Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film
Donnerstag, 31. März 2011
Philip K. Dick, Ubik: Bitte nach Vorschrift verwenden
Die Dick Rezensionen 1
Autor: Philip K. Dick
Originaltitel: Ubik
Erscheinungsjahr: 1969 (USA), 1977 Suhrkamp (Deutschland), 2003 Heyne (Neuauflage)
Übersetzung: Renate Laux (Suhrkamp), Alexander Martin (Neubearbeitung Heyne), Jürgen Langowski (Ubik Drehbuch, Heyne Neuauflage)
Genre: Science-Fiction, Mystery
"Vielleicht sollte ich einen Esslöffel Ubik Leber- Und Nierenbalsam nehmen, sagte er sich. Mit all diesen Zutaten müsste es mich eigentlich sicher unter die Erde bringen. Doch würde es kein angenehmer Tod sein: Das Kobaldtchlorid würde mich schön langsam und genüsslich fertigmachen, wenn ihm das Digitalis nicht zuvorkäme. Und dann waren da ja noch die Orleanderblätter, die durfte man nicht vergessen. Diese ganze Mischung würde seine Knochen in Gelee verwandeln. Zentimeter für Zentimeter." -Joe Chip-
Philip K. Dick (Dezember 1928 - März 1982), der große Visionär moderner Science-Fiction lieferte mit Ubik seinen bedeutendsten Roman ab. Zumindest sagen das Kritiker und treue Anhänger Dick's. Doch zu Lebzeiten Dick's wollte sein Werk noch keiner so richtig anerkennen. Erst als Ridley Scott 1982 den Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep? (dt. Träumen Androiden von elektrischen Schafen?)" verfilmte, wurde Dick zu einem Star der amerikanischen Literatur.
Viel von dieser Anerkennung und dem großen Trubel um seine Person bekam er jedoch nicht mehr mit, denn noch vor der Filmpremiere verstarb Dick. Scott machte es sich einfach und änderte den Titel in Blade Runner. Fortan wurde (und das wird er auch Heute noch) der Roman unter diesem Titel verkauft. Seit Blade Runner sind Verfilmungen von Dick's Geschichten heiß begehrt in Hollywood. Und genügend Stoff gibt es immerhin auch.
Was eine Ubik Verfilmung angeht dürfte es allerdings nicht so einfach werden. Dick schrieb bereits ein komplettes Drehbuch für Ubik. An die Rechte war ein französisches Filmstudio interessiert. Realisiert wurde das Projekt jedoch nie. Seit 2008 besitzt das amerikanische Filmstudio Celluloid Dreams die Rechte an eine Verfilmung. Diese soll es dann auch tatsächlich irgendwann ins Kino schaffen. Einen genauen Termin gibt es jedoch noch nicht. Allerdings brauchen wir auch eigentlich keine Verfilmung, ist die Geschichte an sich doch immer noch so unglaublich modern. Auch mehr als 40 Jahre nach der Veröffentlichung ist Ubik immer noch Gesprächsstoff. Und bei einem solch komplexen Werk bedarf es einigen Diskussionen und Interpretationen. Was Philip K. Dick erschaffen hat ist ein zeitloses Werk. Es kommt einem beinahe vor als hätte Dick die Geschichte selbst erlebt. Wurde aus der Zukunft zurück in die Vergangenheit geworfen und schrieb anschließend seine eigene Geschichte nieder und nannte diese dann Ubik. Denn es kommt einem viel mehr vor als lese man einen Roman der erst vor einiger Zeit geschrieben wurde. Praktisch noch druckfrisch.
Die Geschichte spielt im Jahr 1992. Protagonist ist der heruntergekommene Joe Chip. Dieser Arbeitet für Glen Runciter. Seine Aufgabe besteht darin neue Psi-Antialente zu entdecken und für Runciters Sicherheitsfirma zu werben. Diese Psi-Antitalente werden dann dazu eingesetzt sogenannte Talente zu neutralisieren die zu Spionagezwecken eingesetzt werden. Auch Talente kann man bei einer Agentur mieten. Dies wäre dann Ray Hollis Agentur. Beide Firmen liefern sich bereits seit Jahren ein Geplänkel und sabotieren sich gegenseitig. Doch Runciter könnte einen großen Wurf landen und eine menge von Hollis berüchtigsten Talenten neutralisieren als er einen Auftrag bekommt der ihn zum Mond führt. Er rekrutiert seine besten Mitarbeiter für diesen Auftrag, einschließlich sich selbst. Hollis hat etwas vor. Doch noch ehe Runciter logisch handeln kann ereignet sich eine Katastrophe auf dem Mond. Der Auftrag schien von Hollis selbst zu kommen. Ein Attentat auf Runciters Crew richtete einen großen Schaden an und kostete ihm selbst das Leben. Doch erst hier beginnt die Geschichte. Zurück auf der Erde angekommen beginnt eine Tour de Force für Joe Chip und die anderen Antitalente. Wenn Glen Runciter, der nicht ins Halbleben zurückgerufen werden konnte, wirklich tot ist, wieso finden sich dann überall versteckte Botschaften von ihm wieder? Und was hat es mit dem Raumspray Ubik auf sich? Verlieren Joe Chip und seine Crew den Verstand? Bewegen sie sich etwa immer mehr in der Zeit rückwärts? Noch hat Joe Chip keine Ahnung in welch unglaublich Geschichte er da eigentlich geraten ist.
Es ist ziemlich schwer den Inhalt von Ubik wiederzugeben. Dabei benutzt Dick auch noch viele Fachausdrücke die man sich alle merken sollte (Talente, Antitalente, Telepathen, Inerte und Präkogs). Hat man die Geschichte bis zu Runciters Tod aber aufrichtig verfolgt, wird man bemerken das es in Ubik um alternative Realitätsebenen geht. Und Dick hat so eine Freude daran, das es ihm ein wahres Vergnügen ist den Leser zu verwirren. Am Ende weiß man nämlich gar nicht mehr was man eigentlich glauben soll. Tote die eigentlich noch lebendig sind und umgekehrt. Eine verkehrte Welt. Und dann gibt es da ja auch noch die unfreiwilligen Zeitreisen. Doch Dick erklärt uns alles. Er erzählt in einem angenehmen Schreibstil. Trotz der vielen Begriffe und Realitätsebenen war ich kein einziges mal verwirrt. Selbstverständlich habe ich aber dennoch hier und da einige Passagen mehrmals gelesen um auch kein einziges Detail zu verpassen.
Dick beeindruckt mit unglaublichen Wendungen in der Geschichte. Jedes mal wenn man denkt man hätte die Geschichte durchschaut, wird man eines besseren belehrt. Die Charaktere sind perfekt ausgearbeitet. Besonders natürlich der Hauptcharakter Joe Chip und Glen Runciter. Trotzdem schafft es Dick gekonnt etliche Geheimnisse für sich zu bewahren. Eine detaillierte Vorgeschichte gibt es nicht. Man wird sofort in die Geschehnisse geworfen. Bis am Ende natürlich der ganz große Knall folgt.
Eine andere Sache die mich sehr begeistert hat ist die Vorstellungskraft von Dick. Seine Idee von einem Halbleben hört sich erschreckend Real an. Besonders wie er dieses Halbleben beschreibt. Schafft man es eine verstorbene Person rechtzeitig in eine Kühlpackung zu legen, kann man sie so in einem Moratorium in das sogenannte Halbleben versetzen. Angehörige können sich somit auf einer telepathischen Ebene mit den halblebenden unterhalten. Doch auch das Halbleben unterliegt seinen Beschränkungen. Auch ist es unvermeidlich irgendwann einmal dem endgültigen Tod ins Auge zu sehen.
Zum besseren Verständnis kann man natürlich auch noch das beiliegende Drehbuch lesen welches Dick selbst verfasst hat. Oder zumindest das Ende davon lesen. Dieses unterscheidet sich nämlich von dem des Romans. Sehr interessant das ganze. Was nicht bedeutet das man nach dem Ende des Drehbuches in irgendeiner Weise schlauer ist als vorher.
Resümee
Ich war sehr begeistert von Ubik. Eigentlich könnte ich noch Seitenlang schreiben und trotzdem hätte ich wohl nicht einmal einen Bruchteil der Geschichte zusammengefasst und analysiert. Man hat es hier einfach mit einem wahren Monster zu tun. Man muss sich mit diesem Monster selbst befassen und sich eigene Theorien basteln. Besonders amüsant wird es bestimmt das Buch mit Freunden zusammen zu diskutieren. Dort werden sicherlich allesamt skurrile Ansichten entstehen. Stelle ich mir jedoch ziemlich amüsant vor.
Ob Science-Fiction Fan oder nicht, Ubik ist eine Pflichtlektüre. Und mit um die 250 Seiten sogar sehr kompakt. Philip K. Dick bedient sich nicht an Klischees. Er hat sein eigenes Universum erschaffen. Dieses mag einem am Anfang ziemlich fremd vorkommen, doch lernt man es umso schneller lieben.
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Ein wahrhaft bemerkenswertes Buch. Zu einer eventuellen Verfilmung : reizvoll, aber auch die Gefahr, daß das in die Hose geht.
AntwortenLöschenAd "selber erlebt": trotz all seiner Irrationalität finde ich die Erklärung seiner Visionen mit dem frühen Tod seiner Zwillingsschwester am romantischsten.