Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Samstag, 8. Januar 2011

Verfilmung: Ein unerwartet gelungenes Gruseldrama. Ijintachi tono natsu (Sommer mit Fremden)


Japan 1988
Roman: Ijintachi tono natsu (Taichi Yamada)
Regie: Nobuhiko Obayashi
Darsteller: Morio Kazama, Tsurutaro Kataoka, Kumiko Akiyoshi, Yuko Natori, Toshiyuki Nagashima
Laufzeit: 1:48:12 (Kein Abspann)

Alle Infos zum Roman und Inhalt der Geschichte findet man in meiner Rezension zu: "Taichi Yamada, Sommer mit Fremden"


Nach dem tollen Roman von Taichi Yamada war ich natürlich neugierig auf die Verfilmung zu "Ijintachi tono natsu". Doch da gab es gleich zwei Probleme:

1: Es ist eine Verfilmung
2: Ist dieser Film beinahe unauffindbar

In Japan selbst ist die DVD heutzutage eine Rarität. Glückliche Fügungen (das Internet) haben mich dennoch zu diesem Film gebracht.

Bei einer Verfilmung muss man prinzipiell davon ausgehen, enttäuscht zu werden. Bereits vorher sollte man seine Erwartungen deutlich zurückfahren. Ansonsten könnte man sich all die schönen Erinnerungen (wie Charaktere oder Umgebungen), die man sich während des Lesens ausmalte, ruinieren. Regisseur David Cronenberg sagte einst, während er William S. Burrough's Kultroman "Naked Lunch" verfilmte: Um einen Roman originalgetreu zu verfilmen, müsste man lediglich das Buch zur Hand nehmen und mit einer Kamera jede einzelne Seite aufnehmen.
Cronenberg entschied sich dafür die Verfilmung neu zu interpretieren um anschliessend eine alternative Version zu Burrough's Roman zu präsentieren. Keine schlechte Alternative. So wird es für Buch und Filmfans interessant.

Nach einer semi Enttäuschung wie "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 1" hatte ich auch an "Ijintachi tono natsu" keine Erwartungen. Schon gar nicht bei einer solch komplexen Vorlage. Bereits Regisseur "Hideo Nakata" entschied sich damals das schwer zugängige Werk von "Koji Suzuki's" Bestseller "Ringu" neu zu interpretieren. "Ijintachi tono natsu" ist da keine Ausnahme was die Komplexität angeht. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Bereits nach zwanzig Minuten packte mich der Film. Ich hatte ein unglaublich gutes Gefühl. Die Frage war nur, ob der Film dies auch bei knapp zwei Stunden Lauflänge schaffen würde. Und man kann sagen, Regisseur Nobuhiko Obayashi ist es gelungen, bis zum Finale eine tolle Adaption eines fantastischen Romans abgeliefert zu haben.
Der Regisseur versucht erst gar nicht seinen eigenen Stil zu präsentieren. Er dirigiert, genau so wie es ein Regisseur tun sollte, seine fantastischen Darsteller durch Yamadas Roman. Diese geben teilweise Dialog getreu das wieder, was ich noch vor einigen Tagen so aufrichtig gelesen habe.
Obayashi gelingen Dinge die ich in so vielen Verfilmungen vermisst habe. Während es bei modernen Verfilmungen nur noch um Effekte und die Umsetzung imposanter Szenen aus dem Roman geht, schafft es Obayashi all die kleinen Details umzusetzen, von denen ich mir immer wünsche, das sie es mit in den Film schaffen. Das fängt bei dem Dialog zwischen Harada und dem Zuhälter in Asakusa an und geht weiter mit der Taxifahrt als Harada seinen Kindheitsort wieder verlässt. Momente die es meistens nie in eine Verfilmung schaffen würden. Das gleiche gilt für die Szenerie. Alles läuft genau so ab und sieht so aus wie ich es mir beim lesen vorgestellt habe. Haradas Apartment zum Beispiel. Oder das Theater in Asakusa. Manche Szenen-Abläufe wurden beinahe schon peinlich genau wiedergegeben. Ganz im guten Sinne natürlich.

Doch für die tolle Leistung ist natürlich nicht nur der Regisseur verantwortlich. Die Darsteller runden das Werk erst ab. Obwohl das Buch von dem Ich-Erzähler Harada handelt, wurden selbst die Szenen in denen er alleine ist klasse umgesetzt. Harada fängt im Film nicht an selbstgespräche zu führen. Auch seine Kommentare aus dem Off halten sich sehr in Grenzen. Obayashi setzt die Momente mit Harada klever um. Schauspieler Morio Kazama ist es zu verdanken das er den Hidemi Harada so fantastisch verkörpert. Ich fand seine Darstellung einfach klasse als er, alleine, in getreuer Drehbuchautor Manier, Mamiyas Schauspiel nachahmte als dieser ihm klar machte er sei in seine Ex-Frau verliebt. Es wird vollkommen auf Off-Kommentare verzichtet. Kazama meistert es in dieser Szene grandios, die Enttäuschung und den Hohn Haradas, gegenüber seines Freundes Mamiya darzustellen. Ebenfalls zu erwähnen wäre Tsurutaro Kataoka in der Rolle von Haradas Vater Hidekichi. Er schafft es den Charakter genau so cool und lässig rüberzubringen wie im Original. Doch Lob muss ich an die komplette Besetzung aussprechen. Man freundet sich schnell mit den Charakteren und findet Sympathie für sie.
Als Soundtrack gibt es sowohl eigens für den Film komponierte Melodien, aber auch das für die Geschichte wichtige Stück von Puccini ist vertreten.

Großartige Änderungen bis auf Haradas Alter, der in dieser Verfilmung Ende dreißig ist, gibt es nicht. Harada wirkt am Anfang nicht ganz so mitfühlend wie im Roman. Man geht weniger auf seine Vergangenheit ein, was ein wenig verhindert die Handlungen dieses Charakters nachzuvollziehen. Mamiyas Beziehung zu Harada hingegen ist im Film wesentlich lockerer als im Roman. In den erweiterten Szenen die an Haradas Arbeitsplatz spielen wird dies sehr deutlich. Bis auf diese wenigen Ausnahmen hält der Film sich aber bis zum Finale, worauf ich gleich eingehen werde, ziemlich genau an Yamadas Roman. Ich wage es sogar zu behaupten das wahrscheinlich ausschließlich die Kenner des Romans, an diesem Film ihre Freude haben werden. Was eigentlich ziemlich selten ist. Sind es doch die Leser, die bei einer Verfilmung immer die benachteiligten sind.

Selbstverständlich hat der Film aber auch mit einigen Längen zu kämpfen. Einige Szenen werden etwas gestreckt. Dafür fehlen etliche Szenen zwischen Harada und Kei. Das gleiche gilt für den mentalen und körperlichen Verfall von Harada. Die Geister die ihm seine Lebenskraft aussaugen. Es kommt mir vor als wollte man sich lediglich auf das Verhältnis zwischen Harada und seinen Eltern konzentrieren. Die Szenen zwischen ihm und Kei lediglich als Nebenstory zu belassen. Es dürfte natürlich auch zu viel verlangt sein all das von weniger als zwei Stunden Spielzeit zu erwarten. Leiden musste darunter dann das Finale im Apartment. Dieses wurde nicht nur extrem abgestraft, sondern auch teilweise umgeändert. Kei handelt als böser Geist anders als im Roman. Sie ist einsichtiger und wünscht Harada für sein weiteres Leben viel Glück. Auch die komplette Hintergrundgeschichte, wie Mamiya und der Hausmeister das Rätsel um Kei aufdecken, fehlt beinahe komplett. Erst nach dem Showdown im Apartment hält sich Regisseur Obayashi wieder genau an den Roman. Die fehlenden Szenen vermisst man selbstversändlich schmerzlich als Kenner des Buches, jedoch wäre es einfach ungerecht dieser wunderbaren Verfilmung dies nun anzukreiden. Jeder der Yamadas Roman gelesen hat wird bei diesem Film sehr gut bedient werden.


"Ijintachi tono natsu" ist eine gelungene Verfilmung. Regisseur Obayashi hält sich detailgetreu an Taichi Yamadas Roman. Die Darsteller hätte man nicht besser auswählen können und ein melodischerSoundtrack untermalt die Szenen perfekt. Wer den Roman gelesen hat, wird belohnt. Auch Fans des japanischen Kinos können einen Versuch wagen. Für alle anderen dürfte dieses Werk eher zu lang und unverständlich wirken. Leider hat der Film auch die ein oder andere Länge. Der Showdown im Apartment wurde sogar noch verändert und abgestrafft. Dennoch muss man zugeben das man das möglichste getan hat, um eine Verfilmung so originalgetreu wie möglich umzusetzen. Als Gesamtwerk ergänzen sich Roman und Film super. So macht eine Adaption spaß. Davon bitte mehr.



Wertung: 4 Dante (Gut)

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