Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Einwurf: Verliert die Weltliteratur an Bedeutung?




Anstoß für diesen Einwurf war der Artikel "Why Bob Dylan shouldn't have gotten a Nobel". Veröffentlicht am 16.10.2016 bei der New York Times. Verfasst von Anna North: Link zum Artikel 


Noch immer wird über die kontroverse Entscheidung, Bob Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur auszuzeichnen, heftig diskutiert. Ein Artikel der New York Times schließt sich den kritischen Stimmen an, ohne jedoch Bob Dylan zu anzugreifen (der ja überhaupt keinen Einfluss auf die Entscheidung hatte) oder sich abstrusen Verschwörungstheorien anzuschließen. Die Journalistin Anna North sieht in der Vergabe einen Gewinn für die Musikindustrie, jedoch nicht für die Weltliteratur.

"[...]He does deserve the many Grammys he has received, including a lifetime achievement award, which he won in 1991. He unquestionably belongs in the Rock & Roll Hall of Fame, into which he was inducted in 1988 along with the Supremes, the Beatles and the Beach Boys.[...]
[...]But by awarding the prize to him, the Nobel committee is choosing not to award it to a writer, and that is a disappointing choice.[...]" 

Der Tenor des Artikels der New York Times: Hier wurde ein Musiker ausgezeichnet, kein Schriftsteller. Bob Dylan, der große Auszeichnungen in seinem Leben bereits für seine Verdienste als Musiker erhalten hat, nun auch noch mit einem Preis ausgezeichnet wird, mit dem er eigentlich gar nichts zu tun hat. Dies würde, so die Journalistin weiter, die Weltliteratur an sich schmälern, denn immer weniger Leute würden zu einem Buch greifen. Die Journalistin macht natürlich darauf aufmerksam, dass es sich hier natürlich nicht um den Untergang der Literatur an sich handelt, sondern die Musikindustrie, der es relativ gut geht (um es nüchtern auszudrücken), nun auch noch von dem Nobelpreis der Literatur profitiert.

Die Frage ist natürlich, wieso hat man sich ausgerechnet für Bob Dylan entschieden? David Bowie, wenn vielleicht auch etwas kontroverser, hat zu seinen Lebzeiten nicht weniger erreicht als Bob Dylan und hatte bis zu seinem Tod zu beginn dieses Jahres neue Musik gemacht, die weltweit anklang fand. Somit dürften aber auch andere Vertreter dieser Zunft wie Paul McCartney, Bruce Springsteen oder auch Neil Young zu künftigen Favoriten für den Preis zählen, die allesamt enorme Erfolge vorzuweisen haben und legendäre Songwriter sind. Wieso man sich ausgerechnet nun für Bob Dylan entschieden hat, wo ich mir nicht unbedingt sicher bin, dass seine Musik Generationsübergreifend ist (zumindest bezogen auf die aktuelle Generation), kann man natürlich nachlesen. Das Zitat des Komitees kling etwas zufällig ausgewählt und würde auch auf unzählige andere Musiker zutreffen.

[...[By honoring a musical icon, the committee members may have wanted to bring new cultural currency to the prize and make it feel relevant to a younger generation.[...]
[...]But there are many ways they could have accomplished this while still honoring a writer. They could have chosen a writer who has made significant innovations in the form, like Jennifer Egan, Teju Cole or Anne Carson.[...] 

War die Entscheidung zugunsten Bob Dylans also ein Versuch, die Kategorie rund um den Nobelpreis für Literatur ein wenig zu modernisieren? Dies ist eine Theorie der Journalistin des Artikels. Wobei ich hier widersprechen muss. Wie ich bereits einmal erwähnt habe, Bob Dylan wurde von den Buchmachern bereits einige Jahre zuvor als Favorit für den Preis gehandelt. Von Modernisierung kann hier jedoch nicht die Rede sein. Den Nobelpreis für Literatur jüngeren Leuten zugänglich zu machen und sich dann für Bob Dylan entscheiden hat nichts mit Modernisierung zu tun. Bob Dylan macht in der Tat noch neue Musik, anders als bei dem erwähnten David Bowie jedoch ist diese aus heutiger Sicht weniger generationsübergreifend. Wenn man mit der Vergabe ein jüngeres Publikum ansprechen wollte, war Bob Dylan sicherlich die falsche Person.

Eine grundsätzliche Modernisierung des Preises, und da liegt Anna North komplett richtig, ist dringend nötig. Die vergangenen Jahre, und damit will ich nun nicht die Preisträger schmälern, hatten die Vergaben häufig mal politische Hintergründe oder aber der Preisträger war schlicht und ergreifend nur in Fachkreisen bekannt und geschätzt. Der Nobelpreis für Literatur kann aber so viel besser eingesetzt werden. Denn neben dem Preisgeld ist ganz besonders der kommerzielle Schub für Autor und Verlag sehr relevant. Kann der Verlag seine Veröffentlichungen des Autors mit "Nobelpreis für Literatur 20XX" Aufklebern schmücken, werden die Leser darauf aufmerksam. Selbst für die breite Masse weniger bekannte Autoren, darunter vergangene Preisträger zu denen Alice Munro oder Patrick Modiano zählen, profitierten eine ganze Zeit lang von der Auszeichnung. Natürlich bleibt die Frage, benötigt ein erfolgreicher Autor die Auszeichnung überhaupt? Die Frage ist schwer zu beantworten. Im Vordergrund sollte jedoch immer die Literatur stehen und einen populären und/oder modernen Autor, der über genau so moderne Themen schreibt (ohne zu sehr ins politische abzudriften), auszuzeichnen, dies wäre ein wichtiger Schritt. Auch mit der Entscheidung pro Bob Dylan wird der Nobelpreis für Literatur sicherlich nicht mehr jüngere Menschen erreichen als zuvor, oder, besser gesagt, jüngere Menschen dazu zu bringen, sich aus freien Stücken ein Buch zur Hand zu nehmen. Die Auszeichnung wirkt angestaubt, wie ein Altherrengetränk, bei dem sich die Verantwortlichen weigern, ihre Philosophie etwas an die modernen Zeiten anzupassen.

"Instead, the committee gave the prize to a man who is internationally famous in another field, one with plenty of honors of its own. Bob Dylan does not need a Nobel Prize in Literature, but literature needs a Nobel Prize. This year, it won’t get one."

Mit schönen Abschlussworten hat Anna North das Thema dann noch einmal auf den Punkt gebracht. Das Nobelpreis-Komitee zeichnete einen bedeutenden Mann aus, der allerdings in der völlig falschen Rubrik den Preis gewonnen hat. Auch wenn ich die Entscheidung noch immer relativ neutral sehe, kann ich den Aussagen einfach nicht widersprechen. Dieses Jahr ging die Zunft der Schriftsteller leer aus. Gewonnen hat ein Mann, der bereits alle nur erdenklichen Auszeichnungen in seinem Gebiet abgeräumt hat. Definitiv eine Schlappe für die Weltliteratur. Natürlich sollte man die Situation auch nicht überdramatisieren.

Viele Gegner des Nobelpreises wollen die Kategorien immer kleinreden. Die Auszeichnung, und daran wird sich auch nichts ändern, besitzt noch immer eine menge Prestige. Wenn die richtigen Leute, die tatsächlich einen positiven Einfluss auf unsere Generation haben, ausgezeichnet werden, kann man den Glanz dieses angestaubten Preises wiederherstellen. So wie es jedoch aktuell aussieht, ist man auf einem falschen Weg. Musiker sollten Musikpreise gewinnen, Schriftsteller Literaturpreise. In gewissen Aspekten konservativ zu sein ist gewiss kein Rückschritt. Immerhin wird ein Koch bestimmt auch nicht mit Sternen ausgezeichnet, weil er als Hobby sehr gut Haare schneiden kann.

Die Frage, ob die Weltliteratur nun an Bedeutung verliert kann sicherlich nicht beantwortet werden. Die Trends liegen derzeit aber eher bei Jugendliteratur, Romantic-Fantasy und Self Publishing Werken (die Leser günstig digital erwerben können). Tatsächlich sollte der Nobelpreis für Literatur genug Tragkraft besitzen, um auch anspruchsvollere Werke mal wieder auf die Besteller-Listen unserer Welt zu fegen. Etwas, worüber das Nobelpreis-Komitee sich vielleicht mal mehr Gedanken machen sollte. Ich bezweifle jedoch stark, dass sich an den Prinzipien dieser Herren und Damen in den kommenden Jahren etwas ändern wird. Bereits die nächste Auszeichnung könnte wieder an eine Person vergeben werden, wo sich selbst Bob Dylans Kritiker noch wünschen werden, sie hätten sich der Kritik gegen den Musiker besser nicht angeschlossen.


Bis zum nächsten Einwurf,
Aufziehvogel

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