Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Sonntag, 15. März 2015

Rezension: Japanische Jahreszeiten

(Foto: Aufziehvogel)



Japanische Jahreszeiten
Diverse Autoren
Erscheinungsjahr: Originalausgabe 1963, Neuauflage 2015 beim Manesse Verlag
Übersetzung: Gerolf Coudenhove-Kalegri
Genre: Lyrik

Erhältlich seit dem 09.03.2015


Von den Freunden, die
sich in holder Frühlingszeit
einst mit mir gefreut,
blieb mir niemand als allein
nur der Kirschblütenbaum!
                                      
                                     Koide Tsubara



Schon seit frühster Schulzeit hatte ich immer ein Problem. Obwohl ich immer gerne las, konnte ich mich nie auf Lyrik einlassen. Gedichte waren für mich schwer verständlich, konnte mich nie in sie hineinversetzen. Auch schreibe ich selbst gerne, doch nur der Gedanke daran, ein Gedicht zu verfassen, bricht in meinem Gedankenwald gleich ein Großbrand aus.
Als im letzten Jahr jedoch die Neuauflage zu "Die Geschichte vom Prinzen Genji" erschienen ist, brachte mir die Autorin Murasaki Shikibu diese exotische Welt näher. Genau genommen ist die Genji Monogatari  zwar ein waschechtes Roman-Epos, allerdings, immer mal wieder, hat die Autorin ihre Seiten mit kleinen Haikus geschmückt, die sich wunderschön in die Geschichte einfügten. Diese kleinen Gedichte von gerade einmal fünf Zeilen reichten aus, um mich zu beeindrucken. Ausdrucksstark und wortgewandt fließen diese kleinen Haikus wie frisches Wasser durch einen kristallklaren Bach. Meine bildhafte Beschreibung wird den Haikus und Tankas nicht wirklich gerecht werden. Daher will ich auch nicht länger Reden schwingen, sondern den Titel präsentieren, der im Rampenlicht steht: Japanische Jahreszeiten.

Wie bereits beim Prinzen Genji liefert der Manesse Verlag in hoher Qualität eine unglaublich schöne Neuauflage ab. Japanische Jahreszeiten ist eine Sammlung von über tausend Haikus und Tankas (ich habe nicht persönlich nachgezählt!) der bekanntesten japanischen Dichter und Denker. Wie der Name schon vermuten lässt, dieser üppige Gedichtband ordnet die kleinen Kunstwerke nach Jahreszeiten an. Manche Bücher sind nur bestimmt für spezielle Jahreszeiten geeignet, dieser Gedichtband passt aber immer, ob es warm oder kalt ist, ob die Stimmung erheitert oder bedrückt ist.
Gesammelt und übersetzt und mit einem interessanten Nachwort abgerundet wurde die Sammlung von dem österreichischem Japanologe Gerolf Coudenhove-Kalegri -1896-1978- (Bruder von Richard Coudenhove-Kalegri). Coudenhove selbst war Sohn einer japanischen Mutter.
Die Gedichte wurden, selbstverständlich, aus der japanischen Sprache übersetzt und, immer wenn mal etwas nicht ganz so klar erscheint, hat der Übersetzer verständliche Fußnoten verwendet, um die Situation zu erklären. Neben dem ausführlichen Nachwort gibt es zu jeder Jahreszeit noch ein kleines Vorwort über die jeweiligen Gedichte, die auf den folgenden Seiten präsentiert werden. Dazu gibt es noch von verschiedensten japanischen Künstler 94 Tuschzeichnungen, die stets dem Thema im Buch angepasst sind.

(Foto: Aufziehvogel)


Unter den Verfassern der jeweiligen Haikus und Tankas befinden sich viele bekannte Persönlichkeiten der japanischen Geschichte. Darunter Kaiser Meiji, Buson oder Basho. Aber auch unbekannte Verfasser, die namentlich nicht mehr benannt werden konnten, beinhaltet dieser Sammelband. Eröffnet werden die japanischen Jahreszeiten mit den traditionellen Neujahrsgedichten. Die Stimmung der jeweiligen Gedichte pendelt sehr. Von fröhlichen heiteren Gedichten bis zu melancholischen sowie traurigen Gedichten ist alles dabei.


Morgennebeldunst -
Wie ein hingemalter Traum
geht ein Mensch vorbei!
                                 
                                  Buson 


Was ich mir persönlich gewünscht hätte wären vielleicht noch ein paar dieser Gedichte mal in ihrem unübersetzten Original zu sehen. Bei so vielen Gedichten wäre dies allerdings schwer geworden und hätte vermutlich eher für Verwirrung gesorgt, diese auch noch im Band unterzubringen. Dafür ist jedes Gedicht sauber auf jede Seite angeordnet und selbstverständlich, sofern verfügbar, stets mit dem Namen des jeweiligen Autors versehen. Im Nachwort erklärt Übersetzer Coudenhove noch den unverkennbaren Stil der Haikus und Tankas.


(Matsuo Basho -1644 - 1694 -)



Resümee

Erneut liefert der Manesse Verlag eine hochwertige Ausgabe für bibliophile Sammler ab. Freunde der japanischen Literatur oder der Lyrik werden hier einen exotischen und umfangreichen Sammelband finden, der liebevoll zusammengestellt wurde. Ob man die japanischen Gedichte nun in wenigen Sitzungen durchliest oder sie sich für die einzelnen Jahreszeiten aufhebt, man findet immer ein passendes Gedicht für jede Lebenslage. Im Gegensatz zu vielen bekannten westlichen Gedichten sind die japanischen Haikus und Tankas sehr zugänglich und leicht verständlich.  
Da diese Lesereise auch für mich mal etwas ganz neues war, gibt es hier von mir eine klare Empfehlung.

1 Kommentar:

  1. Hallo Marcel,
    das ist auf jeden Fall ein wunderschönes Buch für mich. Im Gegensatz zu dir, war Lyrik schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Seit meiner Jugend lese ich Hesse, Maléko und Ringelnatz und mir fällt auf: japanische Gedichte fehlen in meinem Regal. Ich lese deinen Blog sehr gerne, doch seit ich auf wordpress umgezogen war und mittlerweile meinen Blog sogar selber hoste, habe ich viele alte bibliophile Bekanntschaften vernachlässigt. Leider!

    Liebe Grüße,
    Tanja

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