Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 23. Juni 2016

Rezension: Pfaueninsel (Thomas Hettche)






Deutschland 2014

Pfaueninsel
Autor: Thomas Hettche
Taschenbuchausgabe: btb (Deutsche Erstveröffentlichung bei Kiepenheuer & Witsch)
Genre: Historischer Roman, Drama


"Und wieder hörte sie die sanfte helle Stimme direkt neben sich.
>>Da begegnet ihm einer, der ist nur daumenlang und so klein, daß der in einem Blatt schwimmt. In einer Hand hat er ein Näpfchen und in der anderen einen Griffel. Den steckt er immer wieder ins Meer und läßt davon Wasser in den Napf triefen. Und wenn der Topf voll ist, gießt er ihn aus und fängt wieder von vorn an.<<
Die Mutter drehte sich erzürnt um, und ihre hellen Wangen flackerten rot vor Scham.
>>Gustav! Sei still!<<
Überrascht hörte Marie sich selbst zornig antworten: >>Und? Was soll da schon dabei sein?<<
>>Der Däumling<<, erzählte der Kleine weiter, >> erklärt dem heiligen Brandaen, ihm sei vom lieben Gott auferlegt, das Meer zu messen bis zum jüngsten Tag.<<
>>Gustav!<< sagte die Mutter noch einmal, kam an den Tisch und legte Marie entschuldigend eine Hand auf den Scheitel. Dieses Wort hatte sie noch nie gehört. Was ist das: ein Däumling? Bin ich das?: eine Däumlingin vom Ende der Welt? Es dauerte sehr lange, bis sie sich getraute, den Jungen anzusehen, und immer, wenn sie später an jenen Moment zurückdachte, erinnerte sie sich daran, wie freundlich Gustav sie angelächelt hatte."
(Aus: Pfaueninsel, Thomas Hettche)


Seit einer langen Zeit habe ich eine Rezension zu "Pfaueninsel" von Thomas Hettche geplant, die Lektüre selbst ist aber keine einfache Bettlektüre zur Entspannung vor dem zubett gehen, sondern ein relativ komplexes Werk, welches mich einige Zeit gekostet hat, mich mehrmals beinahe zur Aufgabe zwang und ich dennoch versöhnlich von der Pfaueninsel heimkehrte. Den Roman einem Genre zuzuordnen ist verdammt schwierig. Hier vermischen sich Fakten mit Fiktion und als Leser selbst wird man sich häufig fragen: "Ist das vielleicht wirklich alles so passier"?
Während Thomas Hettches Roman eindeutig Gebrauch von geschichtlichen Hintergründen macht, bleibt sein Roman natürlich hauptsächlich Fiktion. So liest sich Pfaueninsel manchmal sogar wie ein schönes, aber ach trauriges Märchen. Ein wenig vergleichbar mit den melancholischen Märchen von Oscar Wilde. Dennoch muss man gewappnet sein, auf was für ein literarische Reise man sich hier begibt.

Was genau ist die Pfaueninsel eigentlich? Ich weiß nicht ob sich bei mir eine riesige Wissenslücke aufgetan hat, aber die Existenz der Pfaueninsel, die in der Havel südwestlich von Berlin liegt, war mir nicht bewusst. Eine lange, bedeutende Geschichte steckt hinter diesem exotischen Ort. Die UNESCO fügte die Pfaueninsel sogar dem Weltkulturerbe hinzu. Auf dieser sagenumwobenen Pfaueninsel spielt die Geschichte von Thomas Hettche, der die alten Zeiten noch einmal aufleben lässt. Protagonistin der Geschichte ist das kleinwüchsige Schlossfräulein Marie. Bereits als junges Mädchen kam die körperlich eingeschränkte Marie Strakon mit ihrem Bruder Christian auf die Pfaueninsel, die zur damaligen Zeit bereits Waisen waren. Die Welt wie auch die Pfaueninsel stehen im Umbruch, das gleiche gilt auch für das Verhältnis zu kleinwüchsigen Menschen. Der Titel "Schlossfräulein" gleicht mehr Spott als Anerkennung. Die junge Dame und ihr Bruder werden auf der Insel, auf dem Könige und ihr Gefolge gastieren, als exotisches Wesen angesehen. Marie lernt mit der Zeit, wie die Menschen sie sehen und macht sich diese Eigenschaft auf mehrere weisen sogar zunutze. Viele Könige kamen und verließen die Pfaueninsel, doch Marie blieb. Thomas Hettche erzählt ihre Geschichte.

Immer wieder wird deutlich, für was ein Kuriosum Marie von den Bewohner gehalten wird. So stellt der Gärtner, der das Mädchen gerne hat, gleich mit einer verkümmerten Blume, die er gesund pflegen möchte. Teilweise in wunderschöner bildlicher Sprache verfasst und wie anfangs erwähnt, beinahe ein wenig märchenhaft inszeniert, erzählt Thomas Hettche die Geschichte des kleinen Individuums, die wohl bekannteste Bewohnerin der Pfaueninsel. Zwischen 1800 bis 1880 soll sie tatsächlich dort gelebt haben. 
Ich würde nicht so weit gehen, Pfaueninsel als ein deprimierend trauriges Buch zu bezeichnen. Der Geschichte haftet eine eher angenehme Melancholie an, was besonders dem bildlichen Sprachstil zu verdanken ist. Stilistisch wechselt sich der Roman ab zwischen historischem Roman und purer Fiktion.

Dennoch kann man sich auf der Pfaueninsel nicht so einfach niederlassen und es sich gemütlich machen, wie man vielleicht denkt. Auf dem ersten Blick fällt einem die relativ altertümliche Schreibweise mancher Begriffe auf. Für Leute, die das scharfe ß vermissen, könnte Pfaueninsel ganz besonders interessant werden. So haben wir es hier nicht mit dem "Schlossfräulein" zu tun sondern mit dem "Schloßfräulein". Mit der etwas seltsam klingenden Wortwahl kommt man jedoch schneller zurecht als man denkt. Leider hat Thomas Hettche aber auch einige Brocken an Fremdwörtern mit in die Geschichte hineingeworfen, die ich erst einmal nachschlagen musste. Die teils schwere Wortwahl hindert manchmal den Lesefluss. Nimmt sich Pfaueninsel denn zu wichtig? Dies möchte ich jedoch verneinen, der sprachliche Stil ist eindeutig so gewollt und passt auch zur Geschichte. Was nicht bedeutet, dass ich nicht hier und da mal ein paar langatmige Passagen entdeckt habe.



Resümee

2014 war Pfaueninsel für die Shortlist des deutschen Buchpreises nominiert, musste sich aber letztendlich "Kruso" von Lutz Seiler geschlagen geben. 
Bevor man sich den Roman zur Pfaueninsel vornimmt, sollte man vorher vielleicht ein wenig Recherche über diesen realen und doch so irrealen Ort betreiben. Danach kann man sich relativ entspannt an Thomas Hettches Roman wagen. Wer hier jedoch eine kurzweilige Liebesgeschichte erwartet, der wird wohl enttäuscht werden. Stattdessen sollte man Pfaueninsel in kleineren Abschnitten lesen und die phantasievollen Beschreibungen behutsam konsumieren. Am besten ein Gläschen Wein dazu und den Winter als Jahreszeit. Wenn man die Aspekte miteinbezieht in seine Unternehmungen, der wird einen angenehmen Aufenthalt auf der Pfaueninsel haben. Und wer besonders an den Sehenswürdigkeiten interessiert ist, kann das Schlossfräulein ja mal freundlich um eine kleine Besichtigungstour bitten.

Samstag, 11. Juni 2016

Rezension: Das Feld des Regenbogens (Inio Asano)







Japan 2003-2005 (Einzelband, abgeschlossen)

Das Feld des Regenbogens
Originaltitel: Nijigahara Holograph
Verlag: Tokyopop
Story & Art: Inio Asano
Übersetzung: Sakura Ilgert
Genre: Mystery, Coming of Age
Kategorie: Seinen
Altersempfehlung des Verlags: 16





Wer die Rezensionen hier etwas verfolgt, dem wird vermutlich aufgefallen sein, es gibt auf "Am Meer ist es wärmer" einige gern gesehen Gäste. Inio Asano, derzeit vermutlich einer der wichtigsten und kontroversesten Mangaka Japans, ist einer dieser Gäste. Seit nun einigen Jahren bringt der Tokyopop-Verlag das Werk von Inio Asano nach Deutschland. Auch Asanos sehr düsteres wie surreales Werk "Das Feld des Regenbogens" (orig. Nijigahara Holograph) ist Ende 2013 als Sammelband im Großformat erschienen. Doch rechtfertigt die gelungene Ausgabe denn auch den Inhalt?

Erzählt wird die Geschichte von "Das Feld des Regenbogens" in Fragmenten. In 12 Kapiteln (zusätzlich eines Prologs und Epilogs) muss der Leser die Puzzleteile so gut zusammensetzen, wie es ihm möglich ist. Denn auch nach den letztens Panels wird einem die wahre Antwort hinter den unheimlichen Geschehnissen in Asanos Manga wohl verborgen bleiben.
Die Geschichte startet in der Gegenwart mit Amahiko Suzuki, der im Krankenhaus seinen Vater besucht, für den es bereits keine Hoffnungen mehr gibt. Auf dem Dach kommt Suzuki mit einem seltsamen alten Mann ins Gespräch, der Suzuki zu kennen scheint. Ein paar Seiten weiter nimmt die Geschichte von Kota Komatsuzaki ihren Lauf, Suzukis ehemaliger Klassenkamerad. Komatsuzaki scheint desillusioniert zu sein und leidet anscheinend immer noch an den Folgen einer Schlägerei aus seiner Jugendzeit. Seltsame Dinge sind in ihrer Schulzeit auf dem Feld des Regenbogens passiert. Unerklärliche Dinge. Die Kindheit holt die mittlerweile Erwachsenen immer wieder ein. Und dann gabs damals ja auch noch das Gerücht, im Tunnel in der Nähe des Regenbogenfeldes würde ein abscheuliches Monster leben. Ein angeblicher Fluch, für den ein unschuldiges Mädchen büßen musste.

Die stark verschachtelte Geschichte (zu der mir eine passende Inhaltsangabe nur schwerlich eingefallen ist) wirft von Seite zu Seite mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Mysteriöse Ereignisse geschehen in beiden erzählten Zeitlinien. Dabei wird harter Tobak geboten, den man selbst als geübter Manga-Leser erst einmal wegstecken muss. Asanos Manga greift natürlich wieder einmal stets aktuelle Themen wie Mobbing und Selbstmord auf. Doch auch Mord, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Pädophilie sowie Sex per se sind keine Tabuthemen in "Das Feld des Regenbogens". Vermischt mit einer großen Portion an David Lynch Stilelementen hat Asano von Seite 1 an eine mysteriöse wie bedrohliche Atmosphäre geschaffen, die den Leser meistens wie eine Wucht treffen und man die Inhalte erst einmal verarbeiten muss.




Trotz allem muss "Das Feld des Regenbogens" auch hier und da mal federn lassen, weil es Asano etwas zu kompliziert macht. Häufig habe ich mehrere Seiten, manchmal sogar kleinere Abschnitte mehrmals lesen müssen, nur um den Ablauf der Panels und der Handlung als Ergebnis dieser zusätzlichen Lesungen immer noch nicht zu verstehen. Auch nach mehreren Interpretationsversuchen sind noch immer viele Handlungsstränge für mich am Ende ein komplettes Mysterium geblieben. Stilistisch könnte man "Das Feld des Regenbogens" sogar mit einigen Werken des großen Satoshi Kon (2010 verstorben) vergleichen. Thematisch völlig unterschiedlich, besitzt "Das Feld des Regenbogens" von Asano jedoch ähnliche Mystery-Elemente wie beispielsweise "Perfect Blue" und "Paranoia Agent" (beide Werke sind von Kon). Die Suche nach den Antworten stellt sich bei "Das Feld des Regenbogens" aber teilweise wesentlich komplizierter heraus. Hier wird man nicht nur zum selber nachdenken eingeladen, beinahe das komplette Ende muss der Leser sich selbst erklären.

Trotzdem, oder gerade deswegen blätterten sich bei meinem ersten Durchgang die Seiten regelrecht von selbst um. Asano hält die Bedrohung, die von seinen Charakteren ausgeht, stets aufrecht. Hier wird man wohl sehr lang suchen müssen, um einen Charakter zu finden, mit dem man sympathisieren kann.







Resümee

Inio Asano liefert mit "Das Feld des Regenbogens" harte Kost ab. Er vermischt seinen ganz eigenen, einzigartigen Stil mit klassischen Mystery-Elementen im Stile von David Lynch oder Satoshi Kon. Kein Werk, welches man zur Entspannung oder zur Unterhaltung lesen sollte. Man muss sich mehr auf einen Ritt auf einer Achterbahn einstellen, der einem eine menge abverlangen wird. Und kurz, bevor man denkt, man kann die unheimlichen Ereignisse in Asanos Manga aufklären, da kommt auch schon ein weiterer Looping, und ein weiterer, und ein weiterer. Am Ende findet man sich überraschend am Anfang der Attraktion zurück und ohne es zu bemerken, geht die Fahrt von neuem los. Wer das Regenbogenfeld selbst einmal besuchen möchte, sollte sich also dementsprechend vorbereiten und anschnallen.

Sonntag, 5. Juni 2016

Tag 7 Review: Achilles und die Schildkröte



Trailer






Japan 2008

Achilles und die Schildkröte
Originaltitel: Akiresu to kame
Regie: Takeshi Kitano
Musik: Yuki Kajiura
Darsteller: Beat Takeshi, Yurei Yanagi, Kanako Higuchi, Kumiko Aso, Ren Osugi, Susumu Terajima
Laufzeit: Circa 119 Minuten
Genre: Tragikomödie, Coming of Age, Arthouse
Deutscher Verleih: Capelight
FSK: Ab 12



Mit den "Tag 7 Reviews" soll etwas mehr Konstanz in die Veröffentlichung von Besprechungen aufkommen. Der siebte Tag in der Woche ist reserviert für eine Filmbesprechung. Was nun nicht bedeutet, dass tatsächlich jede Woche Sonntags ein neues Review zu einem Film Online gestellt wird (jeder Titel, der einen Auftritt hier erhält wird immerhin sorgfältig ausgewählt), aber man kann sich danach richten, neue Reviews zu Filmen wird es fortan immer an einem Sonntagabend geben.

Den Anfang für die neue Sektion macht ein Film von "Beat" Takeshi Kitano, der vielleicht sogar vielen Fans des Filmemacher kein Begriff ist. Zum einen hat dies etwas mit der reichlich späten Veröffentlichung in deutschen Gefilden zu tun, aber auch international wird Kitanos sogenannte, inhaltlich voneinander unabhängige "Surrealist Autobiographical Trilogy", die aus "Takeshi's", "Glory to the Filmmaker" und eben "Achilles und die Schildkröte" besteht, weniger bekannt sein als seine Werke, die er vor 2005 gedreht hat. Alle 3 Filme sind auf ihre weise einzigartig und gelungen, jedoch durch die Zugaben eines sehr surrealen Humors auch relativ schwer zugänglich und man kann sagen, unmöglich zu verstehen für Filmfans, die sich mit Kitanos Filmkunst und aber auch seinem privaten Werdegang vorher nie auseinandergesetzt haben. Etwas zum Leidwesen der drei genannten Filme gilt diese Trilogie etwas als Geheimtipp im Portfolio von Takeshi Kitano.

Tatsächlich sind schon 8 Jahre vergangen, seit "Achilles und die Schildkröte" in Japan seine Premiere feierte. Der deutsche Verleih Capelight, der sich seit "Outrage" um die Veröffentlichung von Kitanos Filmen bemüht, hat nach "Takeshi's" (zu finden als Bonusfilm auf Blu-ray im limitierten Mediabook zu "Dolls") nun auch "Achilles und die Schildkröte" gebracht, ebenfalls als limitierte Blu-ray Dreingabe im Mediabook von "Outrage Beyond". Präsentiert wird der Film im Originalton mit deutschen Untertitel. Damit bleibt von der Trilogie nur noch "Glory to the Filmmaker", der in Deutschland auf eine Lizenz wartet.


     

Kitanos Coming of Age Tragikomödie trägt den Titel einer nicht ganz unumstrittenen antiken griechischen Theorie des Philosophen Zenon von Elea. Diese besagt, lässt man einer Schildkröte etwas Vorsprung, wird ein menschlicher Athlet diese niemals einholen können.
Genau diese mathematische Theorie ist der Kernpunkt in Kitanos Film. Erzählt wird die Geschichte des künstlerisch begabten Jungen Machisu Kuramochi. Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes, lebt der Junge in seinem Heimatdorf in einer Wohlfühloase. Das malen ist die große Leidenschaft von Machisu, etwas anderes interessiert ihn kaum. Selbst seine Umgebung um ihn herum scheint er nicht groß wahrzunehmen. Als eines Tages die Firma der Kuramochis pleite geht und die Familie vor dem sozialen Offenbarungseid steht, begeht sein Vater gemeinsam mit seiner Konkubine Selbstmord. Seine Stiefmutter, die Machisu verspricht, ihn bald wieder abzuholen sobald sich die finanzielle Lage gebessert hat, bringt den Jungen zum verarmten Bruder und seiner Frau des verstorbenen Ehemannes, der jedoch weder für seinen Bruder, noch für dessen Sohn etwas übrig hat und den unerwünschten Gast schnell wieder loswerden will. Als auch noch die Stiefmutter eines Tages den Freitod wählt, Onkel und Tante mit dem introvertierten Jungen überfordert sind, landet er in einem Heim. Erzählt wird in 3 Lebensabschnitten das Leben von Machisu, der seinen Traum, einmal ein großer Künstler zu werden, nie aufgegeben hat.

Im Gegensatz zu den beiden sehr abgedrehten Vorgängern "Takeshi's" und "Glory to the Filmmaker" ist "Achilles und die Schildkröte" erst einmal ein großer Stilbruch. Emotional gesehen ist der Film eine wilde Achterbahnfahrt zwischen Drama, Kunst und einem teils sehr makaberen Humor. Kitanos typische Situationskomik ist auch in "Achilles und die Schildkröte" dauerhaft präsent. Unglaublich einfühlsam erzählt Kitano die Geschichte eines Mannes, der sein ganzes Leben den großen Durchbruch schaffen will, ihm aber immer wer einen Schritt voraus ist. Der Zerfall von Machisu und alles, was er noch besitzt, wird mit jedem Abschnitt seines Lebens deutlicher. Selbst seine Familie für die Kunst zu opfern, scheint für ihn eine kleine Sache zu sein.

"Achilles und die Schildkröte" ist keine Autobiografie. Die Geschichte um Machisu Kuramochi basiert auf Fiktion, enthält aber viele Andeutungen zu Takeshi Kitano als Filmemacher und als Mensch. Seine große Leidenschaft gegenüber der Kunst ist natürlich unschwer zu erkennen. Alle im Film präsentierten Bilder (und das sind eine ganze menge) wurden von Kitano persönlich gemalt. Seine abstrakte, teils aber wunderschöne Kunst ist den ganzen Film über präsent. Obwohl Kitano selbst ein Multitalent ist, greift er hier nicht auf alte Klischees zurück und zeigt den Werdegang eines Mannes, der am Ende des Filmes den Olymp seines Könnens erreicht, sondern die Geschichte eines Mannes, der in allen Lebenslagen regelrecht naiv scheitert und dem großen Durchbruch nicht einmal ansatzweise nahe war.




Der etwas ältere Machisu (zweiter im Film gezeigter Lebensabschnitt) wird von Yurei Yanagi (Foto) gespielt. Nach 18 Jahren kommen Yanagi und Kitano wieder filmisch zusammen, denn er spielte bereits 1990 in Kitanos "Boiling Point" die Hauptrolle. Kitano selbst ist erst im dritten und letzten Abschnitt des Filmes zu sehen (als ein Machisu im reifen Alter, mittlerweile kommt er mehr einem Narren gleich der immer noch das Leben eines ambitionierten Künstlers lebt und nicht bemerkt hat, dass sein großer Traum sich niemals erfüllen wird). Wie bei Kitanos Filmen üblich, ist das "Office Kitano" Ensemble, wenn auch nur in kürzeren Gastrollen, wieder einmal vereint. Ob Ren Osugi als cholerischer Onkel, Suzumu Terajima als schmieriger Yakuza oder aber Yoshiyuki Morishita als männliche Prostituierte, sie alle sind gern gesehene Gäste.

Für den ruhigen, aber sehr melodischen Soundtrack war auch hier schon nicht mehr Joe Hisaishi zuständig (Die Zusammenarbeit zwischen Kitano und Hisaishi endete nach Dolls) , sondern die wundervolle Yuki Kajiura (.hack//SIGN, Puella Magi Madoka Magica), die hier sogar mal einen für sie recht untypischen Soundtrack abliefert. Größtenteils ist die Musik im Film unauffällig, trägt aber, wenn präsent, herrlich zur Atmosphäre bei.



Resümee

Bei "Achilles und die Schildkröte" scheidet sich Kitanos Fangemeinde. Viele fanden einen schweren Zugang zur "Kunst-Thematik" des Filmes. Wieder andere hätten sich über einen Zweiteiler mehr gefreut (was für die Qualität des Filmes spricht). Über 8 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist man sich aber mittlerweile recht einig, was die Qualitäten von "Achilles und die Schildkröte" angeht. Er fügt sich in Takeshi Kitanos Filmografie genau so wundervoll ein, wie all die Filme zuvor. Meine erste Sichtung des Filmes hatte ich bereits vor einigen Jahren und konnte damals den Film noch nicht wirklich zuordnen. Bei meiner neusten Sichtung von vor einigen Tagen entfaltete sich der Film, auch noch dank Blu-ray Power, wie eines der Gemälde, die im Film präsentiert werden. Man braucht eine weile, bis man alle Details erkennt, aber je öfter man das Gemälde betrachtet, desto mehr nehmen unsere Sinne wahr.

Gewiss ein Film, gemacht für ein kleineres Publikum, aber wieder einmal ein Juwel für Freunde japanischer Filmkunst und der etwas ruhigeren Gangart. Eine Tragikomödie mit teils bitterböser Situationskomik, die niemand anders als Takeshi Kitano so brillant umsetzen könnte.


Soundtrack: Main Theme

Freitag, 3. Juni 2016

Bei Mail - Aufziehvogel!




Am 25. Mai hatte ich es bereits erwähnt, nun folgt der dazugehörige Einwurf. Seit langer Zeit spielen in einem neuen Beitrag von mir Bücher und Filme einmal keine Rolle, dafür aber ein nicht unbedingt weniger wichtiges Thema.

Einer der Gründe, wieso im Mai eine regelrechte Beitrags-Flaute herrschte hat mit einem bestimmten Gespräch zu tun. Ich wurde von einem Leser (der selbstverständlich namentlich nicht genannt wird) per Facebook kontaktiert, gewisse Beiträge zu entfernen, die seine Person betreffen. Damals hatte ich mir fest vorgenommen, keine Beiträge zu löschen und alles zu archivieren. Nach reichlicher Überlegung viel es mir jedoch nicht schwer, besagte Beiträge und einen weiteren, der nichts mit diesem Thema zu tun hatte, zu entfernen. Dies habe ich aus mehreren Gründen getan. Zum einen ist das Gespräch mit dem Leser sachlich und zufriedenstellend für beide Parteien abgelaufen, zum anderen fiel es mir aber auch selbst nicht schwer, mich von besagten Beiträgen zu trennen (die bereits über 4 Jahre alt waren). Jene Beiträge existierten nur noch aus nostalgischen Werten, die die Anfänge meines Blogs eigentlich gut wiedergaben. Etwas rebellisch verfasst, eine absolut mangelhafte Wortwahl und ein Konzept, welches unlängst nicht mehr zu "Am Meer ist es wärmer" 2016 passt. Die Entscheidung, mich von 3 Postings zu verabschieden war also kein besonders großes Opfer.

Der Austausch mit dem Leser gab mir jedoch zu denken und ich beschloss, den Blog-Betrieb zumindest für Mai einzuschränken. Ich habe mich also dazu entschlossen, fortan eine eigene Sektion für den Kontakt bereitzustellen (unter dem Header zu finden). Ich werde es daher direkt in diesem Beitrag verkünden, ich werde keine weiteren Chat-Anfragen über meinen privaten Facebook-Account mehr annehmen. Die Gründe dafür sollten relativ offensichtlich sein, möchte es aber dennoch erklären. Privatsphäre ist wichtig, auch ich bin privat neben meinem Blog-Projekt Online unterwegs. Diese Privatsphäre möchte ich dementsprechend bewahren. Wer sich also die Mühe macht, mich über Facebook zu suchen, es irgendwie schafft, mich zu kontaktieren, der wird vergeblich auf eine Reaktion meinerseits warten.

Eine eigene Sektion für den Kontakt einzuführen hielt ich jedoch für wichtig. Egal ob positives Feedback (was ich häufig über Twitter erhalte und die Plattform sich für kleine Danksagungen ausgezeichnet eignet) oder scharfe Kritik, Kontakt mit dem Betreiber ist wichtig. Wer diese Möglichkeit zur Kontaktaufnahme nutzen möchte, hat dementsprechend die Möglichkeit über E-Mail und/oder Twitter dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Besonders bei Kritik zu bestimmten Beiträgen (oder fehlendem Twitter-Account) eignet sich eine ausführliche Mail vermutlich am besten. Jedoch bleibt es jedem selbst überlassen, welche dieser beiden Methoden zur Kontaktaufnahme er wählt.

Als privater Blogger werde ich auch weiterhin meine Beiträge unabhängig und offen verfassen und habe nicht vor, mich fortan einzuschränken. Allerdings habe ich mich als Blogger auch weiterentwickelt und kann mittlerweile besser als vor 5 Jahren einschätzen, welche Beiträge es wert sind, auf "Am Meer ist es wärmer" veröffentlicht zu werden und welche nicht.

Ich möchte mich bei allen Lesern bedanken, die diesen Beitrag aufrichtig gelesen und aufgefasst haben.


Ein schönes, hoffentlich sonniges Wochenende wünscht,
Aufziehvogel

Donnerstag, 2. Juni 2016

Review: The Perfect Insider




PV (Japanisch)




Japan 2015

The Perfect Insider
Originaltitel: Subete ga F ni Naru
Vorlage (Roman): Hiroshi Mori
Regie: Mamoru Kanbe
Designs: Inio Asano
Studio: A1-Pictures
Sprecher: Yasuyuki Kase, Atsumi Tanezaki, Ibuki Kido usw.
Episoden: 11
Verleih: Kostenlos, legal und mit deutschen Untertitel im Stream bei Crunchyroll* und ab 05. August im Heimkino bei Universum Anime
Genre: Mystery, Krimi
FSK: Ab 12


Für viele dürfte "The Perfect Insider" ein vollständig neues Werk sein. In Japan ist die leicht futuristisch angehauchte Agatha Christie trifft Edgar Wallace und Arthur Conan Doyle Geschichte aber schon seit Mitte der Neunziger bekannt. Die gesamte Geschichte basiert auf einen Roman, den (das etwas von sich eingenommene) Multitalent Hiroshi Mori 1996 veröffentlicht hat, bereits 2001 als Manga, 2002 als Videospiel (Visual Novel) für die PlayStation und Ende 2014 als Live-Action TV-Drama umgesetzt wurde. Nun haben die kreativen Köpfe von A-1 Pictures "Subete ga F ni Naru", so der japanische Originaltitel der sich ungefähr in "Alles wird F" übersetzen lässt, eine Anime-Adaption spendiert. Die 11 teilige Serie lief in Japan zwischen Oktober und Dezember 2015. Aktuell kann man die Serie auch mit deutschen Untertitel via Stream auf Crunchyroll schauen oder man wartet auf eine deutsch synchronisierte Fassung fürs Heimkino, die Universum kurz nach der AnimagiC im August veröffentlichen wird.

Hinterlassen hat die Serie eine sehr geteilte Zuschauerschaft. Einige finden "The Perfect Insider" zu ambitioniert, einigen anderen waren zu viele Fragen nach dem Finale offen geblieben, wiederum andere, und dazu zähle ich mich, konnten "The Perfect Insider" einiges abgewinnen. In 11 Episoden wird eine klassische "Murder Mystery in a locked room on a remote island" Geschichte erzählt. In einer relativ unspektakulären, teils konfusen ersten Episode nimmt der erste Fall der beiden Hauptakteure, dem Professor für Architektur Sohei Saikawa und der Studentin Moe Nishinosono seinen Lauf. Nishinosono ist die Tochter von Saikawas ehemaligem Mentor, der gemeinsam mit seiner Frau bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Als mittlerweile 19 jährige junge Frau gelingt Nishinosono etwas, was in den letzten 15 Jahren keiner anderen Person gelungen ist; ein Interview (wenn auch nur per Videoschaltung) mit Shiki Magata, einem Wunderkind unter den Programmierern. Als Teenager ermoderte sie kaltblütig ihre Eltern, wurde von der Regierung aufgrund Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen und verbarrikadierte sich anschließend ungezwungen in einer unterirdischen Behausung im Forschungslabor ihrer Eltern, wo sie eine künstliche Intelligenz entwickelte. Shiki Magata findet gefallen an der Genialität von Nishinosono. Nach dem Interview mit Magata schlägt Nishinosono ihrem Professor vor, den Campingausflug auf die Insel zu verlegen, auf der sich die Forschungseinrichtung von Magata befindet. Saikawa gibt nach einiger Bedenkzeit sein Ok und die Gruppe reist gemeinsam zur Insel. Auf der isolierten Insel angekommen, nimmt in der ersten Nacht das Unglück bereits seinen Lauf.




Nach der ersten Episode, die nicht unbedingt sehr dau einlädt, die Serie weiterzuverfolgen, nimmt bereits ab Episode 2 "The Perfect Insider" erheblich an Fahrt auf. Viel Zeit kann man sich bei nur 11 Episoden auch nicht lassen. Man sollte sich daher von der Langatmigkeit der ersten Episode ganz sicher nicht abschrecken lassen. Was folgt ist nicht nur ein kurzweiliger Anime, was ich bereits erwähnt habe, sondern auch eine spannende und visuell ansprechende Serie. Besonders aus der Sicht der Inszenierung ist "The Perfect Insider" ein echter Hingucker. Verdanken hat man dies unter anderem den Designs von Mangaka Inio Asano, desssen Zeichnungen erstmals in einem Anime zum Leben erweckt wurden. Wie üblich bei Asanos Werken legt er bei seinen Character-Designs den Fokus auf realistische Gesichter/Gesichtszüge und Proportionen. A1- Pictures hat gute Arbeit darin geleistet, den speziellen Stil umzusetzen, wenn auch die Zeichnungen aus Asanos Portfolio einzigartig bleiben und nicht kopiert werden können.

Für die Inszenierung der mysteriösen Ereignisse war Mamoru Kanbe zuständig. Den dürften die meisten noch für die mehr oder wenige gelungene Adaption von Elfen Lied in Erinnerung haben. Bei "The Perfect Insider" hingegen hat Kanbe von der ersten bis zur letzten Episode alles richtig gemacht. Bei einer kurz gehaltenen Serie bleibt die Entwicklung vieler Charaktere etwas auf der Strecke. Einen großen Fokus legte man ganz besonders auf die wichtige wie tragische Geschichte von Shiki Magata. Etwas konfus wird es, sobald ab der zweiten Episode Flashbacks aus dem leben der jungen Magata gezeigt werden. Diese kommen so unerwartet, dass man meinen könnte, all die gezeigten Ereignisse spielen in der gleichen Zeitlinie. Nach kurzer Eingewöhnung kommt man mit dem Erzählstil jedoch relativ schnell zurecht. Einen nicht ganz so bedeutenden, aber immer noch relevanten Part nimmt auch immer noch das Verhältnis zwischen Saikawa und seiner Studentin Nishinosono und derer nicht minder tragischer Vergangenheit ein. Besonders auf die komplizierte Beziehung zwischen den beiden wird eingegangen, denn bereits in Episode 1 wird schnell klar, dass Nishinosono mehr für den jungen Professor empfindet. Der größte Teil von "The Perfect Insider" fokussiert sich allerdings auf das, was wirklich wichtig ist: Zwei äußerst bizarre wie mysteriöse Mordfälle, die gelöst werden müssen. Ich kann schon einmal so viel verraten, dass man sich für die endgültige Auflösung tatsächlich bis zur letzten Episode Zeit genommen hat. Zum miträtseln um die Aufdeckung der Tat ist man natürlich gerne eingeladen.

Dennoch hat "The Perfect Insider" aber auch noch einige Mängel im Gepäck. Im Gegensatz zu vielen anderen stört mich hier aber weniger die komplexe Handlung, die etwas kompliziert an einigen Ecken der Serie erzählt wird. Größtenteils sind es kleinere Patzer im Writing oder aber auch zu gut platzierte Zufälle für das Ensemble. Eine große Sünde hat man jedoch mal wieder in Sachen Fremdsprache begangen. Auf das große Problem japanischer Sprecher mit der englischen Sprache bin ich schon häufig eingegangen. In Episode 7, in einer Unterhaltung mit Seikawa und Shiki Magatas Schwester Miki, die aus den USA angereist ist, treibt man das sogenannte "Engrish" auf die Spitze. Die großartigen Sprecher Yasuyuki Kase und Yuuko Kaida verwandeln sich in Fünftklässler, die zum ersten mal längere englische Dialoge sprechen. Nicht nur klingt das Script in dieser rund fünf minütigen Szene improvisiert und schlecht verfasst, die ganze Szene nimmt eine unfreiwillige Komik an (welche ganz besonders durch die fehlende Musik- und Effektuntermalung noch intensiver wird), welche der angespannten Atmosphäre der Serie keinen Gefallen tut. Immer wieder packen die Japaner gerne solche Szenen in ihre Werke, die durch mangelnde Sprachkenntnisse der Autoren und der Synchronsprecher nicht richtig umgesetzt werden kann. Hier wird denke ich die kommende deutsche Synchronisation einen großen Vorteil haben, ob die deutschen Sprecher nun deutsch oder englisch in der besagten Szene sprechen werden, es wird eine große Verbesserung zu dem sein, was die japanische Originalfassung hier anbietet.






Abschließende Gedanken

"The Perfect Insider" macht nicht nur einen soliden Job, sondern sogar einen richtig guten. So gut, dass man sich wünscht, weitere Abenteuer der beiden Protagonisten zu sehen. In Japan hat es die Reihe von Saikawa und Nishinosono auf 9 Romane gebracht. Das gleichnamige Live-Action TV-Drama aus Japan bringt übrigens weitaus mehr aus den Romanen bekannte Fälle mit sich, als der hier besprochene Anime, der sich lediglich mit einem Fall (dafür jedoch ausführlich) beschäftigt.

Optisch ansprechend und spannend inszeniert weiß "The Perfect Insider" bis auf einige kleine Schönheitsfehler zu überzeugen. Eine weitere Staffel ist vermutlich nicht unrealistisch und sogar willkommen. Inhaltlich setzt die Serie auf Anspruch und verlangt eine menge Aufmerksamkeit ab und sollte besonders ältere Zuschauer ansprechen, die vielleicht von den aktuellen Entwicklungen im Bereich Manga und Anime weniger begeistert sind. Meinen Segen hat "The Perfect Insider" und ich kann die kurzweilige Serie allen Fans von Mystery und klassischen Krimis im Stile Edgar Wallace nur wärmstens empfehlen. Aber bitte, ihr großen Visionäre aus Japan, verzichtet auf die englische Sprache in euren Werken, ihr würdet besonders dem internationalem Publikum einen Gefallen tun.



*Crunchyroll: Zuschauer ohne Premiummitgliedschaft müssen Werbeunterbrechungen in den jeweiligen Serien hinnehmen.