Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 22. März 2016

Review: The World of Kanako



Trailer






Japan 2014

The World of Kanako
Originaltitel: Kawaki
Basierend auf einen Roman von Akio Fukamachi
Regie: Tetsuya Nakashima
Darsteller: Koji Yakusho, Nana Komatsu, Joe Odagiri, Jun Kunimura, Satoshi Tsumabuki
Lauflänge: 119 Minuten
Genre: Thriller, Mystery
FSK: 18 (Keine Jugendfreigabe)



Ich frage mich manchmal selbst: "Kann dich nach all den Filmen, die du gesehen hast, wirklich noch etwas schockieren? Gibt es da wirklich etwas, was du noch nicht gesehen hast?"
Der Fakt, dass ich solche Monologe mit mir führe, tendiert wohl eher dazu, dass ich zu viele Filme gesehen habe. Aber um meine Frage zu beantworten: "Ja". Mit Escape from Tomorrow ist ein solcher Fall sogar erst kürzlich eingetreten. Das ein japanischer Film mich auf mehreren Ebenen beeindrucken konnte liegt auch schon ein paar Jahre zurück. Genau genommen ist es schon beinahe 3 Jahre her als mich im Jahr 2013 Tetsuya Nakashimas Adaption zu Kokuhaku (Geständnisse) sehr beeindrucken konnte. Es scheint, als herrsche im HD-Zeitalter eine kleine Identitätskrise im japanischen Kino. Nur wenige Filme aus Japan hatten in vergangener Zeit eine nachhaltige Wirkung auf mich. Womit ich aber auch nun keine Debatte lostreten will, dass das japanische Kino bald einen Offenbarungseid abgeben muss, so dramatisch ist es dann wiederum nicht.

Rund 3 Jahre später ist es also wieder eine Adaption unter der Leitung von Tetsuya Nakashima. Nakashima war vor "Kokuhaku" auf gewissen Ebenen zwar bekannt, den späten Durchbruch brachte ihm jedoch "Kokuhaku", der auch international gefeiert wurde. Nakashimas kühler, nüchterner Stil kombiniert mit wunderschönen Bildern ergab ein verstörendes Gemälde, ein kleines Kunstwerk. Die ständigen Vergleiche zu Battle Royale konnte ich jedoch nie teilen, denn dafür war "Kokuhaku" viel zu eigenständig. Mit der Adaption zu Akio Fukamachi's Roman hat Nakashima seinen Stil mit "Kawaki" aka "The World of Kanako" endgültig auf die Spitze getrieben. Sowohl positiv als auch negativ hat sich Nakashimas, man kann ihn schon einzigartig nennen, Stil weiterentwickelt.

Ein kurzer Ausblick was die Geschichte angeht: Akikazu Fujishima (brillant verkörpert von Koji Yakusho) ist nach allen Regeln der Kunst gescheitert. Ein beinharter Cop, ein miserabler Ehemann und ein noch wesentlich miserablerer Vater. Als sich Akikazus Frau von ihm trennte war sein endgültiger Abstieg besiegelt. Er quittierte seinen Dienst, begann in mehreren Jobs ziellos zu jobben, ist abhängig von Alkohol und Tabletten. Akikazu kann seine cholerischen Wutanfälle nicht kontrollieren und will dies auch gar nicht. Er fristet ein Leben in Selbstmitleid und Bedeutungslosigkeit bis eines Tages seine Frau anruft und nach der gemeinsamen Tochter fragt, Kanako. Wo ist Kanako? Seit Tagen ist sie nicht aufgetaucht und Kiriko, Kanakos Mutter, hat eine Entdeckung in Kanakos Zimmer gemacht, die noch wesentlich beunruhigender ist: Drogen. Ihre gemeinsame Tochter scheint abhängig von Speed und diversen Pillen zu sein. Zeit für Ex-Cop Akikazu noch einmal jenen knallharten Cop zu spielen, der er einmal war. Mit der Suche nach Kanako beginnt für ihn der Abstieg in die Unterwelt der japanischen Gesellschaft.

Zum einen vereint "The World of Kanako" viele Elemente aus "Kokuhaku". Da ich aber schon erwähnt habe, der Film bringe alles noch einmal auf die Spitze, ist noch einmal ordentlich Zündstoff hinter diesen Elementen. Der Film legt von Minute 1 eine aggressive, unbehagliche und zynische Atmosphäre an den Tag. Der Zuschauer wird schonungslos in die tiefen eines Ozeans geworfen, wird hilflos zurückgelassen. "The World of Kanako" beginnt mit scheinbar wirr aneinander gereihten Szenen die den Eindruck machen, als befinde man sich auf einen furchtbaren Trip. Es gibt keine Erklärungen und der Einstieg in die Geschichte ist durchaus schwer und teilweise noch schwerer zu verdauen.

In Sachen grafischer Gewalt gepaart mit einer durchaus verstörenden Atmosphäre muss sich "The World of Kanako" vor keinem CAT III Film aus Hong Kong verstecken. Dass die FSK hier ihren Segen erteilt hat grenzt an ein Wunder. Nakashima greift erneut gesellschaftskritische Themen wie Mobbing, Einsamkeit und Isolation auf. Bekannte Themen aus der japanischen Filmwelt die hier aber nicht erzwungen oder deplatziert wirken. Alle Szenen dienen ihrem Zweck, fügen sich geschmeidig in den Film ein. Ein wenig fühlte ich mich, besonders bei den bunten, abgedrehten Szenen öfter mal an ein Werk von Gaspar Noe erinnert (ein bisschen "Irreversibel", ein bisschen "Enter the Void"). Nicht immer gefiel mir der hektische Schnitt und die Kameraführung jedoch. Ein wenig hat man es hier durchaus übertrieben. All die wirren Szenen sollen den Wahnsinn des Filmes noch einmal unterstreichen, ist aber hier und da eindeutig übers Ziel hinausgeschossen.


(Illustration: Tradd Moore für CBR)



Schauspielerisch hat "The World of Kanako" einiges zu bieten. Zum einen sieht man hier einen geradezu furchteinflößenden Koji Yakusho als völlig abgewrackten Ex-Cop. Eine Rolle, in der ich ihn so noch nicht zuvor gesehen habe. Ebenso begeistert bin ich von der jungen Nana Komatsu, die eine ebenso diabolische Darstellung als Töchterchen Kanako abliefert. Doch noch mehr bekannte Darsteller haben sich hier die Ehre gegeben. Auch Joe Odagiri wird man hier mal wieder in einer Rolle sehen, wie man ihn schon lang nicht mehr gesehen hat (vermutlich seit "Azumi" nicht mehr).

Für den passenden Soundtrack war unter anderem die großartige Yoko Kanno zuständig. Gepaart wurden die exklusiven Stücke mit altbekannten, amerikanischen Klassikern. Darunter ein ganz besonderer Oldie von Dean Martin, "Everybody Loves Somebody" (hach, so ein passender Track). Überraschend ist, wie wenig Songs in japanischer Sprache es auf den Soundtrack geschafft haben.

Obwohl ich immer noch ganz hypnotisiert von "The World of Kanako" bin, so gibt es schon Dinge, die nur unbefriedigend zum Ende aufgeklärt wurden. Besonders das Auftauchen von vielen Charakteren (die auftauchen und verschwinden als ob ein Magier dafür verantwortlich gewesen ist) verkompliziert die wirr gestrickte Geschichte noch mehr. Auch die für so einen Film brachiale Laufzeit von fast 2 Stunden dürften jedem Zuschauer schwer in den Knochen liegen. "The World of Kanako" übt ein regelrechtes Dauerfeuer auf die Psyche aus und nach dem Abspann muss man doch erst einmal auspusten bevor man Revue über das Gesehene passieren lassen kann. Eine etwas kompaktere Laufzeit von 100 Minuten hätten dem Film nicht schlecht getan. Das beinahe schon kontrovers offene Ende habe ich hingegen relativ positiv aufgenommen (weil ein Film einfach auch mal enden muss, und manchmal muss ein Film ohne einen eleganten Epilog enden).

Und irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, Regisseur Nakashima hat sich hier seine eigene, kleine kranke Laura Palmer geschaffen. Der ein oder andere surreale Wink zur Filmkunst von David Lynch lässt sich ganz sicherlich nicht leugnen.






Fazit

"The World of Kanako" kann ganz schön Krach im Kopf machen. Ein schwer zu verdauender Film der selbst für hart gesottenen Filmfans noch einiges auf Lager hat. Nakashima liefert einen jener Filme ab, die Fans japanischer Filmkunst mittlerweile beinahe vergessen haben dürften. Teilweise wunderschön gefilmt, völlig abgedreht und brutal. In Japan löste der Film eine Kontroverse aus. Nachdem bereits Tohu ablehnte, den Film zu produzieren, gab es trotz all der Inhalte im Film noch ein bequemes R-15 Rating (was besonders vielen Eltern sauer aufgestoßen ist, da die meisten Figuren, die im Film vorkommen, minderjährig sind). Die eigentliche Kontroverse bestand darin, dass Jugendliche durch eine Promotion kostenlos ins Kino gelockt wurden. Regisseur Nakashima reagierte auch auf die Kritik was die Gewalt im Film angeht und entschuldigte sich, ist sich aber sicher, mit "The World of Kanako" bei den Zuschauern die richtige Wirkung zu erzielen.

Ein wenig stehen sich Nakashima und sein Team aber selbst im Wege. Der wirre Plot und die lange Laufzeit machen "The World of Kanako" nicht gerade zu einem leicht zugänglichem Werk. Überraschend für mich war jedoch, dass die lange Laufzeit kaum negativ aufgefallen ist. Dennoch wiegt dieser Film schwer wie Blei. Handwerklich gibts hier aber viel zu viel zu bewundern, als das die Kontrapunkte den Gesamteindruck zu sehr verderben könnten. Aufgrund der überaus harten Thematik dürfte die Zielgruppe für "The World of Kanako" wesentlich eingeschränkter sein als noch bei "Kokuhaku" (in Deutschland ab 16 freigegeben). Trotzdem dürfte für jeden Fan japanischer Filmkunst "The World of Kanako" ein Trip werden, den er so schnell nicht wieder vergessen dürfte.

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