Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Freitag, 11. November 2011

Rezension: Hear the Wind Sing (Haruki Murakami)



Spoiler Warnung


Die Murakami Rezensionen 4


Die Trilogie der Ratte 1
Hear the Wind Sing


Autor: Haruki Murakami
Originaltitel: Kaze no uta o kike
Erscheinungsjahr: 1979 (Japan), 1987 (englische Übersetzung)
Verlag: Kodansha (English Library)
Übersetzung: Alfred Birnbaum
Genre: Slice of Life




I never saw the girl with four fingers on her left hand again. When I returned to the town that winter, she'd quit the record store and moved out of her apartment. Disappeared, leaving not a trace in the tides of men or the river of time.
When I'm back in town in summer, I always walk the same streets she walked, sit down on the stone steps of the warehouse, and gaze out to sea, all by myself. And just when I feel like crying, I never can.
That's how it goes.


Die Legende von Derek Heartfield.

Viele einsame Junggesellen fragen sich wahrscheinlich, wenn sie Murakami lesen, was muss dieser Mann schon alles mit den Frauen durchgemacht haben? Nur jemand der wahrlich die Leiden der Liebe kennengelernt hat wäre wohl in der Verfassung solch melancholische Texte über gescheiterte und vergangene Beziehungen zu schreiben. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Haruki Murakami heiratete bereits in jungen Jahren eine Kommilitonin. Im alter von 30 Jahren veröffentlichte er mit Hear the Wind Sing sein Debüt. Zu diesem Zeitpunkt war Murakami jedoch schon knapp 10 Jahre mit seiner Yoko verheiratet. Gemeinsam eröffneten sie die Jazz Bar Peters Cat. Nun, auch wenn er all diese Geschichten mit den mysteriösen Frauen nie wirklich erlebt hat, so bleibt Murakami jedoch ein Meister darin über die grausame Welt der Liebe zu schreiben.

Alles hat einen Anfang. Jede Karriere. Doch ob Schauspieler, Musiker oder Schriftsteller, ihre Anfänge geben sie nicht so gerne preis. Bruce Willis spielte zum Beispiel in seiner ersten Rolle einen Bösewicht in der Serie Miami Vice. Bei Murakami war das gar nicht so anders. Aufmerksam wurde man auf ihn erst durch Naokos Lächeln (Norwegian Wood). In Japan machte ihn diese Geschichte, die autobiografische Züge enthielt, zu einem absoluten Star. Aber bereits mit Wilde Schafsjagd wurde Murakami bereits im Westen bekannt. Die wenigsten wussten jedoch, und das gilt bis Heute so, das Wilde Schafsjagd der Abschluss einer Trilogie ist. Die Trilogie der Ratte. Diese Trilogie folgt einem namenlosen Ich Erzähler und einem Kommilitonen, Ratte. Die Trilogie kann unter anderem dem Coming of Age Genre zugeordnet werden. In Hear the Wind Sing erzählt der 30 jährige Erzähler eine Geschichte aus seiner Studentenzeit. zu diesem Zeitpunkt war er gerade mal 21 Jahre alt. Die Trilogie besteht, wie ich bereits ausführlich erwähnte, aus den Romanen "Hear the Wind Sing", "Pinball, 1973" und "Wilde Schafsjagd". Der letzte Roman "Tanz mit dem Schafsmann" schließt die Geschichte zwar endgültig ab, wird aber nicht mehr zur Trilogie der Ratte gezählt.

Hear the Wind Sing ist in allen Belangen ein wichtiges Buch. Murakami schrieb die Geschichte über vier Monate lang. Das Märchen ist eindeutig bekannt was ihn dazu bewegte diese Geschichte zu schreiben. Es war ein beeindruckender Schlag des amerikanischen Baseballspielers Dave Hilton. Murakami realisierte danach das er unbedingt ein Buch schreiben muss. Eine kuriose Inspiration. Auch war Murakami für ein Debüt schon recht alt (natürlich ist Dreißig längst kein Alter). Hear the Wind Sing beinhaltet auf 130 Seiten all das, was wir an Murakamis Stil so schätzen. Er entwirft unbekannte Sehnsüchte. Skurrile Situationen, gute Musik und Frauen sind auch dabei. Und gleichzeitig stellt der Roman auch noch eine Geburt dar. Boku (ein Thema worüber Jay Rubin bereits in Murakami und die Melodie des Lebens schreibt). Murakami entwirft einen namenlosen Ich Erzähler. Ein Stilmittel auf welches er eigentlich in keinem Roman bisher verzichtet hat. Eigentlich. In After Dark und 1Q84 finden wir Boku nämlich nicht (vermisst ihr ihn?). Boku taucht mal als namenloser Hobby Detektiv auf, mal als namenloser Lehrer der eine Reise zur Selbstfindung auf eine griechische Insel macht und auch mal als 15 jähriger Kafka Tamura. Wer Murakamis Werk bereits vorher verfolgt hat wird sich sofort heimisch fühlen.

Die für Murakamis Verhältnisse sehr kompakte Geschichte wurde damals im angesehenen Gunzo Magazin veröffentlicht. Damals noch unter dem Titel "Happy Birthday, and White Christmas". Hear the Wind Sing gewann den Gunzo Literatur Preis. Zudem wurde der Roman für den renommierten Akutagawa Preis nominiert (einen Preis den Murakami nie erhalten hat). Eine weitere Nominierung konnte er für den Noma Literary Newcomer's Prize verzeichnen. Doch bleiben wir kurz bei dem Akutagawa Preis. Ein Grund wieso Murakami nie diesen angesehenen Preis erhalten hat finden wir bereits in Hear the Wind Sing. Erstmals kann ich sagen das diese Geschichte sich extrem nach amerikanischer Literatur gelesen hat. Von Bier über die Beach Boys bis hin zu Coca Cola wird alles mögliche beschrieben was im Westen beliebt und gefragt zur damaligen Zeit war. Murakami ist inspiriert von der westlichen Literatur. Stellt der Akutagawa Preis doch aber das komplette Gegenteil dar. Hier hat die eher traditionelle japanische Literatur eine Chance.

Hear the Wind Sing dürfte etliche Fragen klären die man sich in Wilde Schafsjagd und Tanz mit dem Schafsmann gestellt hat. Wir lernen den Erzähler nun genau kennen. Genau so wie er eine Freundschaft zu der eigensinnigen Ratte aufbaut. Wie sie gemeinsam ihre Semesterferien an einer verschlafenen Küste verbringen und täglich in ihrer Stammbar bei J's literweise Bier vernichten. Der Erzähler berichtet über Ereignisse die ihm im Sommer 1970 widerfahren sind. Alles in einem Zeitraum von 19 Tagen. Er berichtet über seine Schulzeit, die Frauen mit denen er geschlafen hat und die Musik die er hört. Das er fasziniert ist von einem Autor Namens Derek Heartfield. Ein missverstandener, amerikanischer Autor der sich im Jahr 1938 vom Empire State Building stürzte (in der rechten Hand hielt er ein Portrait von Hitler, in der linken Hand hielt er einen Regenschirm). Mal erzählt unser namenloser Freund auch einfach über Gott und die Welt. Oder wie er eine Frau mit nur Vier Fingern an einer Hand kennengelernt hat. Unfassbar! Vier Finger. Eines Morgens wachte er verkatert in ihrer Wohnung auf. Zum Sex kam es nicht. Leider aber hat die gute einen solch üblen Kater das sie sich kaum an etwas erinnern kann. Die Frau mit den Vier Fingern ist die erste von Murakamis skurrilen und mysteriösen Frauen die wir treffen. Der Erzähler beschreibt sie als nicht hübsch, aber auch nicht hässlich. Sie ist bei weitem keine Schönheit. Doch ihr sonderbarer Charakter zieht ihn an. Wie Murakami selbst in seiner Jugend arbeitet sie in einem Plattenladen. Sie ist anfänglich nicht besonders nett. Allerdings baut sie immer weiter ein Vertrauen zu unserem Ich Erzähler auf, der, ohne das er es bemerkt, immer wieder in seltsame Situationen gerät.

Die surrealen Elemente halten sich in Hear the Wind Sing noch zurück. Es gibt einen seltsamen Anruf eines betrunkenen Radiomoderators. Fand ich sehr unterhaltsam diesen Dialog. Und solche Passagen gibt es immer wieder in Hear the Wind Sing zu lesen. Es kommt vor das einfach über die Melancholie des Lebens gesprochen wird. Murakami erschafft sich in der Geschichte ein kleines Utopia. Einen kleinen Garten Eden. Der beschriebene Ort im Buch scheint magisch zu sein. Das schwärmen des Erzählers über den Sommer löste unglaubliches Fernweh in mir aus. Es ist die Geschichte einer Person die langsam erwachsen wird, es aber eigentlich gar nicht will. Das Buch ist eine jener Geschichten worüber Schriftsteller Leif Randt am Haruki Murakami Abend im japanischen Kulturinstitut Köln gesprochen hat. Er sprach darüber das Murakami die großen Geschichten schreibe, während er selbst momentan über die kleineren Dinge schreibe. Aber genau diese kleinen Dinge sind es worum es in Hear the Wind geht. Ich bin noch immer sehr beeindruckt wie gut dieses Debüt geschrieben ist. Es ist eigentlich eine Schande das Murakami kein Interesse daran hat die Geschichte auch außerhalb Japans zu publizieren. Dabei liest man die Freude die er beim Schreiben hatte in so vielen Dialogen heraus.

Ein weiteres Phänomen stellt für mich der Autor Derek Heartfield dar. Bis zum Ende der Geschichte hielt ich Heartfield tatsächlich für eine Person die einst gelebt hat. Die Wahrheit ist aber das der Schriftsteller Heartfield eine fiktionale Figur ist. Geschaffen von Murakami. Ich suchte also wie verrückt nach der Geschichte über die Brunnen auf dem Mars (eine Kurzgeschichte von Derek Heartfield dessen Inhalt Murakami in Hear the Wind sing zusammenfasst). Über den jungen Mann der die Brunnen durchquerte und viele Dimensionen hinter sich lies. Ich war wahnsinnig begeistert von dieser Geschichte. Nun weiß ich das auch die Geschichte über die Brunnen auf dem Mars von Murakami persönlich stammt. Mit Derek Heartfield hat sich Haruki Murakami ein Alter Ego geschaffen. Eine Person zu der er aufschauen kann. Am Ende berichtet er das er sogar einst sein Grab in Ohio besucht hat. Alles deutet darauf hin das Heartfield wirklich existiert hat. Doch sucht man nach seinen Werken bei Amazon oder gibt seinen Namen in Google ein wird man schnell bemerken das es sich hier um eine ausgedachte Person handelt. Einen Autor namens Derek Heartfield hat es nie gegeben. Schon gar nicht stürzte er sich vom Empire State Building.

Das Ende von Hear the Wind Sing liest mich wie immer mit einem gewissen Wehmut zurück. Immer muss man am Ende von etwas Abschied nehmen. Seine Charaktere nehmen Abschied von einem Ort oder von Freunden. Der Leser nimmt Abschied von der Geschichte. Er lässt uns mit einer bereits von mir erwähnten Sehnsucht zurück. Auf gerade mal 130 Seite gelingt Murakami nicht nur ein grandioses Debüt, sondern er schafft es auch seine Magie auf uns zu übertragen. So manch etablierter Schriftsteller könnte hier sogar noch etwas lernen. In Murakamis Bibliographie nimmt Hear the Wind Sing einen überraschend wichtigen Platz ein. Es ist der Beginn einer Leidenschaft. Hier nahm alles seinen Anfang. Ich bin daher dementsprechend dankbar das ich dieses tolle Debüt nun endlich lesen konnte.



Wertung: 5 von 5 Dante (Ausgezeichnet)


Informationen zum Buch:

Lange Zeit waren sowohl Hear the Wind Sing als auch Pinball, 1973 vergriffen. Im Jahre 2010 veröffentlichte Kodansha in Japan eine Neuaflage im kleinen A6 Format. Beide Romane sind nun wieder in englischer Sprache erhältlich. Im Internet findet man die beiden Bücher auch noch im PDF Format. Da diese Ausgaben allerdings nicht lizenziert sind kann ich dafür auch keine Links bereitstellen.

Wer dennoch Interesse hat, beide Romane werden sehr häufig auf eBay angeboten. Natürlich komplett neu. Der Preis liegt bei 15 bis 20 Euro.

Direkt bestellen kann man die Bücher auch bei einer tollen japanischen Buchhandlung in Düsseldorf: Takagi 
Books (Auf Anfrage. Online Bestellung und Selbstabholung möglich).


Brook Benton: Rainy Night in Georgia

Donnerstag, 10. November 2011

150 Jahre Freundschaft zwischen Deutschland und Japan: Der große Haruki Murakami Abend


Haruki Murakami bleibt ein aktuelles Thema auf meinem Blog. So ist er auch in diesem Beitrag präsent. Doch war es diesmal nicht Murakami selbst der mich am Abend des 08 November faszinierte. Es waren seine Fans.

Das Literaturhaus Köln veranstaltete zu Ehren der deutsch japanischen Freundschaft (immerhin wurden vor genau 150 Jahren die ersten Handelsverträge zwischen Deutschland und Japan geschlossen) einen ganz besonderen Abend. Dieser fand im japanischen Kulturinstitut Köln statt. Hier passte einfach alles. Nicht nur eine langjährige Freundschaft wurde gefeiert, auch eine Ausstellung über das japanische Buchdesign der Gegenwart konnte bestaunt werden (was ich überraschenderweise sehr interessant fand. Fängt die Kunst der japanischen Literatur hier schon bei der Gestaltung des Covers und der Buchbindung an). Hauptthema an diesem Abend war jedoch Haruki Murakami. Das Thema: Wieso ist Haruki Murakami eigentlich so unglaublich erfolgreich im Westen? Was macht dieses Phänomen aus? Eine Frage die eigentlich schwerer zu beantworten ist als es den Anschein macht. Vielleicht ist sie sogar unmöglich zu beantworten.

Der gemütliche Saal war längst vor dem 08 November ausverkauft. Tickets konnte man sich nur im Literaturhaus Köln reservieren. Wer dann nicht das Glück hatte seinen Namen auf der Gästeliste zu finden, musste den Abend wohl leider vor geschlossenen Türen verbringen. Ein Glück, denn ich stand auf der Gästeliste des DuMont Verlages. Die immerhin diesen Abend mit organisiert haben. Viele Gäste kamen wohl aber auch noch in der Hoffnung, den großen Meister selbst an diesem Abend anzutreffen. Weit gefehlt. Murakamis Besuch in Berlin im letzten Jahr sollte etwas ganz besonderes darstellen. Gilt Murakami, wie so viele andere Schriftsteller, eher als Scheu was die Öffentlichkeit angeht (auch wenn sich dies in den letzten etwas Jahre geändert hat). Glück für diejenigen, die letztes Jahr in Berlin waren.

So fühlte sich die Veranstaltung etwas an wie der Spielfilm "I'm not there" von "Todd Haynes". Eine filmisch Biographie über Bob Dylan, ohne Bob Dylan. Und genau so war das dann auch im japanischen Kulturinstitut in Köln. Ein Abend über Haruki Murakami, ohne Haruki Murakami. Anzumerken wäre jedoch noch das Murakami selbst schon einmal im Institut anwesend war. Genau so wie Schriftsteller Kenzaburo Oe.
Allerdings gab es keinen Grund zur Enttäuschung. Die geladenen Gäste waren dafür ebenfalls mehr als vielversprechend.

Geleitet wurde die Diskussion einfach großartig von Hubert Winkels. Der Literaturkritiker aus Düsseldorf ist ein großer Bewunderer der japanischen Literatur und natürlich ein Fan von Murakamis Werk. Dazu gesellt haben sich Schriftsteller Leif Randt (welcher eine menge Lob für seinen aktuellen Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" einheimste), die Japanologin Lisette Gebhardt und, ein Gast worauf ich mich ganz besonders gefreut habe, Japanologin und Übersetzerin Ursula Gräfe. Ursula Gräfe hat nicht nur einen Großteil von Murakamis Werk ins deutsche übersetzt, ihr Name findet sich auch noch in zahlreichen anderen deutschen Publikationen japanischer Literatur. Den krönenden Abschluss machte Schauspieler Joachim Krol, dessen markante Stimme perfekt zu Murakamis Text passt. So stellte der Abend also eine Mischung aus Diskussion und Lesung dar, der abgerundet wurde durch ein kleines Konzert das Jazzpianistin Aki Takase.

Was an diesem Abend so besprochen wurde möchte ich zusammenfassen und kommentieren. Für alle die, die es nicht geschafft haben persönlich anwesend zu sein.

Eröffnung


Direktor Professor Kazuaki Tezuka eröffnet den Abend. Mit schwacher Stimme und extrem gebrochenem Deutsch wünscht er allen Anwesenden einen schönen Abend. Anschließend betritt eine der Veranstalterinnen des Literaturhaus Köln die Bühne und gibt ungefähr das gleiche wie Professor Tezuka wieder. Sie bittet die Gäste des Abends auf die Bühne.


Diskussion


Hubert Winkels stellt die Gäste vor. Japanologin Lisette Gebhardt gibt bekannt sie werde an diesem Abend nicht die Rolle der Sigrid Löffler einnehmen, sich aber Murakami kritisch gegenüber stellen und sich nicht zurückhalten. Gelächter unter den Gästen. Etwas zurückhaltender stellt sich der sympathische Leif Randt und die ebenfalls sehr sympathische Ursula Gräfe vor. Hubert Winkels kann sich einen Schmunzler auf Frau Gebhardts Anmerkung nicht verkneifen.


Professor Doktor Lisette Gebhardt, die mit ihrer Aussage über Sigrid Löffler ziemlich ins Fettnäpchen getreten ist, ist als Fachvertreterin an der Goethe Universität Frankfurt tätig. Der erste Eindruck kann trüben, doch mir kam sie ein wenig besserwisserisch rüber. Rechthaberisch. An ihrer Kompetenz will ich nicht zweifeln, allerdings kam sie mir doch neben Leif Randt und Ursula Gräfe etwas abgehoben vor. Das liegt nicht daran das sie an sich Murakamis Werk kritisch gegenübersteht, sondern daran das ihre Argumente teilweise sehr belanglos waren. Aber dies ist jedoch meine persönliche Meinung. Warum die nicht so prall ist, verrate ich im nächsten Teil.

Diskussion


Hubert Winkels stellt die Frage wie man den Erfolg von Haruki Murakami, besonders im Westen, erklären kann. Lisette Gebhardt sagt, Murakami sei der erste japanische Autor bei dem die Verlage erfolgreiches Marketing angewandt haben um auch Verkäufe außerhalb Japans zu erzielen. Ein Raunen ist im Publikum zu hören. Hubert Winkels fragt zurück: Aber irgendwo muss ja dann doch Literatur im Spiel gewesen sein, denn ganz ohne ist so viel Erfolg nicht möglich. Lisette Gebhardt schweigt. Einmal mehr ein Lachen im Publikum. Ursula Gräfe ist am Zug. Sie erzählt das Murakami für sie der westöstlichste Autor ist den sie kennt. Ein Autor der geschickt westliche und östliche Stilelemente miteinander vermischt, dabei aber nicht seine japanische Herkunft vergisst. Desweiteren wurde darauf eingegangen wie schwierig es ist die japanischen Texte ins deutsche zu übertragen.


Mein Kommentar soll natürlich nicht dazu gedacht sein über Frau Gebhardt zu lästern. Ich gebe alles so wieder wie es sich zugetragen hat. Ihre Meinung erntete zwar keine Buh Rufe, dafür aber ein wenig Hohn. Kein Wunder. Keiner der Besucher machte sich auf den Weg ins japanische Kulturinstitut um sich eine kritische Rede über Haruki Murakami anzuhören. Auch kam es mir so vor, als wolle sie auf Gedeih und Verderb etwas finden, was Murakami an diesem Abend schlecht dastehen ließ. Dazu haute sie auch noch den "Bata Kusai" Klassiker raus (eine abfällige Bemerkung für einen Japaner, der von etwas westlichem begeistert ist. ungefähre Übersetzung: Jemand der nach Butter stinkt). Alles ein alter Hut! Und immer wieder kann ich nur sagen, wenn man versucht Murakami und Oe miteinander zu vergleichen: Murakami ist ein Schriftsteller nach dem zweiten Weltkrieg. Oe fing zu Japans düstersten Momenten an zu schreiben. Zwei völlig unterschiedliche Generationen. Doch Murakami ist nicht weniger japanisch als Oe. Lediglich ist das Werk von Haruki Murakami weiter verbreitet als das des Nobelpreisträgers Kenzaburo Oe. Murakami ist in allen Belangen ein japanischer Autor.

Eine weiterer Punkt war die Übersetzung. Hubert Winkels verwechselte etwas und sagte das Ursula Gräfe "Gefährliche Geliebte" neu übersetzt hätte. Das war natürlich eine Fehlinformation (vielleicht gewollt?). Sowohl "Gefährliche Geliebte" als auch "Mister Aufziehvogel" liegen in Deutschland weiterhin "nur" in einer Übersetzung aus dem Englischen vor. Also basierend auf den Übersetzungen von Philip Gabriel und Jay Rubin. Ursula Gräfe sah das aber gar nicht so dramatisch wie es unter Fans immer dargestellt wird. Besonders die deutsche Übersetzung von "Mister Aufziehvogel" gefalle ihr. Da wäre noch so ein amerikanischer Touch in den deutschen Worten. Auf eine Frage von mir im letzten Jahr, oder besser gesagt eine Aussage, schrieb sie auf meinen Kommentar das sie die Übersetzungen von Jay Rubin sogar gerne lese. Lediglich Alfred Birnbaum sei ihr etwas zu pikant. Hoffe ich habe ihn nun nicht mit Philip Gabriel verwechselt.

Eine Neuübersetzung scheint jedoch auch nicht in Sicht zu sein. Das ist natürlich auch mit Kostengründen verbunden. Vermutlich würde es sich für den Verlag nicht einmal lohnen.

Die Diskussion ging weiter. Auf einen richtigen Nenner kam man bei dem Thema jedoch nicht. Man war sich aber sehr einig das Murakami wohl der wichtigste noch lebende, japanische Autor ist. Weiter ging es anschließend mit zwei Lesungen von Schauspieler Joachim Krol. Dieser las drei unterschiedliche Parts aus den ersten zwei Bänden von 1Q84 vor. Krol selbst merkte noch an das er Murakami sehr gerne lese.
Etwas zu kurz kam leider Leif Randt. Dieser fühlte sich glaube ich etwas unbehaglich in der Rolle eines "deutsche Murakamis". Auch er las noch etwas aus seinem hervorragendem neuen Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" vor. Am Bücherstand vom Literaturhaus Köln war der Roman an diesem Abend auch recht schnell vergriffen. Interessant war allerdings die Geschichte wie Leif Randt vor einigen Jahren Murakamis Werk kennengelernt hat. Er hatte Liebeskummer, und immer wieder kam er mit dem Roman "Naokos Lächeln" in Kontakt. Er las ihn, und war am Ende sogar eher weniger begeistert. Doch im laufe der Jahre lernte er das Werk von Murakami schätzen. Er machte aber auch klar das sein Stil etwas völlig eigenständiges ist. Was ich wirklich gut fand. "Während Murakami die ganz großen Geschichten erzählt, schreibe ich eher über die kleinen Dinge". So lautete ungefähr sein Zitat. Eine sehr bodenständige Bescheidenheit.

Natürlich waren knapp 2 Stunden sehr knapp bemessen. Aber was wäre eine angemessene Zeit um über Murakamis Werk zu diskutieren? Etwa 2 Tage? 2 Wochen? Wahrscheinlich hätten die Murakami Anhänger an diesem Abend auch noch die Nacht durchgemacht. Natürlich wurde noch einiges mehr bei der Diskussion besprochen. Doch grob zusammengefasst waren das einige wichtige Punkte die ich hier wiedergegeben habe.

Und wie kann ein Abend schöner enden als mit einigen Gläsern Wein und Reisbällchen? Man wurde vorzüglich bewertet. Und das auch noch alles auf Kosten des Hauses. Der Abend endete mit einem kleinen Konzert der Jazzpianistin Aki Takase. Diese spielte, so erfuhr man an diesem Abend, damals in Haruki Murakamis Jazzbar "Peters Cat". Ich habe den Abend bis zum Ende ausgekostet und fühlte mich sehr wohl. Die Reise von Dortmund nach Köln lohnte sich. Um die Atmosphäre perfekt wiederzugeben hätte man natürlich selbst anwesend sein müssen. Ich hoffe sehr das dies nicht der letzte solcher Abende war. Vielleicht ja dann wieder hier im viel zu vernachlässigtem NRW.

Mein Dank geht daher noch einmal an alle Veranstalter und alle anwesenden Gäste. Selbstverständlich ist damit auch Frau Lisette Gebhardt gemeint.