Ein Blick auf die Startseite dürfte dem Besucher der Seite folgendes verdeutlichen: Im Januar dreht sich bei mir alles um Japan und Filme. Eine Grundlage, auf die dieser Blog auch aufgebaut wurde. Wie versprochen folgt nun mein erstes von zwei Specials zum Thema Japanuary. In diesem Beitrag werden die ersten 4 von 8 Filme kompakt besprochen. Viel Spaß!
1.
Pulse (2001)
Originaltitel: Kairo
Regie: Kiyoshi Kurosawa
Genre: Mystery, Horror, Science-Fiction
FSK: Ab 16
Kiyoshi Kurosawa (nicht verwandt mit Akira Kurosawa) ist ein herausragender Filmemacher, der mit relativ einfachen Mitteln in seinen Filmen menschliche Dramen in einen packenden Mystery-Horrorfilm verwandeln kann. Kurosawa ist in Japan auch heute noch ein beliebter Regisseur, der viele neue Filme veröffentlicht. Im Westen hingegen hat man Versuche, sein komplexes Filmwerk zu veröffentlichen, beinahe komplett eingestellt. In Deutschland hat es bisher nicht einmal Kurosawas vermutlich bekanntestes Werk aus dem Jahr 2001 auf Blu-ray zu uns geschafft, "Pulse". Im Jahr 2006 brachte seinerzeit Splendid den Film in Deutschland erstmals auf DVD. Bei der britischen Blu-ray von Arrow Video, die der Verleih vergangenes Jahr veröffentlicht hat, handelt es sich vermutlich um einen DVD to HD Upscale als um ein Remaster. Zwar ist Bild und Ton eine Steigerung zur DVD, eine Offenbarung wird man hier aber nicht finden. Das Bild ist durchweg von Filmkörnung geprägt, überzeugt weder in den Innen- noch Außenaufnahmen besonders und der Gelbstich, dem der Film schon immer anhaftete, ist präsenter als je zuvor. Vermutlich ist hier aber auch das im letzten Artikel von mir erwähnte japanische Filmmaterial schuld, was zu dieser Zeit alles andere als hochwertig war.
Doch nun zum Film. Der japanische Titel von Pulse lautet "Kairo". Damit ist nicht die ägyptische Hauptstadt gemeint sondern übersetzt bedeutet dies soviel wie "Schaltkreis". Denn die Technik ist es, die das zentrale Thema im Film bildet. Verglichen zur heutigen Zeit war das Internet im Jahr 2000/2001 noch alles andere als ein Alltagsgeschäft. Die Charaktere im Film wählen sich noch mit einem Modem ein, um das WWW betreten zu können. Das Internet wird also als etwas exotisches präsentiert, etwas, was noch als relativ argwöhnisch angesehen wird. Und so ist es auch das Internet, was im Film für seltsame Vorkommnisse sorgt, die letztendlich zum Ende der Welt führen (auch wenn darauf am Ende nicht weiter eingegangen wird, wie es weitergeht). Stilistisch verbindet der Film Arthouse mit Mystery und Horror, driftet in der zweiten Hälfte aber auch in Science-Fiction Gefilde ab. Außerhalb Japans wurde Pulse gerne mal als Klon von Filmen wie "The Ring" oder "The Grudge" beworben, hinkt dieser Vergleich jedoch, sobald man sich den Film anschaut. Kurosawa setzt auf ruhige Töne. Die Bedrohung im Film wird nie richtig erklärt. Viele der Charaktere gehen eher als berüchtigte unzuverlässige Erzähler durch, die die Zuschauer mit ihren eigenen Theorien über Geister und Jenseits verwirren wollen. Eine genaue Erklärung zu den unheimlichen Geschehnissen in Pulse wird es nämlich nicht geben. Auf die ruhige Gangart von Pulse muss man sich einlassen können. Schafft man es, sich in den Film hineinzuversetzen, bekommt man auch im Jahr 2018 noch einen zeitlos unheimlichen Film geboten der nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird, und sehr zum nachdenken anregt. Bekannte japanische Gesellschaftskritik wie Einsamkeit, Isolation und Trauer ist eng mit dem Fortschritt der Technik verknüpft und Kiyoshi Kurosawa hat daraus ein beeindruckendes Gesamtpaket kreiert. Zurecht wurde Pulse viele Jahre später zu einem der einflussreichsten Horrorfilme aus Japan gekürt. Im Jahr 2006 folgte ein Remake aus den USA, welches von Presse und Zuschauer zerpflückt wurde und noch 2 Video-Fortsetzungen folgten.
2.
Loft (2005)
Originaltitel: Rofuto
Regie: Kyoshi Kurosawa
Genre: Mystery, Drama
FSK: Ab 12
Am ehesten kann man "Loft" mit Kurosawas TV-Spielfilm "Seance" aus dem Jahr 2000 vergleichen (ein wirklich sehr sehenswerter Film trotz des TV-Formats). Loft war nach Pulse Kurosawas zweiter Film der international sehr ordentlich vermarktet wurde. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen. Die Kritiken von Presse und Filmfans fiel aber weitestgehend ernüchternd aus. Bei meiner allerersten Sichtung des Filmes überhaupt vergangene Nacht kann ich mich der Kritik nur teilweise anschließen. Das größte Problem womit Loft zu kämpfen hat ist die relativ lange Laufzeit von 115 Minuten. Zu häufig gibt es Szenen, die stark in die länge gezogen wurden und in denen gar nichts passiert. Rund 10-15 Minuten an Ballast hätte man bei Loft abwerfen können, um den Film vielleicht etwas temporeicher zu machen. Aber genau das wäre nicht Kurosawas Stil. Langsam baut der Film Charaktere und Atmosphäre auf. Die Thematik des Films birgt eine menge an Potential und hat mir sehr gut gefallen. Übernatürliche Situationen gibt es in Loft dafür kaum. Viele der surrealen Szenen finden in Tagträume statt und die kryptische Erzählweise tut ihr übriges. An und für sich gesehen ist Loft aber weniger ein Horrorfilm als viel mehr ein gut durchdachtes Mystery-Drama. Die Geschichte um eine 2000 Jahre alte Mumie klingt auf dem Papier wesentlich kurioser als im Film tatsächlich umgesetzt. Kurosawa wählte eine perfekte ländliche Kulisse für den Film und hat einige sehr schöne Bilder eingefangen. Die allerletzten 20-30 Sekunden von Loft bescheren dem Zuschauer noch einmal ein Ende, welches definitiv in Erinnerung bleiben wird. Insgesamt hat mir Seance, der eine relativ ähnliche Thematik und den fast gleichen Stil besitzt, besser gefallen. Dennoch ist Loft durchaus sehenswert und kann durch seine Atmosphäre und einer schönen Cinematographie überzeugen.
3.
Suicide Circle (2001)
Originaltitel: Jisatsu sâkuru
Regie: Sion Sono
Genre: Independent Horrorfilm
FSK: Ab 18
Mit Suicide Circle von Sion Sono verbindet mich schon eine lange Geschichte. Ohne irgendwelche Vorkenntnisse bezüglich des Inhalts, sah ich den Film um 2003 herum mit ein paar Freunden im japanischen Original ohne Untertitel. Wir verstanden kein Wort und der Film war anders als alles, was wir je zuvor gesehen hatten. Trotz der Sprachbarriere übte der Film auf uns einen unglaublichen Reiz aus. Dafür waren überraschenderweise nicht einmal die teils drastisch blutrünstigen Szenen für verantwortlich. Es war der gesamte Film, der einfach alles so anders machte und somit diesen besagten Reiz ausübte. Für Regisseur Sion Sono, der sich in den vergangenen Jahren zu einen meiner liebsten Filmemacher mauserte, ist ein Film wie Suicide Circle keine Seltenheit. Eine ungewöhnliche Story verknüpft der Regisseur mit einzigartigen Charakteren. Bei Sion Sonos Filmen spielt außerdem ein origineller Soundtrack stets eine wichtige Rolle. In Suicide Circle wird dieser von der fiktiven Band "Dessart" dazugesteuert. Diese junge Idol Popgruppe scheint jedoch keine normale Mädchenband zu sein. Genau genommen scheinen sie der Drahtzieher einer Welle an mysteriösen Massenselbstmorden zu sein, die Japan in einem Zeitraum von 6 Tagen erwischt. Im Jahr 2005 brachte der deutsche Verleih I-On New Media den Film unzensiert nach Deutschland, was durchaus für eine Überraschung sorgte da Battle Royale zuvor mit ähnlicher Thematik mit großen Problemen in Deutschland zu kämpfen hatte (und erst seit einigen Monaten in Deutschland endlich unzensiert eine Freigabe besitzt). Bei meiner Sichtung von vor einigen Tagen bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass es bei Suicide Circle nichts ausmacht, ob es eine Sprachbarriere gibt oder nicht. Selbstverständlich sollte man den Film in einer Sprache schauen, die man versteht, aber zum Verständnis des Filmes wird auch die Muttersprache nichts beitragen. Ähnlich wie bei Kiyoshi Kurosawas "Pulse" erzählen die beiden Filmemacher aber eine relativ ähnliche Geschichte mit einer nahezu identischen Gesellschaftskritik. Genau wie auch der bereits erwähnte Battle Royale, entstanden alle 3 Filme in einem dicht angesiedelten Zeitraum von rund 2 Jahren.
Suicide Circle hat auch jetzt noch nichts von seiner seltsamen Faszination auf mich eingebüßt. Für mich ein Beweis dafür, den Film als persönlichen modernen Klassiker nennen zu können.
4.
Tag (2015)
Originaltitel: Riaru onigokko
Regie: Sion Sono
Genre: Avantgardefilm
FSK: Ab 16
Was Marketing angeht, so war der deutsche Verleih I-On New Media noch nie wirklich auf der Höhe. Die Zielgruppe von "Tag" dürfte laut dem Verlieh dann bei Fans von japanischen Splatterfilmen im Stile von "Stacy" oder "The Machine Girl" liegen. Genau so etwas möchte man dann auch mit dem Cover ausdrücken was per se nicht schlecht ist, aber einen Film verspricht, den der Zuschauer am Ende nicht zu sehen bekommt. Auch verschweigt man auf dem Cover den Regisseur und auch nur irgendeine Bemerkung, dass es sich hier um eine unzensierte Fassung handelt, erschienen 90% aller japanischen Splatterfilme während des Booms (ab 2005 aufwärts) in Deutschland trotz 18er Freigabe ausschließlich stark gekürzt. Ein genauer Blick in die Datenbank der FSK verrät jedoch, dass Tag unzensiert für Zuschauer ab 16 Jahren freigegeben ist und die FSK 18 Freigabe vom Verleih künstlich erzwungen wurde. Doch auch darüber hinaus bekleckert man sich nicht mit Ruhm. Untertitel für den O-Ton gibt es nicht, die deutsche Vertonung kann als durchaus solide angesehen werden, wäre die deutsche Tonspur in Sachen Qualität nicht so ein Graus. Alles in Allem werden Fans des Regisseurs wohl nicht auf den Film aufmerksam wenn sie ihn im Geschäft sehen und die angepeilte Zielgruppe wird vermutlich maßlos enttäuscht sein.
Auch Tag habe ich mir vergangene Nacht angesehen und war mehr als angenehm überrascht. Genau wie Loft kein reinrassiger Horrorfilm ist, ist Tag kein Splatterfilm. Was nicht bedeutet, dass es im Film zimperlich zugeht (eine "echte" 18er Freigabe wäre gar nicht mal so eine Überraschung gewesen). Tag selbst kann man schlecht einem Genre zuordnen, daher wird man nichts falsch machen, den Film dem Genre Avantgardefilm zuzuordnen (dem sogenannten Experimentalfilm). Tag bietet von Horror, Drama bis hin zu Exploitation einfach alles, was die Filmwelt so hergibt. Der wirre Plot wird am Ende auf die nur denkbar absurdeste weise aufgelöst, so, dass der geneigte Zuschauer diese Auflösung für extrem logisch ansehen wird. Still habe ich mir gedacht: "Ja, genau so muss dieser Film enden. Etwas besseres hätte dem Regisseur und Autor nicht einfallen können". Die Absurdität am Ende als einzige logische Erklärung anzusehen ist etwas, was sich derzeit im japanischen Film nur Sion Sono leisten kann, ein Mann, der in keinem Genre so wirklich daheim ist und die Filmkunst eines Takashi Miike aus den 90ern und frühen 2000ern mehr als würdig fortsetzt. Das Zusammenspiel zwischen Story, Charaktere und Musik macht auch Tag zu einem harmonischen Gesamtwerk, was aber vermutlich nur eingefleischte Fans des Regisseurs zu schätzen wissen werden. Nach dem eher kommerziellen (aber nicht weniger abgedrehten) "Tokyo Tribe" kehrte Sion Sono mit Tag zu einem Film zurück, den wohl nur die wenigsten genießen werden. Aber damit war er bei mir mal wieder genau an der richtigen Adresse.
Und damit endet Teil 1 des Japanuary. Teil 2 mit den vier verbleibenden Filmen Ryuzo and the Seven Hechmen, Ran, Haze und Blade of the Immortal (diesmal somit auch von vier verschiedenen Filmemachern) folgt in einem neuen Post am
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