Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 23. Juni 2016

Rezension: Pfaueninsel (Thomas Hettche)






Deutschland 2014

Pfaueninsel
Autor: Thomas Hettche
Taschenbuchausgabe: btb (Deutsche Erstveröffentlichung bei Kiepenheuer & Witsch)
Genre: Historischer Roman, Drama


"Und wieder hörte sie die sanfte helle Stimme direkt neben sich.
>>Da begegnet ihm einer, der ist nur daumenlang und so klein, daß der in einem Blatt schwimmt. In einer Hand hat er ein Näpfchen und in der anderen einen Griffel. Den steckt er immer wieder ins Meer und läßt davon Wasser in den Napf triefen. Und wenn der Topf voll ist, gießt er ihn aus und fängt wieder von vorn an.<<
Die Mutter drehte sich erzürnt um, und ihre hellen Wangen flackerten rot vor Scham.
>>Gustav! Sei still!<<
Überrascht hörte Marie sich selbst zornig antworten: >>Und? Was soll da schon dabei sein?<<
>>Der Däumling<<, erzählte der Kleine weiter, >> erklärt dem heiligen Brandaen, ihm sei vom lieben Gott auferlegt, das Meer zu messen bis zum jüngsten Tag.<<
>>Gustav!<< sagte die Mutter noch einmal, kam an den Tisch und legte Marie entschuldigend eine Hand auf den Scheitel. Dieses Wort hatte sie noch nie gehört. Was ist das: ein Däumling? Bin ich das?: eine Däumlingin vom Ende der Welt? Es dauerte sehr lange, bis sie sich getraute, den Jungen anzusehen, und immer, wenn sie später an jenen Moment zurückdachte, erinnerte sie sich daran, wie freundlich Gustav sie angelächelt hatte."
(Aus: Pfaueninsel, Thomas Hettche)


Seit einer langen Zeit habe ich eine Rezension zu "Pfaueninsel" von Thomas Hettche geplant, die Lektüre selbst ist aber keine einfache Bettlektüre zur Entspannung vor dem zubett gehen, sondern ein relativ komplexes Werk, welches mich einige Zeit gekostet hat, mich mehrmals beinahe zur Aufgabe zwang und ich dennoch versöhnlich von der Pfaueninsel heimkehrte. Den Roman einem Genre zuzuordnen ist verdammt schwierig. Hier vermischen sich Fakten mit Fiktion und als Leser selbst wird man sich häufig fragen: "Ist das vielleicht wirklich alles so passier"?
Während Thomas Hettches Roman eindeutig Gebrauch von geschichtlichen Hintergründen macht, bleibt sein Roman natürlich hauptsächlich Fiktion. So liest sich Pfaueninsel manchmal sogar wie ein schönes, aber ach trauriges Märchen. Ein wenig vergleichbar mit den melancholischen Märchen von Oscar Wilde. Dennoch muss man gewappnet sein, auf was für ein literarische Reise man sich hier begibt.

Was genau ist die Pfaueninsel eigentlich? Ich weiß nicht ob sich bei mir eine riesige Wissenslücke aufgetan hat, aber die Existenz der Pfaueninsel, die in der Havel südwestlich von Berlin liegt, war mir nicht bewusst. Eine lange, bedeutende Geschichte steckt hinter diesem exotischen Ort. Die UNESCO fügte die Pfaueninsel sogar dem Weltkulturerbe hinzu. Auf dieser sagenumwobenen Pfaueninsel spielt die Geschichte von Thomas Hettche, der die alten Zeiten noch einmal aufleben lässt. Protagonistin der Geschichte ist das kleinwüchsige Schlossfräulein Marie. Bereits als junges Mädchen kam die körperlich eingeschränkte Marie Strakon mit ihrem Bruder Christian auf die Pfaueninsel, die zur damaligen Zeit bereits Waisen waren. Die Welt wie auch die Pfaueninsel stehen im Umbruch, das gleiche gilt auch für das Verhältnis zu kleinwüchsigen Menschen. Der Titel "Schlossfräulein" gleicht mehr Spott als Anerkennung. Die junge Dame und ihr Bruder werden auf der Insel, auf dem Könige und ihr Gefolge gastieren, als exotisches Wesen angesehen. Marie lernt mit der Zeit, wie die Menschen sie sehen und macht sich diese Eigenschaft auf mehrere weisen sogar zunutze. Viele Könige kamen und verließen die Pfaueninsel, doch Marie blieb. Thomas Hettche erzählt ihre Geschichte.

Immer wieder wird deutlich, für was ein Kuriosum Marie von den Bewohner gehalten wird. So stellt der Gärtner, der das Mädchen gerne hat, gleich mit einer verkümmerten Blume, die er gesund pflegen möchte. Teilweise in wunderschöner bildlicher Sprache verfasst und wie anfangs erwähnt, beinahe ein wenig märchenhaft inszeniert, erzählt Thomas Hettche die Geschichte des kleinen Individuums, die wohl bekannteste Bewohnerin der Pfaueninsel. Zwischen 1800 bis 1880 soll sie tatsächlich dort gelebt haben. 
Ich würde nicht so weit gehen, Pfaueninsel als ein deprimierend trauriges Buch zu bezeichnen. Der Geschichte haftet eine eher angenehme Melancholie an, was besonders dem bildlichen Sprachstil zu verdanken ist. Stilistisch wechselt sich der Roman ab zwischen historischem Roman und purer Fiktion.

Dennoch kann man sich auf der Pfaueninsel nicht so einfach niederlassen und es sich gemütlich machen, wie man vielleicht denkt. Auf dem ersten Blick fällt einem die relativ altertümliche Schreibweise mancher Begriffe auf. Für Leute, die das scharfe ß vermissen, könnte Pfaueninsel ganz besonders interessant werden. So haben wir es hier nicht mit dem "Schlossfräulein" zu tun sondern mit dem "Schloßfräulein". Mit der etwas seltsam klingenden Wortwahl kommt man jedoch schneller zurecht als man denkt. Leider hat Thomas Hettche aber auch einige Brocken an Fremdwörtern mit in die Geschichte hineingeworfen, die ich erst einmal nachschlagen musste. Die teils schwere Wortwahl hindert manchmal den Lesefluss. Nimmt sich Pfaueninsel denn zu wichtig? Dies möchte ich jedoch verneinen, der sprachliche Stil ist eindeutig so gewollt und passt auch zur Geschichte. Was nicht bedeutet, dass ich nicht hier und da mal ein paar langatmige Passagen entdeckt habe.



Resümee

2014 war Pfaueninsel für die Shortlist des deutschen Buchpreises nominiert, musste sich aber letztendlich "Kruso" von Lutz Seiler geschlagen geben. 
Bevor man sich den Roman zur Pfaueninsel vornimmt, sollte man vorher vielleicht ein wenig Recherche über diesen realen und doch so irrealen Ort betreiben. Danach kann man sich relativ entspannt an Thomas Hettches Roman wagen. Wer hier jedoch eine kurzweilige Liebesgeschichte erwartet, der wird wohl enttäuscht werden. Stattdessen sollte man Pfaueninsel in kleineren Abschnitten lesen und die phantasievollen Beschreibungen behutsam konsumieren. Am besten ein Gläschen Wein dazu und den Winter als Jahreszeit. Wenn man die Aspekte miteinbezieht in seine Unternehmungen, der wird einen angenehmen Aufenthalt auf der Pfaueninsel haben. Und wer besonders an den Sehenswürdigkeiten interessiert ist, kann das Schlossfräulein ja mal freundlich um eine kleine Besichtigungstour bitten.

2 Kommentare:

  1. Streiche immer mal wieder um das Buch herum, aber bislang bin ich noch nicht wirklich überzeugt, dass ich es brauche. Mal schauen, vielleicht findet es seinen Weg irgendwann zu mir ;)

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  2. Es ist wirklich schon sehr speziell, so viel kann ich dir schon einmal sagen :D
    Als ich die ersten Seiten las dachte ich mir, "geht das nun über 300 Seiten so?". Aber tatsächlich haftet Pfaueninsel doch etwas so schönes an, dass man es nicht bereut, das Buch gelesen zu haben. Wenn du es mal lesen solltest, unbedingt das Fazit mitteilen :)

    Liebe Grüße,
    Aufziehvogel

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