Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 23. Januar 2019

Japanuary 2019 Teil 1: Filme 1-4




Ohne große Umschweife folgt nun der erste Teil meines Beitrags zum diesjährigen Japanuary! Von den hier präsentierten vier Filmen war mir einzig und allein Takashi Miikes Gozu ein alter Bekannter. Doch alte Bekannte hinterlassen mit der Zeit oftmals veraltete Erinnerungen. Wie sich Miikes surrealer Trip nach erneuter Sichtung schlägt und ob mir die anderen drei Filme gefallen haben, erfahrt ihr im Beitrag. Die Filme sind geordnet nach ihrem Veröffentlichungsjahr (der neuste Film zuerst).




#1


Silence (2016)
Regie: Martin Scorsese
Genre: Historienfilm
FSK: Ab 12


Silence ist wohl ein Film, den man von vielen Regisseuren erwarten würde, nicht aber unbedingt von dem Paten des Gangster-Kinos, Martin Scorsese. Obwohl Scorseses Handschrift natürlich deutlich erkennbar ist, so kam mir Silence vor wie ein Film, der eine gemeinsame Arbeit von Akira Kurosawa und Werner Herzog ist. Hätten in dem Film noch Toshiro Mifune und Klaus Kinski mitgespielt, hätte ich daran keinen Zweifel mehr gehabt. Aber da weder Kurosawa, noch Mifune und Kinski mehr unter uns weilen, hätte solch ein Projekt natürlich in dieser Zeit nie zustande kommen können. Scorseses Faszination von Kurosawas Filmkunst ist bekannt. Scorsese selbst übernahm in Kurosawas abstraktem Spätwerk aus dem Jahr 1990 "Träume" (ein Film, der bei diesem Japanuary noch eine Rolle für mich spielen wird) die Rolle des Vincent Van Gogh.

Silence, wie der Name schon sagt, ist ein ruhiger Film der fast komplett ohne Musikuntermalung auskommt. Von der technischen Seite her hat man es hier quasi mit einem Akira Kurosawa Film zu tun, es ist förmlich eine Liebeserklärung an die Filmkunst des Altmeisters. Prominent besetzt sowohl von der westlichen, als auch der japanischen Schauspielgilde, handelt Silence von einem Thema, an das sich bisher nur wenige Filmemacher herangetraut haben. Das Christentum in Japan. Anders als bei Ridley Scotts neueren Filmen, wo der "Glaube" des Regisseurs dem Zuschauer aufgezwungen wird, geht Martin Scorsese in Silence mit dem Thema behutsam um. Die beachtliche Laufzeit von 160 Minuten schadet dem Film überraschenderweise nicht. Überraschend hingegen ist, wie wenig Zeit sich Scorsese (der hier auch fürs Writing zuständig war) für den finalen Akt des Filmes genommen hat. Strotzt so ziemlich alles bis zu den letzten 30 Minuten vor perfektionierter Filmkunst, wirkt das Ende des Films übereilt und hastig in Szene gesetzt. Schlüsselfiguren verschwinden einfach so, Jahre vergehen und auch der Erzähler wird ausgetauscht und wechselt zu einer Figur, die der Zuschauer den ganzen Film über nicht ein einziges mal vorher gesehen hat. Dieses etwas unbefriedigende Ende war es dann auch, die Silence die höchste Wertung bei mir gekostet hat. Wer so einen Film abliefert, der muss Perfektion bis zum letzten Schnitt abliefern. Vermutlich weiß das kaum ein Filmemacher besser als Scorsese.



#2




Kotoko (2011)
Regie: Shinya Tsukamoto
Genre: Mystery, Drama
FSK: In Deutschland (noch) nicht erschienen


Regisseur und Schauspieler Shinya Tsukamoto (der übrigens auch eine recht große Rolle in Silence hat), dessen filmisches Schaffen ich mehr als schätze, ist bei den Filmfestspielen von Venedig ein Dauergast. Erstmals gewann aber nicht nur Tsukamoto mit Kotoko einen Preis in der Orizzonti Kategorie, es war der erste japanische Film überhaupt, dem das gelang.

Kotoko ist allen voran harter Tobak. Ein Film, der sich grundsätzlich mal wieder allem widersetzt, was der Zuschauer gewohnt ist. Besonders aufgrund der drastischen grafischen Darstellungen, aber auch die schwere Zugänglichkeit der Handlung gegenüber ist es überraschend, dass der Film einen Preis in dieser Kategorie gewonnen hat. Das erste, was Kotoko tut, er reist den Zuschauer aus seiner Komfortzone. Dabei besteht der Film nicht bloß aus den surrealen Halluzinationen der Protagonistin, es gibt durchaus auch immer mal wieder auflockernde Momente dank Tsukamotos skurrilen Charakter, den er selbst verkörpert. Doch auch diese erheiternden Momente können in nur einem Wimpernschlag wieder vorüber sein. Diese Unberechenbarkeit macht Kotoko zu einem Erlebnis, wenn auch nicht zu Shinya Tsukamotos bestem Film. Dafür hat er der Hauptdarstellerin Cocco vielleicht etwas zu viel Freiraum bei der Gestaltung des Filmes gelassen. Im Mittelpunkt steht hier die erfolgreiche japanische Popsängerin Cocco, die bereits zu Tsukamotos Film Vital den Titelsong abgeliefert hat. Die Künstlerin ist bereits einmal von ihrer Karriere zurückgetreten und es war mehr oder weniger Tsukamoto, der sich als großer Fan entpuppte und sie zurückholte. Lauscht man einem Interview, welches sich auf der Blu-ray befindet, so kann man Kotoko durchaus als Fortsetzung des Filmes Vital sehen, der 2004 mit Tadanobu Asano in der Hauptrolle erschienen ist. Aber eigentlich sind an und für sich sowieso alle Filme Tsukamotos stark miteinander verknüpft. Elemente wie Paranoia, Einsamkeit und Isolation finden sich in Kotoko wieder. Es ist jedoch ein Film, der stark von der aktuellen Stimmung des Zuschauers abhängig ist. Hat man mal einen sehr schlechten Tag erwischt, würde ich schleunigst davon abraten, diesen Film zu schauen. Von der technischen Seite hat man es hier trotz des geringen Budgets wieder einmal mit einer kleinen Glanzleistung zu tun. Größter Kritikpunkt ist aber die enorm starke Wackelkamera, die besonders für Zuschauer, die unter Motion Sickness leiden, zum Albtraum werden kann.

Insgesamt war Kotoko ein Erlebnis, welches ich schwer beschreiben kann und mir ganz sicher noch ein weiteres mal ansehen werde. Ein Fakt, der bei einem Shinya Tsukamoto Film immer gegeben ist. Wenn man ein Fan seiner Filmkunst ist, will man all seine Filme mehrmals sehen. Nicht, um sie besser zu verstehen, sondern einfach um tiefer in seine seltsamen Welten einzutauchen.




#3



Gozu (2003)
Originaltitel: Gokudô kyôfu dai-gekijô: Gozu
Regie: Takashi Miike
Genre: Mystery, Horror
FSK: Ab 16


Takashi Miike's Gozu habe ich erstmals vor so vielen Jahren gesehen, dass ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern kann, wann meine Synapsen zum ersten mal bei der Sichtung dieses Filmes durchgebrannt sind. Rund 16 Jahre nach der Veröffentlichung dieses verrückten Filmes hat sich daran auch nichts geändert. So sehr ich selbst über diesen Fakt überrascht bin, so ist Gozu einer der letzten experimentellen Filme von Miike. Miike galt grundsätzlich in seiner früheren Karriere als Auftragsfilmer, der Drehbücher von hoffnungsvollen Schreiberlingen verfilmt. Gozu (was wörtlich glaube ich Kuh bedeutet) ist eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Miike und einem langjährigen Weggefährten, Sakichi Sato. Bei Sato müssen Fans von Kill Bill aufpassen, dort spielt er im finalen Kapitel des Filmes des ersten Teils den unbeholfenen glatzköpfigen Charakter Charlie Brown. Was Gozu betrifft, so ist es genau der verrückte Film der dabei rauskommt, wenn zwei verrückte Typen einen Film drehen. Miike selbst distanzierte sich von solch surrealen Werken von Jahr zu Jahr mehr.

Was wir hier haben ist selbst für Fans von David Lynch sehr schwere Kost. Die Geschichte über zwei verbrüderte Yakuza Ganoven, endet als eine wirre, völlig abgedrehte und skurrile Tour de Force durch die japanische Provinz. Obwohl relativ wenig Blut fließt, lässt Miike stattdessen sämtliche bekannte Körperflüssigkeiten von Männlein und Weiblein fließen. Ein Ausgleich dafür, dass in diesem Film auf den roten Lebenssaft größtenteils verzichtet wird. Miike selbst bezeichnete Gozu einst als Liebesfilm. Doch er merkte auch an, wenn so ein seltsamer Kerl wie er auf einmal einen Liebesfilm drehen würde, würde man ihn wohl nur schräg ansehen. Miike fühlte sich viele Jahre in Live-Action Adaptionen zu erfolgreichen Manga und Anime wohl. Zuletzt adaptierte er einen Roman von Keigo Higashino. Ich selbst wünsche mir aber sehnlichst, dass Takashi Miike in seiner schier wahnwitzig langen Filmografie von über 100 Filmen noch einmal ein so irres Meisterwerk wie Gozu aus dem Hut zaubert. Relativ unwahrscheinlich vermutlich. Vermutlich auch genau so unwahrscheinlich wie jemals eine Blu-ray von Gozu zu entdecken.




#4




Escaflowne - The Movie (2000)
Regie: Kazuki Akane, Yoshiyuki Takei
Genre: Anime, Fantasy
FSK: Ab 16


Für diese Ausgabe des Japanuary nahm ich mir vor, 1-2 Anime Filme in die Liste aufzunehmen. Ein Film, der von der Lauflänge weder zu kurz noch zu lang war, ist der Film zur bekannten Anime TV-Serie The Vision of Escaflowne aus dem Jahr 1996. In den meisten Fällen sind Kinofilme zu bekannten Anime-Serien eher von mäßiger Qualität. Etliche Filme aus dieser Zeitspanne wurden aus Restmaterial nicht verwendeter Szenen der TV-Serie zusammengeschustert, andere Filme führten die Handlung einer erfolgreichen Serie eher lieblos fort. Der Kinofilm zu Escaflowne, welcher aus dem Hause Bones und Sunrise stammt und einige der Macher der TV-Serie zurückholte, ist eine erfrischende Ausnahme. Weder setzt der Film die Handlung der abgeschlossenen Serie fort, noch ist es ein Zusammenschnitt der Serie mit neuen Szenen. Der Film erzählt praktisch eine komplett neue Geschichte. Zwar haben wir es hier immer noch mit den bekannten Charakteren aus der Serie zu tun, jedoch agieren diese nicht nur anders, auch das Setting rund um den Planet Gaia wurde völlig auf Null zurückgesetzt. Statt einer bunten Teenie-Romanze setzt der Film sich mit Themen wie Selbstmordgedanken und Selbstzweifel auseinander, ist ein ganzes End düsterer und blutiger als die Serie und lässt viele Charaktere in einem neuen Licht erstrahlen.

Besonders aber was Umfang und Charakterisierung angeht kann der Film nicht mit der TV-Serie mithalten, versucht dies aber auch gar nicht erst. Beliebte Charaktere wie Allen werden zu einer unbedeutenden Nebenfigur degradiert. Eher kontrovers nervige Figuren wie Merle sind hingegen wesentlich erträglicher. Unter den Straffungen musste auch Dilandau leiden. Stattdessen konzentriert sich der Film auf die Brüder Van und Folken sowie die mental labile Hitomi. Sämtliche romantischen Elemente wurden auf ein Minimum reduziert, was man durchaus begrüßen kann, den Film aber auch vielleicht eine Nummer zu kühl und düster machen. Weitere Probleme gibt es auch in der Geschichte selbst, die zwar ohne Vorwissen aus der Serie nicht zu kompliziert ist, aber dennoch fragmenthaft und kryptisch wirkt. Spätestens das Ende dürfte dann den einen oder anderen Zuschauer ein wenig überfordern, wenn er mit der TV-Serie im Vorfeld nicht wirklich vertraut ist/war. Auch die Kämpfe mit den Guymelefs (den monströsen Mech-Robotern) wurden auf wenige Szenen reduziert. All das mag nach erheblichen Einbußen klingen, was es, grob gesagt, auch ist, aber die enorme Kurzweil des Films gepaart mit dem hinreißendem Soundtrack von Yoko Kanno und Hajime Mizoguchi machen den Escaflowne Film zu einer äußerst sehenswerten Angelegenheit. Dabei spielt es am Ende überhaupt keine Rolle, ob man die Serie zuvor gesehen hat oder nicht. Doch beides bezahlt man natürlich auch mit einem Preis. Hat man die Serie nicht gesehen, fehlt das Verständnis zur Welt und zu etlichen Charakteren. Hat man die TV-Serie gesehen, wird einem schnell der raue Stil des Films auffallen und man wird so einiges aus der Serie vermissen.

Letztendlich überwiegten für mich aber die angenehmen Aspekte im Film. Würde ich mir auch bedenkenlos noch einmal ansehen. Daher war der Escaflowne Film für mich ein sehr angenehmer Ausklang des ersten Teils meines Japanuary.



Teil 2 des Japanuary mit den Filmen 5-8 geht zwischen dem 30. oder 31. Januar Online. Die Bekanntgabe der nächsten Filme erfolgt am 25. Januar über meinen Twitter-Account. Bis Bald!

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