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Donnerstag, 7. Mai 2015

Rezension: Die Legende der Prinzessin Kaguya

(Poster: Universum)


Trailer




Japan 2013

Die Legende der Prinzessin Kaguya
Originaltitel: Kaguya-hime no Monogatari
Vorlage: Taketori Monogatari
Idee und Regie: Isao Takahata
Musik: Joe Hisaishi
Sprecher (Japanische Besetzung): Aki Asakura, Kengo Kora, Takeo Chii, Nobuko Miyamoto
Sprecher (Deutsche Besetzung): Sarah Alles, Nico Sablik, Denise Gorzelanny, Uli Krohm, Kornelia Boje, Gerrit Schmidt-Foss
Lauflänge: Circa 137 Minuten
Genre: Anime, Fantasy, Märchen
FSK: Ohne Altersbeschränkung


Hayao Miyazaki und Isao Takahata. Zwei Legenden. Zwei alte Männer. Zwei alte Männer, die jeweils auf ihre weise über das Thema "Abschied" einen Film gemacht haben. Und ein bisschen kommt es mir so vor, als hätten die beiden die Rollen vertauscht. Miyazakis "Wie der Wind sich hebt" könnte vom Stil her eher ein Werk von Takahata sein, während Takahatas "Die Legende der Prinzessin Kaguya" aufgrund seiner bezaubernden, verspielten Bilder eher ein waschechtes Miyazaki Werk sein könnte. Bereits nach wenigen Sekunden wird aber dann klar, "Die Legende der Prinzessin Kaguya" ist ein waschechter Film von Isao Takahata. Denn Takahata ist mindestens ein genau so talentierter Magier wie Hayao Miyazaki, schaut man sich "Pom Poko" mal genauer an.

Die Zukunft des Studio Ghibli scheint auch weiterhin ungewiss zu sein. Hayao Miyazaki kündigte unlängst seinen Rücktritt an (wieder einmal, doch diesmal, so scheint es, endgültig) und es ist relativ unwahrscheinlich, dass der mittlerweile 79 jährige Takahata noch einmal einen so groß angelegten Film kreieren wird. Ganze 8 Jahre verschlang Kaguya an Zeit, die der Film bis zu seiner Fertigstellung benötigte. Und billig war der Film aufgrund der aufwendigen Zeichnungen und vielen Verschiebungen auch nicht. "Die Legende der Prinzessin Kaguya" hat dem Studio Ghibli viel Geld gekostet. Die Produktionskosten wurden aber diesmal aufgeteilt, somit ist das Studio Ghibli nicht der alleinige Geldgeber und Takahata agierte hier wesentlich unabhängiger von Ghibli als sonst. Und dennoch prangert das Ghibli-Logo über Prinzessin Kaguya. Die genaue Aufteilung der Rechte dürfte hier aber zweitrangig sein. Die Leute wollen ein Ghibli Komplettpaket, und genau dieses bekommen sie in diesem wunderschönen Film auch geboten.


(Copyright: Studio Ghibli)


Die Frage, die ich mir stellen musste: Kann Isao Takahata noch ein letztes Kunststück aus seinem Hut zaubern? Takahata bestritt als Gründungsmitglied des Studio Ghibli einen eher ungewohnten Weg. Er ist Filmemacher und Drehbuchschreiber, aber kein Animator. So unglaublich es klingen mag, laut eigenen Aussagen bekommt Isao Takahata keine einzige Figur auf ein Blatt Papier gezeichnet (seine Storyboards bestätigen aber, in diesem Punkt war er nicht ganz ehrlich). Mit Werken wie "Die letzten Glühwürmchen", "Only Yesterday", "Pom Poko" und "Meine Nachbarn die Yamadas" hat mich Takahata verzaubert und gleichzeitig in endlose Melancholie und Traurigkeit entlassen. Sein Stil unterscheidet sich drastisch von Miyazakis. In Takahatas Filmen sucht man meistens vergeblich nach einem glücklichen Ende für seine Protagonisten. Stilistisch gibt es da auch bei Prinzessin Kaguya keinen Bruch. Sowohl vom Zeichenstil als auch von der Erzählweise setzt Takahata hier noch einmal neue Maßstäbe in einer Gattung, die stark vom Aussterben bedroht ist. Die Zeit für handgemachte Animationsfilme scheint endgültig vorüber zu sein, Miyazaki selbst resignierte in einem Interview, welches er vor nicht all zu langer Zeit führte. "Die Legende der Prinzessin Kaguya" könnte mit seinem aufwendigem Stil, der an das Rotoskopie-Verfahren erinnert, einer der letzten seiner Zunft sein.

Die Geschichte rund um die mysteriöse Prinzessin Kaguya, die eigentlich ein ganz normales Mädchen ist und ein bürgerliches Leben führen will, basiert auf einer alten japanischen Volkssage. "Die Geschichte vom Bambussammler (Taketori Monogatari)" stand Pate für Takahatas Vision. Dank vieler antiker Holzschnitte die zu der Geschichte im laufe der Jahre entstanden sind, war es für die Animatoren einfacher einen unverkennbaren Stil zu entwickeln, da bereits schöne Bilder zu der alten Geschichte existieren.


(Eine alte Malerei zu "Die Geschichte vom Bambussammler")


Gespickt wird der bereits surreale Zeichenstil durch eine genau so surreale Szenerie. Oftmals driftet der Film in eine Traumwelt ab, ohne das der Zuschauer es bemerkt. Bei einer Lauflänge von rund 137 Minuten fühlte ich mich nicht einmal verloren oder gelangweilt in dem dichten Gestrüpp der Erzählung. Wie immer vermischt Takahata märchenhafte Szenen mit lustigen und teilweise auch sehr wehmütigen Momenten. Seine Magie entfaltet der Film bereits zu Beginn. Obwohl ich nach mehreren Trailern immer dachte, der Film wird vermutlich schwer zugänglich sein, so wurde ich überrascht, dass mich bereits die ersten Minuten vollkommen für sich einnahmen. Wesentlich mehr Probleme hatte ich da bei meinem ersten Anlauf mit Miyazakis Abschlusswerk "Wie der Wind sich hebt".

Erstmals komponierte Ghibli-Altmeister Joe Hisaishi den Soundtrack zu einem Film von Isao Takahata. Auffallend ist dabei der beinahe völlige Verzicht auf orchestrale Musikstücke. Diese würden auch selbstverständlich zu Prinzessin Kaguya nicht wirklich passen. Stattdessen gibt es viele ruhige Stücke, die perfekt mit der Atmosphäre des Filmes harmonieren. Mit dem Titelsong "Inochi no Kioku (Memories of Life)" klingt der Film noch einmal brillant aus. Isao Takahata wählte diesen durchaus optimistischen Song mit Bedacht, da das Ende des Filmes das komplette Gegenteil darstellt und die Zuschauer nicht mit einem traurigen Song heim schicken wollte.

Zur Vertonung muss ich sagen, zu meiner Schande kam ich noch nicht dazu, mir die original japanische Tonspur anzuhören. Traditionell schaue ich Ghibli-Filme zu immer erst in deutscher Sprache. Und wie immer hat Universum hier fantastische Arbeit geleistet. Besonders Sarah Alles als Kaguya hat mir unglaublich gut gefallen. Die deutsche Vertonung war einer Kino-Auswertung würdig. Eine traurige Mitteilung gibt es auf Seiten der japanischen Tonspur. Noch bevor der Film fertiggestellt war, verstarb im Jahr 2012 der in Japan sehr beliebte Takeo Chii (er sprach den alten Mann) im Alter von 70 Jahren. Durch "Prerecording" (die Sprecher sprechen ihre Dialoge ein, ohne Bilder zu sehen) wurden alle Dialoge in der japanischen Sprachfassung bereits vorab aufgenommen.


Resümee

Zwei große Männer verabschieden sich auf ganz unterschiedliche weise von der großen Bühne. Und ich muss gestehen, erneut konnte mich Isao Takahata ein wenig mehr begeistern als es Hayao Miyazaki tat. Dies mag an Takahatas eigenwilligen Stil liegen. Da Takahata nicht die Animationen übernimmt, bleibt ihm dadurch wesentlich mehr Zeit für Dramaturgie und Planung als es bei Miyazaki der Fall ist, der in Sachen Animation so ziemlich alles selbst übernimmt. Und vielleicht ist es dieser kleine Aspekt, weshalb ich Takahatas Filme stets als etwas kompletter ansehe. Einen direkten Vergleich würde ich mich niemals wagen und wäre eigentlich beiden Filmemachern respektlos gegenüber.

"Die Legende der Prinzessin Kaguya" könnte tatsächlich der letzte große Kinofilm des Studio Ghibli gewesen sein. Sollte dem wirklich so sein, dann hat sich das Studio mit einem großen Film verabschiedet. Takahatas beeindruckende Filmografie wird vermutlich immer von Miyazakis Schaffen überschattet werden, dies ändert aber nichts daran, dass Isao Takahata zu den größten noch lebenden Großmeistern des Zeichentricks gehört. Und das ist ja auch relativ beeindruckend für einen Mann, der den Zeichenstift noch nie selbst in die Hand genommen hat.

Wer sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen will besorgt sich am besten eine leicht gekühlte Flasche Wein seiner Wahl, schaltet sämtliche Licht- und Geräuschquellen aus und genießt die Geschichte rund um die bezaubernde Prinzessin Kaguya. Und dann kann man selbst entscheiden, ob dieses Meisterwerk der Zeichenkunst nicht mehr verdient gehabt hätte, als lediglich eine Nominierung bei der 87ten Verleihung der Academy Awards.

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