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Samstag, 29. April 2017

Rezension: Der Dieb (Fuminori Nakamura)


(Foto: © Sodo Kawaguchi) 



Japan 2009

Der Dieb
Originaltitel: Suri
Autor: Fuminori Nakamura
Verlag: Diogenes
Übersetzung aus dem Japanischen: Thomas Eggenberg
Genre: Unterwelt-Drama



"Ishikawa hatte nicht nur eine flinke Hand, sondern auch ein geschliffenes Mundwerk. Früher hatte er oft seine Jobs gewechselt und sich nur als Taschendieb betätigt, wenn er Geld brauchte. Bevor wir uns begegneten, war er in einer berüchtigten Gruppe von Kapitalanlagebetrügern aktiv gewesen.
>>Wenn ich mich wie unsichtbar durch die Menge bewege, ist das ein besonderes Gefühl. Erleben wir Zeit, je nach Situation, nicht mehr oder weniger intensiv? Wenn du zockst oder irgendeinen Investitionsschwindel aufziehst, spürst du die gleiche prickelnde Anspannung. In dem Moment, wo du das Gesetz übertrittst, wo du mit einer Frau aus dem Yakuza-Milieu schläfst oder sonst mit einer, die total crazy und unberechenbar ist - in dem Moment wird dein Bewusstsein extrem stimuliert, es zieht dich rein, und du hebst ab ... Diese verrückte Erfahrung, dieser Rausch gibt sich aber nicht mit dem einen Mal zufrieden. Er verlangt nach Wiederholung, nach Abwechslung, gierig, unersättlich. Er treibt dich an, wie ein zweites Ich in dir. Will noch einmal dieses Gefühl, noch einmal jenes Gefühl auskosten ... In meinem Fall ist es die Kunst des Klauens. Das gibt mir den größten Kick.<<"
(Der Dieb: Fuminori Nakamura. Verlag: Diogenes. Übersetzung: Thomas Eggenberg)



Ein Buch, welches mich auf meiner stressigen Zeit im April begleitet hat war, "Der Dieb" von Fuminori Nakamura. Ich muss zugeben, ich hatte das Buch vor einigen Wochen zufällig unter den Taschenbuch-Neuheiten in der Buchhandlung entdeckt und kannte den Autor zuvor überhaupt nicht. Interessant zu wissen ist jedoch, der Name "Fuminori Nakamura" ist ein Pseudonym, etwas, was den jungen Autor von einer gewissen mysteriösen Atmosphäre umhüllt. Der Name mag ein Pseudonym sein, der Erfolg in seiner Heimat ist nicht ausgedacht, sondern basiert auf Tatsachen. Besser gesagt, Verkäufen. Mit 39 Jahren gehört Nakamura mitunter zu den Auflagenstärksten Autoren in Japan. 2005 gewann er den begehrten "Akutagawa Preis", 2010 gewann er den "Oe Kenzaburo Preis" für den hier besprochenen Kurzroman "Der Dieb". Mit der englischen Adaption zu "Der Dieb" machte Nakamura auch im Ausland auf sich aufmerksam und heimste für den Roman zahlreiche Preise ein.

Doch was steckt denn hinter den ganzen Lobpreisungen? Viel Rauch um nichts oder doch frischer Wind in der Weltliteratur? Bevor ich die Frage beantworte, müsst ihr euch noch ein wenig gedulden. "Der Dieb" ist kein Kriminalroman. Die Geschichte könnte schnell in die Krimi-Schublade gelegt werden, was allerdings ein Fehler wäre. Zwar bietet der Roman eine menge Elemente, die auch ein Kriminalroman gerne beinhaltet, "Der Dieb" ist allerdings ein knallhartes Unterwelt-Drama. Der Ich-Erzähler, dem der Titel gewidmet ist, ist ein Verbrecher, dessen düstere Geschichte sich im Verlauf des Romans immer weiter entfaltet (den Name des Diebes werde ich nicht verraten, er ist aber nicht namenlos, so viel sei schon einmal gesagt). Der Leser folgt hier keinen überforderten Kriminalisten oder aber überdurchschnittlich intelligenten Professoren (ohne nun die Werke von Keigo Higashino abwerten zu wollen). "Der Dieb" ist eine schnörkellose Geschichte. Eine Geschichte, in der Blut fließt. Eine Geschichte über zwielichtige Gestalten und der Yakuza (die japanische Mafia). Eine Geschichte über den Kick, den Nervenkitzel, den die Protagonisten bei einer Straftat verspüren.

Wie schon mein zuletzt besprochenes Buch, "Lebensgeister" von Banana Yoshimoto, so ist "Der Dieb" ein Kurzroman. Gerade mal etwas über 200 Seiten ist der Roman lang. Wie aber auch Banana Yoshimotos Roman, so profitiert Nakamuras Roman von dieser Kürze. "Der Dieb" beginnt direkt zum Auftakt furios und nimmt den Leser gleich mit auf einen Beutezug des Ich-Erzählers. Der Leser ist hier der Beobachter, er spürt den selben Nervenkitzel wie der Dieb. Diese Spannung entlädt sich, sobald der Dieb an seine Beute gekommen ist. "Der Dieb" liest sich relativ häufig wie ein Filmscript, und genau dieser Stil macht diese Geschichte so einzigartig. Die Charaktere, die Nakamura geschaffen hat, sind relativ kryptisch beschrieben. Für den Leser werden die Handlungen, ganz besonders die Handlungen des Diebs, erst im Verlaufe der Geschichte klar. Der einzige Haken, der sich hinter der furiosen Erzählweise und vergleichsweise kurzen Länge des Romans verbirgt sind einige sehr krasse Szenensprünge. Auch mit den Namen kommt man manchmal etwas durcheinander. Obwohl ich mich relativ sicher fühle, was japanische Namen angeht, so hätte glaube ich dem Dieb ein kleines Personenregister nicht geschadet. Dies sind jedoch kleinere Aspekte, die nicht den Gesamteindruck trüben werden.

Nakamuras Schreibstil ist geprägt, als schaue man sich einen Film von Fukasaku oder Kitano an. Was die Gewalt in "Der Dieb" angeht, so ist der Vergleich zu den Werken Takeshi Kitanos sogar noch viel passender. Gewalt wird hier als ein Stilmittel benutzt, um den Leser zu verstören. Hier gibt es keine wilden Ballereien mit blutigen Schießereien, dafür kommt die Gewalt jedoch wie ein Knall. Unerwartet für Protagonist und Leser. Dieses Element spielt Nakamura brillant aus und setzt der Spannung an sich noch einmal einen drauf.

Wie man es von Diogenes gewohnt ist, hat man hier erneut aus dem japanischen übersetzen lassen. Thomas Eggenberg liefert einmal mehr eine flüssige Übersetzung ab, die sich ausgezeichnet liest. Wie immer bei Thomas Eggenbert gibt es wieder die ein oder andere, gut platzierte Randnotiz. Auch beim Titel des Buches ist man unglaublich nah am Original geblieben. Der japanische Originaltitel lautet "Suri", was übersetzt so viel wie "Taschendieb" bedeutet. Dazu liefert der Verlag noch ein äußerst passendes Cover-Motiv.


"Draußen hingen die Wolken wie graue, schwere Lappen am Himmel, und es goss in Strömen. Mein Pulsschlag wurde schneller, ich dehnte meine Finger. Ich stellte mir vor, ich würde ein Taxi rufen, in einem belebten Stadtviertel aussteigen und meine Hand in die Taschen der Leute schlüpfen lassen; ich stünde mitten im Gewühl, würde ein Portemonnaie nach dem anderen greifen, mit flinken, präzisen Handbewegungen ... Es hörte nicht auf zu regnen, und mein Puls beruhigte sich nicht. Mach schon!, hörte ich die innere Stimme und versuchte zugleich, sie zu besänftigen."
(Der Dieb: Fuminori Nakamura. Verlag: Diogenes. Übersetzung: Thomas Eggenberg) 



Resümee

Angesiedelt zwischen Kitano und Dostojewski, packt "Der Dieb" zu. Er packt sich nicht nur die Portemonnaies von ahnungslosen Passanten, er packt sich auch seine Leser. Dieser Dieb raubt nicht nur, er zieht die Leser gleichermaßen mit in sein Verderben. All das macht Nakamuras Roman zu einem Erlebnis voller Wendungen, Spannung und Pessimismus. Um also nun die Frage aus dem zweiten Absatz dieser Besprechung zu beantworten, so kann ich beruhigt eine Empfehlung aussprechen. Fuminori Nakamuras Roman ist der frische Wind, der dafür sorgte, dass ich das Buch in wenigen Tagen verschlungen habe. Und obwohl "Der Dieb" kein waschechter Krimi ist, so dürften bei diesem Werk durchaus auch Hobby-Kriminalisten ihre Freude haben. Hoffen wir darauf, dass das umfangreiche Werk von Fuminori Nakamura noch das eine oder andere mal den Weg in die deutsche Sprache finden wird.



"Ich widerstand der Versuchung, nochmals über meine Schulter zu blicken, und dachte, dass es besser gewesen wäre, gar nicht erst hierherzukommen. Ich fühlte die Gegenwart des Turms, der von hier aus nicht zu sehen war, fühlte den unaufhörlichen Regen, die gewaltigen Wolken, aus denen es endlos goss - und sah mich selbst, wie ich in dieser Landschaft meines Weges ging."
(Der Dieb: Fuminori Nakamura. Verlag: Diogenes. Übersetzung: Thomas Eggenberg)

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