Die Stadt der Blinden ist zwar erst der zweite Roman, den ich von ihm gelesen habe, aber es wird definitiv nicht der letzte sein.
Zur Handlung: Ein Mann erblindet eines Tages ganz plötzlich, während er in seinem Auto an einer Ampel steht. Es gibt keine Erklärung für diese Blindheit, auch der Augenarzt, den er aufsucht, kann keine Ursache feststellen. Auch dieser erblindet kurze Zeit später und mit ihm viele weitere Menschen. Die plötzliche Blindheit entwickelt sich langsam aber sicher zu einer Art Volkskrankheit und die Regierung weiß sich nicht anders zu helfen, als die Blinden gemeinsam in einer verlassenen Irrenanstalt unterzubringen. Die Frau des Augenarztes kann zwar noch sehen, gibt aber vor, ebenfalls erblindet zu sein, damit sie zusammen mit ihrem Mann in besagter Anstalt weiterleben kann.
Der Roman kann als eine Art Gedankenexperiment beschrieben werden: Was wäre, wenn die gesamte Menschheit erblinden würde? Wie würde das tägliche Leben funktionieren? Wie ist ein solches Leben möglich?
Die Zustände in der Anstalt verschlechtern sich. Zunächst herrscht noch Ordnung, die Essensrationen werden gerecht unter den Internierten aufgeteilt, die sanitären Anlagen sind noch intakt und der Platz reicht aus. Doch je mehr Blinde eingewiesen werden, desto desaströser wird die Lage. Für die Frau des Arztes wird ihre Fähigkeit, zu sehen, zunehmend zur Belastung, da sie den Zerfall und das Elend in ganzem Ausmaß erblicken kann.
Und dieses Ausmaß wird drastisch beschrieben. Die Schilderungen sind schonungslos, ausführlich und was dort geschieht, ist nicht nur hygienisch, sondern auch menschlich betrachtet, häufig widerwärtig. Doch gerade das macht den Roman aus, das Gedankenexperiment wird konsequent durchgespielt.
Eine Eigenart von Saramagos Stil sind die langen Sätze, in denen direkte Rede nicht als solche gekennzeichnet, sondern einfach durch Kommata aneinandergereiht wird, was dem Leser ein Gefühl von Unmittelbarkeit gibt, aber auch Aufmerksamkeit fordert.
"[...] Ich möchte damit sagen, dass es vierzig Tage wie vierzig Wochen sein können, vierzig Monate oder vierzig Jahre, wichtig ist vor allem, dass die Menschen isoliert bleiben, Jetzt müssen wir nur noch entscheiden, wohin wir sie schicken, Herr Minister, sagte der Präsident der Kommission für Logistik und Sicherheit, die schnell zu diesem Zweck gebildet worden war und sich um den Transport kümmern wollte, um die Isolierung und Versorgung der Infizierten, Welche unmittelbaren Möglichkeiten haben wir denn, wollte der Minister wissen, Wir haben eine leerstehende Irrenanstalt, die darauf wartet, einer Bestimmung zugeführt zu werden, militärische Einrichtungen, die aufgrund der plötzlich erfolgten Umstrukturierung der Armee nicht mehr gebraucht werden, ein Messegelände, das fast fertiggestellt ist, und außerdem, wobei mir niemand eine Erklärung dafür geben kann, einen Großmarkt, der Konkurs angemeldet hat, Welches von diesen Geländen würde Ihrer Meinung nach unseren Zwecken am besten dienen, Die militärische Einrichtung bietet die besten Sicherheitsvorkehrungen, Natürlich, Sie hat jedoch einen Nachteil, sie ist zu groß, und die Bewachung der Internierten wäre schwierig und aufwendig, Aha, ich verstehe [...]."
(Man bedenke, dass Anfang und Ende des Satzes hier fehlen, er ist also eigentlich deutlich länger... insgesamt erstreckt er sich etwa über eineinhalb Seiten.)
Der Roman steckt trotz der drastischen und auch oft brutalen Schilderungen voll schöner Wahrheiten und Weisheiten:
"Wir haben alle unsere Augenblicke der Schwäche, und es ist nur gut, dass wir noch weinen können, das Weinen ist oft eine Rettung, es gibt Situationen, da würden wir sterben, wenn wir nicht weinen könnten [...]."
Zusammenfassend kann ich sagen, dass Saramagos Stil vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist, es sich aber wirklich lohnt, sich darauf einzulassen. Ein solcher Stil zeugt von einem gekonnten Umgang mit Sprache.
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