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Mittwoch, 31. Juli 2024

Einwurf und Review: Deadpool & Wolverine: Sympathischer Schabernack

 


Dieser Artikel enthält Spoiler zu Deadpool & Wolverine. Weiterlesen auf eigene Gefahr!



Die Idee zu einer Live-Action-Adaption zu Deadpool & Wolverine ist vermutlich älter als das MCU (Marvel Cinematic Universe) selbst. Bereits vor einigen  Jahren erschien eine vermeintliche Post-Credits-Szene zu Logan*, die sich jedoch schnell als äußerst gelungener Fake entpuppte und aktueller gar nicht sein könnte: Die Szene zeigt Deadpool am Grab des verstorbenen Wolverine, der von den geretteten Kindern in Logan zu Grabe getragen wurde. Was hier als vermeintlicher Teaser für Deadpool 2 galt, ist nun praktisch der Auftakt zum dritten Deadpool Film, dem ersten im MCU. Ein wahrer Schelm, wer böses dabei denkt, dass dieser Fan-Teaser nicht die Inspiration für Deadpool & Wolverine war, den Film am Grab von Logan aka Wolverine zu starten.

Lange war unklar, ob dieser Film jemals zustande kommen würde und welchen Weg Disney hier einschlagen würde, die bis dato eine strikte PG-13 Politik verfolgten. Doch wie könnte Disney nach seiner Übernahme von 20th Century Fox ignorieren, dass Fox eben zwei der erfolgreichsten R-Rated Streifen aller Zeit in die Kinos gebracht hat?

Während sich das MCU nach Endgame in einer nicht enden wollenden Talfahrt mit gelegentlichen Hochs im Serienbereich befindet und nach seiner eigenen Identität sucht, setzten Disney und Produzent Kevin Feige alles auf eine Karte: R-Rated und viel Nostalgie-Bezug auf Filme, die rein gar nichts mit dem MCU zu tun haben. Mit dem Kinostart am 24.07 (deutscher Kinostart) endete eine langjährige Odyssee um einen Film, der mehr Legende und Damoklesschwert war als etwas, was für Fans der Comic-Antihelden wirklich greifbar war. Mit einem Budget von etwas über 200 Millionen Dollar hat der Film weltweit bereits knapp 500 Millionen Dollar eingespielt was ihn zum erfolgreichsten R-Rated Opening aller Zeiten macht.

Doch wie kann ein Film überzeugen, der nicht nur das MCU wieder auf Vordermann bringen sollte sondern zeitgleich auch auf das Erbe längst vergangener Filme eingehen sollte? Die Antwort darauf ist einfach; gar nicht. Man kann denke ich ganz entspannt sagen, Deadpool & Wolverine ist kein Film, der das MCU auf ein neues Level hievt und nach wenigen Minuten im Film wird klar, dass das niemals die Intention war. Etwas, was besonders vielen professionellen Kritiken sauer aufgestoßen ist und bei nicht wenigen für Hyperventilation sorgte. Der von Kritikern auserkorene heilige Gral, der das MCU nachhaltig verändern sollte, kocht letztendlich auch nur mit ganz bewährten Zutaten und genau diese Zutaten sind es, die diesen Film zu dem Feuerwerk gemacht haben, welches er ist. Zelebriert wird das Popcornkino, Toiletten-Humor und absurde Gewaltorgien, wie man sie unter Disneys hauseigenem Label so noch nicht gesehen hat. Und viel weniger wird hier das MCU zelebriert als viel mehr eine glorreiche Vergangenheit an Filmreihen, die unter den alten Besitzern nie einen wirklichen Abschluss fanden. Feige und Regisseur Shawn Levy konnten hier wahrhaftig aus einem *Pool* von Lizenzen an Marvel-Charakteren fischen. Eine regelrechte Lizenz-Angelei!

Während die Magazine den Film dafür abstraften, nicht die Chance wahrgenommen zu haben, sowohl Deadpool als auch die schon etwas länger in das MCU integrierten X-Men sinnvoller in den aktuellen Kanon einzubauen und neue Story-Arcs zu spinnen, entwickelte sich Deadpool & Wolverine binnen kürzester Zeit zu einem Publikumsliebling. Zu behaupten, der Film würde das MCU weitgehend ignorieren, ist übrigens, nur mal so gesagt, ebenfalls eine maßlose Übertreibung. Natürlich muss auch Deadpool & Wolverine Federn lassen wenn es um konfuse Multiversen geht die wiederum den Tod im MCU fast gegenstandslos machen sowie vielleicht 1-2 Meta-Gags zu viel vom Stapel gelassen werden, aber alle Verantwortlichen haben es dann doch geschafft, eine so unfassbare Harmonie und Synergie unter den vielen verschiedenen Charakteren zu erschaffen, dass die nicht so gelungenen Aspekte im Film in den Hintergrund rücken.

Die Hauptmission dürfte gewesen sein, Marvel mit Stil in die Kinos zurückzubringen. Diese Mission dürfte vollends gelungen sein. Nicht nur sprechen dafür die weltweiten Ergebnisse am Box Office, sondern allen voran auch die positiven Reaktionen der Fans, die Freude an dem Film hatten. Und das Wort "Freude" war im Bezug auf Marvel zuletzt etwas, was arg auf der Strecke geblieben ist. Der mutige Schritt, sich weniger auf das MCU als viel mehr auf Legacy-Charaktere zu fokussieren, war ungeheuer riskant.

Während IGN in einem kontroversen Video noch vor Kinostart dafür plädierte, dass die X-Men einen neuen Wolverine bräuchten und man sich nicht länger an die alten Charaktere klammern sollte, so beweist doch besonders das Duo Deadpool und Wolverine, zu welchen Schauspielern sich die Fans eines strauchelnden Filmuniversums hingezogen fühlen. Hugh Jackmans Bedingung, noch einmal in die Rolle zu schlüpfen, die ihm Weltruhm einbrachte, war dieser Film, dieses Duett mit Deadpool. In einem Film, wo es um Konklusion und Abschiede geht, so könnte es für Jackman als Wolverine tatsächlich der finale Schwanengesang gewesen sein. Eine Rolle, die seit exakt 24 Jahren von einem einzigen Schauspieler verkörpert wird, wird verdammt schwer zu ersetzen sein (besonders wenn man bedenkt, dass sämtliche X-Men Schauspieler bereits von mehreren Darstellern im laufe der Jahre gespielt wurden). Um vielleicht auch mal einen kleinen Tusch für das Video von IGN auszusprechen; vielleicht hat man es versäumt, zeitig auch andere Darsteller für die Rolle des Wolverine interessant zu machen. Nach dem Abgang von Sean Connery als James Bond (auch so ein "Never say Never Typ wie Jackman) hatte man schnell geschaltet, den legendären Charakter alle Jubeljahre auch von anderen Darstellern mit eigener Identität spielen zu lassen. Doch besonders Comicfiguren sind so verwurzelt mit ihren Darstellern, die sie zuerst gespielt haben, dass es schwierig ist, passenden Ersatz zu finden. Nicht umsonst feierte man in Spider-Man: No Way Home den endgültig letzten Auftritt von Tobey Maguire als Spidey sowie Wesley Snipes in seinem vermutlich ebenfalls letzten Auftritt als Daywalker Blade in Deadpool & Wolverine. Irgendwann einmal Ryan Reynolds (immerhin auch noch Produzent und Co-Autor des Films) als Deadpool ersetzen zu müssen, scheint ein kaum machbares Unterfangen zu sein.

Insgesamt mussten Fans viele Jahre auf Deadpool & Wolverine warten. Und noch mehr als zwei Jahrzehnte mehr, Wolverine in seinem ikonischen X-Men Dress bewundern zu dürfen. Trotz des Erfolges des Films ist die Zukunft des MCU weiterhin ungewiss. Feige ist sich bewusst, wie wichtig Identität und Wiedererkennungswert für so ein massives Franchise sind. Die Post-Avengers-Ära erwies sich als schwierig, besonders, wenn es um große Kinofilme ging. Dafür konnte man im Segment Serie mehr glänzen, was man vor allem WandaVision und Loki zu verdanken hat. Mit Kang als großen, übergreifenden Bösewicht und Thanos-Nachfolger (und Skandale rund um seinen Darsteller Jonathan Majors) landete man trotz Potential einen gewaltigen Fehltritt, den man nun wieder ausbügeln möchte. Ziel ist nichts geringeres, als weiterhin den Erfolg von Deadpool & Wolverine zu imitieren und die Kinokassen klingeln zu lassen. Auf der diesjährigen San Diego Comic Con hat Feige den Knaller gezündet: Für die beiden neuen Avengers Abenteuer holt man die Russo Brüder auf den Regiestuhl zurück und zaubert Iron Man Robert Downey Jr. als Marvels wohl bekanntesten Bösewicht Victor von Doom (Doctor Doom) aus dem Hut. Ein gefährliches (End)game und Ritt auf der Rasierklinge. Besonders an Star Wars hat man die letzten Jahre mehr als deutlich gespürt, wenn das teuflische Spiel mit der Nostalgie zum Verhängnis werden kann.

Aber die ungewisse Zukunft des MCU soll die Stimmung nicht trüben. Deadpool & Wolverine ist sympathischer Schabernack, wie man ihn schon länger nicht mehr im Kino geboten bekommen hat. Ein Film, dessen Ziel es nicht war, ein gesamtes Filmuniversum miteinander zu verbinden und auf neue Bahnen zu führen, aber vielleicht in einigen Jahren als der Film bezeichnet wird, der dieses Filmuniversum vor seiner endgültigen Bedeutungslosigkeit gerettet hat. Wenn dafür lange in Rente geschickte Superhelden, entstellte Hunde, ein zu den Backstreet Boys *NSYNC tanzender Deadpool, die eingeölten Männerbrüste von Wolverine und sogar die Hilfe von Madonnas Gebetssong nötig waren, dann hat sich das Risiko und der Aufwand dafür in jedem Aspekt gelohnt.



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Artikel: Aufziehvogel

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