Trailer
Japan 2008
Achilles und die Schildkröte
Originaltitel: Akiresu to kame
Regie: Takeshi Kitano
Musik: Yuki Kajiura
Darsteller: Beat Takeshi, Yurei Yanagi, Kanako Higuchi, Kumiko Aso, Ren Osugi, Susumu Terajima
Laufzeit: Circa 119 Minuten
Genre: Tragikomödie, Coming of Age, Arthouse
Deutscher Verleih: Capelight
FSK: Ab 12
Mit den "Tag 7 Reviews" soll etwas mehr Konstanz in die Veröffentlichung von Besprechungen aufkommen. Der siebte Tag in der Woche ist reserviert für eine Filmbesprechung. Was nun nicht bedeutet, dass tatsächlich jede Woche Sonntags ein neues Review zu einem Film Online gestellt wird (jeder Titel, der einen Auftritt hier erhält wird immerhin sorgfältig ausgewählt), aber man kann sich danach richten, neue Reviews zu Filmen wird es fortan immer an einem Sonntagabend geben.
Den Anfang für die neue Sektion macht ein Film von "Beat" Takeshi Kitano, der vielleicht sogar vielen Fans des Filmemacher kein Begriff ist. Zum einen hat dies etwas mit der reichlich späten Veröffentlichung in deutschen Gefilden zu tun, aber auch international wird Kitanos sogenannte, inhaltlich voneinander unabhängige "Surrealist Autobiographical Trilogy", die aus "Takeshi's", "Glory to the Filmmaker" und eben "Achilles und die Schildkröte" besteht, weniger bekannt sein als seine Werke, die er vor 2005 gedreht hat. Alle 3 Filme sind auf ihre weise einzigartig und gelungen, jedoch durch die Zugaben eines sehr surrealen Humors auch relativ schwer zugänglich und man kann sagen, unmöglich zu verstehen für Filmfans, die sich mit Kitanos Filmkunst und aber auch seinem privaten Werdegang vorher nie auseinandergesetzt haben. Etwas zum Leidwesen der drei genannten Filme gilt diese Trilogie etwas als Geheimtipp im Portfolio von Takeshi Kitano.
Tatsächlich sind schon 8 Jahre vergangen, seit "Achilles und die Schildkröte" in Japan seine Premiere feierte. Der deutsche Verleih Capelight, der sich seit "Outrage" um die Veröffentlichung von Kitanos Filmen bemüht, hat nach "Takeshi's" (zu finden als Bonusfilm auf Blu-ray im limitierten Mediabook zu "Dolls") nun auch "Achilles und die Schildkröte" gebracht, ebenfalls als limitierte Blu-ray Dreingabe im Mediabook von "Outrage Beyond". Präsentiert wird der Film im Originalton mit deutschen Untertitel. Damit bleibt von der Trilogie nur noch "Glory to the Filmmaker", der in Deutschland auf eine Lizenz wartet.
Kitanos Coming of Age Tragikomödie trägt den Titel einer nicht ganz unumstrittenen antiken griechischen Theorie des Philosophen Zenon von Elea. Diese besagt, lässt man einer Schildkröte etwas Vorsprung, wird ein menschlicher Athlet diese niemals einholen können.
Genau diese mathematische Theorie ist der Kernpunkt in Kitanos Film. Erzählt wird die Geschichte des künstlerisch begabten Jungen Machisu Kuramochi. Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes, lebt der Junge in seinem Heimatdorf in einer Wohlfühloase. Das malen ist die große Leidenschaft von Machisu, etwas anderes interessiert ihn kaum. Selbst seine Umgebung um ihn herum scheint er nicht groß wahrzunehmen. Als eines Tages die Firma der Kuramochis pleite geht und die Familie vor dem sozialen Offenbarungseid steht, begeht sein Vater gemeinsam mit seiner Konkubine Selbstmord. Seine Stiefmutter, die Machisu verspricht, ihn bald wieder abzuholen sobald sich die finanzielle Lage gebessert hat, bringt den Jungen zum verarmten Bruder und seiner Frau des verstorbenen Ehemannes, der jedoch weder für seinen Bruder, noch für dessen Sohn etwas übrig hat und den unerwünschten Gast schnell wieder loswerden will. Als auch noch die Stiefmutter eines Tages den Freitod wählt, Onkel und Tante mit dem introvertierten Jungen überfordert sind, landet er in einem Heim. Erzählt wird in 3 Lebensabschnitten das Leben von Machisu, der seinen Traum, einmal ein großer Künstler zu werden, nie aufgegeben hat.
Im Gegensatz zu den beiden sehr abgedrehten Vorgängern "Takeshi's" und "Glory to the Filmmaker" ist "Achilles und die Schildkröte" erst einmal ein großer Stilbruch. Emotional gesehen ist der Film eine wilde Achterbahnfahrt zwischen Drama, Kunst und einem teils sehr makaberen Humor. Kitanos typische Situationskomik ist auch in "Achilles und die Schildkröte" dauerhaft präsent. Unglaublich einfühlsam erzählt Kitano die Geschichte eines Mannes, der sein ganzes Leben den großen Durchbruch schaffen will, ihm aber immer wer einen Schritt voraus ist. Der Zerfall von Machisu und alles, was er noch besitzt, wird mit jedem Abschnitt seines Lebens deutlicher. Selbst seine Familie für die Kunst zu opfern, scheint für ihn eine kleine Sache zu sein.
"Achilles und die Schildkröte" ist keine Autobiografie. Die Geschichte um Machisu Kuramochi basiert auf Fiktion, enthält aber viele Andeutungen zu Takeshi Kitano als Filmemacher und als Mensch. Seine große Leidenschaft gegenüber der Kunst ist natürlich unschwer zu erkennen. Alle im Film präsentierten Bilder (und das sind eine ganze menge) wurden von Kitano persönlich gemalt. Seine abstrakte, teils aber wunderschöne Kunst ist den ganzen Film über präsent. Obwohl Kitano selbst ein Multitalent ist, greift er hier nicht auf alte Klischees zurück und zeigt den Werdegang eines Mannes, der am Ende des Filmes den Olymp seines Könnens erreicht, sondern die Geschichte eines Mannes, der in allen Lebenslagen regelrecht naiv scheitert und dem großen Durchbruch nicht einmal ansatzweise nahe war.
Der etwas ältere Machisu (zweiter im Film gezeigter Lebensabschnitt) wird von Yurei Yanagi (Foto) gespielt. Nach 18 Jahren kommen Yanagi und Kitano wieder filmisch zusammen, denn er spielte bereits 1990 in Kitanos "Boiling Point" die Hauptrolle. Kitano selbst ist erst im dritten und letzten Abschnitt des Filmes zu sehen (als ein Machisu im reifen Alter, mittlerweile kommt er mehr einem Narren gleich der immer noch das Leben eines ambitionierten Künstlers lebt und nicht bemerkt hat, dass sein großer Traum sich niemals erfüllen wird). Wie bei Kitanos Filmen üblich, ist das "Office Kitano" Ensemble, wenn auch nur in kürzeren Gastrollen, wieder einmal vereint. Ob Ren Osugi als cholerischer Onkel, Suzumu Terajima als schmieriger Yakuza oder aber Yoshiyuki Morishita als männliche Prostituierte, sie alle sind gern gesehene Gäste.
Für den ruhigen, aber sehr melodischen Soundtrack war auch hier schon nicht mehr Joe Hisaishi zuständig (Die Zusammenarbeit zwischen Kitano und Hisaishi endete nach Dolls) , sondern die wundervolle Yuki Kajiura (.hack//SIGN, Puella Magi Madoka Magica), die hier sogar mal einen für sie recht untypischen Soundtrack abliefert. Größtenteils ist die Musik im Film unauffällig, trägt aber, wenn präsent, herrlich zur Atmosphäre bei.
Resümee
Bei "Achilles und die Schildkröte" scheidet sich Kitanos Fangemeinde. Viele fanden einen schweren Zugang zur "Kunst-Thematik" des Filmes. Wieder andere hätten sich über einen Zweiteiler mehr gefreut (was für die Qualität des Filmes spricht). Über 8 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist man sich aber mittlerweile recht einig, was die Qualitäten von "Achilles und die Schildkröte" angeht. Er fügt sich in Takeshi Kitanos Filmografie genau so wundervoll ein, wie all die Filme zuvor. Meine erste Sichtung des Filmes hatte ich bereits vor einigen Jahren und konnte damals den Film noch nicht wirklich zuordnen. Bei meiner neusten Sichtung von vor einigen Tagen entfaltete sich der Film, auch noch dank Blu-ray Power, wie eines der Gemälde, die im Film präsentiert werden. Man braucht eine weile, bis man alle Details erkennt, aber je öfter man das Gemälde betrachtet, desto mehr nehmen unsere Sinne wahr.
Gewiss ein Film, gemacht für ein kleineres Publikum, aber wieder einmal ein Juwel für Freunde japanischer Filmkunst und der etwas ruhigeren Gangart. Eine Tragikomödie mit teils bitterböser Situationskomik, die niemand anders als Takeshi Kitano so brillant umsetzen könnte.
Soundtrack: Main Theme
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