In Skandinavien brodelt es. Stieg Larssons elfter Todestag nähert sich, ein neuer "Millennium-Roman" ist erschienen und Jussi-Adler Olsen, der Paulo Coelho des Kriminalromans, ruft zum Boykott des Buches auf. Puh! Da ist ja einiges im Gange. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich las, ausgerechnet der Meister der Fließband-Literatur, Adler Olsen, boykottiert die erste legitime Fortsetzung einer Reihe, die vor rund 8 Jahren endete.
Vor einigen Wochen erfuhr ich ausgerechnet über eine Mail, die mir Amazon sendete, von der bevorstehenden Veröffentlichung von "Verschwörung", dem vierten, offiziellen Roman der "Millennium-Reihe". Da alle 3 Romane, die Stieg Larsson schrieb, posthum veröffentlicht wurden, lag es nahe, dass der im Jahr 2004 verstorbene schwedische Journalist und Autor mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an der Fortsetzung beteiligt sein wird. Und dies ist kein Galgenhumor meinerseits, denn die Chance bestand durchaus, dass ein neuer Millennium-Roman von Larsson erscheinen könnte. Laut Larssons Lebensgefährtin, Eva Gabrielsson, existiert ein zu rund 30% fertiggestelltes Manuskript zu einem vierten Roman der Reihe ("Guds hämd", übersetzt: "Die Rache Gottes"), welches Larsson aber zu Lebzeiten nicht mehr beenden konnte. Es ranken sich um dieses mysteriöse Manuskript seit Jahren Gerüchte und es gab bislang keinen beweis dafür, das dieses überhaupt und tatsächlich existiert (auch wenn es keinen Grund gibt, Eva Gabrielsson nicht zu glauben). Rund 200 Seiten soll dieses Manuskript füllen. Der Ausgang dieser teils schon kuriosen Rechtslage ist jedoch bekannt. Da Larsson durch seinen links ausgerichteten Journalismus häufig ein Ziel von Rechtsextremen war, kam für ihn eine Heirat zum Schutze seiner Lebensgefährtin, die nicht ins Fadenkreuz geraten sollte, nie in Frage. Durch Stieg Larssons überraschenden Tod jedoch gab es keine Dokumente, in denen vermerkt war, das die Rechte für Larssons posthum veröffentlichte Millennium-Romane an seine Lebensgefährtin gehen sollten. Somit wanderten die Rechte automatisch an Stieg Larssons Familie, und fortan sollten sein Vater und sein Bruder nicht nur die Millionen erben, sondern auch sämtliche Rechte. Eva Gabrielsson ging, zumindest war dies die Version für die Öffentlichkeit, leer aus. Laut eigenen Aussagen hätte sie das unfertige Manuskript beenden können. Laut Kurdo Baksi, einem Freund von Larsson und Gabrielsson, existiere wohl sogar noch Material für gar einen fünften oder sechsten Roman, also eine zweite Trilogie. Somit sei nicht geklärt, dass das zu 30% fertiggestellte Material des vierten Bandes auch wirklich dem vierten Band zugeordnet werden kann, da Larsson anscheinend gerne in nicht chronologischer Reihenfolge arbeitete. Wie begeistert Eva Gabrielsson über den neuen Roman ist, der nun weltweit Ende August erschienen ist, kann man sich vermutlich denken (sie hat ihrem Unmut auch schon öffentlich Luft gemacht).
Auch ich staunte nicht schlecht, dass sich Larssons Familie gegen das vorhandene Material entschieden hat. Damit ist ein versöhnliches Ende dieses Rechtsstreites auch weiterhin nicht in Sicht. Einen Ghostwriter zu engagieren war für beide Parteien jedoch nie eine Option. Also musste ein Autor her, der ähnlich veranlagt ist wie Larsson, sich aber doch erheblich von ihm unterscheidet. Die Wahl fiel auf einen Routinier, nämlich auf den schwedischen Journalist und Autor David Lagercrantz. Hier enden die Parallelen aber auch schon. Lagercrantz stammt aus einer bekannten, schwedischen Familie von Intellektuellen (Lagercrantz selbst sieht seine gehobene Herkunft als großen Malus an). Als Redakteur für die bekannte schwedische Tageszeitung Expressen machte sich Lagercrantz in den 80er und 90er Jahren jedoch einen Namen als Journalist für Kriminalfälle. Als Autor ist Lagercrantz sowohl für Sachbücher (Biografien) als auch Belletristik in seinem Heimatland bekannt. Außerhalb von Schweden dürfte er Bekanntheit gewonnen haben, weil er es war, der die Interviews, die er mit dem schwedischen Fußballprofi und Enfant Terrible Zlatan Ibrahimovic führte, zu einem Bestseller machte (deutscher Titel: "Ich bin Zlatan Ibrahimovic").
Larsson und Lagercrantz bewegten sich auf ähnlichen Territorien, doch bereits von ihrer journalistischen Karriere her könnten sie sich nicht weiter voneinander unterscheiden. Und vielleicht ist genau dieser Punkt ausschlaggebend. In einem Statement sprach Lagercrantz großes Lob für Larssons Werk aus. Er hätte es schade gefunden, wenn Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist, zwei so wunderbare Charaktere, irgendwann in Vergessenheit geraten könnten. Man muss kein Geheimnis drum machen, Stieg Larsson revolutionierte nicht mit seinen komplexen Plots das Genre des Kriminalromans. Seine Plots waren dank unerwarteter Wendungen solide und unterhaltsam, mehr aber auch nicht (teilweise aber auch zu politisch und enorm linkslastig ausgelegt). Das Prunkstück waren stets seine stark ausgearbeiteten Charaktere die dem eigentlichem Plot häufig die Show stahlen (auch wenn in den letzten beiden Millennium-Romanen Lisbeth Salander eng mit dem Plot verknüpft war). In diesem Punkte hat Larssons Trilogie einiges mit der US-Amerikanischen TV-Serie True Detective gemein, wo die beiden Protagonisten dem eigentlichem Plot die Aufmerksamkeit gestohlen haben.
Durch ein striktes Embargo konnte größtenteils verhindert werden, dass zu Millennium 4: "Det some inte dödar oss" (dt. "Das, was uns nicht tötet", deutscher Titel des Verlages: "Verschwörung") keine Vorab-Rezensionen veröffentlicht wurden. Eine interessante Methode, um die Leser nicht bereits im Voraus zu beeinflussen.
Und ich gehe nun einmal mal so weit zu sagen, die Leser haben auf einen neuen Millennium Roman so sehr gewartet, wie die Fans von Harry Potter auf einen achten Band warten.
Und auch ich habe gewartet. Natürlich wird es schwer sein, unvoreingenommen an "Verschwörung" heranzugehen. Besonders mit dem Wissen, es existieren anscheinend noch unvollendete Manuskripte von Stieg Larsson selbst.
Da mein Exemplar heute eingetroffen ist, werde ich schon bald schlauer sein was die Qualität des Romans angeht. Liest man sich Online mal durch, scheint trotz erheblicher Skepsis im Vorfeld Autor David Lagercrantz eine gute Fortsetzung gelungen zu sein (er bestätigte, von einigen nicht vollendeten Plot-Ideen Larssons Gebrauch gemacht zu haben). Ein Autor, der, wie er sagte, unbedingt mit seiner Interpretation vermeiden wollte, eine Kopie von Stieg Larsson zu werden. Hoffen wir, der Autor hat seine Freiheiten intelligent genutzt, denn auf ähnliche weise sind einige extrem gute 007-Romane entstanden, die nach Ian Flemings Ableben entstanden sind.
"Verschwörung" ist am 27. August bei Heyne erschienen.
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