Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 24. Januar 2011

Haruki Murakami, Sputnik Sweetheart: Ein Trip auf die Insel der Verlassenen



Die Murakami Rezensionen 1

Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Supuutoniko no koibito
Erscheinungsjahr: 1999 (Japan), 2003 (Detuschland), DuMont Verlag
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Liebesgeschichte, Mystery


"Die Sommerferien waren zu Ende, und ich musste mich wieder in den endlosen Alltag einfügen. Dort ist mein Platz. Dort sind meine Wohnung, mein Schreibtisch, mein Klassenzimmer, meine Schüler. Ein ruhiges Leben, Romane, die ich lesen möchte, hin und wieder eine Affäre.
Dennoch werde ich nie wieder so sein wie vorher. Von morgen an werde ich ein anderer Mensch sein. Natürlich wird niemand in Japan die Veränderung bemerken. Auch wenn nach außen hin alles sein wird wie immer, ist in mir etwas erloschen. Irgendwo ist Blut geflossen, und jemand oder etwas hat mich verlassen." -K.-

Murakamis grandioser Roman aus dem Jahre 1999 gilt selbst unter treuen Lesern seiner Werke eher als Geheimempfehlung. Liegt es an dem seltsamen Titel? Dürfte sich dieser aber doch kein bisschen von all den anderen skurrilen Titeln des Haruki Murakami unterscheiden. Wie dem auch sei. Sputnik Sweetheart sollte eigentlich keine Geheimempfehlung sein. Oder vielleicht ist dies auch gerade der Grund wieso mir dieses Buch so gut gefallen hat. Um ehrlich zu sein, für mich ist es, von allen Murakami Werken die ich bisher gelesen habe, eines seiner besten. Doch was mir an diesem surrealen Trip so gut gefallen hat, will ich nun erzählen.

K. ist ein junger Lehrer und ein eher zurückhaltender Typ. Er führt ein Leben ohne große Ansprüche zu haben und erfreut sich an den einfachen Dingen im Alltag. Eines Tages lernt er Sumire kennen. Sumire ist das komplette Gegenteil von K. und doch freunden sich beide an. Sumire ist quirlig, extrovertiert und hat ein loses Mundwerk. Sie gibt Widerworte und hält selbst ziemlich viel von sich. Ihr Studium hat sie abgebrochen um Autorin zu werden. Allmählich bemerken die beiden das sie praktisch durch ihre Interessen Seelenverwandte sein könnten. Sumire vertraut sich K. an. Sie lässt ihn sogar bei ihren Geschichten probelesen, so das er ihr seine Meinung darüber verkünden kann. K. weiß längst das er sich in die eigenwillige Sumire verliebt hat. Diese macht ihm aber schnell klar das es für sie nicht über Freundschaft hinaus gehen wird. Dann lernt Sumire auf einer Hochzeit eine geheimnisvolle Frau namens Miu kennen. Sie krempelt ihr Leben komplett um. Miu bietet der unentschlossenen Sumire einen Job in ihrer Firma an. Die beiden werden zu besten Freundinnen. Immer mehr verändert sich Sumire und nimmt sogar Damenhaftes Verhalten an. Sumire erklärt K., das sie sich in ihre Chefin verliebt habe und bald mit ihr, geschäftlich, auf Reisen nach Europa gehen wird. Während Sumire mit Miu auf Geschäftsreise ist, distanziert sie sich immer mehr von ihrem alten Leben. Und K. ist ein Teil davon. Noch von Enttäuschung geplagt erhält K. eines Nachts einen seltsamen Anruf. Es ist Miu. Sie berichtet ihm das Sumire auf einer Insel in Griechenland spurlos verschwunden ist und bittet ihn sofort herzukommen. K. setzt sich in den nächsten Flieger. Noch völlig ahnungslos welch rätselhafte wie unheimliche Geschichte ihn erwarten wird.

Grob zusammengefasst ist dies der Inhalt der verzwickten Geschichte. Doch um hinter dem Rätsel und seinen geheimnissen zu kommen entführt Haruki Murakami den Leser auf eine exotische Reise auf eine griechische Insel. Ist der Leser, in der Gestalt von K., dort angekommen beginnt gleich der nächste Trip. Und dieser ist wie bei Murakami üblich, sehr surreal. Wir bekommen tiefe Einblicke in die Vergangenheit von Miu und ihrer mysteriösen Geschichte die sie in ihrer Jugend erlebt hat. K. entdeckt auf Sumires Laptop eigenartige Aufzeichnungen die einem Tagebuch ähneln. All das, so wird der Leser denken, könnten Hinweise auf Sumires verschwinden sein. Doch so einfach macht es uns Murakami nicht. In ruhiger Manier und mit lockerer Hand geleitet uns der japaner Wort für Wort durch eine traurige wie aber auch unheimliche Geschichte. Um das Rätsel um Sumires verschwinden auf der einsamen griechischen Insel zu bewahren macht Murakami sich gar nicht erst die Mühe K. auf die Suche nach ihr zu schicken. Er belässt es bei Recherchen. Er konzentriert sich viel mehr auf das Dreiergespann rund um K., Sumire und Miu. Dabei wird man schnell die Parallelen dieser drei Personen bemerken. Und schnell wird klar worum es eigentlich in Sputnik Sweetheart geht. Wer einmal Jean-Paul Sartres "Der Ekel" gelesen hat wird es mit Murakamis Roman etwas einfacher haben. Zwar ist Sputnik Sweetheart kein Roman des Existentialismus, dennoch finden sich viele Elemente dort wieder. Auch der Leser wird sich am Ende die Frage nach seiner eigenen Existenz stellen.

Auf der anderen Seite ist Sputnik Sweetheart natürlich auch noch eine Liebesgeschichte. Auch wenn K. viel mehr der Beobachter ist, wir werden an seinen Gefühlen teilhaben. Seine Sehnsucht nach Sumire wird uns bewusst. Und bei seiner verzweifelten Suche nach ihr werden wir Mitgefühl für ihn entwickeln. Für Sumires verschwinden gibt es keine Erklärung. Viel mehr sucht K. nach Antworten. Nach dem "Wie" und dem "Warum". Wieso und weshalb hat Sumire, noch in Pyjama Bekleidung in jener Nacht das Ferienhaus verlassen? Welche Sorgen plagten sie? Und, besteht die Möglichkeit das Sumire sich vielleicht sogar in Luft aufgelöst hat?
Gegen Ende reisen wir gemeinsam mit K. in das Unterbewusstsein von Sumire.

Was am Ende bleibt ist eine Geschichte die man selbst weder erklären kann, noch Antworten auf die eigenen Fragen finden wird. So gesehen steht der Leser nach der letzten Seite von Murakamis Roman vor einer Sackgasse. Egal wie oft man überlegt, man kommt nicht weiter. Am besten wäre wenn jeder für sich selbst die Geschichte beendet. Oder besser gesagt, das Ende so lange interpretiert, bis man das logische in ihm entdeckt. Doch genau diese vielen Möglichkeiten zur Interpretation faszinieren mich. Genau das erwarte ich von Murakami.

"Ich träume. Manchmal glaube ich, das ist das einzig Richtige, was man tun kann. Wie Sumire geschrieben hatte - in der Traumwelt leben. Doch irgendwann kommt immer das Erwachen." -K.-

Auf der letzten Seite des Buches schaut K. aus dem Fenster und sieht am klaren Nachthimmel den Halbmond. Er weiß das Sumire den gleichen sieht. Denn sie leben in der selben Welt. Da ist er sich ganz sicher. Klingt ja fast wie die Vorgeschichte zu Murakamis 1Q84.
Er spreizt seine Finger und schaut ob Blut an seinen Händen klebt. Er kann jedoch nichts finden.
Als ich die letzten Zeilen gelesen ergriff mich Wehmut und Einsamkeit. Es war ein tolles Buch. Ein klasse Ende. Haruki Murakami weiß wie, und wann man eine Geschichte beenden muss. Sputnik Sweetheart ist und wird für mich immer ein besonderes Buch bleiben. Es ist unergründlich und geheimnisvoll. Ich liebe solche Geschichten. Noch Tage danach beschäftigen mich die Fragen die ich mir nach dem lesen gestellt habe. Und ich bin dankbar für all die Erinnerungen die ich aus dieser Reise nach Griechenland mitgenommen habe. Und erneut ein großes Lob an Übersetzerin Ursula Gräfe als Reiseführerin.



Wertung: Fünf Dante (Sehr gut)

6 Kommentare:

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    Every Murakami Fan is welcome here ;D
    Have a nice day.

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  3. Hi,

    habe das Buch vor ein paar Jahren in einer Tauschbibliothek im Urlaub gefunden und war ähnlich berührt, verlassen, nachdenklich, aber auch neugierig. Eher von schlichtem Gemüt und dem Happy-End verhaftet, stand bzw. sass ich da ziemlich ratlos. Ich denke nach wie vor, dass es die Zartheit war mit der Murukami schreibt, die mich gefangen hatte.

    Vielen dank für deine grandiosen Rezensionen.

    Buchtipp von mir: Rohintron Mistry: Das Gleichgewicht der Welt....üppiger aber aus meiner Sicht grandios...

    Frank

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  4. Danke für die schöne Beschreibung, Sputnik Sweetheart ist auch mein Lieblingsbuch von Murakami, ich habe es schon oft gelesen und immer wieder kommen neue Aspekte hinzu, beim letzten Lesen blieb mir das schöne Bild der kleine Pfote von Rübe. Nach der letzten Seite frage ich immer, ob Sumire wohl wirklich angerufen hat. Auch so schön, dieses Bild von dem heruntergekommenen Telefonhäuschen und dem verschimmelten Halbmond.

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  5. Sputnik Sweetheart habe ich zufällig gelesen und sofort war ich wieder drin im Murakami-Universum. Eindrucksvolles, teils sehr unheimliches Buch. Auch ich bin überzeugt, dass es als Vorläufer zu 1Q84 zu lesen ist.
    Auch ist mir aufgefallen, dass es zahllose Parallelen zum Thema "Astralreisen" gibt. Ich habe versucht, das mal genauer zu analysieren: https://lesenszeichen.blogspot.de/2017/06/was-haruki-murakamis-romane-mit.html

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  6. Sputnik Sweetheart habe ich zufällig gelesen und sofort war ich wieder drin im Murakami-Universum. Eindrucksvolles, teils sehr unheimliches Buch. Auch ich bin überzeugt, dass es als Vorläufer zu 1Q84 zu lesen ist.
    Auch ist mir aufgefallen, dass es zahllose Parallelen zum Thema "Astralreisen" gibt. Ich habe versucht, das mal genauer zu analysieren: https://lesenszeichen.blogspot.de/2017/06/was-haruki-murakamis-romane-mit.html

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