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Donnerstag, 6. Januar 2011

Taichi Yamada, Sommer mit Fremden: Eine melancholische Liebeserklärung an den Stadtroman



Die Yamada Rezensionen 1

Autor: Taichi Yamada
Originaltitel: Ijintachi to no natsu 異人たちとの夏
Erscheinungsjahr: 1987 (Japan), 2008 (Deutschland), Goldmann Verlag
Übersetzung: Ursula Gräfe, Kimiko Nakayama-Ziegler
Genre: Drama, Mystery


"Als wir in Tawara-Machi aus der aus der U - Bahn stiegen und die Internationale Straße entlanggingen, wurde mir bewusst, dass der Sommer endgültig vorbei war. Es stimmte mich ein wenig traurig. Auch in den Abgaswolken, die den Gehweg einhüllten, war die herbstliche Stimmung zu spüren. Sogar die Passanten bewegten sich anders als in der Hitze des Hochsommers. Mit dem Sommer waren auch meine Eltern und Kei entschwunden." - Hidemi Harada-

Ich glaube besser könnte es Taichi Yamada nicht ausdrücken. Egal wie oft wir so manch elend heißen Tag auch verfluchen, sobald sich der Herbst nähert, blicken wir alle voller Wehmut auf den Sommer zurück. Besonders in einer solch ungemütlichen Zeit wie in diesem kalten Winter hilft uns Yamadas Roman, sich schon wieder etwas auf den kommenden Sommer einzustellen, den wir alle so sehnsüchtigst erwarten.

In "Sommer mit Fremden" begleiten wir den achtundvierzig jährigen Ich-Erzähler Hidemi Harada. Harada, angekommen in einer Midlife Crisis resümiert sein Leben. Seiner Meinung war er seiner Frau kein guter Ehemann, seinem Sohn kein guter Vater. Als in die Jahre gekommener Drehbuchautor muss er sich um jeden Auftrag bemühen. Auf eigenen Wunsch hin trennt er sich von seiner Frau und reicht die Scheidung ein. Er hinterlässt ihr das Haus und sein Geld, er selbst lebt fortan in seinem ehemaligen Büro in einem einsamen Gebäudekomplex. Als ihn eines Abends sein Arbeitskollege und bester Freund Mamiya beichtet, das er seiner Ex-Frau ein Liebesgeständnis machen will, verliert Harada endgültig jegliche Freude am Leben. Von nun an ereignen sich seltsame Dinge in Haradas Umgebung. Er bemerkt das er nach Feierabend nicht die einzige Person ist, die in diesem Bürokomplex lebt. Er lernt Kei kennen, eine mysteriöse Frau die sich ihm als Nachbarin vorstellt. Und nach einem spontanen Trip in seinen Kindheitsort Asakusa, freundet sich Harada mit zwei Personen an, die seinen verstorbenen Eltern zum verwechseln ähnlich sehen. Harada zweifelt an seinem Verstand, und bemerkt dabei nicht in welch gefährlicher Lage er sich befindet.

Der Inhalt dieser knapp 200 Seiten starken Geschichte lässt noch nicht erahnen wie vielschichtig dieser Roman ist. Yamada präsentiert, wie es in japanischen Geschichten eine Spezialität ist, einen (Murakami ähnlichen) Ich-Erzähler. Angekommen an einem Punkt, wo er sich selbst auf dem Weg des Lebens verloren hat. Wie auch bereits bei Murakamis Erzählern, freundet sich der Leser sofort mit dem sympathischen Harada an. Man kann nachvollziehen was er durchmacht und nach welchen Sehnsüchten es ihn dürstet. Yamada braucht dazu nur wenige Seiten um uns diesen interessanten Charakter vorzustellen. Ähnlich wie Yamada selbst es eins war, ist auch sein Hauptcharakter ein Drehbuchautor. So verleiht er Harada auch teilweise autobiografische Züge.

Bereits nach wenign Abschnitten bemerkt der Leser, der so wunderbar geschmeidig von Harada durch die Geschichte geführt wird, das etwas nicht stimmt. Genau wie der Erzähler selbst fragt sich der Leser, ob es sich um die Realität oder um einen Traum handelt. Dabei geht Yamada sehr auf die Vergangenheit Haradas ein. Dieser verlor bereits im alter von zwölf Jahren seine Eltern, die von einem Laster erfasst wurden und starben. Er musste sich alleine durchs Leben kämpfen und meisterte diese Situation letztendlich auch. Dennoch ist immer wieder zu lesen wie sehr sich Harada nach seinen Eltern sehnt. Er war glücklich in den wenigen Jahren die er mit ihnen verbrachte. Auch Heute noch sehnt er sich nach elterlicher Zuwendung. In Asakusa trifft Harada einen Mann, der aussieht und redet wie sein Vater. Dieser Mann lädt ihn eines warmen Sommerabends einfach zu sich nach Hause ein. Wie in Trance folgt Harada dem Fremden zu seinem Haus. Dort lernt er auch dessen Frau kennen, und seine Befürchtung, vor die es ihm graute, bewahrheitet sich. Diese Frau sieht aus wie seine verstorbene Mutter. Alles bloß Zufall? Oder trifft Harada dort die ruhelosen Geister seiner Eltern? Harada versucht in dieser Situation noch logisch an die Geschichte ranzugehen. Völlig euphorisiert von dem Wiedersehen mit seinen Eltern trifft er daheim auf seine Nachbarin Kei, die er zuvor unhöflich abgewiesen hat. Harada entschuldigt sich bei ihr und lädt sie zu sich in die Wohnung ein. Doch scheint diese Frau nicht weniger von Rätseln umgeben zu sein wie jene Personen, die er in Asakusa kennenlernte.

Das große Thema in diesem Roman ist die Einsamkeit. Die Einsamkeit in einer riesigen Stadt. Harada fühlt sich verlassen in dem Betondschungel namens Tokio. Yamada gelingt eine unglaublich melancholische Stimmung zu erzeugen. Er verleiht diesem Stadtroman eine magische Atmosphäre. Wir wünschen uns natürlich ein Happy End für Harada. Doch hier kommen wie wieder bei Murakami an. Bereits nach der Hälfte des Buches wissen wir, das es ein solches Happy End nicht geben wird. Man fühlt es bereits längst bevor man die letzte Seite gelesen hat. Sind diese Leute in Asakusa wirklich Haradas Eltern? Wird er endlich die Liebe seiner Eltern bekommen nach der er sich schon so lange sehnt? Hat er mit der ebenfalls einsamen, dreinunddreißigjährigen Kei, eine Seelenverwandte gefunden? Wird er mit ihr glücklich werden? Oder ist vielleicht alles nur ein Traum oder eine Halluzination? Es gibt viele Fragen und Rätsel, bis am Ende dann die große Wendung die Geschichte beendet. Was nicht bedeutet, das Yamada auch alles beantwortet was man sich während des lesens so gefragt hat. Dies ist vielleicht auch der einzige Kritikpunkt. Viele Geheimnisse bleiben bewahrt, einige unlogische Dinge bleiben jedoch zurück. Da ich aber zu viel von der Geschichte verraten würde, werde ich nicht weiter auf diese Punkte eingehen. Allerdings trüben diese Punkte nicht den Gesamteindruck

Taichi Yamada ist ein Werk genau nach meinem Geschmack gelungen. Sein lockerer und leicht verständlicher Erzählstil, der dank der wunderbaren Übersetzung von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler so richtig zur Geltung kommt, entführt den Leser in eine surreale Welt. In "Sommer mit Fremden" geht es um die Einsamkeit, das Gefühl der Verlassenheit, Selbstzweifel, Liebe und natürlich Freundschaft. Besonders die Freundschaft ist es, die am Ende der große Sieger sein wird. Für alle Fans der japanischen Literatur ist Taichi Yamadas Roman Pflicht. Und das gilt natürlich auch für alle, die einmal etwas neues wagen wollen. Großartig.




Wertung: Fünf Dante (Sehr gut)

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