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Mittwoch, 31. Oktober 2018

Rezension: Der Abgrund in dir (Dennis Lehane)




USA 2017

Der Abgrund in dir
Originaltitel: Since We Fell
Autor: Dennis Lehane
Übersetzung: Steffen Jacobs, Peter Torberg
Genre: Mystery, Drama, Thriller


"Der Abgrund in dir" war von Dennis Lehane eigentlich immer als Film geplant. Die Filmrechte gingen daher bereits 2015 an DreamWorks, bevor Lehane überhaupt die komplette Geschichte zu Papier gebracht hatte. Der Roman erschien etwas später als erwartet und so wird man sich auf die geplante Adaption wohl noch gedulden müssen. Aber wie immer gilt die goldene Regel, erst das Buch zu lesen und dann darüber zu lästern, was im Film alles fehlt. Und man kann davon ausgehen, dass mal wieder viel fehlen wird denn "Der Abgrund in dir" ist ein langer, umfangreicher und detailverliebter Roman. Bei über 500 Seiten (immer noch über 400 Seiten in der englischsprachigen Ausgabe) hat Dennis Lehane sich wieder einmal nicht zurückgehalten.

Der Originaltitel unterscheidet sich hier erheblich von dem deutschen Titel. "Since We Fell" taufte Lehane seine Geschichte, die nicht nur auf das Schicksal der Protagonistin im Roman anspielt sondern auch eine Anspielung auf den 1947 veröffentlichten Song "Since I Fell For You" von Buddy Johnson ist, der im laufe der vielen Jahre oft gecovert wurde. Zusätzlich birgt der Titel noch viele Hinweise auf das Thema des Buches: Sich verlieben. Sich in jemanden vergucken. Man muss nur den sehr kurzen, kryptischen Prolog aufschlagen, um diese Botschaft zu verstehen. Aber ein Autor, der sich mit Romanen wie "Mystic River" oder "Shutter Island" einen Namen gemacht hat, fängt natürlich nicht auf einmal an, schnulzige RomComs zu schreiben (bei dem Titel nicht ganz auszuschließen). Wieder einmal ist Dennis Lehane als Magier unterwegs, denn im laufe des Buches hat er so einige Tricks auf Lager.

Im Mittelpunkt dieses mysteriösen Verwirrspiels steht die Fernsehjournalistin Rachel Childs, die während einer Aufnahme einen Nervenzusammenbruch erleidet. Der Erfolg in der Karriere ist dahin und Rachel erkrankt an Angst- und Panikzuständen. Das Unheil nimmt seinen Lauf, ihre Ehe zerbricht und Rachel versinkt in ein Meer aus Depressionen und beinahe schon paranoid schizophrenen Zuständen. Als Rachel den Unternehmer Brian Delacroix trifft und dieser sie aus ihrem Loch befreit, beginnt für sie ein neues Leben. Ein neues Leben, welches gleichzeitig ihren größten Albtraum besiegelt.

Kaum ein anderer Autor auf dem Gebiet schafft es wie Dennis Lehane, verwirrende Irrfahrten in seinen Geschichten einzubauen. Was er damals bei Shutter Island meisterhaft geschafft hat, gelingt ihm in "Der Abgrund in dir" auf eine ebenso geschickte, jedoch andere weise. Auch wenn es Vergleiche zu "Gone Girl" gibt und die Rückseite des Covers auch noch mit einem Zitat von Gillian Flynn garniert ist, so sollte man unbedingt beide Werke voneinander trennen. Zwar gewinnt Dennis Lehane hier sicherlich nicht den Innovationspreis dafür, ausgerechnet jetzt erstmals eine weibliche Protagonistin zu erschaffen, aber es war wohl auch nie das Ziel, das Genre gleich komplett neu zu revolutionieren. Wovon "Der Abgrund in dir" profitiert ist die Cleverness der Geschichte. In gleich mehreren Abschnitten ist der Roman unterteilt und entfaltet eine massive Charakterstudie. Mit Ausnahme von kleineren Durststrecken weiß es diese Charakterstudie, seine Leser durchweg zu unterhalten.  Den Roman als "Mystery-Drama" zu bezeichnen ist keine falsche Wahl.



Resümee


Dennis Lehane beweist auch in einem etwas anderen Fahrwasser sein Können. Er ist und bleibt auf seinem Gebiet nahezu unerreicht. Eine Empfehlung für die Fans von "Gone Girl" auszusprechen fällt mir gar nicht mal so leicht, denn man hat es hier schon mit relativ unterschiedlichen Geschichten und Stilen zu tun. Fans von spannenden Mystery-Geschichten, die ihre Leser an der Nase herumführen werden hier jedoch absolut nicht enttäuscht werden. Ich gehe sogar so weit und würde "Der Abgrund in dir" zu den besten Büchern zählen, die ich 2018 gelesen habe (und mein Jahr war enorm von Science Fiction geprägt). Wer ein bisschen Zeit übrig hat, der sollte es sich besonders jetzt zur Herbstzeit mit diesem Buch am Abend gemütlich machen und sich komplett auf die Geschichte von Rachel Childs einlassen.

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