Aus dem Jahr 2022
Lost in Panama
Genre: True Crime Podcast
Produktion: Podcast One
Hosts: Mariana Atencio, Jeremy Kryt
Verfügbarkeit: Überall da, wo es Podcasts gibt (Kostenlos)
Sprache: Englisch
Episodenzahl: 7
Laufzeit: Zwischen 45-60 Minuten
Hinweise zur Berichterstattung in diesem Text:
- Ich werde in dieser Besprechung keine eigenen Theorien aufstellen
- Ich werde keine Bilder von Kris und Lisanne in den Text einbetten oder verlinken
- Es wird keinen Link zu den besagten Fotos geben, die man aber einfach auf YouTube recherchieren kann. Die Bilder selbst sind nicht grafisch, können aber ein gewisses Unbehagen auslösen, wenn man die Geschichte dahinter kennt
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Es ist jetzt etwas über 3 Jahre her, als ich meine damals neu angekündigte Rubrik "Podcast Review" auf die Leser von "Am Meer ist es wärmer" losgelassen habe. Es sollte bei diesem einen Review bleiben, zumindest bis heute. Dennoch möchte ich gerne noch einmal das Review hervorheben, denn "Death in Ice Valley" war ein herausragend guter, atmosphärischer Podcast über einen ungeklärten Mordfall aus Norwegen, der weit in die geheimsten Winkel der Spionage und des Kalten Krieges reichte.
Heute möchte ich mich mit einem Fall befassen, der deutlich weiter in unserer Gegenwart angesiedelt ist. Genau genommen ereignete sich dieser mysteriöse Fall zum zwei junge Frauen aus den Niederlanden im April 2014. Bereits mehr als 10 Jahre ist es her als die beiden Studentinnen Kris Kremers (damals 21 Jahre alt) und Lisanne Froon (damals 22 Jahre alt) in ihrem Urlaub in Panama, im malerischen Ort Boquete, auf einem Wanderweg, den Pianista, spurlos verschwanden. An und für sich wäre dies maximal ein tragischer Fall, da der Dschungel von Zentralamerika gnadenlos ist und ohne Führung eines Experten tödlich sein kann, wenn man auch nur minimal vom Weg abkommt. Doch der gesamte Fall ändert sich, nimmt mysteriöse, teils bizarre Züge an, als einige Monate später Leichenteile der jungen Frauen sowie Habseligkeiten gefunden werden. Darunter eine Fotokamera, die Aufnahmen enthält, die auch viele Jahre später immer noch Rätsel aufgeben.
Der Fall von Kris und Lisanne ist, wie bei echten True Crime Fällen üblich, traurig. Besonders für Familie, Freunde und sonstige Angehörige, da sie noch immer keine eindeutigen Antworten haben. Die überforderten Behörden von Panama änderten ihre Meinung zu den Todesumständen der beiden Frauen häufiger. Schlossen sie zu Beginn ein Gewaltverbrechen nicht aus, korrigierten sie dies aber im Laufe der Ermittlungen zurück zu einem Unfalltod durch die Widrigkeiten der Natur. Im Falle von Kris und Lisanne sollen die beiden eine Brücke hinabgestürzt sein.
Im laufe der Jahre entwickelte sich der Fall von einem nationalen Vermisstenfall zu einem weltweiten True Crime Mysterium. Egal, was man also letztendlich von dem hier besprochenen Podcast halten mag (meine Meinung inklusive), er brachte die Untersuchungen noch einmal ins Rollen und alleine in den letzten 2 Jahren sind noch einmal viele neue Details an die Öffentlichkeit geraten. Doch dies kommt natürlich auch zu einem Preis. Sowohl der Podcast "Lost in Panama" wie aber auch viele andere schriftliche Berichterstattungen entgleisen häufig, verstricken sich in Sensationsgeilheit und wollen sich aus ihren ganz eigenen Theorien ihre "einzig wahre" Lösung des tragischen Falls zusammenspinnen. War es ein Unfall oder ein Gewaltverbrechen? Darauf gibt der weit über 2000 Seiten dicke Abschlussbericht der Behörden keine endgültige Antwort. Es kann das eine oder das andere sein. Die Frauen haben Reisetagebücher hinterlassen, aber haben in ihren letzten Momenten nichts über ihre Lage verfasst. Einer der letzten Zeugen, der Kris und Lisanne lebend gesehen hat ist bereits vor längerer Zeit verstorben und könnte, selbst wenn er gewollt hätte, nichts zum Fall beisteuern, da es sich bei diesem Zeugen um einen ortsansässigen Hund handelte, der häufig Touristen auf den Pianista begleitet hat und auch wieder mit ihnen zurück ins Dorf marschiert ist. Die rund 200 aufgenommen Fotos der beiden Frauen, darunter zahlreiche seltsame Nachtfotos, geben weder Hinweise auf einen genauen Standort noch geben sie Aufschluss über die letzten Tage der zwei Freundinnen. Die gefunden Handys bestätigten zumindest, dass mehrmals Notrufnummern gewählt wurden, die aber aufgrund nicht vorhandenen Empfangs somit auch nicht durchgingen.
Das erste mal, dass dieser Fall internationale Aufmerksamkeit erlangte, geschah durch eine Berichterstattung eines Journalisten namens Jeremy Kryt, der für "The Daily Beast" als Reporter unterwegs war. Kryts Kenntnisstand galt bereits damals als wackelig, etwas, was er im Podcast auch anmerkt. Im Jahr 2022 tat er sich dann gemeinsam mit der amerikanisch-venezolanischen Journalistin Mariana Atencio zusammen, um zum bevorstehenden 10. Jahrestag des Falles einen groß angelegten Podcast zu produzieren, der in Zusammenarbeit mit Podcast One entstanden ist. Was hier auf 7 Episoden entstanden ist, ist ein teils beklemmender, aber auch reißerischer Podcast über einen Cold Case, der bis heute abertausende True Crime Fans und Hobby-Detektive zusammenbringt. Doch zu welchem Preis ist man dazu bereit, den Fall zu lösen? Natürlich nur, um den Angehörigen endlich eine endgültige Antwort zu liefern, oder etwa nicht?
Zwischen Spannung, Erzählfreude und Sensationsgeilheit
Der Podcast von Mariana und Jeremy dürfte mittlerweile die erste Anlaufstelle sein, um sich mit dem Fall von Kris und Lisanne vertraut zu machen (ich selbst bin auf den Fall bereits vor einigen Jahren aufmerksam geworden, aber nicht in diesem Detailgrad, wie hier besprochen). Er fasst grob zusammen, was vorgefallen ist, ohne aber zu sehr ins Detail rund um die beiden Frauen einzugehen, was bereits in der ersten Episode auffällt und schade ist. Dabei gibt es durch die Tagebucheinträge eine menge zu den beiden Freundinnen zu erzählen, besonders geben zahlreiche Einträge Einblicke in die Gefühlswelt der eher introvertierten Lisanne, die schon bei Ankunft in ihrer Gastfamilie anfing, sich unwohl zu fühlen. Die beiden Freundinnen wollten in diesem besonderen Urlaub, weit weg von der Heimat und vor allem erstmals weit weg von der Familie, unter anderem gemeinnützige Arbeit an einer Schule verrichten. Dies kam bereits gar nicht zustande und eine der Hauptmotivationen für den Urlaub war dadurch bereits Geschichte. Die beiden Frauen wollten sich die Laune dennoch nicht verderben lassen, fanden schnell Freunde und wollten das beste aus ihrer Zeit in Zentralamerika machen. Ihren Trip wollten sie damit krönen, den Pianista, einem bekannten Wanderweg in der Ortschaft, zu begehen und auf dem Höhepunkt des Weges die einzigartige Aussicht zu genießen. Auf den gefundenen Fotos lächeln Kris und Lisanne in Selfie-Manier in die Kamera. Doch von diesem eigentlich gewöhnlichem Ausflug sollten sie nie mehr zurückkehren.
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Foto: boileddogs (Subreddit r/KremersFroon) |
Zum optimalen Verständnis musste ich hier nun etwas weiter ausholen, um jetzt wieder auf den Podcast einzugehen. Erst einmal muss gesagt werden, die Production Values von "Lost in Panama" sind ausgezeichnet. Es ist als Hörer fast so, als hätte ich als eben jener Hörer an der Expedition des Teams ebenfalls teilgenommen, die noch einmal, 2022 vor Ort, die Wege abgegrast haben, die auch Kris und Lisanne bestritten haben. Die rauen Umstände und Witterungen des Dschungels bekommen auch Mariana, Jeremy und das gesamte Team schnell zu spüren. Untermalt wird der Podcast von einer großartigen Soundkulisse, die von klaren Geräuschen aus dem Dschungel begleitet wird hin zu melodischen Klängen, die speziell für den Podcast komponiert wurden. Und ich würde besonders die ersten 2-3 der insgesamt 7 Episoden noch als unglaublich hörenswert einstufen. Die beiden Hosts kommen schnell zum Punkt und verlieren sich selten in irgendwelche Spinnereien. Einen sogenannten Candyman, einen Hauptverdächtigen, hat man mit dem ortsansässigen und bekannten Tourguide, ein älterer aber robuster Mann namens Feliciano, jedoch schnell gefunden. Hier sei schon vorab angemerkt, dass dieser Man mit seiner Firma "Feliciano Tours" bei ausländischen Touristen ungemein beliebt ist. Im Falle von Kris und Lisanne war er schnell zur Stelle, um bei der reibungslosen Aufklärung seine Expertise als Tourguide zur Verfügung zu stellen. Der besondere Twist hier: Einen Tag vor dem verschwinden der beiden Frauen aus den Niederlanden sollten sie eigentlich den Pianista gemeinsam mit Feliciano besteigen. Dies machte ihn schnell zu einem Verdächtigen, dies geschieht im Podcast auch sehr schnell und Jeremy teilt zudem noch eine persönliche Geschichte mit Feliciano, die kein gutes Verhältnis der beiden zueinander erahnen lässt. Im Zuge der neuen Kenntnisse scheint der Name von Feliciano, anscheinend aber auch von seinem Sohn (der in der ganzen Geschichte eine nicht unwichtige Rolle spielt) größtenteils reingewaschen zu sein. Auf persönliche Theorien gehe ich hier nicht ein, was man mir bitte verzeihen möge.
Und hier kommen wir zu den größten Problemen von "Lost in Panama". Man scheut sich nicht davor, Namen offenzulegen und ohne aussagekräftige Beweise eine Hexenjagd zu veranstalten. In der finalen Episode rudert man in einem Resümee noch einmal zurück und möchte keine klaren Bekenntnisse machen, was mit Kris und Lisanne nun passiert ist. Aber in den vorherigen Episoden macht man keinen großen Hehl daraus, alles und praktisch jeden, darunter eine lokale Jugendgang, zu verdächtigen (hierzu gibt es aber noch andere neue Erkenntnisse). Besonders in den letzten beiden Episoden hält man sich mit grafischen Details nicht zurück und die auf völlig unbegründeten "Ich habe damals von mehreren Ecken folgendes gehört" Aussagen zurückgehen, die viele Jahre zurückliegen. Praktisch dem "Unreliable Narrator" in einem Roman das volle Vertrauen schenken und sich zu sagen "Diese Person hat das so überzeugend rübergebracht, ich bin geneigt, all das zu glauben". Während ich die ersten Episoden insgesamt als sehr hörenswert bezeichnen würde, kommt das Pacing der späteren Episoden schon deutlich mehr ins stottern. Besonders, weil die Verantwortlichen stets in neue Sackgassen im Fall laufen. Mariana Atencio hört sich zudem sehr gerne selbst reden, was dem Hörer aber auch schon früher auffallen dürfte. Auch macht sie keinen Hehl daraus, dass der Podcast ihre ins stocken geratene Karriere wieder aufgebessert hat. Besonders aber die geringe Rücksichtnahme darauf, dass auch Angehörige auf diesen Podcast stoßen könnten, machen die unbestätigten, sehr grausamen "Hörensagen" Aussagen einiger Zeugen umso unfassbarer. Ja, vieles riecht hier nach aufbauschen und aufgeilen. Alles dafür, den Podcast ein wenig mehr wie einen TV-Krimi auszuschmücken.
Immer mal wieder kommen im Podcast aber auch durchaus noch interessante Leute zu Wort wie Mediziner/Forensiker, die den Fall anhand der Fallakte begutachten. Aber vieles im Podcast hat einfach zu wenig Substanz, womit ich als Hörer was anfangen konnte. Handwerklich ist "Lost in Panama" rein gar nichts vorzuwerfen und, wie bereits erwähnt, er sorgte dafür, dass das Interesse des Falles nochmals weltweite Aufmerksamkeit generiert. Dies ist bei so mysteriösen, ungeklärten Fällen immer wichtig. Aber der Podcast scheitert in 7 Episoden genau da, wo er eigentlich ansetzen sollte. Viele Details, die noch bekannt sind, werden überflogen oder finden erst gar keine Erwähnung, dabei ist noch viel mehr an die Öffentlichkeit gedrungen. Zu oft verrennt der Podcast sich aus einer gewissen Sensationsgeilheit stattdessen in irgendwelche vermeintlichen, konfusen Zeugenaussagen.
Doch ist "Lost in Panama" trotzdem empfehlenswert oder zumindest ein guter Einstiegspunkt, den Fall von Kris Kremers und Lisanne Froon besser kennenzulernen? Auf alle Fälle. Es gibt hier abseits des Podcasts noch eine menge zu entdecken, so viel, dass vor einiger Zeit mit dem bereits im Bild erwähnten Subreddit "r/Kremers/Froon" auch weiterhin viele Hobbydetektive unterwegs sind. Wie immer bei solchen Fällen kommt hier alles mit positiven und negativen Vorzügen. Menschen, die den Fall aufrichtig vorantreiben wollen und Trittbrettfahrer, die aufgrund eigener Interessen egoistische Ziele verfolgen. Der "Lost in Panama" Podcast schlägt praktisch in beide Kerben.
Der Grund, wieso ich diesen Artikel mit "Teil 1" gekennzeichnet habe, ist natürlich offensichtlich. Als nächstes möchte ich demnächst gerne noch ein neues, komplettes Buch zu diesem Fall von zwei deutschsprachigen Autoren besprechen. Mit "Verschollen in Panama" geht das Duo Christian Hardinghaus und Annette Nenner detailgenau auf den Fall auf über 300 Seiten ein, vermutlich aktuell die umfangreichste Berichterstattung des Falles. Die Autoren versprechen im Vorwort vieles richtigzustellen, was unter anderem der Podcast sowie andere Berichterstatter falsch dargestellt haben. Der Sache werde ich auf den Grund gehen und in Teil 2 des True Crime Specials "Verschollen in Panama" besprechen. Das Buch gibt es übrigens auch als englische Ausgabe unter dem Titel "Still Lost in Panama".
Meine Besprechung des selbst publizierten Buches wird auf völlig unvoreingenommener, neutraler Ebene stattfinden, da ich kein Rezensionsexemplar angefragt habe und über den Falls aus eigenem Antrieb berichte. Insofern bin ich also sehr gespannt, was die beiden Autoren bei diesem Fall richtigstellen und bestenfalls noch hinzufügen können.