Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 5. April 2011

Matias Faldbakken, Unfun: Eine Familiengeschichte aus Norwegen




Skandinavische Misanthropie III

Autor: Matias Faldbakken
Originaltitel: Unfun
Erscheinungsjahr: 2008 (Norwegen), 2009 (Deutschland, Blumenbar), 2010 (Deutschland, in der Heyne Hardcore Serie)
Übersetzung: Max Stadler (Aus dem Norwegischen), Nadine Püschel für die englisch übersetzten Texte der Taschenbuch Ausgabe in der Heyne Hardcore Serie
Genre: Underground, Satire, Komödie, Drama, Gesellschaftskritik


"He, he, ihr zwei da!", ruft Atal. Der Helle zeigt auf sich selbst und setzt die "Wer, ich?" - Fresse auf.
"Ja, du", nickt Atal, "komm mal kurz her."

Sie nähern sich der Limousine. Der Hellblonde beugt sich vor und hebt kurz den Kopf, auf eine Weise, die besagt: "Was geht?"
"Wenn ich dir zweitausend Kröten gebe, darf ich dich dann eine verfickte Hure nennen und dir sagen, dass du dich verpissen sollst?", fragt Atal und hält zwei Tausender hoch. Der Typ sieht die Scheine an, nimmt sie und zuckt mit den Schultern. Er richtet sich wieder auf und wartet.
"Fahr zur Hölle, zisch ab du verschissene verfickte Fotzenhure!", brüllt Atal ihm aus voller Kehle ins Gesicht. Der hellhaarige Typ lächelt und hält den Daumen hoch. Atal hebt die Daumen, einen zu jeder Seite seines milden Lächelns, und blickt der Fotzenhure nach, bis die Fensterscheibe hoch fährt und sein Gesicht verdeckt. -Aus dem Kapitel "Chuckle Club"-


Mit Unfun nimmt Faldbakkens Skandinavische Misanthropie, welche voneinander völlig unabhängig ist, ein Ende. Es ist mit 270 Seiten dabei der kürzeste Vertreter der Serie.

Auf Mathias Faldbakken bin ich zufällig gekommen. Nämlich stand die Taschenbuch Ausgabe bei den Neuheiten in der Buchhandlung. Auf dem Cover prangern Pressestimmen die hier von Skandalen sprechen die Houellebecq als Kinderbuchautor dastehen lassen. Doch das Probelesen hatte sich gelohnt. Ich war von Faldbakkens irrwitzigen und ironischen Schreibstil sofort begeistert. Es ist als hätte er den kompletten Wahnsinn unserer Welt in einem Roman gebündelt. Die Hölle existiert. In Norwegen.

Nach "The Cocka Hola Company" und "Macht und Rebel" beendet Faldbakken mit "Unfun" die Trilogie. Und auch wenn alle Geschichten nichts miteinander gemein haben, so verbindet sie doch alle dieser unbeschreibliche Hass auf die Gesellschaft. Doch Hass ist sogar das falsche Wort. Matias Faldbakken nimmt sich selbst nicht ernst. Er macht sich vielmehr lustig über die moderne norwegische Gesellschaft. Er spielt mit Anglizismen herum und kreiert abstruse Wörter. Der Spaß den er beim schreiben dieser Geschichte hatte ist in jeder Zeile zu lesen. Praktisch alles könnte man zitieren. Die Situationskomik ist herrlich schräg.

Die Geschichte handelt von der Ich-Erzählerin Lucy. Sie erzählt, wie es so wunderschön auf dem Cover erwähnt wird, von den letzten Tagen ihres Familienlebens. Mutter von zwei Kindern die unter ADS leiden, Ex-Frau des Zynikers Slaktus der nur mit Medikamenten seine Psyche unter Kontrolle halten kann. Slaktus bezeichnet sich selber als Gewaltintellektueller. Ein hoch intelligentes Muskelpaket das nur zu gerne seine Kinder verprügelt, seine Frau vergwaltigt und Horror/Slasherfilme schaut (Anspielungen auf moderne Vertreter der Literatur und des Kinos gibt es in der Geschichte genug). Er will nun den ganz großen Wurf landen indem er ein Videospiel entwickeln lässt welches von einem farbigen Killer handelt der in Paris sein Unwesen treibt. Slaktus will das von der beauftragten Firma "Rapefruit" entwickelte DEATHBOX als Onlinevideospiel veröffentlichen. So können sich auch tausende von anderen Spielern miteinander an sein Werk ergötzen. Dabei bemerkt Slaktus gar nicht das sich dieser Wahnsinn, den er sich so sehr wünscht, schon bald in seiner eigenen Familie abspielen könnte.

Unfun ist Faldbakkens Hommage an den Horrorfilm. Genau so ist die Geschichte auch aufgebaut. Daher ist es sehr ratsam sich ganz genau Lucys Worte über das Final Girl durchzulesen. Jeder Charakter den Faldbakken geschaffen hat in seinem Roman ist durch und durch verdorben. Lucy, geplagt von ihrer Vergangenheit mit Slaktus. Slaktus, der eine Therapie macht und Medikamente schluckt damit er seine Gewaltausbrüche unter Kontrolle behält. Atal und Wataman, die beiden Söhne die mit ADS zu kämpfen haben und immer Tränen lachen wenn sich andere Menschen verletzen (und wahrscheinlich auch noch eine homosexuelle Beziehung miteinander führen). Und dann wäre da noch Faldbakkens prominentester Charakter. Dan Castellaneta. Die amerikanische Stimme von Homer Simpson. Faldbakken spinnt sich eine eigene Story über Castellaneta zusammen und macht aus ihm einen verbissenen, im Rollstuhl sitzenden Rassisten der nach dem Aus der Simpsons für wenig Geld seine Stimme verleiht. Faldbakken erzählt diese fiktive Nebengeschichte so brillant das man ihm beinahe jedes Wort abkauft was er über Castellaneta schreibt.

Selbstverständlich ist Faldbakken kein Kinderbuchautor. Unfun sollte überhaupt nicht in die Hände von Kindern fallen. Es ist politisch unkorrekt, rassistisch, frauenfeindlich und gewaltverherrlichend. Doch so abstrus es auch klingen mag, all das auf eine sehr sympathische Weise. Ja, selbst die Charaktere gewinnt man allesamt lieb. Man wird über Situationen lachen die absolut ernst sind. Man wird sich ertappen das man lacht obwohl es eigentlich absolut verwerflich ist. Faldbakken verbindet Satire mit Gesellschaftskritik. Eine schräge Idee folgt der nächsten. Die Mehrheit würde Unfun wohl noch während der Lesung verbrennen. Leute die auf Galgenhumor stehen werden hier ihre wahre Freude haben. Denn wirklich ernst nimmt sich der norwegische Künslter nie. Es ist ein Einblick in seine verrückte Welt.


Resümee

Es gäbe noch so viel zu schreiben, aber ich lasse es besser. All das muss man selber lesen um mitreden zu können. Aber ganz wichtig, um überhaupt zu verstehen worüber ich hier berichtet habe: Unfun liebt man entweder, oder man verabscheut es. Etwas dazwischen gibt es glaube ich nicht. Doch so viel Kreativität und Freude am Schreiben muss belohnt werden. Matias Faldbakken ist ein Geheimtipp. Wer all die genannten Punkte im letzten Teil sowohl humorvoll sehen kann, gleichzeitig aber auch die Gesellschaftskritik versteht, der wird nach der Lesung von Unfun als Sieger auf dem Podium Platz nehmen dürfen.
Fans von Dan Castellaneta (der amerikanische Homer Simpson) sollten von Unfun eher Abstand nehmen ;)

4 Kommentare:

  1. Ich glaube, dieses Buch ist nichts für mich, deine Besprechung finde ich aber ziemlich gut! Viele Dank dafür!

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  2. Also die Misanthropie Reihe ist, ich glaube zumindest, nur für eine sehr spezielle Leserschaft ;D

    Aber ich war selbst überrascht das es mir so gut gefallen hat. Sobald man solche Ausdrücke und Thematik aber wirklich mit einer ernsten Handlung kombiniert, ist das schon wieder nichts für mich.

    Immer wieder schön einen Kommentar von dir hier zu lesen. Und jetzt kann ich auch endlich mal schneller darauf antworten =)

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  3. Ich hab das Buch letzten Sommer gelesen und war ebenso begeistert davon wie du. Man muss natürlich den entsprechenden Humor haben und einen starken Magen ;)

    Hast Du die anderen Teile ebenfalls gelesen?

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  4. Hallo buecherphilosophin.

    Leider haben andere Bücher es mir immer verwehrt, auch die anderen beiden Teile zu lesen. Und das, obwohl ich sie hier habe. Einen kleinen Teil habe ich bereits von The Cocka Hola Company gelesen, welches schon einen ebenfalls sehr schrägen Humor bot. Bei Macht und Rebel habe ich bisher nur durchgeblättert. Ich hoffe demnächst, jetzt wo du mich wieder dran erinnert hast, die Zeit zu finden, die Bücher mal wieder in mein Lese Programm aufzunehmen.

    Deinen Blog habe ich mir gleich mal unter die Favoriten gepackt. Sieht sehr interessant aus.

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