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Dienstag, 11. Oktober 2011

(Amazon) Rezension: 1Q84 Buch 1 und 2



Hinweis: Um 1Q84 etwas im Gespräch zu halten, da Morgen (den 12 Oktober 2011)  ja offiziell der dritte Band im Handel erscheint, möchte ich meine Amazon Rezension zu den ersten beiden Bänden präsentieren. Diese ersetzt natürlich nicht meine sonstigen, ausführlichen Besprechungen. Eine ausführliche Besprechung wird es geben wenn ich auch noch den dritten Band gelesen habe. Dann wird es eine Rezension zu dem Gesamtwerk geben.

Japan 2009, 2010
1Q84 (Ichi Kew Hachi Yon)
Autor: Haruki Murakami
Deutscher Verlag: DuMont (Hardcover)
Übersetzung: Ursula Gräfe


Amazon Rezension vom 16 November 2010 (bearbeitet am 11.10.2011)

Haruki Murakami: Wieso sein Können und seine Werke unverzichtbar für die moderne Gesellschaft sind.

Da bürgt uns Japans Bestsellerautor Nummer 1 in seinem neuen, großen Roman, 1Q84 ja so einiges auf.

- Eine fanatische Sekte
- Perceiver
- Receiver
- Mother
- Daughter
- Little People
- Zwei Monde
- Zwei Erzählstränge
- Eine Parallelwelt

Aber all das gewichtet am Ende der ersten zwei Bände schon gar nicht mehr. Vergessen wir die komplexe Handlung und die ganzen Anglizismen. Der Kern dieser Geschichte liegt einmal mehr ganz woanders. Wie so oft bei Murakami. Im Hauptfokus stehen nämlich nicht all diese wichtigen Begriffe. Nein. Auch nicht die düstere Thematik über eine fanatische Sekte und Missbrauch an Frauen dominiert in diesem Roman. Nein. Es ist die Geschichte zweier einsamer Menschen in einer trostlosen Gesellschaft. Es ist die Geschichte von Aomame und Tengo die ein gemeinsames Schlüsselerlebnis aus ihrer Kindheit in der Grundschule teilen und sich bereits über zwanzig Jahren suchen. Sie beide bereuen es längst, nicht früher den jeweils anderen gesucht zu haben. Nun sind beide bereits dreißig Jahre alt und haben sich immer noch nicht gefunden. Und wäre das nicht schon traurig genug für die beiden, scheint nun die Welt auch allmählich ihren Verstand zu verlieren.

Natürlich will ich niemandem verraten was es mit der geheimnisvollen Zeitebene 1Q84 auf sich hat. Gesagt sei jedoch das es in diesem Roman so viel zu erkunden und zu rätseln gibt wie in kaum einem anderen Murakami zuvor. Wie immer schreibt er fernab der üblichen Erzählkunst. Wie schon bei Kafka am Strand erzählt er aus zwei Perspektiven. Die Geschichte beginnt mit der Auftragsmörderin Aomame. Danach wechselt die Erzählung zu dem angehenden Schriftsteller Tengo. An dieser Struktur hält Murakami in beiden Bänden fest und lässt sie nicht ein einziges Mal los. Aomame ist dabei kein typischer Charakter aus der verträumten Welt Murakamis. Sie ist geheimnisvoll und kühl. Ihr Schicksal lernen wir erst kennen wenn wir uns weiter durch die Geschichte lesen. Tengo jedoch ist ein typischer Charakter aus Murakamis verträumten Welt. Tengo ist dreißig und Single. Irgendwo hat er sich auf der großen Bühne dieser Welt verlaufen und jagt nun verpassten Chancen und Träumen hinterher. Erst viel später wird klar das Aomames und Tengos Schicksal miteinander verknüpft sind.

Dabei beginnt 1Q84 komplett anders als es wohl jeder Leser von Haruki Murakami erwartet hätte. Der Part mit Aomame wird zunehmend düsterer. Murakami widmet sich gesellschaftskritischen Themen wie Gewalt gegenüber Frauen. Und natürlich darf auch der Krieg in der Mandschurei, den Murakami bereits in anderen Werken erwähnte, in 1Q84 nicht fehlen. Dazu kommt dieses Mal auch noch eine Sekte. Auch diese Thematik dürfte bekannt vorkommen wenn man Murakamis Band Nach dem Beben und seinen Zeitzeugenbericht Untergrundkrieg gelesen hat. Die von Murakami beschriebene Sekte und ihr Anführer aus 1Q84 weisen unglaubliche Parallelen zur Omu Shinrikyo, auch bekannt als Aum Sekte, auf. Eine in Japan gegründete Sekte die einen Terrorakt in der Tokioter U-Bahn verübte. Es scheint als versuche Murakami erneut die Menschen vor einer unbekannten Bedrohung zu warnen. Das sich im Untergrund jederzeit eine fremde Macht erheben kann. Diese brutale Realität verpackt Murakami in eine surreale wie phantastische Geschichte.

Die deutsche Edition von DuMont enthält die ersten zwei Bücher von 1Q84. Der dritte Band selbst ist erst im April diesen Jahres in Japan erschienen. Obwohl das erste Buch unglaublich kurzweilig ist, fragt sich der geneigte Murakami Leser jedoch sehr wahrscheinlich ob sich sein neues Werk nicht doch irgendwie seltsam liest. Kühl und sogar etwas unpersönlich vielleicht. Dies könnte zum einen daran liegen das er nun komplett auf den "Ich Erzähler" verzichtet. Dies tat er bereits teilweise in Kafka am Strand. In After Dark verzichtete er auf den "Ich Erzähler" und schrieb dafür aus der Sicht der Leser (ein sogenannter "Wir Erzähler"). Ziemlich interessant, kam aber leider bei vielen Lesern nicht gut an. Nun verwendet Murakami einen gängigeren, westlichen, Erzählstil. Es ist dieses Mal keiner von Murakamis Helden der die Geschichte in 1Q84 erzählt. Es ist Haruki Murakami selbst, der uns hier sein ganz persönliches Märchen vorliest. Für Leser die noch nie ein Werk des Japaners gelesen haben dürfte sich der Stil also nicht so fremd anfühlen wie für Veteranen. Für jemanden der bereits etliche Erzählungen und Romane von ihm gelesen hat, dürfte dies eine ziemlich schwere Umstellung sein. Man fühlt sich so, als würde man nicht recht mit der ungewohnten Geschichte warm werden. Trotzdem blättern sich die Seiten wie von selbst um. Natürlich kann man Murakamis frühere Werke nicht einfach verdrängen. Doch ich kann versprechen das man auch von 1Q84 gleichermaßen fasziniert sein kann wenn man sich nur darauf einlässt. Und ich spreche da aus Erfahrung. Mir erging es am Anfang genau so. Bereits im zweiten Buch gibt es auch wieder vertraute Murakami Momente. Dazu gehören natürlich gute Musik und viele Skurrilitäten. Die Hommage an George Orwells Klassiker 1984 ist dabei unverkennbar. Die Gemeinsamkeiten fallen aber ziemlich spärlich aus. Gibt es dann mal Verweise auf Orwells Roman, hat Murakami sie jedoch perfekt gewählt.

Erneut beweist Murakami, besonders im zweiten Buch, wie begnadet er ist. Man kann 1Q84 als ein modernes Märchen bezeichnen. Vielleicht sogar als eine Liebesgeschichte. Die Story mag einem verwirrend und sogar unwirklich vorkommen, aber spätestens am Ende des zweiten Buches wird man die Botschaft verstanden haben. Haruki Murakami widmet sich auch mit 1Q84 wieder einer bestimmen Generation. Der modernen Generation aus dem Jahr 2010. Es spielt dabei absolut keine Rolle in welchem Jahr Murakamis Geschichte spielt. Ob 1984 oder 2010, sein neues Werk richtet sich an eine einsame Generation die ihre Zukunft völlig aus den Augen verloren hat. Murakami ist die Person die mit ihren Texten Trost und Hoffnung spendet. Und das obwohl seine Geschichte wahrlich dystopisch erscheint. Er spricht die Sprache unserer Gesellschaft und erreicht alle Leute die nach ähnlichen Dingen suchen wie Murakamis Protagonisten. Wir haben selbst zu entscheiden wofür die Zwei Monde in unserem Leben stehen. Er rüttelt uns wach und lässt uns in Erinnerungen aus unserer Schulzeit schwelgen, egal wie man sie durchlebt hat. Und er macht uns auch klar das die Little People uns überall auflauern könnten.

Am Ende des zweiten Buches lässt man uns mit einem gemeinen Cliffhanger zurück. Ob sich Aomame und Tengo jemals finden werden bleibt fraglich. Was Murakami in diesem Werk hinterlässt sind viele Rätsel und Fragen. Rätsel und Fragen womit ich mich jedoch gerne befasse. So reiht sich auch 1Q84 problemlos in die makellose Bibliografie von Haruki Murakami ein.

Auch wenn sich dieser Roman etwas anders gelesen hat als viele seiner Vorgänger, bin ich immer noch absolut begeistert. Daher gibt es auch 5 von 5 möglichen Sternen. Hoffen wir das er bald endlich den verdienten Nobelpreis für Literatur erhalten wird. Haruki Murakami liefert hier den vielleicht wichtigsten Beitrag der Literatur 2010 ab (Anmerkung: Auch 2011 hat er ihn nicht erhalten ;D).

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