

Montag, 15. November 2021

Rezension: Schnee fällt auf Chinas Erde (Ai Qing)

 





Schnee fällt auf Chinas Erde

Autor: Ai Qing
Vorwort: Ai Weiwei
Erscheinungsdatum: 02.11.2021 beim Penguin Verlag
Übersetzung und Nachwort: Susanne Hornfeck
Format: Hardcover, E-Book
Genre: Lyrik


"Die Poesie wirkt wie ein Schlüssel der Weisheit gegenüber der Mittelmäßigkeit des Despotismus, sie ist der Tod jeder banalen Politik. Ihre Existenz beweist, dass die Seele nicht unterworfen werden kann. Ganz gleich wann oder wo, mit ihrer Hilfe kann man innere Wahrheit reflektieren und sich in den Wüsten der Macht einen eigenen subversiven Gegenentwurf schaffen: unabhängig und aufmüpfig. Durch ihre Unbeugsamkeit kann Poesie zur Erlösung werden."
- Ai Weiwei im Vorwort über das Werk seines Vaters Ai Qing


Normalerweise ist das erste, was ich bei meinen Buchbesprechungen tue, das Heimatland des Autors oder der Autorin zu nennen. Im Falle von "Schnee fällt auf Chinas Erde" tue ich dies aber nicht. Um Ai Weiwei hier mal in einem neueren Interview aus dem Jahr 2019 zu zitieren: "Ich besitze keine Heimat, weil China mich zurückgewiesen hat, seit ich geboren wurde. Wer sein Ziel kennt, ist kein Flüchtling mehr. Ich bin ein Flüchtling."
Die Geschichte der Familie Ai ist bewegend und kann brandaktueller überhaupt nicht sein. China, dieses Land mit über 1,4 Milliarden Einwohnern, steht derzeit wieder einmal im weltweiten Blickpunkt. Eine technologische Weltmacht. Kein anderes Land in der Neuzeit hat es geschafft, in wenigen Jahrzehnten zu einer unangefochtenen Weltmacht zu werden. Und doch wissen wir so wenig über dieses Land und hören tagtäglich nur etwas über das zensierende und gnadenlose Regime.

Ai Qing (1910-1996), Vater des Künstlers Ai Weiwei, gehörte zu seiner aktiven Zeit zu den bedeutendsten Lyrikern in China. Ai Qing verkehrte in erlesenen Kreisen, fiel aufgrund seiner Texte und politisch kritischen Einstellungen jedoch beim Regime in Ungnade. Was folgte waren Gefängnis, Arbeitslager und Exil. Erst 1979 wurde Ai Qing rehabilitiert. In einem beeindruckendem Vorwort in diesem Gedichtband schreibt Ai Weiwei über seinen Vater, welches auch als Schlüssel zum Verständnis des Werkes dienen dürfte. In diesem Vorwort bewundert Ai Weiwei Ai Qing nicht nur als Vater und Mensch, sondern auch als Künstler. Viele Texte sind damals auf Anordnung des Staates verbrannt worden. Doch einiges ist auch erhalten geblieben. Der Penguin Verlag hat gleich zwei Werke der Familie Ai in diesem Monat veröffentlicht: "1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen" von Ai Weiwei sowie den hier besprochenen Gedichtband "Schnee fällt auf Chinas Erde" von Ai Qing. Auf über 100 Seiten wurden hier Gedichte des Lyrikers gesammelt und chronologisch abgedruckt.


"Aus der Dunkelheit
blicke ich sehnsuchtsvoll
auf ein Universum von weißer Klarheit,
wo
das Leben kreist,
wo
die Zeit sich dreht wie ein flinkes Rad,
wo
das Licht anmutig fliegt."
Aus  "Der Schrei" (1933)


Lyrik ist etwas, was man hier auf "Am Meer ist es wärmer" eher selten findet. Ich selbst besaß nie das Talent auch nur ansatzweise etwas zu schreiben, was einem Gedicht gleichkommt. Tat mich aber auch immer schwer, Lyrik zu lesen. Meine Ansichten änderten sich als ich in den vergangenen Jahren einige Sammelbände von japanischen Haikus und Tankas las. Mein Verständnis gegenüber der Lyrik und Poesie erweiterte sich und ich begann, den Wert und die Schönheit dieser kurzen Werke schätzen zu wissen. Bei den Gedichten von Ai Qing geht dieses noch einmal eine Stufe weiter. Er schreibt in freien Versen, die jeweiligen Gedichte sind natürlich deutlich länger als die japanischen Varianten (manche Gedichte umfassen sogar gleich mehrere Seiten). Was man in den jeweiligen Werken von Ai Qing findet ist ein ganzer Ozean an verschiedensten Emotionen. Manchmal melancholisch, manchmal sehr düster, aber oftmals auch sehr humoristisch beschreibt der Dichter alltägliche und surreale Situationen. In der Rubrik "Anmerkungen zu den Gedichten" befinden sich zu ausgewählten Werken einige Erklärungen über die Entstehungen zu den jeweiligen Texten. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn es Anmerkungen zu allen Gedichten gegeben hätte, aber die vorhanden Anmerkungen dürften besonders dafür sorgen, einen besseren Zugang zu den eher kryptischen Texten zu bekommen.

Solch einen Gedichtband ins Deutsche zu übertragen stelle ich mir als große Herausforderung vor. Ein Grund, wieso sich die hier vorliegenden Texte so flüssig und gleichzeitig elegant lesen, hat man der Germanistin und Sinologin Susanne Hornfeck zu verdanken, die für diesen Band noch ein äußerst interessantes Nachwort verfasst hat. Man muss auch hier wieder bedenken, die chinesischen Schriftzeichen sind bereits ein Teil der Kunst und es ist somit nicht möglich, diese Kunst in unser lateinisches Alphabet zu übertragen. Die Übersetzerin hat hier jedoch eine ausgezeichnete Arbeit abgeliefert, da besonders längere Gedichte oftmals sperrig und trocken wirken können.


"Den treibenden Schneeflocken zusehend
denke ich an einen Sommerwald,
an einen Morgen im Wald
vor langer, langer Zeit:
Überall glitzerte Tau,
die Sonne eben aufgegangen.
Aus dem Morgenlicht trat ein kleiner Junge, barfüßig,
das Gesicht frisch wie eine Blume,
dem Mund entstieg ein leises Lied,
in der Hand den Bambusstab.
Er hob den zierlichen Kopf
die leuchtenden Augen durchdrangen
das dichte Laub auf der Suche
nach dem Laut der Zikade"
Aus "Schnee am Morgen" (1956)





Abschließende Gedanken

Die Gedichte von Ai Qing sind höchst beeindruckend. In jedem einzelnen Gedicht spürt man die Liebe zum Wort, die Liebe zum Moment und die Liebe zur Heimat. Und doch waren diese Werke für eben jene Heimat zu freizügig, zu ungefiltert. In "Schnee fällt auf Chinas Erde" scheint es, kommen wir diesem verschlossenem Land wieder etwas näher. Doch es ist auch ein bisschen so wie Kafkas Schloss: Je näher wir ihm kommen, desto weiter entfernt es sich wieder. Ganz besonders noch einmal aufgrund der Aktualität ist die Relevanz dieses Gedichtbandes umso größer. Zudem ist dieser Band aber auch der Einblick in die Gedankenwelt eines Mannes, der auf seiner langen Reise eigentlich immer nur eines wollte: Mit seinen Texten die Menschen erfreuen, die sie einmal lesen werden.

Montag, 8. November 2021

Besprechung (Verspätet): Murakami T: Gesammelte T-Shirts

 



Japan 2020


Murakami T: Gesammelte T-Shirts
Originaltitel: Murakami T - Boku no aishita T-Shatsu tachi
Autor: Haruki Murakami
Erscheinungsdatum: 11.10.2021 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Format: Gebunden, E-Book
Genre: Non-Fiction, Artbook


Hinweis: Die hier abgebildeten Fotos aus dem Buch "Murakami T: Gesammelte T-Shirts" dienen einzig und allein zu Besprechungszwecken. Sämtliche Urheberrechte liegen sowohl bei dem Autor als auch bei den jeweiligen Verlagen.



"Während ich auf meinen Cheeseburger warte, trinke ich in aller Ruhe ein eiskaltes Coors Light und lausche der mich umgebenden Geräuschkulisse aus menschlichen Lauten und dem Klirren von Tellern und Gläsern. Unterdessen stellt sich allmählich das Gefühl ein, wieder in Amerika zu sein..."


Man könnte sagen, wenn ein Autor anfängt, über seine T-Shirt oder Whisky-Sammlung zu schreieben, wäre dies ein wenig vermessen. Es gibt aber Autoren, die hier eine Ausnahme darstellen. Ein Autor, der verrückt genug wäre, um damit durchzukommen wäre wohl Stephen King. Doch weiter fernöstlich gibt es noch einen anderen Autor, der sich so etwas erlauben kann: Haruki Murakami. In einer Artikelreihe für das japanische Magazin Popeye suchte Murakami nicht nur über 100 seiner liebsten T-Shirts raus, er verfasste zu nahezu allen abgebildeten Shirts auch kleinere Texte, die aus Anekdoten, Weisheiten und Smalltalk bestehen. In Japan ist dieses Sammelsurium 2020 auch als Sammelband erschienen. Dieser Sammelband ist nun auch in deutscher Übersetzung beim DuMont Verlag erschienen.

Doch was genau ist Murakami T: Gesammelte T-Shirts denn nun? Aufgrund des Formats könnte man schnell sagen, hierbei handle es sich um ein klassisches Artbook. Doch für ein Artbook ist hier eindeutig zu viel Text. Für mich ist das Werk daher ein interessanter Hybrid aus Artbook und Non-Fiction. Hier darf man zwar nicht mit einem typischen Roman oder einer Kurzgeschichtensammlung rechnen, aber ein klassisches Bilderbuch ist Murakami T sicherlich nicht. Wer mit Murakamis autobiografischen Werken und Essays vertraut ist, der wird ungefähr wissen, was einem textlich hier erwartet. Man bekommt hier sogar einen überraschend persönlichen Einblick in den Kleiderschrank eines Weltenbummlers. Wusstet ihr, dass die Inspiration für eine von Murakamis wohl bekanntesten Kurzgeschichten einem T-Shirt im Wert von $1 entsprungen ist?


"Welches meiner T-Shirts mir am wichtigsten ist? Ich glaube, das ist das gelbe >>Tony Takitani<< Shirt. Nachdem ich es in einem Secondhand-Laden in einem kleinen Ort auf Maui entdeckt und für einen Dollar gekauft hatte, versuchte ich mir vorzustellen, was für ein Mensch dieser Tony Takitani wohl sein mochte, und machte ihn zum Helden einer Erzählung, die schließlich sogar verfilmt wurde. Dabei hatte es nur einen Dollar gekostet! Von allen Investitionen, die ich je in meinem Leben getätigt habe, war dies eindeutig die lohnendste."




Die schöne Hardcover-Ausgabe erstreckt sich in einem kompakten Format auf knapp 200 Seiten. Übersetzt wurde hier in gewohnt starker Qualität von Ursula Gräfe, die hier nicht weiter vorgestellt werden muss. Das spezielle Papier ist ebenso hochwertig und robust, die Abbildungen der Shirts kommen gut zur Geltung und glänzen in vollen Details.

Die Voraussetzung, dieses Buch zu schätzen und zu verstehen ist natürlich eng damit verknüpft, ob man das Werk des Autors mag und ihn natürlich auch als Person interessant findet. Murakamis teils sehr surreale Romane zu verstehen hängt auch oftmals damit zusammen, wie gut man ihn durch seine Non-Fiction Werke als Leser kennengelernt hat. Kennt man den Mensch Haruki Murakami etwas besser, findet man unweigerlich einen besseren Zugang zu seinen Romanen und Kurzgeschichten. Die besagten Romane und Kurzgeschichten sorgen hingegen dafür, den Mensch Haruki Murakami besser kennenlernen zu wollen. Manchmal ertappe ich mich bei seinen Non-Fiction Werken jedoch dabei, dass ich mir gar nicht mehr so sicher bin, ob ich wirklich ein autobiografisches Werk lese oder mich nicht in einer Geschichte von ihm befinde, die ich gerade wieder einmal erstaunt lese.


"Besonders an Abenden, an denen ich allein zu Hause bin und in Ruhe Musik höre, erscheint mir Whisky das gegebene Getränk. Bier ist zu wässrig, Wein zu elegant, Martini zu prätentiös, Brandy etwas zu gewöhnlich. Es kommt also gar nichts anderes infrage, als die Whiskyflasche hervorzuholen."








Abschließende Worte

In einer trüben Zeit war für mich "Murakami T: Gesammelte T-Shirts" die richtige Medizin. Haruki Murakami redet hier nicht nur über seine T-Shirts sondern auch über Gott und die Welt. Motivierend, entspannend und auch absolut exotisch. Ich hätte nichts dagegen, wenn er als nächstes über seine Whisky-Sammlung schreiben würde. Für Fans kann ich hier, besonders da die Hardcover-Ausgabe auch noch sehr schön ist, eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen. Ob das Buch in dieser Preisklasse etwas für Murakami-Neulinge ist, wäre wohl ein wenig riskant, hier eine Empfehlung abzugeben. Mit dem Werk und dem Autor als Person vertraut zu sein halte ich hier für essentiell wichtig, um Zugang zu diesem Buch zu finden. Wobei ich natürlich, wie immer, grundsätzlich nichts ausschließen möchte. Wer von Haruki Murakami bisher noch nichts gehört/gelesen hat, durch die Besprechung hier aber vielleicht nun neugierig geworden ist, der soll seinen Instinkten als Leser und Leserin folgen. Murakami T: Gesammelte T-Shirts wird in meiner Murakami-Sammlung selbstverständlich seinen Platz finden.
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So viel über T-Shirts zu lesen inspirierte mich auf alle Fälle dazu, nach Jahren mal wieder in meine eigene (ungebügelte) Sammlung zu stöbern und ich bin erstaunt, was da alles wieder zum Vorschein kam 👀
Jedes Shirt hat eine Geschichte, ein interessanter Denkanstoß.


Private Sammlung von Aufziehvogel -
 Kein Teil des hier besprochenen Buches

Sonntag, 31. Oktober 2021

Halloween-Wühlkiste: 3 From Hell

 





USA 2019
 
3 From Hell
Regie: Rob Zombie
Darsteller: Sheri Moon Zombie, Bill Mosely, Sid Haig, Richard Brake, Danny Trejo
Lauflänge: Circa 115 Minuten
Genre: Horror, Thriller
Verleih: Studiocanal
FSK: 18



3 From Hell oder Once Upon a Time in Mexiko Teil 2. Die Vergleiche zu Robert Rodriguez Rohrkrepierer, dem überflüssigen dritten Teil der El Mariachi Reihe, sind gar nicht mal so weit hergeholt (wie es das Schicksal so will, findet der Showdown von Zombies dritten Film über die Fireflies in Mexiko statt). Erst einmal muss man sich bei beiden Filmen die Frage nach dem "Wieso" stellen. Ich lege hier mal wieder den Fokus auf 3 From Hell. Wieso? Wer hat nach einer Fortsetzung verlangt? Wer war der Meinung, dass eine Fortsetzung hier eine gute Idee wäre? Warum ruiniert Rob Zombie seinen wohl stärksten Film mit diesem Machwerk aus der Hölle? So viele Fragen, auf die es wohl nie eine Antwort geben wird.

Rob Zombies Filmografie wird als kontrovers angesehen. Für einige ist der Musiker ein Möchtegern-Tarantino des Exploitationsfilms, für andere hat Zombie als Regisseur mittlerweile den selben Kultstatus wie als Musiker. Mit seiner Musik war ich nie wirklich vertraut, aber ich wusste seine Filme, selbst die schwächeren, immer zu schätzen. Mit "31" aus dem Jahr 2016 (von dem es glaube ich immer noch keine Unrated-Version gibt) spürte aber auch ich langsam einen Verschleiß seiner Stilmittel und eine gewisse Müdigkeit. Aber selbst 31 geht bei mir noch als relativ geglücktes Experiment durch.

Als ich davon hörte, Zombie plane einen dritten Film zu seiner Horror-Familie, wollte ich es nicht glauben. "Haus der 1000 Leichen" war 2003 ein solides Erstlingswerk und ein Abgesang auf das alte Grindhouse-Kino der 70er. Nur 3 Jahre später sollte ihm mit "The Devil's Rejects" (zu dem es dann auch eine Unrated-Version gab) eine unkonventionelle, großartige Fortsetzung gelingen, die vor guten Onelinern, Gewaltexzessen und fantastischer Musik nur so strotzte. Rob Zombie als Filmemacher war sicherlich auch hier bereits eine kontroverse Figur, aber man musste anerkennend sagen, hier war ein Regisseur am Werk, der Bock darauf hatte, ein nahezu vergessenes Subgenre neu aufleben zu lassen. Aufleben zu lassen, ohne es neu erfinden zu müssen, sondern mit den bereits vorhandenen Zutaten etwas gutes zu erschaffen.

Nun will ich nicht zu weit in Spoiler-Territorium abdriften, aber wer den Vorgänger gesehen hat, der weiß vielleicht auch, dass der großartige Showdown mit der Musikuntermalung "Free Bird" von "Lynyrd Skynyrd" eigentlich keine Fortsetzung zulässt. Wieso sollte Zombie daraus auch noch eine Fortsetzung basteln, er kann ja noch genug eigenständige Filme machen. Ich hatte nie das Bedürfnis danach, mir die Beweggründe durchzulesen wieso Zombie einen dritten Film über die Familie Firefly drehen wollte. Nach meiner gestrigen Sichtung kann es mir auch ehrlich gesagt nicht gleichgültiger sein, da der Film für mich in einem Paralleluniversum spielt, in einem sogenannten "Was wäre wenn" Szenario.

In knapp 2 Stunden morden und tanzen sich die Fireflies zwar wieder durch die Vereinigten Staaten und darüber hinaus, allerdings könnte es sich hier genau so gut um die Direct to Video Fortsetzung eines Filmstudios handeln, die noch einmal ein altes Franchise melken wollte und dafür irgendeinen Musikvideo-Regisseur angeheuert hat, der erste Gehversuche in Hollywood wagt. Und genau dieser DTV-Faktor haftet 3 From Hell an, mit Ausnahme;, Zombie fungierte hier als Regisseur und Produzent und reiht sich meiner Ansicht in die Liste unnötiger Sequels zu großartigen Vorgängern ein. Dieses Massenausschlachtung sah man damals bei Saw, Terminator und wie sie nicht alle heißen. Mein Blick wandert selbst zu S. Darko, der völlig sinnbefreiten, überflüssigen DTV-Fortsetzung von Donnie Darko.

Zombie greift in 3 From Hell auf alte Erfolgsrezepte des Vorgängers zurück, die aber nicht mehr funktionieren. Schlüpfrige Oneline oder schräge Dialoge wurden in diesem Sequel durch eine Endlosschleife von "F**k's" und "Motherf**ker's" ersetzt. Die Laufzeit von knapp 2 Stunden wurde sich zudem durch völlig belanglose Zeitlupen-Szenen ergaunert. Der größte Fokus im Film liegt auf Baby Firefly, die sicherlich in keinem Ableger schon einmal so nervig war wie hier. Ohne zu behaupten, Zombies Ehegattin Sheri Moon würde ein erhebliches schauspielerisches Talent besitzen, aber durch ihren Charme konnte sie meistens dann doch die Zuschauer mitnehmen. Das Problem hier ist aber, nahezu der gesamte Film ist auf Baby Firefly zugeschnitten und die meisten Szenen mit ihr sind größtenteils überflüssiges Füllmaterial, was den Film zu keiner Sekunde weiterbringt.

Die seltenen Szenen, wo Bill Mosely als Otis mal glänzen darf sind rar gesät und Richard Brake (der in keinem Film jemals so gepflegt aussah) als schmieriger Inzest-Bruder Foxy Coltrane bekam nie die Chance, sich zu entfalten. Auf Sid Haig (1939-2019) als Killerclown Captain Spaulding musste Zombie bereits im Vorfeld verzichten, da der Kult-Schauspieler bereits zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich stark gezeichnet war (ich war sogar sehr traurig, ihn in diesem Zustand zu sehen) und er somit nur im Prolog des Films vorkam.

Auch musikalisch muss der Film weit hinter seinem Vorgänger zurückstecken, auch wenn der Soundtrack noch mit der stärkste Aspekt des Films war (in den Credits gibt sich dann nochmal Terry Reid die Ehre). Was die Gewaltexzesse diesmal angeht, so hat Zombie vermutlich wieder mal das Maximum aus dem R-Rating herausgekitzelt (besonders überraschend ist hier doch die Freizügigkeit des weiblichen Geschlechts). Die Gewalt ist roh, überzeichnet und wie immer stets vorhanden, will hier aber längst nicht mehr so schockieren wie in den Vorgängern, vermutlich einfach auch weil die Opfer der Fireflies völlig belanglos sind. Leider setzte Zombie in diesem Film häufiger mal auf einige billige Effekte aus dem Computer. Ganz offensichtlich zu sehen sind aber auch eindeutige Cuts, die er für das attraktivere R-Rating vorgenommen hat. Szenen, in denen es zur Sache geht sind meistens hektisch geschnitten und es fühlt sich relativ oft so an, als würde uns irgendwas vorenthalten werden. Überraschenderweise bietet die veröffentlichte Unrated-Version kaum mehr nennenswertes Material, die MPA war hier also deutlicher zahmer diesmal was die Vergabe des R-Ratings unter Auflagen anging.


Fazit

Endete The Devil's Rejects mit einem Knall (oder besser gesagt, mit einem bleihaltigen Feuerwerk), so endet 3 From Hell eher belustigend mit einem kleinen Knallfrosch in Mexiko. Gekrönt wird der Schabernack durch einen aberwitzigen Macheten-Kampf und einer minimalen Aussicht auf Teil 4. Und somit wird die Frage nach dem "Wieso" dann noch einmal größer, warum Zombie es hier verpasst hat, bei der Familie Firefly endgültig den Deckel drauf zu machen. Somit bin ich doch etwas besorgt, wie es mit dem filmischen Schaffen von Rob Zombie weitergehen wird. Fairerweise muss hier angemerkt werden, nicht jede Kritik geht so hart mit 3 From Hell um wie ich es hier nun getan habe,. Ich bin sogar über die teilweise doch soliden Wertungen überrascht, wo deutlich bessere Filme von Zombie eigentlich traditionell vorab schon zerfleischt worden sind. Ich bin jedenfalls nicht scharf darauf, die Fireflies noch einmal wiederzusehen. Es wäre zu wünschen, wenn Zombie diese Familie nun in den endgültigen Ruhestand schicken würde.
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Dieses Review ist auch auf Letterboxd über mein Aufziehvogel-Kanal erschienen: Weiterleitung zu Letterboxd

Montag, 11. Oktober 2021

Murakami T: Gesammelte T-Shirts ab Heute erhältlich

Foto: Aufziehvogel




Hinweis: Bei diesem Werk handelt es sich um keinen Roman oder Kurzgeschichtensammlung



Jedes Jahr ungefähr zur selben Zeit warten Fans und Verlage des Autors auf die Verkündung im Oktober: "Haruki Murakami wird für sein Werk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet".
Während wir, die üblichen Verdächtigen, jedes Jahr aufs neue warten, ist einem diese Auszeichnung egal: Haruki Murakami. Er selbst lobte einmal den Enthusiasmus seiner Fans, die sich jährlich zur Vergabe des Literaturnobelpreises versammeln und der Vergabe entgegenfiebern, er selbst bekundete aber nicht nur einmal seine Gleichgültigkeit dem Preis gegenüber. In diesem Jahr war Murakami bei den Buchmachern wieder ganz oben als Favorit dabei, gewonnen hat den Preis jedoch Abdulrazak Gurnah aus Tansania.

Und so hat der DuMont Verlag azs Köln auch im Jahr 2021 wieder eine Murakami-Veröffentlichung im Oktober in die Buchhandlungen gebracht. Anstatt aber ein altes Werk neu aufzulegen hat man hier eines von Murakamis ungewöhnlicheren Werken veröffentlicht. In Japan gibt es immer noch eine Handvoll Non-Fiction Titel von Murakami, die nie den Weg in den Westen gefunden haben. Mit Murakami T: Gesammelte T-Shirts (Japan 2020) erscheint eines davon nun in einer deutschsprachigen Ausgabe (übersetzt von Ursula Gräfe). Wer sich unter dem Titel nichts vorstellen kann; es erwartet die Leser genau das, was der Titel hier suggeriert - T-Shirts. Haruki Murakami spricht auf rund 200 Seiten über seine beachtliche T-Shirt Sammlung. Jedes Shirt des Autors hat eine eigene Geschichte, jedes Shirt wird mit einer kleinen Anekdote kommentiert. Bei Murakami T handelt es sich viel mehr um ein Kunstbuch, zu lesen gibt es hier für ein Buch dieser Art aber immer noch überraschend viel.

Noch in dieser Woche werde ich mich hier ein wenig mehr mit dem Buch befassen, eine gute Gelegenheit für diejenigen, die sich hierunter noch immer wenig vorstellen können.

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Literaturnobelpreis 2021 geht an Abdulrazak Gurnah (Tansania)

 



Viele Leserinnen und Leser meines Blogs werden hier vielleicht nun aufhorchen, da sie zum ersten mal einen Preisträger des Literaturnobelpreises zu kennen scheinen. Aber ich muss euch enttäuschen, hier handelt es sich nicht um den Lyriker Abdul Alhazred aus dem Lovecraft-Universum sondern um den Schriftsteller aus Tansania, Abdulrazak Gurnah. Den 73 jährigen hatten die Buchmacher dieses Jahr, traditionell, nicht auf ihren Listen. Die Jury ehrte das Werk des Schriftstellers für dessen »kompromisslose und mitfühlende« Durchdringung der Auswirkungen des Kolonialismus.

Das Werk Gurnahs befasst sich zu einem großen Teil mit der Flüchtlingsthematik. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Paradise" (1994), "Desertion" (2005) und "By the Sea" (2001). In Fachkreisen wurde die Auszeichnung deutlich positiver aufgenommen als die äußerst umstrittene Auszeichnung des österreichischen Schriftstellers Peter Handke im Jahr 2019.

Bei den Buchmachern lagen die üblichen Verdächtigen vorn wie zum Beispiel Haruki Murakami (Japan), Annie Ernaux (Frankreich) sowie Mircea Cartarescu (Rumänien). Am Montag verdrängte der Rumane sogar relativ überraschend den Japaner, was bei vielen bereits ein Indikator dafür war, dass Cartarescu vielleicht ja ins Ziel marschieren könnte.

Nach der Lyrikerin Louise Glück im vergangenem Jahr wurde dieses Jahr wieder ein Romancier ausgezeichnet. Bleibt man seiner Auswahl treu, müsste 2022 also wieder ein Preisträger aus der Lyrik den Preis empfangen. Aber wir alle wissen natürlich, wie unberechenbar die Jury ist.

Eines steht aber fest, in dieser Kategorie ist Deutschland dieses Jahr leer ausgegangen. Das Werk von Abdulrazak Gurnah ist, wie es häufig üblich ist bei den Preisträgern, in deutscher Sprache nur bedingt verfügbar. Bei einigen bekannteren Werken des Autors wird man aber, sofern Interesse besteht, aus zweiter Hand fündig. Man kann aber davon ausgehen, dass sich besonders jetzt nach der Preisvergabe dieser Umstand ändern wird und ein Verlag die Werke neu auflegen oder erstmals übersetzen wird. "Am Meer ist es wärmer" gratuliert Abdulrazak Gurnah und Tansania!

Mittwoch, 6. Oktober 2021

Retrospektive: Donnie Darko - 20 Jahre später

 

Poster: Arthaus


"Schlümpfe sind asexuell. Sie haben ja nicht einmal so etwas wie ein Geschlechtsorgan in ihren kleinen weißen Hosen. Das ist ja das unlogische am Schlumpfsein überhaupt. Welchen Spaß hast du im Leben, wenn du keinen Schwanz hast?" - Donnie Darko


!Spoilerwarnung für alle, die den Film noch nicht kennen!


Wir schreiben das Jahr 2021. 20 Jahre sind seit der Erstaufführung von Donnie Darko vergangen. Ich bin, ganz offensichtlich, 20 Jahre älter mittlerweile. Doch andere Dinge sind seit der Uraufführung von Donnie Darko im Januar 2001 passiert. Der 11. September erschütterte die Welt. Patrick Swayze ist 2009 verstorben und dies war auch jenes Jahr, wo Regisseur Richard Kelly seinen letzten Film gedreht (The Box) hat. Zum 15. jährigen Jubiläum zu Donnie Darko sagte Filmemacher Kevin Smith 2016 über Kelly, er sei vermutlich einer der begabtesten Filmemacher, die es derzeit gäbe, nur scheint sein Talent niemand wahrzunehmen. Mit Southland Tales lieferte Kelly 2006 einen weiteren ungewöhnlichen Film ab (mit Dwayne "The Rock" Johnson in frühen ernsthaften Hollywood-Gehversuchen und Seann William Scott sowie Sarah Michelle Gellar, die ja heutzutage auch keiner mehr kennt). Allerdings entwickelte sich dieser (wie ich finde, leider) nicht zu einem Indie-Megahit wie Donnie Darko und geriet, wie einige Schauspieler die in diesem Film mitspielen, in Vergessenheit. Irgendwie war Richard Kelly also schon immer irgendwie "nur" Donnie Darko. Der Film war sein Karrieresprungbrett und immer wieder wurde er daran gemessen und fälschlicherweise dichteten ihm viele Leute das furchtbare Sequel "S. Darko" an, mit dem er nichts am Hut hatte.

Donnie Darko und Frank das Riesenkaninchen sind geblieben. Und allgemein muss sich der Film um all das überhaupt keine Sorgen machen, der spielt nämlich in einem kurzen Zeitraum im Oktober 1988. Richard Kelly war zu dieser Zeit im echten Leben 13 Jahre alt und im Jahr 1987 feierte Patrick Swayze mit Dirty Dancing seinen wohl größten Filmerfolg. Michael Dukakis und George Bush Senior kämpften um den Einzug ins Weiße Haus, der erste Golfkrieg war noch einige wenige Jahre entfernt und Autor Graham Greene weilte noch unter den Lebenden. In dieser Zeit spielt Donnie Darko. Wir haben es hier mit einem verträumten Film zu tun der irgendwo zwischen psychologischem Horror, Science-Fiction und Coming of Age Story spielt. Im zentralen Punkt der seltsamen Ereignisse in diesem Vorstadtort in Middlesex, Virgina, steht der begabte und wissbegierige, aber auch etwas unkonventionelle und schwierige Teenager Donald Darko (Jake Gyllenhaal bevor er zu einem Weltstar wurde, hier gemeinsam zu sehen mit seiner leiblichen Schwester Maggie Gyllenhaal). Er schlafwandelt, wacht irgendwo mitten im Nirgendwo auf, immer ein Stückchen weiter entfernt von seinem Zuhause. Ein Umstand, der ihm das Leben retten soll wenn eines Abends ein Flugzeugturbine unbekannter Herkunft auf einmal in das Haus der Darkos kracht und Donnie im Schlaf getötet hätte. Von diesem Tag an ändert sich im Leben des an sich schon seltsamen Teenager alles. Seine Halluzinationen werden intensiver und ein Typ in einem Hasenkostüm erzählt ihm dabei, die Welt würde gegen Ende des Monats untergehen und gibt ihm sogar ein spezifisches auf die Sekunde exaktes Datum mit auf den Weg. Und dann wären da auch noch Mädchen, Schlümpfe und ein unbändiges Verlangen nach Christina Applegate, die den Verstand des Teenagers vernebeln.

Man mag es kaum glauben wie viele Themen Donnie Darko angeht und diese alle nahezu bravourös meistert. Als Ausgangspunkt hat man hier, wie man sie eigentlich klassisch aus Stephen King Romanen kennt ("Es" ist das Buch, welches Donnies Mutter liest), eine Kleinstadt. Etwas ländlich, friedlich und überwiegend von weißen Mittelständlern bewohnt, die anscheinend etwas über den Durchschnitt leben. Doch wie in jeder Kleinstadt brodelt es auch im Innern. Rassismus, Mobbing und eine allgemeine Verlogenheit des Vorstadtlebens sind in dem Film dauerhaft präsent. Die junge engagierte wie motivierte Lehrerin (gespielt von Drew Barrymore die nicht nur als Kind in einer Stephen King Adaption mitspielte sondern hier auch als Produzentin fungierte) die aus ihrem Job geekelt wird weil sie den Horizont ihrer Schüler erweitern will, während ein pädophiler Motivationsguru von der Masse gefeiert wird ist hier nur ein Teil der schmutzigen Vorstadtgesellschaft. Neben den sozialen Problemen die im Film auf eine humorvolle, beinahe satirische weise angegangen werden, steht aber allen voran auch ein großer Anteil Science-Fiction im Vordergrund. Zeitreisen. Auf eine sehr subtile Art baut der Film hier eine unglaublich komplexe Zeitreisethematik mit ein, über die Filmfans noch heute diskutieren, debattieren und philosophieren. Darauf hier einzugehen würde den Rahmen nun sprengen und würde auch die pure Freude am spekulieren nehmen, was man noch 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Filmes tut.

Der wohl wichtigste Begleiter des Films ist wohl unbestritten die Musik. Und hier wählte man einige sehr starke lizenzierte Songs von 80er Bands wie Tears for Fears und Duran Duran während der Musiker Michael Andrews für den Original Score zuständig war (sein wohl bekanntestes Werk ist das "Mad World" Cover von Tears for Fears). Mit minimalen Musical-Einlagen werden wichtige Szenen unterlegt und würden ohne den starken Soundtrack nie so eine Intensität erreichen. Eine der wohl stärksten Kombinationen zwischen Bildgewalt und Musik ist die bekannte Szene zwischen Donnie, der schlafenden Gretchen sowie Frank im Kino während im Hintergrund "Tanz der Teufel" läuft. Der Film vermittelt hier eine einzigartige Weltuntergangsstimmung. Etwas bedrohliches bahnt sich an. Kelly macht hier deutlich, dass sich ein regelrecht stürmischer Showdown anbahnt. Dieses Thema rund um diese minimalen Musical-Einlagen führte Kelly in seinem späteren Film Southland Tales auf einen neuen Höhepunkt.

Doch besonders das Thema Musik machte noch einmal für Richard Kelly deutlich, was möglich ist und was nicht. Lizenzen waren teuer oder schlicht und ergreifend nicht verfügbar. Bei einem Budget von nicht einmal 5 Millionen Dollar war es sowieso ein Wunder, wie viel prominente Unterstützung der Film erhalten hat. Und dennoch, oder vielleicht gerade deshalb bleibt Donnie Darko ein Low Budget Indie-Film, der bei seiner limitierten Kinoauswertung (die teilweise von Christopher Nolan und seiner Frau ermöglicht wurde) kaum irgendwelche Beachtung erhalten hat. Durch seine Veröffentlichung auf DVD gewann Donnie Darko aber ein weltweites Publikum, was wohl genau so wenig abzusehen war wie die prominente Unterstützung, die den Film zu dem gemacht hat, was er heute ist. Durch eben diesen Erfolg bekam Kelly die Gelegenheit, 2004 den Film noch einmal als Director's Cut zu bringen. Diese Fassung, die mit mehr Budget ausgestattet war, ermöglichte ihm Zugang zu der Musik, die er wollte, rund 20 Minuten an neuen Szenen und Umschnitten sowie den Film in kleine Kapitel zu unterteilen. Das Resultat endete damit; bis heute werden sowohl Kinofassung als auch Director's Cut favorisiert. Wohl auch einer der Gründe, wieso beide Fassungen mittlerweile auf Blu-ray immer in einem Gesamtpaket zu finden sind. Beide Fassungen haben ihre Vorteile. Die Kinofassung wirkt ohne die zusätzlichen Erklärungen kryptischer, mysteriöser und flotter. Der Director's Cut mit seinen Erweiterungen runder und durch neue Szenen und Musik deutlich professioneller, strukturierter. Man kann nichts falsch machen, beide Fassungen zu schauen und es ist vermutlich einer der wenigen Filme, wo man sich ein neues Filmerlebnis erschaffen kann wenn man beide Fassungen hintereinander schaut.

Zum 20. Jubiläum brachte Arthaus/Studiocanal mehrere neue deutsche Editionen zum Film heraus, restauriert von einem 4K Master und erstmals auch eine 4K UHD Veröffentlichung. Durch einen selten dämlichen Fehler seitens Amazon, wo das Blu-ray Cover von Standard Blu-ray und 4K UHD vertauscht wurden (und der Fehler noch immer nicht behoben wurde), erhielt ich die Standard Blu-ray und entschied mich letztendlich, diese zu behalten. Neugierig auf die UHD-Variante wäre ich dennoch mal und wird auch sicherlich noch nachgeholt. Die neue deutsche Blu-ray macht aber einen mehr als soliden Eindruck und ist der alten UK Blu-ray Veröffentlichung die ich 2014 erworben habe (Label Metodrome Entertainment, Kinofassung und Director's Cut Doppelpack) meilenweit voraus was das Bild angeht. Zwar ist der Low-Budget Faktor dem Film weiterhin anzusehen was in einer schwankenden Qualität etlicher Szenen resultiert, allgemein ist das restaurierte Bild aber in einem guten Zustand und fiel mir besonders positiv durch seine satten Farben auf. Auch das deutsche DTS-HD Master ist in Sachen Klangqualität sehr anständig. Dies dürfte an sich die deutsche Premiere für den Director's Cut auf Blu-ray gewesen sein.

Nun sind beinahe 7 Jahre seit meiner Lost in Translation Retrospektive vergangen. Lost in Translation hatte meinen Test der Zeit bestanden (der Film feierte ja nun, wenn auch lediglich limitiert, kürzlich seine deutsche Blu-ray Premiere). Wie sieht es bei Donnie Darko aus? Ich habe den Film gestern erstmals seit 2014 wieder gesehen (Kinofassung) und ich konnte mich schon gar nicht mehr dran erinnern, wann ich den Director's Cut zuletzt gesehen habe. Nach so einer langen Zeit blickt man erst einmal sehr kritisch auf einen seiner Lieblingsfilme. Blade Runner könnte ich auch heutzutage noch unendlich viele male schauen, ohne, dass die Flamme der Liebe jemals erlöschen würde. Kill Bill wiederum (Gesamtwerk), sehe ich heute mit 34 Jahren deutlich kritischer als als 18 jähriger. Und auch Donnie Darko muss sich keine Sorgen machen, von mir nicht mehr geliebt zu werden (vermutlich ist dem Film das sogar sehr egal ob ich ihn liebe oder nicht). Die ganze Faszination ist noch vorhanden. Dieser kleine verträumte Indie-Film übt noch immer eine gewaltige Wucht auf mich aus und dieses Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Genres sowie der zeitlosen Musik funktioniert auch im Jahr 2021 noch bedingungslos. So sehr ich mir für Richard Kelly einen weiteren großen Wurf wünsche, so fest verankert wird er jedoch für immer mit Donnie Darko sein. Den Film als Karrierefluch zu sehen wäre eindeutig falsch (und so eine Einstellung hat er auch nie in Interviews an den Tag gelegt), da Kelly hier einen Film geschaffen hat, der den Test der Zeit bestanden hat und auch in vielen Jahren noch relevant sein wird. Es ist zudem auch ein Film, der in dieser Art und Weise kein zweites mal existieren könnte. Vielleicht ist dies einer der Gründe, wieso eine Fortsetzung in diesem Universum alles andere als ein brillanter Geniestreich war. Richard Kelly selbst hat zu S. Darko nie einen filmischen Kommentar abgegeben, denn er hat den Film nie gesehen.

Mit diesem hoffnungsvollen Schlusswort über unnötige Sequels möchte ich diese Retrospektive beenden. Ursprünglich sollte dies mal ein Meercast werden (meine eigene Variante eines Podcasts, die genau das ist, was der Name suggeriert), allerdings habe ich mich sehr kurzfristig für eine schriftliche Version entschieden. Einiges, was ich für diese Retrospektive plante, konnte ich in schriftlicher Ausführung leider nicht umsetzen. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, wenn ich die UHD-Version in kommender Zeit mal gesehen habe, werde ich dies nachholen. Donnie Darko ist ein Film, der mir bis heute sehr viel bedeutet (und er gestern wieder eindrucksvoll bewiesen hat) und ich bin sicher, ihm einen eigenen Meercast in absehbarer Zeit widmen zu können.

Für alle, die den Film noch noch nicht gesehen haben: Wir schreiben das 20. Jubiläum des Films, wir haben Oktober und die Welt ist auch so gut wie untergegangen - worauf wartet ihr? Anschauen!


"Unser Leben hat nicht nur zwei Kategorien, so einfach ist das nicht." - Donnie Darko

Dienstag, 21. September 2021

Rezension: Heaven (Mieko Kawakami)

 

Foto: Aufziehvogel




Japan 2009
(Deutschland 2021)


Heaven
Originaltitel: Hevun
Autorin: Mieko Kawakami
Erscheinungsdatum und Verlag: 17.09.2021 bei DuMont
Übersetzung: Katja Busson
Format: Gebunden, E-Book
Genre: Jugenddrama




>>Ich... wie soll ich sagen... ich bin aus Angst eigentlich immer in Alarm. Zu Hause, in der Schule. Aber manchmal gibt es auch gute Momente, jetzt zum Beispiel, wenn ich mich mit dir unterhalte oder wenn ich dir schreibe. Das sind gute Momente. Momente, in denen ich mich sehr sicher fühle. Momente, die mich glücklich machen. Aber weder diese Glücksmomente noch der Alarm, in dem ich mich zumeist befinde, ist der Normalzustand, sie sind die Ausnahme... will ich wenigstens glauben... Mein Leben soll doch nicht nur aus Alarm und ab und zu ein bisschen Glück bestehen. Meine Norm soll weder Glück noch Alarm sein, sondern der Zustand dazwischen"<<, sagte sie und presste die Lippen aufeinander.

Durch den weltweiten Erfolg von "Brüste und Eier" sind auch internationale Verlage auf das Portfolio der japanischen Autorin Mieko Kawakami (nicht verwandt und zu verwechseln mit der ebenfalls bekannten Autorin Hiromi Kawakami) aufmerksam geworden. Setzt sich "Brüste und Eier" auf eine sehr unterhaltsame und tiefgründige Art mit dem Körper der Frau auseinander, so ist ihr bereits 2009 in Japan veröffentlichter Roman "Heaven" ein knallhartes Jugenddrama. Und wenn ich hier von "Knallhart" schreibe, dann ist der Begriff teilweise noch zurückhaltend, schmeichelnd. Die Geschichte fühlt sich an wie eine volle Breitseite in die Nieren, genau da, wo es weht tut. Wo es empfindlich ist. Wo wir auch einige Tage später noch etwas spüren. In diesem Drama um zwei Teenager-Außenseiter erzählt Mieko Kawakami nicht nur eine Geschichte über Mobbing, sondern auch um die allgemeinen Sorgen japanischer Teenager, die sich auch in der heutigen Zeit oftmals noch verloren fühlen und ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Doch trotz der teils drastischen Schilderungen wird beim lesen relativ schnell deutlich, am Ende geht es nicht um kulturelle Probleme, sondern das Problem rund um Mobbing und soziale Ausgrenzung wird hier von der Autorin so gekonnt an dem Schopf gepackt, dass diese kulturellen Grenzen verschwinden und wir uns alle vielleicht schon einmal in einer ähnlichen Situation befanden wie die beiden Hauptcharaktere.

Heaven spielt im Japan der 90er. Die Wirtschaftsblase der 80er ist geplatzt und die Nachwirkungen sind immer noch zu spüren. Die Gesellschaft ist pessimistisch ein- und aufgestellt, jeder ist sich selbst am nächsten, lebt sein Leben für sich und achtet nicht auf sein unmittelbares Umfeld. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht eines namenlosen vierzehnjährigen Ich-Erzählers, der über seinen Alltag bzw. alltäglichen Horror berichtet, den er immer wieder aufs neue, immer in krasseren Dimensionen, erlebt. Aufgrund einer Fehlstellung der Augen (er schielt) ist der Erzähler das perfekte Opfer für die Schikanen seiner Mitschüler. Die Demütigungen und Erniedrigungen der Mitschüler scheinen wahllos ohne Sinn und Verstand zu sein, aber immer wieder mit dem Ziel, noch extremer zu werden. Im Vordergrund stehen hier die gutaussehenden, allseits beliebten Klassenkameraden Ninomiya und Momose. Eines Tages entdeckt unser Erzähler unter seinem Tisch an ihn adressierte Briefe. Positive, aufmunternde und optimistische Worte stecken in diesen Briefen. Unser Erzähler rechnet hier fest mit einer neuen Gemeinheit seiner Klassenkameraden. Wortlos nimmt er die Briefe entgegen und liest sie immer wieder. Eines Tages möchte sich die geheimnisvolle Person mit ihm treffen. Die Skepsis ist groß, die Neugier ist größer und dies ist der Moment wo unser Erzähler seine ebenfalls gehänselte Mitschülerin Kojima erstmals besser kennenlernt. Gemeinsam wollen sie das beste aus ihrer Situation machen.

>>Mögt ihr keine Tiere?<<, fragte Kojima mit großen Augen. Ihre Brauen zuckten, als wären sie lebendig.
>>Was heißt >nicht mögen<. Ich, für meinen Teil, hatte noch nie mit einem zu tun, habe also eher keinen Bezug dazu.<<
>>Ach so... na dann<<, sagte sie
>>Ich wäre aber nicht abgeneigt, glaube ich. Es ist bestimmt ein Unterschied, ob man mit einem Tier zusammenwohnt, das nicht spricht, oder einem Menschen<<, sagte ich.
>>Wie meinst du das?<<
>>Naja ich stelle mir vor, dass es sehr viel stiller ist<<, sagte ich.
>>Soll heißen, dass Menschen laut sind, selbst wenn sie nichts sagen?<<
>>Ich weiß nicht. Menschen denken ständig. Da sind Tiere doch stiller, oder?<<

Mieko Kawakami versetzt sich hier herausragend in die Rolle eines männlichen Erzählers. Dabei blitzt aber immer wieder auch die Feinfühligkeit auf, die nur eine Frau zu beschreiben vermag. Sowohl der Erzähler als auch Kojima habe ich schnell lieb gewonnen, die Autorin hat beide Charaktere mit einzigartigen Sichtweisen und Emotionen ausgestattet. Man möchte nicht, dass auch nur einer dieser beiden Charaktere weiter sinnlos schikaniert wird. Doch spätestens gegen Ende des Romans, als der Erzähler erstmals den Mut aufbringt sich einem seiner Peiniger in einem Gespräch zu stellen, da wissen auch wir Leser bescheid, so einfach tickt diese Welt nicht. So einfach ist die Gesellschaft nicht gestrickt. In diesem Gespräch wird dem Erzähler die Ungerechtigkeit, aber auch die Aussichtslosigkeit seiner Lage, schnell bewusst. Ob die Taten seiner Mitschüler Sinn ergeben oder nicht, es spielt keine Rolle. Nur weil wir Leser mit den Figuren im Roman sympathisieren, heißt dies nicht, dass ihnen auch ein guter Ausgang für ihre Geschichte vergönnt ist.

Und trotz dieser sehr pessimistischen Ausgangsposition, konnte ich die Seiten kaum schnell genug umblättern. Teilweise waren die extremen Schilderungen der Schikanen gegen die beiden Hauptcharaktere, besonders gegen den Erzähler, schwer zu verdauende Kost. Die Autorin hält sich nicht mit detailreichen Einzelheiten zurück und nimmt auch, ganz bewusst, keine Rücksicht. Für einige mag Mieko Kawakami hier vielleicht eine Grenze überschreiten. Doch würde Heaven ohne diese drastischen, detailreichen Schilderungen nicht funktionieren. Der Roman läuft nach einem bestimmten Muster ab. Es ist eine Tour de Force, doch den Lesern werden auch Verschnaufpausen gegönnt. Und dies sind die Momente, diese Momente der Ruhe und Harmonie zwischen den beiden Charakteren, die diese Geschichte auch ihre Seele verleihen. So erfährt man überraschend schnell, was es mit dem Wort "Heaven" auf sich hat und trotzdem irgendwie mysteriös bleibt und gleich auf mehreren Ebenen einen Bedeutung hat. In diesen wundervoll tiefgründigen Gesprächen zwischen dem Erzähler und Kojima kommt die Erzählkunst von Mieko Kawakami vollends zur Geltung. Die Parallelen zum Schreibstil von Haruki Murakami, der Autor, der so eine Inspiration für ihr Werk war und den sie gleichmäßig stark kritisiert, sind unverkennbar.


>>Sie fürchten sich, weißt du... vor deinem Auge<<, sagte sie, die Stimme leise, aber klar und fest. >>Sie sagen zwar, dass sie es >eklig< finden, aber das stimmt nicht. Sie haben Angst, einfach nur Angst. Nicht vor deinem Auge, sondern vor dem Unbekannten. In der Gruppe fühlen sie sich stark, alleine sind sie nichts, sind sie schwach, eine Bande von Schwächlingen, die sich vor allem fürchtet, das anders ist, und die deshalb versucht, es zu zerschlagen. Es auszutreiben. Sie geben sich stark, aber in Wirklichkeit haben sie Angst.<<



Abschließende Worte

Heaven hat zwei Seiten an sich. Eine hässliche Seite, die nicht davor zurückschreckt, in die tiefsten Details zu gehen, wie man zwei Menschen quälen kann. Doch Heaven besitzt auch eine wunderschöne Seite, eine Seite, die Trost spendet und die Schönheit des Lebens zelebriert. Es ist ein sehr dünner Faden, der diese beiden Seiten zusammenhält. Am Ende wird er reißen, doch die Leser müssen für sich entscheiden, auf welcher Seite dieser lose Faden hängenbleibt. Diese beiden Seiten spielt die Japanerin großartig aus und verleiht einer so simplen Geschichte damit enorm viel Tiefgang. Mieko Kawakami ist hier ein wachrüttelnder Roman gelungen, der sicherlich nicht leicht zu konsumieren ist, aber genau dies auch die Intention war. Durch diese packenden Schilderungen besteht nie auch nur die geringste Gefahr, beim lesen dieser Grausamkeiten abzustumpfen und alles einfach nur noch gelangweilt zur Kenntnis zu nehmen. Heaven's Only Wishful, oder etwa doch nicht? Die Antwort darauf wird man vielleicht finden, wenn man die beiden Charaktere bis zum Ende ihres Weges dieser Geschichte begleitet.